OGH 14Os70/88 (14Os71/88)

OGH14Os70/88 (14Os71/88)25.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 25.Mai 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hanglberger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Gerhard H*** und einen anderen wegen des Vergehens nach § 91 Abs. 1 UrhG über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 31. August 1984, GZ 24 b Vr 9829/84-3, und des Oberlandesgerichtes Wien vom 26.September 1984, AZ 22 Bs 443/84, nach Anhörung des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Hauptmann, in nichtöffentlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

In der Strafsache AZ 24 b Vr 9829/84 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien verletzen das Gesetz in der Bestimmung des § 91 Abs. 1 UrhG im Zusammenhalt mit § 7 Abs. 1 UrhG

1. der Beschluß der Ratskammer des genannten Gerichtes vom 31. August 1984, ON 3, womit der Antrag des Privatanklägers Prof. Otto K*** auf Einleitung der Voruntersuchung gegen Gerhard H*** und Martin F*** wegen des Vergehens nach § 91 UrhG (sowie auf Anordnung von Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmen und polizeilichen Ermittlungen im Rahmen dieser Voruntersuchung) abgewiesen wurde;

2. der Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien vom 26. September 1984, 22 Bs 443/84 (= ON 7), womit der vom Privatankläger gegen den bezeichneten Ratskammerbeschluß erhobenen Beschwerde nicht Folge gegeben wurde.

Text

Gründe:

Am 24.August 1984 beantragte der Verhaltensforscher Prof. Otto K*** beim Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ 24 b Vr 9829/84 die Einleitung der Voruntersuchung gegen Gerhard H*** und Martin F*** wegen des Vergehens nach § 91 UrhG (verbunden mit Anträgen, innerhalb dieser Voruntersuchung Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen vorzunehmen sowie die polizeiliche Ermittlung weiterer Tatbeteiligter zu veranlassen). Er begründete dies damit, daß er als einer von insgesamt vier von den Bezirkshauptmannschaften Gänserndorf, Bruck an der Leitha und Wien-Umgebung bestellten "Amtsgutachtern" im naturschutzrechtlichen Verfahren um den Bau des Kraftwerkes Hainburg im April 1984 ein umfassendes Gutachten den Behörden überreicht habe, welches Bestandteil eines noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens geworden sei. An diesem bisher nicht veröffentlichten - daher auch der Vervielfältigung und Verbreitung hinsichtlich einzelner Stellen (§ 46 Abs. 1 UrhG) nicht zugänglichen - Gutachten habe er niemandem Nutzungsrechte oder Werknutzungsbewilligungen eingeräumt. Dennoch seien Teile hievon durch Abdruck auf Plakaten und Flugzetteln vervielfältigt worden, die im Monat August 1984 an verschiedenen Stellen in Wien vom Verein "Konrad-Lorenz-Volksbegehren" verbreitet worden seien, dessen Obmann Gerhard H*** und dessen stellvertretender Obmann Martin F*** seien. Beide hätten den Eingriff in das Urheberrecht - sofern sie diesen nicht überhaupt selbst begangen hätten - zumindest nicht gehindert. Die Ratskammr des Landesgerichtes für Strafsachen Wien faßte am 31. August 1984 den Beschluß (ON 3) auf Abweisung der Anträge des Privatanklägers. Sie begründete dies, ohne auf weitere Antragsvoraussetzungen einzugehen, lediglich damit, daß der Privatankläger, der nach eigenen Angaben von Behörden zur Erstattung des Gutachtens zum Zwecke der Verwendung in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren beauftragt worden sei, sich mit der Übergabe des Gutachtens an die Behörden seiner Urheberrechte begeben habe. Hiedurch sei das Gutachten zu einem amtlichen Werk geworden, welches gemäß § 7 Abs. 1 UrhG im Falle seiner Herstellung ausschließlich oder vorwiegend zum amtlichen Gebrauch als sogenanntes "freies Werk" ungeachtet seiner Wertung als Werk der Literatur im Sinne des § 2 Z 1 UrhG keinen urheberrechtlichen Schutz genieße.

