Spruch:
Das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom
4. Februar 1988, GZ 7 Vr 936/87-22, verletzt das Gesetz in den
Bestimmungen der §§ 203 Abs 1 und 105 Abs 1 StGB.
Dieses Urteil, das im übrigen (§ 127 Abs 1 StGB) unberührt
bleibt, wird in den Punkten 1/, 2/ und 3/ des Schuldspruchs (§§ 203
Abs 1, 209, 105 Abs 1, 106 Abs 1 StGB), sowie demgemäß auch im
Strafausspruch aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Kreisgericht Ried im Innkreis verwiesen.
Mit seiner gegen das obgenannte Urteil erhobenen Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem Urteil des Kreisgerichtes Ried/Innkreis vom 4. Februar 1988, GZ 7 Vr 936/87-22, wurde der am 9.April 1961 geborene Hilfsarbeiter Walter S*** der Verbrechen des Zwanges zur Unzucht nach dem § 203 Abs 1 StGB (1/), der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendlichen nach dem § 209 StGB (2/) und der teils versuchten, teils vollendeten schweren Nötigung nach den §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1, § 15 StGB (3/), sowie des Vergehens des Diebstahls nach dem § 127 Abs 1 StGB (4/) schuldig erkannt und (unter Vorhaftanrechnung) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zweieinhalb Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil erhob der Angeklagte Berufung wegen des Ausspruches über die Strafe; eine Entscheidung des Oberlandesgerichtes Linz über dieses Rechtsmittel erging noch nicht.
Nach dem Schuldspruch und den hiezu getroffenen Urteilsfeststellungen mißbrauchte der Angeklagte Walter S*** am 19. November 1987 den am 13.Mai 1973 geborenen Thomas K*** unter Drohungen zu gleichgeschlechtlicher Unzucht, indem er den Jugendlichen am Geschlechtsteil betastete, ihm eine Wurst in den After steckte, danach an ihm einen Afterverkehr durchführte und sich von ihm die Wurst in seinen After einführen ließ. Diesen vollendeten Unzuchtsakten waren auch mehrere - gleichermaßen von Drohungen des Angeklagten begleitete - Versuchshandlungen vorangegangen. Im einzelnen stellte das Schöffengericht fest, daß Walter S***, nachdem er sich Zutritt zur Wohnung der Mutter des Tatopfers verschafft hatte, Thomas K*** in das Kinderzimmer drängte, von dem Buben verlangte, die Unterhose auszuziehen, ihn am Geschlechtsteil betastete und versuchte, an ihm einen Analverkehr durchzuführen. Als ihm dies nicht gelang, befahl er Thomas K***, sich anzuziehen. Dabei erklärte er ihm, wenn er nicht tue, was er sage, "passiere ihm etwas", und bedrohte ihn mit dem "Umbringen". Im Anschluß daran begaben sich beide in die Nähe eines Friedhofes, wo der Angeklagte dem Jugendlichen befahl, sich neuerlich auszuziehen, ihn mehrmals bedrohte, er werde ihn "umbringen", wenn er um Hilfe schreie, und abermals versuchte, sein Glied in den After des Thomas K*** einzuführen. Dieser Vorgang wiederholte sich an einer ca 50 m entfernten Stelle. Sodann kehrten die beiden in die Wohnung zurück. Dort nahm der Angeklagte zunächst Schmuck, drei Damenslips und 210 S Bargeld mit dem Vorsatz weg, sich unrechtmäßig zu bereichern, ehe es zu den eingangs näher beschriebenen analen Sexualakten kam.
Bevor der Angeklagte nach Verwirklichung seines Vorhabens, mit Thomas K*** gleichgeschlechtliche Unzucht zu treiben, die Wohnung verließ, bedrohte er den Jugendlichen mit dem Umbringen, falls er Anzeige erstatte oder etwas weitererzähle.
Am selben Tag hatte der Angeklagte in Eberschwang von einer Wäscheleine drei (weitere) Damenslips gestohlen.
