OGH 4Ob560/88

OGH4Ob560/8814.6.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Anton H***, Rechtsanwalt, Judenburg, Burggasse 31, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Bauunternehmung Brüder F*** KG, Stainach (S 48/83 des Kreisgerichtes Leoben), wider die beklagte Partei T***-A*** AG, Wien 3., Marxergasse 25, vertreten durch Dr.Hans Paar, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 463.338,76 samt Anhang, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 24.Februar 1988, GZ 2 R 28/88-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 16.November 1987, GZ 2 d Cg 45/84-29, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 17.227 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.391,50 Umsatzsteuer und S 1.920 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über das Vermögen der Brüder F*** KG (im folgenden: Gemeinschuldnerin) wurde mit Beschluß des Kreisgerichtes Leoben vom 7. Juni 1982, Sa 28/82, das Ausgleichsverfahren und mit Beschluß desselben Gerichtes vom 29.Juni 1983, S 48/83, der Anschlußkonkurs eröffnet; der Kläger wurde am 24.Jänner 1984 zum Masseverwalter bestellt.

Die T*** Gesellschaft mbH, mit der die Gemeinschuldnerin in Geschäftsverbindung gestanden war, wurde auf Grund des Beschlusses der Generalversammlung vom 21.September 1983 und des Verschmelzungsvertrages vom selben Tag als übertragende Gesellschaft mit der Beklagten verschmolzen; dies wurde am 28.September 1983 im Handelsregister des Landesgerichtes Salzburg eingetragen. Für Leistungen, die die T*** Gesellschaft mbH der Gemeinschuldnerin erbracht hatte, schuldete ihr diese auf Grund zweier Rechnungen vom 8.Oktober und vom 3.Dezember 1981, die jeweils binnen 30 Tagen nach Rechnungslegung zur Zahlung fällig waren, insgesamt S 923.338,76. Da die Gemeinschuldnerin wegen Liquiditätsschwierigkeiten nicht zahlen konnte, akzeptierte sie einen von der T*** Gesellschaft mbH am 5.Jänner 1982 ausgestellten und am 9.April 1982 fälligen Wechsel über diese Summe. Dabei wurde zwischen der Gemeinschuldnerin und der T*** Gesellschaft mbH vereinbart, daß am Verfallstag nur die halbe Wechselsumme zur Zahlung fällig und über den Restbetrag ein Prolongat gegeben werden solle. In Erfüllung dieser Vereinbarung überwies die Gemeinschuldnerin am 15.April 1982 zu Lasten ihres Kreditkontos bei der V*** E***- UND P*** in Liezen der Ö*** L*** in Wien, von welcher der Wechsel

spätestens am 26.Jänner 1982 eskomptiert worden war, den Betrag von S 463.338,76.

Im Konkurs der Gemeinschuldnerin blieben angemeldete Forderungen in der Höhe von mindestens 150 Millionen S unbestritten; mindestens 20 Millionen davon sind Masseforderungen. Der Massestand beträgt derzeit rund 7 Millionen S und wird sich auf höchstens 8 Millionen S erhöhen.

Mit der Behauptung, daß die Beklagte durch die Zahlung vom 15. April 1982 Befriedigung in einer Zeit und auf eine Art erlangt habe, auf die sie keinen Anspruch gehabt habe, weil ihre Forderung zu Beginn der Frist des § 30 Abs 1 KO noch nicht fällig und klagbar gewesen sei, ficht der klagende Masseverwalter diese Zahlung mit seiner am 25.Juni 1984 erhobenen Klage an. Er begehrte von der Beklagten zunächst den Betrag von S 463.338,76 sA, in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 30.Oktober 1987 stellte er noch zusätzlich das "Rechtsgestaltungsbegehren" des Inhaltes, daß die Zahlung gegenüber den Gläubigern im Konkurs rechtsunwirksam und anfechtbar sei (ON 28). Die Beklagte habe nicht nur im Hinblick auf die Stundungsvereinbarung, sondern auch deshalb, weil sie den Wechsel schon am 26.Jänner 1982 an ihre Hausbank weitergegeben habe, zu Beginn der kritischen Frist bis zum Verfallstag und darüber hinaus keinen klagbaren Anspruch gehabt; der Wechsel habe sich zumindest bis zum 15.April 1982 nicht in ihren Händen befunden. Durch die Zahlung sei die Beklagte gegenüber allen anderen Konkursgläubigern begünstigt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Für die Anfechtbarkeit nach § 30 Abs 1 KO sei nicht der Zeitpunkt der Fälligkeit oder der Zahlung eines Wechsels entscheidend, sondern jener der Hingabe des Wechsels. Der Wechsel sei aber schon am 4. Jänner 1982 übergeben worden. Die Hingabe eines Wechsels sei auch nicht unüblich gewesen (ON 2). Durch einen Prozeßerfolg des Klägers würden nicht die Konkursgläubiger, sondern nur die Massegläubiger bessergestellt; Voraussetzung und Sinn einer Anfechtung sei jedoch nicht die Besserstellung der Massegläubiger. Das Rechtsgestaltungsbegehren sei erst nach Ablauf der Jahresfrist des § 43 Abs 2 KO gestellt worden. Inhaber der Wechselforderung sei nach wie vor die Beklagte gewesen, die auch der Bank gegenüber als Aussteller wechselmäßig gehaftet habe (ON 28).

Der Erstrichter gab dem Klagebegehren - von einem geringfügigen Zinsenmehrbegehren abgesehen - statt. Den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt beurteilte er rechtlich wie folgt:

Bei jeder Anfechtung sei von Amts wegen zu prüfen, ob die allgemeinen Anfechtungsvoraussetzungen gegeben sind; dazu gehöre auch die Gläubigerbenachteiligung. Dieses Erfordernis sei dahin zu verstehen, daß die Anfechtung befriedigungstauglich sein müsse. Befriedigungstauglichkeit liege grundsätzlich dann vor, wenn der Anfechtungsanspruch geeignet sei, die Befriedigungsaussichten der Konkursgläubiger zu verbessern. Der Anfechtungsanspruch müsse also geeignet sein, irgendeine Verbesserung der Lage der Gläubiger im Konkurs mit sich zu bringen. Diese Voraussetzung sei nach der neueren Rechtsprechung auch dann gegeben, wenn durch die Anfechtungshandlung nur bessere Befriedigungsaussichten für die Massegläubiger bestehen. Der hier geltend gemachte Anfechtungsanspruch sei demnach befriedigungstauglich. Da der Betrag vom S 463.338,76 am 15.April 1982 überwiesen, das in einen Anschlußkonkurs (29.Juni 1983) gemündete Ausgleichsverfahren aber schon am 7.Juni 1982 eröffnet worden sei, könne im Hinblick auf § 2 Abs 2 KO nicht zweifelhaft sein, daß die angefochtene Rechtshandlung in die 60-Tagefrist des § 30 Abs 1 KO falle. Ob die Beklagte die erlangte Befriedigung "in der Zeit zu beanspruchen hatte" (§ 30 Abs 1 Z 1 KO), sei danach zu beurteilen, ob ihr im Zeitpunkt der Erlangung ein klagbarer materiellrechtlicher Anspruch zugestanden sei. Aus dem festgestellten Sachverhalt ergebe sich, daß die Beklagte am 7.April 1982, zu Beginn der 60-Tagefrist, keinen klagbaren Anspruch auf den am 15.April 1982 überwiesenen Teilbetrag von S 463.338,76 gehabt habe, weil sie ihn der Gemeinschuldnerin zumindest bis zum 9.April 1982 gestundet habe; einer vor Ablauf dieses Tages erhobenen Klage auf Zahlung der Wechselsumme hätte die Stundungseinrede entgegengesetzt werden können. Da die Zahlung vom 15.April 1982 eine inkongruente Leistung bedeute, sei sie nach § 30 Abs 1 Z 1 KO anfechtbar. Der Anfechtungsanspruch enthalte primär die Unwirksamerklärung der angefochtenen Rechtshandlung. Die ursprüngliche Klage sei daher unschlüssig gewesen; der Kläger habe aber das erforderliche Rechtsgestaltungsbegehren gestellt, wozu er auch nach Ablauf der Frist des § 43 Abs 2 KO berechtigt gewesen sei. "Diese Feststellung" wäre auch von Amts wegen zu treffen gewesen, weil sie gegenüber dem Leistungsbegehren ein minus sei und ein rechtliches Interesse des Klägers daran bestehe.

