OGH 6Ob571/88

OGH6Ob571/8819.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Erich M***, Inhaber eines Kosmetikinstitutes, Beingasse 27, 1150 Wien, vertreten durch Dr. Gustav Adler, Dr. Gertrude Adler, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Klothilde B***, Private, Baumgartnerstraße 38/2/38, 1140 Wien, vertreten durch Dr. Walter Scherlacher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 18. Dezember 1987, GZ 41 R 282/87-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom 9. März 1987, GZ 6 C 1380/85-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 1.812,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 164,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Eigentümer des Hauses Wien 15., Beingasse 27, waren im Jahre 1957 Franz B*** zu vier Sechstel sowie Karl B*** und Heinrich B*** zu je einem Sechstel. Mieter der Wohnungen 16 und 21 waren Karl B*** und dessen Ehegattin, die Beklagte. Am 30. April 1957 gab der damalige Gebäudeverwalter gegenüber der Beklagten und ihrem Ehemann namens der Hausinhabung die rechtsverbindliche Erklärung ab, daß zu den Mietverträgen über die Wohnungen Tür 16 und Tür 21 auf die Geltendmachung aller Kündigungsgründe verzichtet wird, die im § 19 Abs 2 Zahl 5 bis 13 MG aufgezählt sind. Außerdem wurde ihnen "als den gegenwärtigen Mietern der Wohnung Tür 16 und Tür 21 im Hause Wien 15., Beingasse Nr. 27" das Recht eingeräumt, diese Wohnungen einzeln oder beide zugleich zu tauschen oder überhaupt einem anderen Mieter zu überlassen, wobei die Auswahl des Mieters jedem von ihnen für die zur Zeit von ihm gemietete Wohnung zusteht (Beilage 1). Diese Erklärung wurde vom Mehrheitseigentümer Franz B*** zur Kenntnis genommen und unterschrieben. Der Minderheitseigentümer Heinrich B*** äußerte gegenüber Franz B***, es sei ungeschickt gewesen, dem Kündigungsverzicht zuzustimmen. Ihm selbst war dies jedoch gleichgültig. Er erhob keine Einwendungen. In der Wohnung Nr. 16 hatte die Mutter der Beklagten gewohnt. Nach deren Tod übersiedelten die Beklagte und Karl B*** in diese Wohnung. Die Wohnung Nr. 21 blieb zunächst leer. Nachdem die Beklagte und Karl B*** in eine B***ohnung übersiedelt waren, wurde die Wohnung Nr. 21 immer wieder untervermietet. Dem Mehrheitseigentümer Franz B*** war dies bekannt, doch nahm er dies auf Bitten der Beklagten nicht zum Anlaß für eine Kündigung. Mitte des Jahres 1984 wurde die Wohnung an eine Studentin untervermietet, die aber nur wenige Monate dort wohnte. Anschließend stand die Wohnung zwei Monate leer. Nachdem darin eine andere Studentin fünf oder sechs Monate gewohnt hatte, wurde die Wohnung nicht mehr bewohnt. Am 18. Oktober 1983 kündigte Franz B***, der seine Miteigentumsanteile verkaufen wollte, gemeinsam mit Susanne B***, die damals zu einem Sechstel Miteigentümer war, der Beklagten die Wohnung Nr. 21 gerichtlich auf, weil sie den Mietgegenstand gänzlich weitergegeben habe, ihn weder für sich noch für eintrittsberechtigte Personen in naher Zeit benötige und mit dem Untermieter einen im Vergleich zu dem von ihr zu entrichtenden Mietzins unverhältnismäßig hohen Untermietzins vereinbart habe. Nachdem sich die Beklagte in den Einwendungen auf den Kündigungsverzicht berufen hatte, trat Ruhen des Verfahrens ein. Mit Kaufvertrag vom 25. Juli 1984 verkauften Franz B*** und Susanne B*** ihre insgesamt Fünf-Sechstel-Anteile an den Kläger. Im Kaufvertrag wurde der der Beklagten eingeräumte Kündigungsverzicht nicht erwähnt. Karl B*** veräußerte seinen Sechstelanteil mit Vertrag vom 27. November 1984 an Dr. Karl B***. In diesem Vertrag wurde der Kündigungsverzicht vom 30. April 1957 ausdrücklich auf den Käufer überbunden.

