Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Rekurswerber hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Die Kosten der Rekursbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Die beklagte Partei ist Eigentümerin eines Hauses in Graz, in dem die Erstklägerin seit 1973 eine im dritten Stock gelegene Wohnung gemietet hat, die sie mit ihrem Ehegatten, dem Zweitkläger, und ihren Kindern, den Dritt- und Viertklägerinnen, bewohnt. Mit Mietvertrag vom 24.Juli 1981 hat die beklagte Partei die im zweiten Stock unterhalb der Wohnung der Kläger gelegene Wohnung an die Republik Österreich für Zwecke der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Graz als Unterrichts- und Übungsräume vermietet. Mit Urteil des Bezirksgerichtes für ZRS Graz vom 30. Dezember 1982, letztlich bestätigt mit Urteil des Obersten Gerichtshofes vom 29.Juni 1983, wurde die beklagte Partei über Klage der Erstklägerin schuldig erkannt, gegen die Hochschule für Musik und darstellende Kunst die gerichtliche Aufkündigung einzubringen, das Verfahren ordnungsgemäß fortzusetzen und auch das Räumungsexekutionsverfahren durchzuführen oder andere Maßnahmen zumindest gleich wirksamer Art zu ergreifen, um der Erstklägerin den ungestörten Gebrauch ihrer Mietwohnung zu beschaffen. Die beklagte Partei kam dieser Verpflichtung durch Einbringung einer gerichtlichen Aufkündigung gegen die Republik Österreich nach. In diesem Verfahren wurde ein Vergleich geschlossen, in dem sich die Republik Österreich verpflichtete, den Musikbetrieb so weit einzuschränken, daß dadurch keine unzumutbare Lärmbelästigung für die Mitbewohner erfolgt.
Mit der vorliegenden Klage begehren die Kläger von der beklagten Partei die Bezahlung eines Schmerzengeldes von je 50.000 S sA. Von der Musikhochschule sei in der Zeit zwischen 1.November 1981 und 1. Juli 1984 an allen Werktagen von Vormittag bis etwa 22 Uhr unerträglicher Lärm verursacht worden, der bei den Klägern gesundheitliche Störungen hervorgerufen habe. So sei es bei sämtlichen Klägern zu Schlafstörungen und Kopfschmerzen gekommen. Die beklagte Partei hafte für diese Schäden infolge schuldhafter Verletzung des mit der Erstklägerin bestehenden Mietvertrages. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete mangelnde Aktivlegitimation der zweit-, dritt- und viertklagenden Partei ein, weil ein Bestandvertrag nur mit der Erstklägerin abgeschlossen worden sei. Die beklagte Partei habe keine schuldhafte Vertragsverletzung begangen, weil es für sie nicht vorhersehbar gewesen sei, daß durch den Betrieb der Hochschule für Musik und darstellende Kunst eine für die Kläger unzumutbare Lärmerregung verursacht werden könnte. Die beklagte Partei habe sich darüber hinaus immer um Abhilfe bemüht. Daß der Musikbetrieb einen über das ortsübliche Maß hinausgehenden Lärm hervorgerufen habe, sei erst im Vorverfahren durch ein Sachverständigengutachten festgestellt worden. Nach rechtskräftiger Beendigung dieses Verfahrens habe die beklagte Partei das Bestandverhältnis mit der Republik Österreich aufgekündigt. Der Musikbetrieb sei nicht kausal für allfällige gesundheitliche Störungen der Kläger gewesen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und traf folgende Feststellungen:
Seit dem 1.November 1981 wurde in den der Republik Österreich vermieteten Räumlichkeiten an allen Werktagen von Vormittag bis ca. 22 Uhr musiziert; dies auch mit Trompeten, Schlagzeug und einer Big Band.
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Graz-Baupolizeiamt vom 10. Februar 1982 wurde der beklagten Partei untersagt, die Räume des Hauses Bürgergasse 4 für Musikzwecke zu verwenden. Nach dem diesem Bescheid zugrundeliegenden Amtsgutachten war die durch den Musikbetrieb hervorgerufene Lärmentwicklung von wesentlichem Einfluß auf die gesundheitlichen Verhältnisse der Hausbewohner. Die Schallmessungen am 15.Dezember 1981 ergaben in der Wohnung der Erstklägerin einen Grundgeräuschpegel von 24 bis 25 dB und einen Beurteilungspegel von 50 dB. Die im Verfahren 6 C 9/82 am 9.November 1982 durchgeführte Lärmmessung ergab - je nach Tageszeit - einen Grundgeräuschpegel von 20 bis 35 dB bei geschlossenem Fenster und von 33 bis 52 dB bei offenem Fenster. Die Spitzen des Verkehrslärms betrugen bei geschlossenem Fenster ca. 40 bis 44 dB und bei offenem Fenster ca. 55 bis 65 dB. Die Werte aus der Musik erreichten maximal ca. 52 dB bei geschlossenem und ca. 66 dB bei offenem Fenster. Durch Schall, der ein phylogenetisches Warnsignal ist, kann es zu Veränderungen von Blutdruck, Atmung und Muskelaktivität kommen. Unterbrochener Lärm ruft in der Regel stärkere Reaktionen als Dauerlärm hervor. Wenn schwankender Lärm Impulscharakter hat und deutlich hörbare Tonkomponenten enthält, erfolgt ein Zuschlag von 5 dB. In der ersten Lärmstufe (30 bis 65 dB) sind Konzentrationsverlust, Nervosität, Reizbarkeit und verringerte Arbeitsleistungen zu erwarten, keinesfalls jedoch Gesundheitsschäden. Erst in der Lärmstufe II (65 bis 90 dB) ist mit vegetativen Wirkungen zu rechnen. Für Lärmschäden sind der absolute Wert des Beurteilungspegels sowie sein Verhältnis zum Grundgeräuschpegel maßgebend, darüber hinaus spielen noch die Dauer der Einwirkung und die persönliche Toleranz eine Rolle. Beeinträchtigungen wie Herzklopfen oder Blutdrucksteigerung sind erst ab 65 dB zu erwarten, die allerdings im vorliegenden Fall nicht gemessen wurden. Eine effektive körperliche Schädigung tritt erst ab 90 dB - als Gehörschädigung - auf. Die Beschwerden in den darunter liegenden Bereichen sind physiologischer oder vegetativer und psychischer Natur.
Eine Krankheit liegt vor, wenn ein regelwidriger Körper- oder Geisteszustand eingetreten ist, es muß jedoch noch Behandlungsbedürftigkeit bzw. Arbeitsunfähigkeit oder eine dauernde Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit dazu kommen.
Die Untersuchung der Kläger durch den ärztlichen Sachverständigen ergab in neurologischer Hinsicht außer einer unspezifischen nervösen Symptomatik keine Auffälligkeiten. Auch in psychischer Hinsicht lagen keine gravierenden Auffälligkeiten vor. Gesundheitsstörungen waren zum Zeitpunkt der Untersuchung, außer den genannten Nervositätszeichen, nicht vorhanden. "Die gutachterliche Bewertung betraf den Zeitraum der Schmerzengeldforderungen vom 1.11.1981 bis 1.7.1984". Eine psychische, das ist eine emotionelle Behelligung oder auch Belästigung, sowie auch eine Minderung der Lebensfreude ist bei den Klägern anzunehmen. Sie ist aber als primär aufzufassen und nicht Sekundärwirkung einer physischen Beeinträchtigung. Ein Zustand von Krankheitswert war bei den Klägern nicht gegeben.