Das Berufungsgericht wies das gesamte Klagebegehren ab. Zwar genüge für die Befriedigungstauglichkeit nach der derzeit vorherrschenden Rechtsmeinung die Wahrscheinlichkeit eines Beitrages zur Befriedigung der Massegläubiger; der Anfechtungsanspruch sei aber deshalb zu verneinen, weil die Beklagte durch die Zahlung vom 15. April 1982 keine inkongruente Deckung erlangt habe. Die Deckungshandlung sei nur dann als inkongruent anfechtbar, wenn sie von der rechtlich gebührenden Sicherstellung oder Befriedigung abweiche, weil sich die erlangte Deckung davon nach der Gepflogenheit der Beteiligten oder der Verkehrsauffassung der einschlägigen Lebensverhältnisse in einem nicht unwesentlichen oder nicht üblichen Maß entfernt habe. Inkongruenz sei dann ausgeschlossen, wenn dem Gläubiger auf die Sicherstellung oder Befriedigung ein vor Beginn der Frist des § 30 Abs 1 KO begründeter Anspruch zugestanden sei. "In der Zeit zu beanspruchen" habe ein Gläubiger die Befriedigung dann, wenn der materiellrechtliche Anspruch auf sie vor der kritischen Frist entstanden und im Zeitpunkt der Befriedigung auch klagbar sei. Das treffe auf den vorliegenden Fall zu, wenngleich eine Leistung vor Fälligkeit "nicht in der Zeit zu beanspruchen" sei. Die 60-Tagesfrist habe spätestens am 8.April 1982 begonnen. Die Beklagte habe bereits am 3.Jänner 1982 einen fälligen Anspruch auf Zahlung des Entgeltes von S 923.338,76 gehabt und der Gemeinschuldnerin diese Forderung gegen das Akzept eines Wechsels gestundet, und zwar den Teilbetrag von S 463.338,76 bis zum 9.April 1982. Diese Wechselbegebung sei unbestrittenermaßen zwischen den Parteien nicht die erste gewesen. Unter einer Stundung sei das Hinausschieben der vertraglich bereits festgesetzten Leistungszeit durch eine nachträgliche Abrede zu verstehen. Sie betreffe im Zweifel bloß die Geltendmachung des Anspruches und schiebe die Fälligkeit nicht hinaus, zumal die Vereinbarung der Stundung gegen Annahme eines Wechsels erst nach Eintritt der Fälligkeit beider Rechnungsbeträge geschlossen worden sei. Die Beklagte habe zwar erst in der kritischen Frist, am 15.April 1982, Befriedigung erlangt, weil sie erst in diesem Zeitpunkt von dem Rückgriffsanspruch gegen sie als Wechselausstellerin befreit worden sei; maßgebend sei aber nicht der Zeitpunkt, in dem die Befriedigung selbst erlangt, sondern der Zeitpunkt, in dem der Anspruch auf Befriedigung erworben wurde. Das sei aber bereits Anfang Jänner 1982, vor Beginn der kritischen Frist, der Fall gewesen. Das führe zu dem gewiß nicht unbilligen Ergebnis, daß die Zahlung vom 15. April 1982 nicht nach § 30 Abs 1 Z 1 KO anfechtbar sei. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Beklagte beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Beide Parteien gehen übereinstimmend von der Vereinbarung zwischen der Gemeinschuldnerin und der Rechtsvorgängerin der Beklagten aus, wonach die erstere den offenen Werklohn von S 923.338,76 der Beklagten in zwei annähernd gleich großen Teilbeträgen in der Form zahlen werde, daß sie zunächst auf Grund des über die gesamte Summe ausgestellten Wechsels an dessen Verfallstag (9.April 1982) S 463.338,76, den verbleibenden Rest von S 460.000 aber erst auf Grund eines Prolongatwechsels (Fälligkeit 13. Juli 1982) begleichen werde (ON 2 und 3). Am 15.April 1982 wurde demnach jener Betrag gezahlt, der vereinbarungsgemäß am 9.April 1982 fällig geworden war.

