OGH 10ObS175/88

OGH10ObS175/886.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Christian Kleemann (Arbeitgeber) und Karl Klein (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann E***, 4050 Traun, Föhrenstraße 6, vertreten durch Dr. Manfred M***, Gewerkschaftssekretär, dieser vertreten durch Dr. Hans Schwarz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei V*** Ö*** B***, 1081 Wien, Josefstädterstraße 80, vertreten durch Dr. Hans Houska, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufskrankheit, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. März 1988, GZ 12 Rs 30/88-13, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22. Dezember 1987, GZ 12 Cgs 2005/87-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 10. April 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung von Leistungen aus der Unfallversicherung aus Anlaß seiner Erkrankung an offener Tuberkulose mangels Vorliegens einer Berufskrankheit ab. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger festzustellen, daß seine Erkrankung an offener Tuberkulose eine Berufskrankheit darstelle.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren unter Zugrundelegung folgender Feststellungen statt:

Der Kläger ist seit 1975 Sicherheitswachebeamter der Polizeidirektion Linz. Im Herbst 1984 erkrankte er an multikavernöser Oberlappentuberkulose rechts mit homolateralen Streuherden. Er war vom 17. Oktober 1984 bis 15. Jänner 1985 stationär im Allgemeinen Krankenhaus der Stadt Linz. Ab 1980 war der Kläger hauptsächlich in den Wachzimmern Mozartstraße und Landhaus im Rayons- und Streifendienst eingesetzt. Zu seinen Aufgaben gehörte auch das Einschreiten bei gerichtlichen und verwaltungsrechtlichen Übertretungen aller Art, wobei die angehaltenen Personen zumindest beanstandet und zur Ausweisleistung verhalten werden mußten. In bestimmten Fällen war dabei auch eine Personsdurchsuchung und Festnahme durchzuführen. Perlustrierungen von Unterstandslosen und verwahrlosten Personen fielen ca. 45 bis 60mal monatlich an. In vier bis fünf solcher Fälle pro Monat mußten diese Personen nicht nur durchsucht, sondern auch abtransportiert werden, was einen besonderen Körperkontakt erforderte, insbesondere dann, wenn die festgenommenen durch Alkoholeinwirkungen selbst nicht gehfähig waren. Die festgenommenen Personen mußten zum Wachzimmer und allenfalls in das polizeiliche Gefangenenhaus eskortiert werden. Wenn die vorzuführenden oder verhafteten Personen nicht haftfähig sind, werden sie vom Kläger oder seinen Kollegen auch in Krankenhäuser, Heil- und Pflegeanstalten gebracht. Da es dort wegen der häufigen Alkoholisierung der vorzuführenden oder verhafteten Personen öfters bei der Aufnahme Schwierigkeiten gibt, begleiten die einschreitenden Sicherheitswachebeamten diese Personen auch noch bis zur Aufnahme. Der Kläger hatte in den Jahren 1982 bis 1984 beruflichen Kontakt mit mindestens vier Personen, die in diesem Zeitraum an aktiver Lungentuberkulose erkrankt waren, drei davon an offener Lungentuberkulose. Es ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Kläger seine Tuberkulose durch berufliche Kontakte mit an Tuberkulose Erkrankten erworben hat, zumal im privaten Umkreis des Klägers keine sichere Infektionsquelle erkennbar ist. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch diese Erkrankung betrug vom 17. Oktober 1984 bis 15. Jänner 1985 (stationärer Aufenthalt) 100 %, vom 16. Jänner bis 14. April 1985 40 % und vom 14. April bis 16. Oktober 1985 20 %.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, der Kläger sei im Rahmen seiner Dienstpflichten gezwungen gewesen, Personen, die an offener Tuberkulose erkrankt waren, in das Polizeigefangenenhaus oder in Krankenanstalten zu überstellen. Die Erkrankung sei daher durch Ausübung der die Versicherungspflicht begründenden Beschäftigung in einem der angeführten Unternehmen verursacht worden. Das Berufungsgericht gab der (inhaltlich nur) wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies.