Die Erstklägerin war auf Grund der Lärmbelästigung in ärztlicher Behandlung. Es wurde ihr die Einnahme von Tabletten angeraten. Sie kam diesem Rat auch kurze Zeit nach, setzte aber eine weitere Einnahme ab, weil die Tabletten keine Wirkung zeigten. Auch dem Zweitkläger wurde die Einnahme von Tabletten verordnet; er nahm diese Tabletten jedoch nicht ein. Die Drittklägerin, die ebenfalls in ärztlicher Behandlung gestanden war, mußte keine Medikamente einnehmen.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, ein Schmerzengeldanspruch der Kläger könne weder aus § 1325 ABGB noch aus § 1096 ABGB abgeleitet werden, weil Gesundheitsstörungen infolge unzumutbarer Lärmbelästigung nicht aufgetreten seien. Schmerzengeld gebühre zwar auch für seelische Schmerzen, doch müßten diese die Folge einer, wenn auch äußerlich nicht erkennbaren physischen Beeinträchtigung des Körpers sein. Nicht darauf zurückzuführende psychische Schmerzen würden einen Schmerzengeldanspruch nur rechtfertigen, wenn sie dem Geschädigten zumindest drückende Unlustgefühle bereiten, zu einer Verminderung der Lebensfreude in beträchtlichem Ausmaß führen oder massive Einwirkungen in die psychische Sphäre verursachen. Die Kläger hätten jedoch weder eine Körperverletzung davongetragen, die auch zu seelischen Schmerzen hätte führen können, noch drückende Unlustgefühle der genannten Art erlitten. Auf die Frage des Verschuldens der beklagten Partei brauche unter diesen Umständen nicht eingegangen zu werden.
Mit dem angefochtenen Beschluß hob das Berufungsgericht das Urteil des Erstgerichtes auf und sprach aus, daß das Verfahren erster Instanz erst nach Rechtskraft seines Beschlusses fortzusetzen sei. Das Erstgericht sei bei seiner Entscheidung von einem arbeits- und sozialrechtlichen Krankheitsbegriff ausgegangen. Dieser sei für die Beurteilung der Frage, ob eine Körperverletzung im Sinne des § 1325 ABGB vorliege, nicht heranzuziehen. Unter einer Verletzung in diesem Sinn sei jede Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit und Unversehrtheit zu verstehen. Darunter fielen auch Nervenschäden und massive Einwirkungen in die psychische Sphäre, wenn auch grundsätzlich Schmerzengeld für seelische Schmerzen nur gebühre, wenn diese die Folgen einer körperlichen Verletzung seien, oder, wenn Schmerzen zugefügt würden, ohne daß der Körper dadurch eine nachteilige Veränderung erleide. Ob bei den Klägern eine schmerzengeldfähige Gesundheitsschädigung aufgetreten sei, lasse sich nach den vorliegenden Feststellungen nicht verläßlich beurteilen. Die Verneinung derartiger Gesundheitsstörungen durch das Erstgericht fuße im wesentlichen auf allgemeinen Feststellungen über die bei bestimmten Lautstärken zu erwartenden Beschwerden. Es sei aber immerhin festgestellt worden, daß Beeinträchtigungen wie Herzklopfen oder Blutdrucksteigerungen ab 65 dB zu erwarten seien; die Feststellung, daß ein derartiger Lärm nicht gemessen worden sei, stehe im Widerspruch zur weiteren Feststellung, daß zumindest Spitzen bis ca. 66 dB gemessen worden seien und daß bei schwankendem Lärm mit Impulscharakter und deutlich hörbaren Tonkomponenten 5 dB dazuzuschlagen seien. Doch sei auch für die Lärmstufe I festgestellt worden, daß Konzentrationsverlust, Nervosität, Reizbarkeit und verringerte Arbeitsleistungen zu erwarten seien, somit Erscheinungen, denen der Charakter einer gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht von vornherein abgesprochen werden könne. Es bedürfe daher konkreter Feststellungen, welche Beschwerden bei den Klägern im maßgeblichen Zeitraum als Folge der Musikausübung aufgetreten seien. Sollte sich ergeben, daß es bei den Klägern zu körperlichen Schäden, zu denen beispielsweise auch nervliche Schädigungen oder Schlaflosigkeit zu zählen seien, oder zu psychischen Beeinträchtigungen in erheblichem Ausmaß gekommen sei, wobei subjektive Umstände nicht völlig unbeachtet bleiben könnten, so müsse eine Abgeltungsfähigkeit im Sinne des § 1325 ABGB bejaht werden. In diesem Fall müsse auch geprüft werden, ob die beklagte Partei an der durch ihren Mieter hervorgerufenen Lärmentwicklung ein Verschulden treffe, was bisher unerörtert geblieben sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt. § 1325 ABGB sieht bei Verletzungen am Körper die Zahlung von Schmerzengeld vor. Dieses ist der Ersatz des ideellen Schadens, der im Zusammenhang mit körperlichen Verletzungen entsteht; er ist also nur zu gewähren, wenn solche Verletzungen verursacht wurden. Unter einer Körperverletzung ist aber jede Beeinträchtigung der körperlichen und geistigen Gesundheit und Unversehrtheit zu verstehen. Eine äußerlich sichtbare Verletzung ist nicht Voraussetzung. Auch innere Verletzungen oder Nervenschäden fallen unter den Begriff der Körperverletzung, ebenso massive Einwirkungen in die psychische Sphäre (zB Herbeiführen eines Schocks); auch das bloße Verursachen von Schmerzen, etwa durch Schläge, ist eine Körperverletzung, selbst wenn der Körper keine nachteilige Veränderung erleidet. Eine psychische Beeinträchtigung, die bloß in Unbehagen und Unlustgefühlen besteht, reicht hingegen für sich allein nicht aus, um als Verletzung am Körper angesehen oder einer Verletzung gleichgestellt zu werden (EvBl 1983/82 mwN; Koziol, Österr. Haftpflichtrecht2 II 115, der ebenso wie Wolff in Klang2 VI 128 als Beispiel für Nervenschäden auf Schlaflosigkeit verweist; ZVR 1977/54).
Dem Berufungsgericht ist darin beizupflichten, daß das
Erstgericht im wesentlichen nur allgemeine Feststellungen über die
bei bestimmten Lautstärken zu erwartenden Beschwerden getroffen hat,
während die wenigen konkreten Feststellungen zum einen Teil
widersprüchlich (S.5 des Ersturteils: "Bei der Untersuchung der
Kläger... waren keine Auffälligkeiten vorhanden.
Gesundheitsstörungen sind im Zeitpunkt der gegenständlichen
Untersuchung.... nicht vorhanden. Die gutachterliche Bewertung
betraf den Zeitraum.... vom 1.11.1981 bis 1.7.1984"), zum anderen
von lapidarer Kürze sind (S.8 des Ersturteils: "Die Beeinträchtigung der Lebensqualität....steht außer Frage, ein Zustand von Krankheitswert war jedoch bei den Klägern nicht gegeben"). Es trifft auch zu, daß das Erstgericht zwar feststellte, Beeintächtigungen wie Herzklopfen oder Blutdrucksteigerungen seien erst ab 65 dB (A) zu erwarten, "die allerdings im vorliegenden Fall nicht gemessen" worden seien (S 7), kurz vorher aber (S 6) gemessene Werte bis zu 66 dB (A) anführt und einen Zuschlag von 5 dB (A) hervorhebt, der unter den gegebenen Voraussetzungen in Betracht käme. Mit Recht hat daher die zweite Instanz diese Feststellungen als zur rechtlichen Beurteilung der Sache nicht ausreichend angesehen. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren in konkreter Weise festzustellen haben, ob die Kläger zur Zeit der Lärmbelästigung, d. i. vom 1.11.1981 bis 1.7.1984, an ihrem Körper Verletzungen in dem aufgezeigten Sinn erlitten haben, ob sie also nicht nur psychisch beeinträchtigt wurden, dh Unbehagen und Unlustgefühle verspürt haben, sondern in ihrer geistigen Gesundheit - etwa durch Nervenschäden, die zur Zeit der Lärmbelästigung verschiedene Auswirkungen nach sich gezogen haben können, wie sie bereits vom Berufungsgericht beispielsweise angeführt wurden - "verletzt" worden sind, wobei keineswegs erforderlich ist, daß Auswirkungen einer derartigen Verletzung noch jetzt vorhanden sind.
Bei seiner neuen Entscheidung wird das Erstgericht zu beachten haben, daß die Frage, ob eine Verletzung iS des § 1325 ABGB gegeben ist, keine Sachverständigen-, sondern eine Rechtsfrage bildet. Die Kostenentscheidung erfolgte hinsichtlich des erfolglosen Rekurses nach den §§ 40, 50 ZPO, für die Rekursbeantwortung nach § 52 ZPO.
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