Schon nach dem ursprünglichen, unbestritten gebliebenen Vorbringen des Klägers, daß die Gemeinschuldnerin am 15.April 1982 der T*** Gesellschaft mbH die ihr zustehende Teilforderung gezahlt habe, sind die Anfechtungsvoraussetzungen des § 30 Abs 1 Z 1 KO zu verneinen. Danach ist - soweit hier von Bedeutung - eine in den letzten 60 Tagen vor Konkurseröffnung (oder Eröffnung des einem Anschlußkonkurs vorangegangenen Ausgleiches:

§ 2 Abs 2 Satz 1 KO) vorgenommene Befriedigung eines Gläubigers, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht in der Zeit zu beanspruchen hatte, anfechtbar, es sei denn, daß er durch diese Rechtshandlung vor den anderen Gläubigern nicht begünstigt worden ist. Entscheidend ist sohin im vorliegenden Fall, ob der T*** Gesellschaft mbH der Anspruch auf die am 15.April 1982 geleistete Zahlung schon zu Beginn der Frist des § 30 Abs 1 KO zugestanden war (SZ 46/57). Ob der Gläubiger die erlangte Befriedigung "in der Zeit zu beanspruchen hatte, in der er sie erlangte, ist danach zu beantworten, ob ihm diese Befriedigung im Zeitpunkt der Erlangung auf Grund eines (klagbaren) materiellrechtlichen Anspruches zustand, der schon zu Beginn der Frist des § 30 Abs 1 KO gegeben war (SZ 52/147; JBl 1982, 380). Unter einem "klagbaren" Anspruch ist in diesem Zusammenhang ein Anspruch zu verstehen, dem nicht das "Klagerecht versagt" ist (§ 1432 ABGB), der also keine unklagbare Naturalobligation ist (vgl. Rummel in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 1432; König, Die Anfechtung nach der KO Rz 242). Daß der schon vorher begründete Anspruch aber erst während der kritischen Frist fällig wird oder infolge einer "reinen Stundung" (KoziolWelser8 I 214 mwN) geltend gemacht werden kann, bedeutet nicht, daß deshalb die Befriedigung innerhalb der genannten Frist als "inkongruent" (= "abweichend") anfechtbar wäre. Es reicht aus, daß der materiellrechtliche Anspruch auf die Befriedigung vor der kritischen Frist entstanden ist und im Zeitpunkt der Befriedigung geltend gemacht werden kann (König, Die Anfechtung nach der KO, Rz 244). Die Deckung ist dann nicht inkongruent, wenn rechtlich ein Anspruch auf sie besteht. Ob das zutrifft, ist grundsätzlich nach den Verhältnissen zu Beginn der Frist des § 30 Abs 1 KO zu beurteilen, es wäre denn, daß sich in der Zwischenzeit bis zur Vornahme der Rechtshandlung ohne rechtsgestaltenden Akt des Gemeinschuldners, also kraft der am Anfangstag gegebenen Rechtslage, die Kongruenz entwickelt hat (Petschek-Reimer-Schiemer 327). Gerade das liegt aber hier vor: Der Verfallstag 9.April 1982 war schon geraume Zeit vor der 60-Tagefrist vereinbart worden; die Zahlung vom 15.April 1982 entsprach demnach - vom geringfügigen Verzug abgesehen - der schon vor der kritischen Frist gegebenen Rechtslage. Die T*** Gesellschaft mbH hat nur (teilweise) Befriedigung auf die Art und zu der Zeit erlangt, die schon vorher vereinbart worden war. Soweit nun der Kläger die mangelnde "Klagbarkeit des Anspruches" aus der von ihm vor Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorgebrachten und vom Erstgericht festgestellten Tatsache ableiten will, daß die Rechtsvorgängerin der Beklagten den Wechsel über S 923.338,76 schon am 26.Jänner 1982 an die Ö***

L*** eskomptiert und - zumindest bis zur umstrittenen Zahlung der Gemeinschuldnerin - nicht zurückerhalten hat, übersieht er, daß die Gemeinschuldnerin nach den Feststellungen die Zahlung an die Ö*** L*** als dem Wechselgläubiger und nicht an die T*** Gesellschaft mbH geleistet hat; diese hatte schon durch die Diskontierung des Wechsels im Jänner 1982 den Geldbetrag erhalten. Hat sie aber in der kritischen Frist gar keine Befriedigung erhalten, so geht die gegen die Beklagte erhobene Anfechtungsklage ins Leere.

Die Revision mußte daher erfolglos bleiben.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.

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