Rechtliche Beurteilung
Die Schuldsprüche des Walter S*** wegen des - in Tateinheit mit dem Tatbestand der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendlichen begangenen - Zwanges zur Unzucht und des Verbrechens der teils versuchten, teils vollendeten schweren Nötigung stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Zwang zur Unzucht im Sinn des § 203 Abs 1 StGB setzt voraus, daß der Täter (außer dem Fall der Notzucht) eine Person mit Gewalt oder durch eine gegen sie gerichtete Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben widerstandsunfähig macht und in diesem Zustand zur Unzucht mißbraucht. Widerstandsunfähigkeit liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aber nur vor, wenn das Tatopfer in eine extreme Lage der Hilflosigkeit versetzt wird, in der es aus physischen oder psychischen Gründen zum weiteren Widerstand unfähig ist oder ihr ein solcher Widerstand nicht zugemutet werden kann. Feststellungen, wonach die inkriminierten Drohungen des Angeklagten auf Brechung des Willens des Jugendlichen abzielten und dessen weiterer Widerstand in der konkreten Tatsituation unmöglich, aussichtslos oder unzumutbar war, wurden vom Schöffengericht indes - obwohl sich Anhaltspunkte dafür in den Akten finden ließen - nicht getroffen. Im Fall bloßer Willensbeugung hätte der Angeklagte jedoch nur Nötigung zur Unzucht gemäß § 204 Abs 1 StGB (in Tateinheit mit § 209 StGB) zu verantworten.
Verfehlt war jedenfalls die gesonderte Unterstellung jener Drohungen mit dem "Umbringen", durch welche Thomas K*** nach dem ersten mißlungenen Versuch gleichgeschlechtlicher Unzucht zum gemeinsamen Verlassen der Wohnung und Aufsuchen eines bestimmten Ortes, sowie ferner dort zur Unterlassung von Hilferufen genötigt wurde, unter den Tatbestand der schweren Nötigung. Nach den Urteilsfeststellungen hatte der Angeklagte bereits nach Betreten der Wohnung den Entschluß gefaßt, an Thomas K*** (wenn nötig) mit Gewalt Unzuchtsakte vorzunehmen; das Schöffengericht ging mithin von einem das gesamte nachfolgende Tatgeschehen umfassenden Willensentschluß des Angeklagten aus. Nötigungshandlungen, die der Verwirklichung einer solchen, von einem einheitlichen Tatvorsatz getragenen Tat vorangehen und bezwecken, die Verübung eines Unzuchtsdeliktes zu ermöglichen oder zu erleichtern, stellen aber lediglich Teilakte des nachfolgenden Deliktes dar, denen zufolge Konsumtion die selbständige Strafbarkeit mangelt (vgl Pallin im WK Rz 28 zu § 201 StGB; Leukauf-Steininger, Komm z StGB2, RN 49 zu § 28 und RN 27 zu § 201). Demnach kommt den Drohungen des Angeklagten, die einen Ortswechsel und in weiterer Folge die Unterlassung von Hilferufen des Tatopfers herbeiführen sollten, um das bislang mißlungene Vorhaben in die Tat umsetzen zu können, keine eigenständige strafrechtliche Bedeutung zu; vielmehr gehen sie im Tatbestand des Zwanges zur Unzucht auf.
Soweit sich der Schuldspruch auf die Unterlassung einer Anzeigeerstattung und einer Mitteilung über die Vorgänge an die Mutter des Tatopfers bezieht, vermögen die Urteilsfeststellungen im übrigen nur versuchte schwere Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB zu decken. Vollendet ist die Nötigung erst, sobald der Täter sein Ziel, einen anderen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zu zwingen, tatsächlich erreicht und der Genötigte begonnen hat, sich in der vom Täter gewünschten Weise zu verhalten; bis dahin liegt Versuch vor (vgl ÖJZ-LSK 1976/9, zu § 105 StGB, 1979/68 zu § 105 Abs 1 StGB ua). Daß dem vom Angeklagten unter Anwendung gefährlicher Drohung erteilten Auftrag zur Geheimhaltung - wenn auch nur vorläufig - entsprochen wurde, stellte das Gericht nicht fest. Denn es ist dem Urteil nicht zu entnehmen, ob die von der Mutter des Tatopfers, der Zeugin Anna K*** gegebene Darstellung des Verhaltens ihres Sohnes zur Frage einer Anzeigeerstattung (s S 20, 51 und 96 d.A), auf die an sich die rechtliche Annahme einer Vollendung der schweren Nötigung gestützt werden könnte, vom erkennenden Gericht für erwiesen gehalten wurde. Die demnach von der Generalprokuratur zu Recht gerügten Gesetzesverletzungen machen angesichts der tateinheitlichen Begehung der Gewaltakte mit dem Verbrechen der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit Jugendlichen und wegen des engen beweismäßigen Zusammenhanges zwischen den Nötigungs- und Unzuchtshandlungen die Urteilsaufhebung in den Punkten 1/, 2/ und 3/ des Schuldspruches - und somit auch im Strafausspruch - erforderlich.
Mit seiner hiedurch gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
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