OGH 7Ob616/88

OGH7Ob616/8814.7.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Claudia G***, geboren am 3. Oktober 1980, infolge Revisionsrekurses des Vaters Gerhard G***, Vertragsbediensteter, Wien 21., Hopfengasse 3/5/8, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 28. April 1988, GZ 47 R 251/88-85, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 17. März 1988, GZ 3 P 258/85-80, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern ist seit 14. Mai 1982 geschieden. Die elterlichen Rechte wurden zunächst der Mutter zugewiesen (ON 20). Mit Beschluß vom 12. Jänner 1987 (ON 61) übertrug das Erstgericht die elterlichen Rechte dem Vater.

Das Erstgericht wies den Antrag der Mutter, ihr wieder die elterlichen Rechte zu übertragen, ab. Nach seinen Feststellungen braucht die Minderjährige eine fixe Ordnung, nach der sie sich richten kann; ansonsten ist sie sehr verunsichert. Diese Sicherheit und Geborgenheit hat sie bei ihrem Vater und dessen zweiter Ehefrau. Bei der Mutter hat die Minderjährige diese Sicherheit und Geborgenheit vermißt, was der Minderjährigen noch heute Angst bereitet. Die Minderjährige ist in die Familie des Vaters integriert und hat zur zweiten Ehefrau des Vaters ein besonders herzliches Verhältnis. Sie zeigt sich zwar auch an der Mutter sehr interessiert, äußerte sich aber entschieden für einen Verbleib beim Vater. Sie ist bestrebt, sowohl den Vater als auch die Mutter für sich zu erhalten, will jedoch die regelmäßige pflegerische Versorgung und Verläßlichkeit der Ehefrau des Vaters nicht missen. Die Minderjährige konnte in der ruhigen und gesicherten Atmosphäre des Vaters Fuß fassen und zu einer Stabilität kommen, was bei der Mutter nicht garantiert ist.

Daraus folgerte das Erstgericht, daß eine Änderung in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen nicht dem Wohl des Kindes entspräche.

Das Rekursgericht hob den erstgerichtlichen Beschluß auf und trug dem Erstgericht nach Verfahrensergänzung eine neue Entscheidung auf. Es stellte ergänzend fest, daß die Minderjährige am 25. November 1987 zur stationären Behandlung in die Heilpädagogische Station des Allgemeinen Krankenhauses aufgenommen wurde. Die Aufnahme erfolgte, weil die Minderjährige durch ihren Erethismus für die Klassengemeinschaft in der Schule untragbar erschien und es Erziehungsprobleme gab. Nach dem Bericht der Universitätskinderklinik (ON 77) habe die Beobachtung des Verhaltens der Minderjährigen die Frage nach dem Vorliegen einer kindlichen Psychose nahegelegt, was sich jedoch nicht bestätigt habe. Bedingt durch die weihnachtliche Sperre der Station sei die Minderjährige vom 23. Dezember 1987 bis 7. Jänner 1988 entlassen worden. Die Eltern hätten allerdings berichtet, daß das Kind schwieriger als je zuvor gewesen sei. Um Klarheit über die Interaktion zwischen Kind und Eltern zu erhalten, sei ein familiendiagnostisches Gespräch und die nochmalige kinderpsychiatrische Begutachtung vorgesehen gewesen. Dies sei jedoch wegen des Verhaltens des Jugendamtes und des Vaters nicht möglich gewesen. Die vorzeitige Entlassung der Minderjährigen habe die Frage offen gelassen, wie weit die gegenwärtige familiäre Situation des Kindes für dessen extrem unruhiges, getriebenes Verhalten auslösend sein könnte und inwieweit es sinnvoll erscheine, Besuchskontakte zur Mutter zu unterbinden.

Nach der Auffassung des Rekursgerichtes sei eine Entziehung der elterlichen Rechte nur dann zulässig, wenn durch das Verhalten der Eltern das Wohl des Kindes gefährdet sei. Das Erstgericht habe sich mit dem Schreiben der Universitätskinderklinik (ON 77) nicht auseinandergesetzt. Es sei daher die Frage offen geblieben, wie weit die gegenwärtige familiäre Situation der Minderjährigen für deren extrem unruhiges Verhalten auslösend sein könne. Das Erstgericht werde daher im fortgesetzten Verfahren einen Sachverständigen aus der Kinderpsychiatrie beizuziehen haben, der nach Einbeziehung der Minderjährigen, ihrer Eltern und der Ehefrau des Vaters darüber ein Gutachten zu erstatten habe, ob die gegenwärtige familiäre Situation der Minderjährigen beim Vater für das Wohl des Kindes gefährdend sei bzw. ob eine allfällige psychische Belastung des Kindes gegeben sei. Gleichzeitig werde auch zu klären sein, welchen Einfluß der Besuchskontakt der Mutter auf das Kind habe.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs des Vaters ist nicht berechtigt.

Zutreffend ist das Rekursgericht davon ausgegangen, daß eine einmal getroffene Regelung, welchem Elternteil die aus den familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern erfließenden rein persönlichen Rechte allein zustehen, nicht bereits bei geringfügiger Änderung der Interessenlage, sondern nur dann geändert werden soll, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist, wenn also besonders wichtige Gründe vorliegen und eine Änderung dringend geboten ist (EFSlg. 43.321; SZ 51/136; EvBl. 1979/185 uva). Zur Beurteilung dieser Frage hielt das Rekursgericht im vorliegenden Fall die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Erweiterung der Entscheidungsgrundlage für erforderlich, weil sich aus dem Akt ergibt, daß bei der Minderjährigen eine krankhaft gesteigerte Erregbarkeit (Erethismus) und ein schulischer Leistungsabfall vorliegen und die Ursachen dieser Verhaltensauffälligkeiten unklar sind. Diesem auf durchaus zutreffender rechtlicher Beurteilung beruhenden Ergänzungsauftrag des Rekursgerichtes kann der Oberste Gerichtshof, der auch im Verfahren außer Streitsachen nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (EFSlg. 52.676, 44.569 uva). Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß das Besuchsrecht der Mutter strittig ist und die Behauptung vorliegt, daß die Ausübung des Besuchsrechtes zur psychischen Schädigung des Kindes führe, sodaß ohnehin die Einholung eines Sachverständigengutachtens geboten erscheint. Zu beachten wird im fortgesetzten Verfahren sein, daß ein Wechsel in den Pflege- und Erziehungsverhältnissen des Kindes nur dann ausnahmsweise angeordnet werden soll, wenn dies wegen einer Änderung der Verhältnisse im Interesse des Kindes notwendig ist, insbesondere wenn davon aus besonderen Umständen eine wesentliche Verbesserung der Entwicklungsmöglichkeiten des Kindes zu erwarten ist (EFSlg. 43.388 mwN). Aber auch hier steht das Wohl des Kindes im Vordergrund, sodaß der Grundsatz der Kontinuität allenfalls zurückzutreten hat (EFSlg. 51.286). Allenfalls werden auch Feststellungen darüber zu treffen sein, ob sich die Verhältnisse bei der Mutter, die seinerzeit zur Übertragung der elterlichen Rechte an den Vater führten, tatsächlich geändert haben. Demgemäß ist dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen.

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