Spruch:
Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.963,30 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 360,30 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der beklagten Partei vom 10.Februar 1975 bis 31. August 1986 als Angestellter im Außendienst beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung seitens des Klägers. Nach den §§ 54 und 55 der Betriebsvereinbarung für die Angestellten der beklagten Partei erhalten verheiratete Angestellte eine Haushaltszulage; darüber hinaus erhalten Angestellte für jedes Kind, für das sie Anspruch auf gesetzliche Familienbeihilfe haben und diese nachweislich beziehen, Anspruch auf eine Kinderzulage. Nach dem Dienstvertrag des Klägers mit der beklagten Partei war die Betriebsvereinbarung nur insoweit und sinngemäß anzuwenden, als durch Bestimmungen des Dienstvertrages ausdrücklich darauf verwiesen wurde. Im Dienstvertrag war weder Haushalts- noch Kinderzulage vorgesehen. Das Entgelt des Klägers setzte sich nach diesem Vertrag aus einem Fixum (inklusive Überstundenpauschale) und aus Prämien zusammen, die nach der Zahl der in dem vom Kläger als Organisationsleiter der B*** DER Ö***
B*** sowie der Tochtergesellschaft der beklagten Partei R*** betreuten Gebiet zustandegekommenen Verträge bemessen wurde.
Der Kläger begehrt 55.188 S an Haushalts- und Kinderzulage für den Zeitraum September 1983 bis August 1986 und 192.147,26 S an Abfertigung, sohin insgesamt 247.335,26 S brutto sA. Er habe das Arbeitsverhältnis gekündigt, weil ihm die Haushalts- und Kinderzulage nach der Betriebsvereinbarung vorenthalten worden seien. Die beklagte Partei beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Die mit dem Kläger getroffene Sondervereinbarung sei günstiger als eine Einstufung nach den Vergütungsgruppen III bzw. III a der Betriebsvereinbarung.
Das Erstgericht gab der Klage statt und stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Die beklagte Partei nahm im Jahre 1975 erstmals auch Außendienstmitarbeiter auf. Da das Gehaltsschema laut Betriebsvereinbarung nach Ansicht der beklagten Partei keinen ausreichenden Leistungsanreiz bot, wurden mit diesen Außendienstmitarbeitern Sonderverträge abgeschlossen, die eine weitgehend leistungsabhängige Entlohnung außerhalb dieses Gehaltsschemas vorsahen. Der Kläger erfuhr erst nach Unterfertigung des Dienstvertrages, daß Innendienstmitarbeiter der beklagten Partei im Gegensatz zu den Außendienstmitarbeitern bei Erfüllung der Voraussetzungen Anspruch auf Haushalts- und Kinderzulage haben. Im Zuge von Lohnverhandlungen wurde vom Angestelltenbetriebsrat immer wieder eine Haushalts- und Kinderzulage auch für die Außendienstmitarbeiter gefordert. Die diesbezügliche Gleichstellung mit den Innendienstmitarbeitern erfolgte durch Betriebsvereinbarung mit Wirksamkeit erst ab 1.Jänner 1987.
Etwa ab Oktober 1985 befürchtete der Kläger, daß sich seine Stellung als Organisationsleiter der beklagten Partei in Zukunft verschlechtern könnte. Er entschloß sich daher aus diesem Grund sowie im Hinblick darauf, daß er von der beklagten Partei keine Haushalts- und Kinderzulage erhielt, sein Arbeitsverhältnis zu beenden. Mit Schreiben vom 20.Mai 1986 verlangte der Kläger erstmals die Zahlung dieser Zulagen für die letzten drei Jahre in Höhe von
63.571 S. Mit Schreiben vom 26.Mai und 27.Mai 1986 verweigerte die beklagte Partei die verlangte Zahlung unter Hinweis auf den mit dem Kläger abgeschlossenen Sondervertrag. Daraufhin kündigte der Kläger sein Arbeitsverhältnis zum 31.August 1986. Im Kündigungsschreiben wies er darauf hin, daß er seine Forderung auf Nachzahlung der Zulagen aufrecht erhalte und von seinem Recht auf vorzeitigen Austritt keinen Gebrauch mache, um innerhalb der Kündigungsfrist eine geordnete Übergabe der laufenden Geschäfte zu ermöglichen. Das Hauptgewicht des Einkommens des Klägers lag bei den Prämienzahlungen. Auch im Vergleich zu anderen Kollegen im Außendienst erhielt der Kläger sehr hohe Prämienzahlungen, weil er besonders tüchtig und erfolgreich war. Für seine sehr erfolgreiche Tätigkeit erhielt der Kläger neben den vereinbarten Prämien auch jährlich einen freiwilligen Sonderbezug.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß ein sachlicher Zusammenhang zwischen der aus sozialen Motiven gewährten Haushalts- und Familienzulage und dem leistungsbezogenen Entgelt nicht bestehe, so daß die Voraussetzungen für einen Günstigkeitsvergleich nicht vorlägen. Es gälten daher die für den Kläger günstigeren Bestimmungen der Betriebsvereinbarung über die Haushalts- und Kinderzulage. Die Verweigerung dieser vom Kläger zu Recht geforderten Zulagen sei ein Austrittsgrund.