OGH 10ObS133/88

OGH10ObS133/8814.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Rudolf Pokorny (Arbeitgeber) und Walter Darmstädter (Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Jovanka P***, Schlachthausgasse 37/19, 1030 Wien, vertreten durch Dr.Thomas Mader, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

P*** DER A***, Roßauer Lände 3, 1092 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.Februar 1988, GZ 32 Rs 238/87-34, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 9.Juli 1987, GZ 12 b Cgs 230/86-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das Begehren der am 15.Jänner 1932 geborenen, aus Jugoslawien stammenden Klägerin auf Gewährung einer Invaliditätspension ab. Die Klägerin, die durch den Erwerb von insgesamt nur 154 Versicherungsmonaten die Voraussetzung der Anwendung des § 255 Abs 4 ASVG nicht erfülle, sei auf Grund ihres medizinischen Leistungskalküls noch auf eine Reihe von leichten Hilfsarbeitertätigkeiten, wie Kontroll- und Tischarbeiten verweisbar. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin keine Folge. Es bejahte, daß die vom Erstgericht angeführten Verweisungstätigkeiten der Klägerin zumutbar seien. Die Tatsache, daß die Klägerin der deutschen Sprache unkundig und Analphabetin sei, müsse bei Beurteilung der Invalidität außer Betracht bleiben, weil sonst Ausländer gegenüber Inländern insoweit bessergestellt würden, als das Verweisungsfeld der für sie in Betracht kommenden Berufe eingeengter wäre.

Rechtliche Beurteilung

In ihrer wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision bekämpft die Klägerin diese Rechtsansicht des Berufungsgerichtes. Es müsse auf den Einzelfall Rücksicht genommen werden, weil die Eingliederung in Betriebe der genannten Verweisungsberufe mangels entsprechender Lese- und Schreibkenntnisse in deutscher Sprache nicht möglich sei.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach die auch schon vom Berufungsgericht ins Treffen geführte Ansicht vertreten, daß mangelnde deutsche Sprach- und Lesekenntnisse keine Kriterien sind, die gegen die Verweisbarkeit auf einen bestimmten Arbeitsplatz vorgebracht werden können, weil es andernfalls zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen Ausländern und Inländern käme. Weder dem Wortlaut noch dem Zweck des § 255 ASVG ist zu entnehmen, daß die Frage der Invalidität eines Versicherten, der nur eine andere Sprache als die deutsche beherrscht und Lateinschrift nicht schreiben oder lesen kann, anders als die eines Versicherten mit Kenntnissen dieser Sprache und Schrift zu beurteilen ist. Ein solcher Versicherter, der Vordienstzeiten in der österreichischen Pensionsversicherung erwirbt, muß damit rechnen, daß er bei der Beurteilung der Frage seiner Invalidität auf den Arbeitsmarkt in Österreich verwiesen wird, auf dem aber Kenntnisse der deutschen Sprache und Lateinschrift überwiegend selbstverständlich sind (SSV-NF 1/4, SSV-NF 1/22).

Da die Klägerin daher auf die von den Vorinstanzen genannten Tätigkeiten, welche überdies auch in deutscher Sprache kaum Schreib- und Lesekenntnisse erfordern, verwiesen werden kann, war der Revision keine Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Revisionskosten beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit. b ASGG.

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