Der Kläger stützte seine am 23. April 1985 eingebrachte Aufkündigung der Wohnung Nr. 21 auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 4 und 6 MRG und führte aus, die Beklagte benütze und benötige die Wohnung nicht, sondern habe sie untervermietet. Der Kündigungsverzicht sei nichtig.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtsunwirksam und wies das Räumungsbegehren ab. Es führte aus, der geltend gemachte Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 4 MRG sei zwar verwirklicht, weil die Beklagte die Wohnung zur Gänze untervermietet und das Untermietverhältnis offenbar erst auf Grund der Aufkündigung beendet habe, doch liege ein ausdrücklicher Kündigungsverzicht des Vermieters vor. Die geltend gemachten Kündigungsgründe seien unverändert aus dem Mietengesetz in das Mietrechtsgesetz übernommen worden. Beim Kündigungsverzicht handle es sich keineswegs um eine derart ungewöhnliche Vertragsbestimmung, daß sie der Kläger bei Erwerb des Hauses nicht hätte übernehmen müssen. Aus dem jahrelangen Verhalten des damaligen Mehrheitseigentümers Franz B***, der trotz Kenntnis der Untervermietung keine Aufkündigung eingebracht habe, könne überdies nur der Schluß gezogen werden, daß er stillschweigend auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes verzichtet habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge, sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 60.000,-- übersteige nicht aber S 300.000,--, und erklärte die Revision für zulässig. Das Gericht zweiter Instanz führte in rechtlicher Hinsicht im wesentlichen aus, Nebenabreden seien für den Einzelrechtsnachfolger insoweit nicht bindend, als deren Ungewöhnlichkeit reiche. Die im Rahmen der Nebenabrede getroffenen nicht ungewöhnlichen Absprachen blieben hingegen bestehen. Es sei daher nicht die gesamte, auch das Recht zur Weitergabe und zum Wohnungstausch beinhaltende Nebenabrede zur Beurteilung heranzuziehen, sonder nur der Verzicht auf die Kündigungsgründe des § 30 Abs 2 Z 4 und 6 MRG. Der Verzicht auf diese Kündigungsgründe sei keine Nebenabrede ungewöhnlichen Inhaltes im Sinne des § 2 Abs 1 dritter Satz MRG.

Der Kläger bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil "im Sinne der Rechtswirksamkeit der Aufkündigung bzw. Klagsstattgebung" abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionswerber vertritt die Ansicht, die Ungewöhnlichkeit der Nebenabreden sei auf Grund der Gesamtheit der die Nebenabreden bildenden Einzelbestimmungen zu beurteilen, weshalb hier von einer Ungewöhnlichkeit der Nebenabreden im Sinne des § 2 Abs 1 dritter Satz MRG gesprochen werden könne. Der Beklagten seien durch die Vereinbarung Beilage 1 Rechte eingeräumt worden, wie sie der Erwerber eines Hauses nie und nimmer annehmen könne. Der Umfang der Begünstigungen komme einer Enteignung des Hauseigentümers in bezug auf dieses Mietobjekt gleich. Ungewöhnlich seien die große Zahl der Kündigungsgründe, auf die verzichtet worden sei, und das Recht der Verwertung des Mietobjektes, ohne daß eine Gegenleistung von seiten des Mieters erfolgt sei. Hier liege eine schwere Benachteiligung der Interessen des Hauseigentümers vor. Bedeutsam sei auch, daß sich die Situation seit 1957 insofern geändert habe, als die Beklagte nicht mehr im selben Haus wohne. Die Vereinbarung sei daher von einem Wohnen der Beklagten in diesem Haus ausgegangen. Prüfe man die Ungewöhnlichkeit der Nebenabrede nur hinsichtlich der geltend gemachten Kündigungsgründe, habe dies zur unbefriedigenden Folge, daß die Beklagte ohne Konsequenz eine Reihe von Kündigungsgründen setzen könne und der Hauseigentümer diese nicht geltend machen und auch die Verwertung des Mietobjektes durch die Beklagte nicht verhindern könne. Damit komme der Beklagten eine Vorzugsstellung zu, für die sie keine Gegenleistung erbracht habe. Das Berufungsgericht habe diese Verletzung der typischen Interessensituation der Beteiligten nicht in Betracht gezogen. Das Pochen der Beklagten auf die Wirksamkeit des Verzichtes komme einer Sittenwidrigkeit gleich.

Diesen Ausführungen ist folgendes zu erwidern:

Gemäß § 2 Abs 1 dritter Satz MRG ist der Rechtsnachfolger im Eigentum an in einem Hauptmietvertrag enthaltene Nebenabreden ungewöhnlichen Inhaltes nur gebunden, wenn er sie kannte oder kennen mußte. Davon, daß der Kläger die Erklärung Beilage 1 kannte oder kennen mußte, kann nach den Feststellungen nicht ausgegangen werden. Entscheidend ist daher, ob eine Nebenabrede ungewöhnlichen Inhaltes vorliegt. Darüber, welche Nebenabreden "ungewöhnlich" sind, enthält das Gesetz nichts näheres. Diese Frage wird in der Lehre nicht einheitlich beantwortet (vgl. Würth in Rummel, ABGB, Rdz 7 zu § 2 MRG; Würth-Zingher, MRG2 Anm. 8 zu § 2; Fenyves in Korinek-Krejci, Handbuch zum Mietrechtsgesetz 293). Der Oberste Gerichtshof hat ausgesprochen, daß es für die Beurteilung der "Ungewöhnlichkeit des Inhaltes einer Nebenabrede" zweifellos auch auf die Art des Mietgegenstandes und den Inhalt des konkreten Vertrages ankomme. In diesem konkreten Beurteilungsrahmen sei aber der Begriff des "ungewöhnlichen Inhalts einer Nebenabrede" objektivierbar. Ungewöhnlich sei eine solche Nebenabrede, wenn sie bei vergleichbaren Mietgegenständen und vergleichbaren Vertragsinhalten nicht oder jedenfalls nur äußerst selten vereinbart werde, etwa weil ein Bedürfnis nach einer solchen Vereinbarung nicht oder kaum bestehe oder weil sie der typischen Interessensituation der beteiligten Parteien nicht entspreche (MietSlg XXXVII/37 und X***/22). In der Entscheidung MietSlg X***/22 gelangte der Oberste Gerichtshof - ausgehend von diesen Grundsätzen - zu dem Ergebnis, die Nebenabreden der Einräumung der Befugnis zur gänzlichen Untervermietung und der Weitergabe des Mietobjektes seien nicht unüblich, sondern kämen häufig vor, es handle sich um keine ungewöhnlichen Nebenabreden. Dem ist zu folgen und auch im vorliegenden Fall davon auszugehen, daß die Vereinbarung des Verzichtes auf den Kündigungsgrund des § 19 Abs 2 Z 10 MG (§ 30 Abs 2 Z 4 MRG) keine Nebenabrede ungewöhnlichen Inhaltes im Sinne des § 2 Abs 1 dritter Satz MRG ist, zumal das Mietrechtsgesetz im § 27 Abs 2 lit b eine derartige Nebenabrede ausdrücklich erwähnt. Ob die Mieterin dafür, daß die Vermieter auf die Geltendmachung dieses Kündigungsgrundes verzichteten, eine Gegenleistung erbrachte, hat auf die Rechte des Erwerbers der Liegenschaft keinen Einfluß.

Zu prüfen bleibt daher, ob die Vereinbarung deshalb, weil darin auch auf die Geltendmachung einer Reihe anderer Kündigungsgründe verzichtet und der Beklagten ein Weitergaberecht eingeräumt wurde, ungewöhnlich und für den Kläger aus diesem Grunde in keinem Punkt bindend ist. Dies ist jedoch zu verneinen, es kommt nur darauf an, ob der Verzicht auf den im Einzelfall verwirklichten Kündigungstatbestand ungewöhnlich ist. Die Bindung des Erwerbers einer Liegenschaft an eine Vereinbarung, nach welcher der frühere Eigentümer einem Mieter das Recht der Untervermietung einer Wohnung eingeräumt hat, kann nicht dadurch beseitigt werden, daß der frühere Eigentümer dem Mieter noch weitere - möglicherweise ungewöhnliche - Befugnisse einräumte. Entscheidend ist nur, welches der ihm eingeräumten Rechte der Mieter tatsächlich in Anspruch nimmt, im vorliegenden Fall daher das Recht der Untervermietung. Dem Hinweis des Klägers, daß zwei verschiedene Kündigungsgründe geltend gemacht worden seien, ist zu erwidern, daß die Z 4 des § 30 Abs 2 MRG zur Z 6 im Verhältnis der Spezialität steht und die Anwendung dieses allgemeinen Tatbestandes ausschließt (Würth aaO, Rdz 21 zu § 30 MRG; MietSlg 34.438).

Der Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes des § 19 Abs 2 Z 10 MG (§ 30 Abs 2 Z 4 MRG) steht daher der Aufkündigung entgegen. Der Umstand, daß die Beklagte nicht mehr in dem Haus wohnt, in welchem sich die aufgekündigte Wohnung befindet, hat auf die Wirksamkeit des Kündigungsverzichtes keinen Einfluß. Nicht verständlich ist, weshalb das Beharren der Beklagten auf dem Kündigungsverzicht sittenwidrig sein sollte.

Aus diesen Gründen haben die Vorinstanzen die Aufkündigung zutreffend aufgehoben, weshalb auf die in der Revisionsbeantwortung auf MietSlg 7098 gestützten Ausführungen, der Umstand, daß der Minderheitseigentümer Dr. Karl B*** die Verpflichtung Beilage 1 übernommen habe, stehe einer Aufkündigung entgegen, nicht eingegangen werden muß.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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