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil in seinem dem Begehren auf Zahlung von Kinder- und Haushaltszulage von 55.188 S sA stattgebenden Teil und änderte es im übrigen - bezüglich des Begehrens auf Abfertigung im Betrage von 192.147,26 S sA - im Sinne einer Klageabweisung ab. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und vertrat gleichfalls die Rechtsauffassung, daß ein wertender Vergleich zwischen dem nur an der Leistung orientierten Entgelt und einer auf sozialen Erwägungen beruhenden Zulage nicht zulässig sei. Daraus folge aber nicht, daß der Kläger wegen Nichtzahlung dieser Zulagen zum Austritt berechtigt gewesen sei, weil der Austrittstatbestand des § 26 Z 2 AngG nicht verwirklicht sei, wenn nur eine objektive Rechtswidrigkeit vorläge. Die ungebührliche Schmälerung bzw. das Vorenthalten des Entgelts setze ein Verschulden des Arbeitgebers voraus, das dann nicht anzunehmen sei, wenn über das Bestehen des Anspruches verschiedene Rechtsmeinungen vertreten werden könnten und daher der Ausgang eines diesbezüglichen Rechtsstreites nicht abzusehen sei. Da in der Rechtslehre die Frage, nach welchen Kriterien der Günstigkeitsvergleich anzustellen sei, strittig sei und das Ergebnis, daß ungeachtet einer wesentlich günstiger scheinenden Sondervereinbarung der vertragliche Ausschluß der in der Betriebsvereinbarung getroffenen Zulagenregelung unwirksam sei, auf subtilen rechtlichen Erwägungen fuße, sei der beklagten Partei die Nichtzahlung der Zulagen an den Kläger nicht als ungebührliches Vorenthalten des Entgeltes vorwerfbar. Da der Kläger dieses bloß objektiv rechtswidrige Verhalten der beklagten Partei zum Anlaß der Kündigung genommen habe, stehe ihm kein Abfertigungsanspruch zu. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen beider Parteien. Die beklagte Partei macht als Revisionsgrund Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung; hilfsweise beantragt sie die Aufhebung und Rückverweisung der Sache an die Vorinstanzen. Der Kläger macht als Revisionsgrund unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils im Sinne einer Wiederherstellung des Ersturteils.
Beide Parteien beantragen, jeweils der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Beide Revisionen sind nicht berechtigt.
1. Zur Revision der beklagten Partei:
Die von der beklagten Partei mit der Verfahrensrüge geltend gemachten Feststellungsmängel liegen wie zur Rechtsrüge auszuführen sein wird, nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).
Zu Recht hat das Berufungsgericht nicht sämtliche Entgeltbestandteile undifferenziert in den gemäß § 3 Abs. 2 iVm § 31 Abs. 3 letzter Satz ArbVG nur bezüglich rechtlich und sachlich zusammenhängender Bestimmungen vorzunehmenden Günstigkeitsvergleich einbezogen. Ein Absehen von dem objektiven Zweck der im Wege kollektiver Rechtsgestaltung getroffenen Regelung und ein Abstellen lediglich auf das (materielle) Ergebnis für den Arbeitnehmer würde, wie Firlei in seinen Ausführungen über die Objektivierung des Günstigkeitsvergleiches in DRdA 1981, 4 und 8 f, überzeugend darlegt, dazu führen, daß im Wege der Individualvereinbarung mit der kollektivrechtlichen Regelung verfolgte Zwecke Einkommensinteressen geopfert und damit Strukturverschiebungen von einer auch gesundheitliche, kulturelle und (hier) soziale Interessen der Arbeitnehmer berücksichtigenden kollektiven Regelung zu einer vor allem an Arbeitgeberinteressen orientierten, ausschließlich leistungsbezogenen individuellen Gestaltung des Arbeitsverhältnisses ermöglicht würden. Es ist daher auf den sozialpolitischen Zweck der in Frage stehenden kollektivrechtlichen Regelung zurückzugreifen; Kompensationen, die dem konkreten sozialpolitischen Zweck der Mindestnorm widersprechen, sind zu vermeiden. Läßt sich der Kollektivnorm ein spezieller sozialpolitischer Zweck entnehmen, kann nicht zur Beurteilung der Günstigkeit auf eine allgemeinere Zielsetzung zurückgegriffen werden (Firlei aaO 13). Einen derartigen am Sinn der kollektiven Norm orientierten Vergleich hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung ZAS 1982/31 (mit zustimmender Besprechung von Tomandl) = Arb. 10.039 vorgenommen. Auch Spielbüchler in Spielbüchler-Floretta-Strasser Arbeitsrecht I2, 50 stellt auf den sozialpolitischen Zweck der Regelung ab, ebenso wie Strasser aaO II2 102, der im Zweifelsfall darauf Bedacht nimmt, ob die Regelung im Interesse des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers getroffen wurde.
Im vorliegenden Fall würde mit der in der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Regelung über Haushalts- und Kinderzulagen vor allem dem Interesse der Arbeitnehmer an einer die Versorgung ihrer Familien ermöglichenden Entlohnung und damit sozialpolitischen Zwecken Rechnung getragen. Mit der im Einzelarbeitsvertrag vereinbarten Honorierung des Klägers mit ausschließlich an der Leistung des Arbeitnehmers orientierten und diese damit stimulierenden variablen Prämien (Provisionen) würden hingegen zugleich in erheblichem Ausmaß Interessen des Arbeitgebers berücksichtigt. Eine Kompensation der kollektivrechtlich normierten Haushalts- und Kinderzulage mit den im Einzelvertrag vereinbarten Prämien (Provisionen) ist daher, wie die Vorinstanzen richtig erkannt haben, nicht berechtigt, so daß es der von der beklagten Partei vermißten Feststellungen über die Höhe des vom Kläger auf Grund der Individualvereinbarung tatsächlich erzielten Entgeltes und dessen Relation zu einem fiktiven, nach der Betriebsvereinbarung errechneten Entgeltes nicht bedurfte.
2. Zur Revision der klagenden Partei:
Dadurch, daß sich die beklagte Partei, wie oben ausgeführt, zu Unrecht auf die einzelvertragliche Entgeltsregelung berufen und die Auszahlung der vom Kläger begehrten Haushalts- und Kinderzulage verweigert hat, hat sie, wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, den Austrittstatbestand des § 26 Z 2 AngG nicht verwirklicht, weil es sich um eine bloß objektive Rechtswidrigkeit handelte und die beklagte Partei weder wußte noch infolge der ihr obliegenden Sorgfaltspflicht hätte wissen müssen, daß ihre Vorgangsweise unrechtmäßig ist (vgl. MartinekSchwarz AngG6, 563; Arb. 9.082; RdA 1979, 224; Arb. 10.147; Arb. 10.471; zuletzt 14 Ob 131/86). Da sich die Frage, wann ein einen Günstigkeitsvergleich ermöglichender rechtlicher und sachlicher Zusammenhang im Sinn des § 3 Abs. 2 ArbVG gegeben ist, aus dem Gesetzestext selbst nicht eindeutig lösen läßt und keine die Vergleichbarkeit derartiger Entgeltansprüche negativ abgrenzende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vorliegt - in der Entscheidung ZAS 1982/31 = Arb. 10.039 wurde die Vergleichbarkeit von ähnlichen Zwecken dienenden Leistungen (Jubiläumsgeld und Treuegeld) bejaht; der in der Entscheidung Arb. 10.290 vorgenommene Günstigkeitsvergleich betraf nicht verschiedenartige Entgeltsbestandteile sondern die Frage, ob durch eine vorzeitige Auszahlung spätere kollektivvertragliche Erhöhungen der betreffenden Ansprüche kompensiert werden können - kann der beklagten Partei Fahrlässigkeit nicht vorgeworfen werden, wenn sie bei Durchführung des Günstigkeitsvergleiches nicht auf den Zweck der vom Arbeitgeber nach der Betriebsvereinbarung zu leistenden Zulagen, sondern auf das für den Arbeitnehmer günstigere materielle Ergebnis der in der Individualvereinbarung vorgesehenen Prämienregelung abstellte. Es fehlt daher an einem für die Verwirklichung des Austrittstatbestandes nach § 26 Z 2 AngG erforderlichen subjektiv vorwerfbaren Verhalten der beklagten Partei, so daß sich der Kläger zu Unrecht auf diesen Austrittsgrund zur Rechtfertigung des Abfertigungsanspruchs berufen hat.
Beiden Revisionen war daher ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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