OGH 7Ob623/88

OGH7Ob623/8828.7.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*** OIL A*** Aktiengesellschaft, Wien 1., Schwarzenbergplatz 3, vertreten durch Dr. Hanns F. Hügel, Rechtsanwalt in Mödling, wider die beklagte Partei Anton E***, Inhaber einer Tankstelle, Felixdorf, Karl Heinrich Waggerl-Gasse 1, vertreten durch Dr. Emmerich Fritz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung (Streitwert S 24.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Berufungsgerichtes vom 14. März 1988, GZ R 534/87-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 24. September 1987, GZ 2 C 5643/87-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, der Beklagte sei schuldig, die in der dem erstgerichtlichen Urteil angeschlossenen Plankopie blau eingezeichnete und mit den Buchstaben A bis M hinsichtlich der Eckpunkte festgelegte Fläche auf der Liegenschaft Sollenau, Wiener Neustädterstraße 99, binnen 14 Tagen von seinen Fahrnissen zu räumen und diese Fläche der klagenden Partei zu übergeben, sowie der klagenden Partei die Prozeßkosten zu bezahlen, wird abgewiesen. Die klagende Partei ist schuldig, dem Beklagten die mit S 4.305,40 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin S 391,40 Umsatzsteuer) sowie die mit S 2.763,36 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin S 500,-- Barauslagen und S 205,76 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei ist ferner schuldig, dem Beklagten auch die mit S 4.049,25 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.500,-- Barauslagen und S 231,75 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin hat am 10. März 1976 die im Spruch genannte Fläche vom damaligen Liegenschaftseigentümer gemietet, wobei das Bestandrecht ob der Liegenschaft EZ 882 KG Sollenau bis 31. Dezember 1990 eingetragen ist.

Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Wiener Neustadt vom 20. Dezember 1985, E 193/85, wurde die Zwangsversteigerung der Liegenschaft bewilligt, wobei nach den Versteigerungsbedingungen unter anderem auch das erwähnte Bestandrecht vom Ersteher zu übernehmen war. Aufgrund dieser Versteigerungsbedingungen erfolgte am 13. Oktober 1986 der Zuschlag an die W*** N*** S***, die ihrerseits die Liegenschaft dem Beklagten verkaufte. Weder das Eigentum der W*** N*** S*** noch das des Beklagten ist bisher bücherlich einverleibt.

Der Beklagte benützt die Liegenschaft und betreibt dort eine Tankstelle. Zumindest am 15. Mai 1987 verlangte die Klägerin vom Beklagten die Übergabe der Liegenschaft, was der Beklagte jedoch verweigerte.

Die Vorinstanzen gaben dem Räumungsbegehren der Klägerin statt, wobei sie die Rechtsansicht vertraten, dem Mieter stehe zur Durchsetzung seiner Rechte eine aus § 372 ABGB abgeleitete Klage gegen denjenigen zu, der diese Rechte beeinträchtige. Abgesehen davon, daß der Beklagte mangels Intabulation noch gar nicht Eigentümer der Liegenschaft sei, könne die erwähnte Klage auch gegen den Eigentümer des Bestandobjektes eingebracht werden. Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteigt und die Revision zugelassen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen den Ausführungen der Revisionsbeantwortung liegen hier die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Revision nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO vor, weil die Entscheidung des Berufungsgerichtes bezüglich der Frage, ob eine auf § 372 ABGB gestützte Klage auch gegen den Eigentümer des Bestandobjektes eingebracht werden könne, auf die, zahlenmäßig allerdings nicht sehr ergiebige Judikatur des Obersten Gerichtshofes und auf die Lehre nicht Bedacht nimmt und weil nicht sämtliche für eine auf § 372 ABGB gestützte Klage vom Gesetz geforderten Voraussetzungen beachtet worden sind. Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung vom Beklagten erhobene Revision ist auch gerechtfertigt.

Unbestritten ist, daß die Rechtsprechung dem Mieter petitorischen Rechtsschutz gegen Störer zubilligt, wobei der Frage, ob die diesbezügliche Klage direkt aus § 372 ABGB abgeleitet werden kann oder ob es sich hiebei um eine analoge Anwendung dieser Bestimmung handelt, in der Praxis keine Bedeutung zukommt. Bei der Bestimmung des § 372 ABGB handelt es sich um einen Behelf, den der Gesetzgeber Personen in die Hand geben wollte, die ansonsten wegen besonderer Schwierigkeiten nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zur ihrem Recht kämen. Insbesondere trägt diese Bestimmung dem Umstand Rechnung, daß zwischen zwei Ansprechern einer Sache häufig keinerlei rechtliche Beziehung besteht, so daß der Kläger seinen Anspruch nicht aus einem Vertrag mit dem Beklagten ableiten kann. Keinesfalls soll diese Bestimmung aber der Durchsetzung vertraglicher Rechte gegen den Vertragspartner dienen. Demnach hat sowohl die Judikatur (MietSlg. XXXVII/12) als auch die Lehre (Bydlinski in Klang2 IV/2, 576, Spielbüchler in Rummel Rz 12 zu § 431, Apathy, Die publizianische Klage, 54, 59) den Rechtssatz entwickelt, daß die publizianische Klage zwar mit Erfolg gegen jeden Dritten, aber nie gegen den wirklichen Eigentümer angestrengt werden kann. Was das Klagerecht des Bestandnehmers anlangt, unterscheidet die Literatur deutlich zwischen den Durchsetzungsmöglichkeiten gegen den Bestandgeber einerseits und einem Dritten andererseits (Klang2 V, 24 f, Apathy aaO, 72 ff). Nur als Rechtbehelf zur Durchsetzung von Ansprüchen gegen Dritte wurde die Klage nach § 372 ABGB gewährt. Ebenso hat eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (MietSlg. 3.618) ausdrücklich ausgeführt, daß der petitorische Rechtsschutz des Bestandnehmers niemals gegenüber dem Bestandgeber in Anspruch genommen werden kann. Diesem gegenüber gibt § 1096 ABGB dem Bestandnehmer ausreichende Rechtsschutzmöglichkeiten in die Hand.

Entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen kann also der Bestandnehmer eine aus § 372 ABGB abgeleitete Räumungsklage gegen den Bestandgeber nicht mit Erfolg einbringen.

Im vorliegenden Fall steht fest, daß der Bestandvertrag auf Bestandgeberseite nicht vom Beklagten abgeschlossen worden ist, der Beklagte inzwischen die Bestandsache käuflich erworben hat, jedoch sein Eigentum im Grundbuch bisher noch nicht eingetragen wurde. Im Hinblick auf die Regelung des § 1120 ABGB bewirkt eine Veräußerung der Bestandsache nicht eine Beendigung des Bestandvertrages. Vielmehr hat der Bestandnehmer erst nach gehöriger Kündigung zu weichen. Dies bedeutet aber, daß vorerst der Käufer der Bestandsache an den Bestandvertrag gebunden ist. Der Erwerber tritt mit der Übergabe in das Bestandverhältnis ein. Die Übergabe erfolgt bei verbücherten Liegenschaften durch die Einverleibung (Würth in Rummel Rz 7 zu § 1120, MietSlg. 36.198, 28.169 ua). Ungeachtet der aufgezeigten Grundsätze hat die Judikatur jedoch auch dem außerbücherlichen Erwerber bereits das Recht zur Auflösung von Bestandverträgen eingeräumt, wenn ihm vom Veräußerer der Besitz und die Verwaltung (Nutznießung) der Liegenschaft übertragen wurde und er in den vom bisherigen Eigentümer abgeschlossenen Bestandvertrag eingetreten ist bzw. diesen erneuert hat (MietSlg. X***/31, 35.207, 36.199 ua). Billigt man aber dem außerbücherlichen Erwerber das Recht auf Auflösung des Bestandvertrages, ja sogar zur Vornahme weiterer, gegen Mieter gerichteter Verwaltungshandlungen (MietSlg. 36.199) zu, so muß dieser auch in Kauf nehmen, daß die Mieter die zur Durchsetzung ihrer Ansprüche notwendigen Schritte gegen ihn unternehmen. Demnach ist in den aufgezeigten Fällen bezüglich derartiger Schritte der außerbücherliche Erwerber bereits wie ein Bestandgeber zu behandeln. Dies führt zu dem Ergebnis, daß ein aus § 372 ABGB abgeleiteter petitorischer Rechtsschutz vom Mieter gegen ihn nicht mehr in Anspruch genommen werden kann.

Im vorliegenden Fall kann kein Zweifel daran bestehen, daß dem Beklagten der Besitz und die Verwaltung der Liegenschaft übertragen worden sind, was im übrigen als Regelfall nicht vom Erwerber einer Liegenschaft zu beweisen wäre (MietSlg. 36.199 ua). Eine Erneuerung des Bestandvertrages durch den Beklagten wurde nicht behauptet. Der Eintritt in den Bestandvertrag ergibt sich in der Regel aus § 1120 ABGB, falls der Erwerber nicht zu erkennen gibt, daß er den Bestandvertrag nicht fortsetzen wolle. Ob die Bestreitung des Fortbestehens des Bestandverhältnisses aus rechtlichen Gründen die Annahme eines Eintrittes in den Bestandvertrag widerlegt oder nicht, muß im konkreten Fall nicht geprüft werden, weil selbst bei Verneinung dieser Frage das Klagebegehren aus folgenden Gründen keinesfalls gerechtfertigt ist:

§ 372 ABGB verlangt den Besitz des Klägers. Es genügt also nicht, daß der Kläger bezüglich der geforderten Sache über einen Rechtstitel, der Bestandnehmer also über einen Bestandvertrag, verfügt. Vielmehr steht dem Mieter eine petitorische Klage gegen Dritte auf Räumung der Wohnung nur zu, wenn er sich im Besitz der Bestandsache und des Mietrechtes befindet oder doch befunden hat. Die Bestandsache muß ihm also irgendwann einmal übergeben worden sein (Klang2 V, 23, MietSlg. 34.046, 30.047, 17.028 ua). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin bereits in der Klage (S 3 d.A.) behauptet, der Beklagte verweigere die Übergabe des Bestandobjektes. Der Beklagte hat dies zwar bestritten, aber nur mit der Gegenbehauptung, die Klägerin habe sich um die Übergabe bisher noch nicht bemüht (S 9 d.A.). Aufgrund des beiderseitigen Vorbringens ist daher davon auszugehen, daß der Klägerin, zumindest vom Beklagten, das Bestandobjekt nie übergeben worden ist. Nach dem weiteren Vorbringen der Klägerin ist aber eine frühere Übergabe des Bestandobjektes an sie nicht anzunehmen. Eine Behauptung in diese Richtung hat die Klägerin nicht aufgestellt. Aus diesem Grunde war bei der Entscheidung davon auszugehen, daß der Klägerin das Bestandobjekt bisher nicht wirklich übergeben worden ist. Dies schließt aber einen Erfolg einer aus § 372 ABGB abgeleiteten Klage auch dann aus, wenn die Klage nicht gegen den Eigentümer der Bestandsache oder gegen den Bestandgeber gerichtet sein sollte. Demnach bedurfte es keiner weiteren Klärung der Frage, ob der Beklagte in den Bestandvertrag eingetreten ist oder nicht. Vielmehr war die Sache bereits jetzt im Sinne einer Klagsabweisung spruchreif. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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