Als Berufskrankheiten gelten alle Infektionskrankheiten, wenn sie durch berufliche Beschäftigung in einem der in Anlage 1 zum ASVG Nr. 38 angeführten Unternehmen verursacht seien. Die Anführung der Unternehmen lasse zwingend darauf schließen, daß der Gesetzgeber davon ausgehe, die in diesen Unternehmen beruflich Beschäftigten seien in erhöhtem Ausmaß einer Ansteckung mit Infektionskrankheiten ausgesetzt und daher besonders zu schützen. Ausgeschlossen vom Schutz seien jedenfalls Personen, die nicht in einem geschützten Unternehmen arbeiteten, dennoch aber mit mit Infektionskrankheiten behafteten Personen in engeren Kontakt kommen könnten, wie Friseure, Schneider, Masseure in Badeanstalten, Angehörige des Bundesheeres, gastgewerbliches Personal, Bewährungshelfer udgl. Der festgestellte Kontakt des Klägers mit erkrankten Personen, der mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu seiner Erkrankung geführt habe, sei aber nicht ausreichend, weil nicht feststehe, daß die Ansteckung in einem der in Anlage 1 Nr. 38 angeführten Unternehmen erfolgt sei, wie dies etwa beim Pflegepersonal aber auch bei einem Bediensteten der Justizwache vermutet werden müsse, welcher außerhalb dieser Einrichtungen mit kranken Personen in keinen beruflichen Kontakt komme. Beim Kläger sowie bei jedem Sicherheitswachebeamten werde aber eine berufsbedingte Ansteckung nach menschlichem Ermessen nicht in einer der genannten Anstalten, wo der Eskortierte ohnedies gleich vom Pflege- oder Wachpersonal übernommen werde, sondern vielmehr außerhalb einer solchen Anstalt erfolgen. Die theoretisch nicht auszuschließende Möglichkeit, daß der Kläger bei einem nur kurzzeitig denkbaren Aufenthalt in einer solchen Anstalt angesteckt worden sei, sei nicht ausreichend, eine Beweislastumkehr in dem Sinne vorzunehmen, daß der Unfallversicherungsträger den praktisch unmöglichen Beweis erbringen müßte, die Ansteckung sei außerhalb der Anstalt erfolgt. Eine Berufskrankheit sei daher zu verneinen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen.

Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revision kommt keine Berechtigung zu.

Durch die Einführung der Berufskrankheiten sollten Gesundheitsschädigungen als Folge einer Erwerbstätigkeit geschützt werden. Um die Unfallversicherung nicht mit den Unsicherheiten der medizinischen Ätiologie zu belasten, hat sich der Gesetzgeber vorbehalten, im einzelnen festzulegen, welche Krankheiten unter welchen Voraussetzungen als Berufskrankheiten gelten und hiezu eine taxative Liste erstellt ("abstrakte Berufskrankheiten"). Da eine Gesundheitsstörung verschiedene Ursachen haben kann, anerkannte der Gesetzgeber daher häufig eine bestimmte Gesundheitsstörung nicht schon als solche als Berufskrankheit, sondern nur dann, wenn sie bestimmte Ursachen hat und in einer bestimmten Umgebung aufgetreten ist, stellt also, wie im Falle der Infektionskrankheiten (Nr. 38 der Anlage 1 zum ASVG) wegen der bei solchen Krankheiten besonderen Schwierigkeit des Nachweises der Kausalität mit der beruflichen Tätigkeit, auf besondere Unternehmen ab, weil die dort beschäftigten Personen in einem ganz besonderen Ausmaß der Gefahr von Ansteckungen ausgesetzt sind. Dies bedeutet aber, daß eine analoge Anwendung auf Unternehmen oder Personen, die nicht beruflich in einem der in Nr. 38 der Anlage 1 aufgezählten Unternehmen beschäftigt sind, ausgeschlossen ist und es nur dem Gesetzgeber obliegt, den Kreis der geschützten Unternehmen oder Personen zu erweitern, wie er es etwa in der 23. Novelle zum ASVG durch die Aufnahme der Einrichtungen der Kindergärten und Säuglingskrippen auch getan hat.

Nur sachlich nicht begründete Differenzierungen sind verfassungswidrig. Eine Differenzierung ist aber dann sachlich begründet, wenn sie nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen (aus Unterschieden im Tatsächlichen) erfolgt (VfSlg. 4140, 4392 uva). Der Gesetzgeber ist demnach durch den Gleichheitsgrundsatz verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen. Wesentliche Unterschiede im Tatsachenbereich müssen zu entsprechend unterschiedlichen Regelungen führen (VfSlg. 8217, 8806). Es ist zulässig, von einer durchschnittlichen Betrachtung auszugehen und auf den Regelfall abzustellen (VfSlg. 5318). Wenn daher der Gesetzgeber im Falle von Infektionskrankheiten in den Kreis der geschützten Unternehmen und Personen nur jene aufgenommen hat, die nach durchschnittlicher Betrachtung und im Regelfall ein ganz besonders erhöhtes Ansteckungsrisiko mit sich bringen, dann erscheint diese Bestimmung wegen des Unterschiedes im Tatsächlichen verfassungsrechtlich nicht bedenklich. Sicherheitswachebeamte werden im Regelfall überwiegend mit gesunden Personen zu tun haben und der Kontakt mit allenfalls Infizierten beschränkt sich jedenfalls auf eine kurz eingegrenzte Zeit. Einem solchen Risiko aber sind, wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, alle Erwerbstätigen ausgesetzt, die in intensivem ständigem Kontakt mit anderen Menschen stehen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.

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