OGH 10ObS200/88

OGH10ObS200/886.9.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Fellm (AG) und Karl Klein (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Erika W***, ohne Beschäftigung, 5251 Höhnhart 68, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Erich Proksch und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. März 1988, GZ 13 Rs 20/88-23, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 14. Oktober 1987, GZ 5 Cgs 146/87-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 10. Dezember 1939 geborene Klägerin erlernte von 1954 bis 1957 das Herrenkleidermacherhandwerk und arbeitete anschließend bis 1961 als Schneiderin. Dann war sie bis Dezember 1975 nicht erwerbstätig. Sodann war sie als Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerin an Volks- und Sonderschulen sowie an der Bundesbildungsanstalt für Kindergärtnerinnen und der HBLA in Ried im Innkreis tätig. Sie war Sondervertragslehrerin, und zwar 42 Beschäftigungsmonate mit voller Lehrverpflichtung, 26 Monate mit über 70 % und 17 Monate mit weniger als 50 % einer vollen Lehrverpflichtung. Von November (richtig 1. Juli) 1983 bis 30. September 1984 bezog sie eine Berufsunfähigkeitspension. Sie kann leichte und mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Stehen und Gehen ohne zusätzliche Arbeitspausen verrichten. Ausgeschlosen sind überwiegendes oder dauerndes Bücken bis zum Boden, häufige Durchnässung, intensive Einwirkungen von schädlichen Substanzen auf Haut und Atemorgane, überwiegender oder dauernder Zeitdruck oder Überstunden, Akkord- und Nachtarbeiten, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten, die besondere Rechenfähigkeit oder rechnerisches Denken verlangen, die besondere Büroroutine erfordern oder auch nur durchschnittliche Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit im schriftlichen Bereich stellen und Arbeiten mit psychischen Belastungen wie z.B. häufigem Zeitdruck, intensiverem Parteien- und Kundenverkehr, besonderer Verantwortung oder Tätigkeiten, die Eigeninitiative verlangen oder potentiell konfliktreich sind. Die Klägerin ist auch nur unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen einordenbar.

Diese Arbeitsfähigkeit reicht zwar nicht mehr für eine pädagogische Tätigkeit, wohl aber zum Beispiel für eine Tätigkeit als Schneiderin in einem handwerklichen Betrieb, als Bürodienerin im Verwaltungsdienst, als Museums- und Ausstellungswächterin und dergleichen aus.

Mit Bescheid vom 2. Juni 1986 wies die beklagte Partei den Antrag der Klägerin vom 28. Februar 1986 auf Berufsunfähigkeitspension ab, weil sie sie nicht als berufsunfähig im Sinn des § 273 ASVG erachtete.

Das Erstgericht gab der dagegen rechtzeitig erhobenen, auf eine Invaliditätspension (richtig Berufsunfähigkeitspension) ab 1. März 1986 gerichteten Klage statt, weil die Klägerin innerhalb ihrer Berufsgruppe als Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerin keine Tätigkeit mehr ausüben könne und eine Verweisung auf den erlernten Schneiderberuf sowie auf unqualifizierte Hilfstätigkeiten unzumutbar sei.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge und bestätigte das angefochtene Urteil mit der Maßgabe, daß es der beklagten Partei nach § 89 Abs 2 ASGG die Erbringung einer vorläufigen Zahlung von monatlich S 3.000,-- auftrug. Die Pensionsversicherung der Angestellten sei eine echte Berufsversicherung, die schon dann einsetze, wenn der Versicherte wegen seines Leidenszustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben könne, möge er auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch einsatzfähig sein. Bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit sei von dem vom Versicherten zuletzt ausgeübten Angestelltenberuf auszugehen, der das Verweisungsfeld bestimme. Schon deshalb käme eine Verweisung der Klägerin auf den erlernten, aber nur bis 1961 ausgeübten Schneiderberuf nicht in Frage. Überdies würde eine solche Verweisung einen unzumutbaren sozialen Abstieg nach sich ziehen, weil der Beruf einer Schneiderin in einem handwerklichen Betrieb in den Augen der Umwelt ein wesentlich geringeres Ansehen genieße als der einer Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerin.

Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Klägerin erstattete keine Revisionsbeantwortung. Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerberin vermeint, bei der Tätigkeit einer Arbeitslehrerin handle es sich um eine einfache pädagogische Tätigkeit, die auch - wie das bei der Klägerin der Fall gewesen sei - von einer ungelernten Pädagogin, die die notwendigen handwerklichen Fertigkeiten mitbringe, ausgeübt werden könne. Die Tätigkeit der Klägerin sei daher der eines Lehrherrn in einem Lehrbetrieb zu vergleichen. Weil der Schwerpunkt der Tätigkeit in der Weitergabe handwerklicher Fähigkeiten bestanden habe und die pädagogische Tätigkeit deshalb und mangels einer pädagogischen Ausbildung in den Hintergrund getreten sei, wäre die Klägerin auf den erlernten Beruf der Herrenschneiderin zu verweisen und deshalb nicht berufsunfähig.

Diese Rechtsansicht ist nicht richtig.

Hat der Versicherte Versicherungsmonate in mehreren Zweigen der Pensionsversicherung erworben, - z.B. wie die Klägerin zunächst in der Pensionsversicherung der Arbeiter und dann in der Pensionsversicherung der Angestellten - so kommen für ihn nach § 245 Abs 1 ASVG die Leistungen des Zweiges in Betracht, dem er leistungszugehörig ist. Liegen in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag - wie bei der Klägerin - nur Versicherungsmonate eines Zweiges der Pensionsversicherung vor, so ist der Versicherte nach Abs 2 leg. cit. diesem Zweige leistungszugehörig. Die Klägerin ist daher der Pensionsversicherung der Angestellten leistungszugehörig. In dieser Pensionsversicherung ist nach § 222 Abs 2 Z 2 lit b ASVG bei Berufsunfähigkeit die Berufsunfähigkeitspension aus der Pensionsversicherung der Angestellten (§ 271 leg. cit) zu leisten, auf die der Versicherte nach Abs 1 der letztzitierten Gesetzesstelle, wenn die Wartezeit erfüllt ist, bei dauernder Berufsunfähigkeit und bei vorübergehender Berufsunfähigkeit ab der

27. Woche ihres Bestandes Anspruch hat.

Weil die Klägerin das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist ihre Berufsunfähigkeit nach § 273 Abs 1 ASVG zu beurteilen. Sie gilt daher als berufsunfähig, wenn ihre Arbeitsfähigkeit infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist.

Die Pensionsversicherung der Angestellten stellt also eine Berufs(gruppen)versicherung dar, deren Leistungen bereits einsetzen, wenn der Versicherte infolge seines körperlichen und/oder geistigen Zustandes einen Beruf seiner Berufsgruppe nicht mehr ausüben kann. Dabei ist von jenem Angestelltenberuf auszugehen, den der Versicherte zuletzt ausgeübt hat. Dieser Beruf bestimmt das Verweisungsfeld, dh die Summe aller Berufe, die derselben Berufsgruppe zuzurechnen sind, weil sie eine ähnliche Ausbildung und gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten verlangen (so z.B. Initiativantrag der Abgeordneten Uhlir und Genossen zur

  1. 9. ASVGNov. 517 BlgNR 9.GP 86; Teschner in Tomandl SV-System
  2. 3. ErgLfg. 368; Tomandl Grundriß3 Rz 69).

    Daraus folgt, daß bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit der Klägerin, die nach einer 14-jährigen Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit vom Dezember 1975 bis zum Stichtag ausschließlich als Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerin tätig war, von diesem Beruf auszugehen ist. Dabei handelt es sich um keine ihrem erlernten Beruf als Herrenkleidermacherin vergleichbare Arbeitstätigkeit, sondern um einen höheren, nicht kaufmännischen Dienst, also um eine echte Angestelltentätigkeit als (Hand-)Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerin an Volks-, Sonder- und höheren Schulen. Auch wenn die Klägerin keine besondere Ausbildung für diese Lehrertätigkeiten haben sollte, die vor dem 1. September 1984 in den Bildungsanstalten für Arbeitslehrerinnen vermittelt (§ 86 SchulorganisationsG) und mit der Befähigungsprüfung für Arbeitslehrerinnen für den Unterricht in Werkerziehung und Hauswirtschaft an den allgemeinbildenden Pflichtschulen abgeschlosen wurde (§ 90 leg. cit), verlangte die Ausübung ihres Berufes als Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerin zweifellos Kenntnisse und Fähigkeiten, die zum Großteil über die im erlernten Beruf einer Herrenkleidermacherin hinausgingen. Dies einerseits deshalb, weil eine solche Lehrerin den Schülern nicht nur mit der Schneiderei zusammenhängende Fertigkeiten beizubringen hat, sondern weil auch ein Lehrer für praktische Gegenstände in eigenständiger und verantwortlicher Unterrichts- und Erziehungsarbeit die Aufgabe der österreichischen Schule zu erfüllen hat. In diesem Sinne und entsprechend dem Lehrplan der betreffenden Schulart hat er unter Berücksichtigung der Entwicklung der Schüler und der äußeren Gegebenheiten den Lehrstoff des Unterrichtsgegenstandes dem Stand der Wissenschaft entsprechend zu vermitteln, eine gemeinsame Bildungswirkung aller Unterrichtsgegenstände anzustreben, den Unterricht anschaulich und gegenwartsbezogen zu gestalten, die Schüler zur Selbsttätigkeit und zur Mitarbeit in der Gemeinschaft anzuleiten, jeden Schüler nach Möglichkeit zu den seinen Anlagen entsprechenden besten Leistungen zu führen, durch geeignete Methoden und durch zweckmäßigen Einsatz von Unterrichtsmitteln den Ertrag des Unterrichtes als Grundlage weiterer Bildung zu sichern und durch entsprechende Übungen zu festigen (§§ 17 Abs 1 und 51 Abs 1 SchulunterrichtsG). Weiters hat der Lehrer die Beurteilung der Leistungen der Schüler vorzunehmen (§ 18 Abs 1 leg. cit) und neben den unterrichtlichen und erzieherischen Aufgaben noch administrative Aufgaben zu erfüllen (vgl. § 51 Abs 2 leg. cit.)

    Die Klägerin kann daher schon deshalb nicht auf den in ihrer Jugend erlernten und nach der Lehre nur vier Jahre ausgeübten Beruf als Herrenkleidermacherin bzw. Schneidergesellin verwiesen werden, weil dieser Beruf keine ähnliche Ausbildung und keine gleichwertigen Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und damit einer anderen Berufsgruppe angehört als der von 1975 bis zuletzt ausgeübte Beruf als Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerin.

    Das angefochtene Urteil erweist sich daher schon deshalb als richtig, ohne daß auf die Frage einzugehen war, ob eine zuletzt als Angestellte tätige Versicherte, die früher als Arbeiterin tätig war, überhaupt auf Arbeitertätigkeiten verwiesen werden darf, und ob die Verweisung einer zuletzt als Arbeits- und Hauswirtschaftslehrerin beschäftigten Versicherten auf die Tätigkeit einer Schneidergesellin im Handwerk einen unzumutbaren sozialen Abstieg nach sich ziehen würde.

    Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

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