Der vom Privatankläger gegen diesen Beschluß erhobenen Beschwerde, in welcher er als (zulässige) Neuerung vorbrachte und bescheinigte, im Gegensatz zu den drei anderen im naturschutzbehördlichen Verfahren herangezogenen Gutachtern nicht Amtssachverständiger im Sinn des § 52 Abs. 1 AVG, sondern nichtamtlicher Sachverständiger (nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle) zu sein, gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluß vom 26. September 1984, AZ 22 Bs 443/84 (= ON 7 des Vr-Aktes) nicht Folge. Es schloß sich hiebei, ohne auf die Zulässigkeit der Beschwerde hinsichtlich der Abweisung der mit dem Antrag auf Voruntersuchung verbundenen Anträge einzugehen (§ 114 Abs. 1 StPO), der Meinung der Ratskammer an, wonach es sich beim Gutachten des Privatanklägers um ein freies Werk im Sinne des § 7 Abs. 1 UrhG handle, zumal es nicht als Privatgutachten, sondern über behördlichen Auftrag mit einem gegen die Behörden bestehenden Kostenersatzanspruch zum offensichtlich ausschließlichen amtlichen Gebrauch erstattet und den Behörden übergeben worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlüsse der Ratskammer und des Oberlandesgerichtes stehen mit dem Gesetz nicht im Einklang: Gemäß § 91 Abs. 1 UrhG ist die Begehung eines Eingriffs der im § 86 Abs. 1 dieses Gesetzes bezeichneten Art mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen; ebenso ist gemäß § 91 Abs. 2 UrhG zu bestrafen, wer als Inhaber oder Leiter eines Unternehmens einen im Betrieb des Unternehmens von einem Bediensteten oder Beauftragten begangenen Eingriff dieser Art nicht hindert. In beiden Fällen ist der Täter nur auf Verlangen des in seinem Recht Verletzten zu verfolgen (§ 91 Abs. 3 UrhG). Die im § 86 Abs. 1 Z 1 UrhG bezeichnete Eingriffshandlung begeht, wer unbefugt ein Werk der Literatur oder Kunst auf eine nach den §§ 14 bis 18 UrhG dem Urheber vorbehaltene Verwertungsart benutzt; zu diesen Verwertungsarten zählen ua die Vervielfältigung eines Werkes (§ 15 UrhG) und die Verbreitung von Werkstücken (dh nach § 16 Abs. 1 UrhG deren Feilhalten oder Inverkehrbringen auf eine Art, die das Werk der Öffentlichkeit zugänglich macht). Allerdings genießen gemäß § 7 Abs. 1 UrhG Gesetze, Verordnungen, amtliche Erlässe, Bekanntmachungen und Entscheidungen sowie ausschließlich oder vorwiegend zum amtlichen Gebrauch hergestellte amtliche Werke (ua) der im § 2 Z 1 UrhG bezeichneten Art (Sprachwerke aller Art) keinen urheberrechtlichen Schutz.

Nach den EBRV z UrhG 1936, § 7 (abgedruckt bei Peter, Das österreichische Urheberrecht, 492, sowie bei Dillenz, Materialien zum österreichischen Urheberrecht, 55), sind unter den - als freie Werke geltenden - (ausschließlich oder vorwiegend) zum amtlichen Gebrauch hergestellten amtlichen "Schriften" solche Schriftwerke und Abbildungen wissenschaftlicher und technischer Art zu verstehen, die über einen amtlichen Gegenstand zum amtlichen Gebrauch von einem öffentlichen Amt oder von einer zur Ausübung eines öffentlichen Amtes bestimmten Person vermöge amtlicher Verpflichtung verfaßt und zu den Amtsschriften genommen worden sind. Demnach reicht für die "Gemeinfreiheit" des Werkes seine (wenigstens vorwiegende) Bestimmung zum amtlichen Gebrauch nicht aus; vielmehr muß das Werk selbst als amtlich anzusehen, dh einer mit der Erfüllung öffentlicher hoheitlicher Aufgaben betrauten Stelle oder Person, die erkennbar für seinen Inhalt verantwortlich zeichnet, zuzurechnen sein (vgl 4 Ob 306/86 = Medien und Recht 6/87, 208 ff, mit Hinweisen auf österreichische Literatur sowie auf Lehre und Rechtsprechung zur insoweit durchaus vergleichbaren Bestimmung des § 5 Abs. 2 dUrhG). Beim Gutachten eines nach § 52 Abs. 2 AVG bei Bedarf (ausnahmsweise) heranzuziehenden nichtamtlichen Sachverständigen ist dies nicht der Fall; denn dieser ist nach herrschender Lehre kein weisungsgebundenes, in den hoheitlichen Meinungsbildungsprozeß einbezogenes Verwaltungsorgan. Er wirkt an der Feststellung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes vielmehr in der Form mit, daß er zunächst Tatsachen erhebt (Befund) und sodann aufgrund seiner besonderen Fachkenntnisse aus diesen Tatsachen die entsprechenden Schlüsse zieht (Gutachten). Dieses Gutachten dient nur als Grundlage der staatlichen Entscheidungsfindung; es unterliegt insbesondere der freien Beweiswürdigung durch die Behörde, die in ihrer Entscheidung auch eine davon abweichende Auffassung vertreten kann. Das gegenständliche - damals noch nicht veröffentlichte - Gutachten kann sohin den Behörden, in deren Auftrag es erstattet wurde, nicht zugerechnet werden (vgl erneut die dieses Gutachten betreffende zivilrechtliche Entscheidung 4 Ob 306/86 sowie JBl 1985, 628) und ist daher zwar "zum amtlichen Gebrauch hergestellt", aber kein "amtliches Werk" iS des § 7 Abs. 1 UrhG. Es genießt somit - im Gegensatz zur Auffassung der Unterinstanzen - den vollen urheberrechtlichen Schutz.

Der primär auf den Verdacht des Vergehens nach § 91 Abs. 1 UrhG gestützte Antrag auf Einleitung der Voruntersuchung durfte daher (ungeachtet allfälliger Bedenken gegen die hilfsweise Heranziehung des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle, welche die Gleichstellung des Vereins "Konrad-Lorenz-Volksbegehren" mit einem Unternehmen, dh im Sinn der Entscheidung SSt 30/78 einer selbständig organisierten Erwerbsgelegenheit, voraussetzen würde) nicht ohne weitere Prüfung allein wegen (vermeintlicher) "Gemeinfreiheit" im Sinn des § 7 Abs. 1 UrhG des nach der Behauptung des Privatanklägers unbefugt vervielfältigten und verbreiteten Sachverständigengutachtens abgewiesen werden.

Der Beschwerde war demnach Folge zu geben und die dem Landesgericht sowie dem Oberlandesgericht unterlaufene - den beschuldigt gewesenen Gerhard H*** und Martin F*** nicht zum Nachteil gereichende - Gesetzesverletzung festzustellen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte