OGH 2Ob54/88

OGH2Ob54/8817.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Regina F***, Angestellte, Gartenstadt 47, 8330 Feldbach, vertreten durch Dr. Horst Löffelmann, Rechtsanwalt in Feldbach, wider die beklagten Parteien 1. V*** DER V*** Ö***, Schwarzenbergplatz 7, 1030 Wien, 2. H*** Versicherungs-AG, D-8630 Coburg, Postfach 402, Bundesrepublik Deutschland, beide vertreten durch Dr. Gottfried Hammerschlag, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen Zuerkennung einer Rente von S 3.000,-- monatlich, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 19. Jänner 1988, GZ 1 R 254/87-21, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 22. September 1987, GZ 21 Cg 216/86-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Entscheidung zu lauten hat:

"Das Klagebegehren, die Beklagten seien zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin ab 1. Juli 1986 eine monatliche Rente von S 3.000,-- monatlich im vorhinein zu bezahlen, und zwar die bis zur Rechtskraft des Urteils verfallenen Beträge binnen 14 Tagen, die in Hinkunft fällig werdenden Beträge am Ersten eines jeden Monates, und zwar die erstbeklagte Partei bis zur Erschöpfung der Versicherungssumme nach Österreichischem Recht zum Stichtag 2. Juli 1983, die zweitbeklagte Partei bis zur Erschöpfung jener Versicherungssumme, die sich auf Grund des zwischen ihr und dem Fahrzeughalter und Lenker Michael D*** zum 2. Juli 1983 wirksam gewesenen Haftpflichtversicherungsvertrages betreffend das Motorrad mit dem deutschen Kennzeichen B-BZ 213 ergab, wird abgewiesen. Die Klägerin ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 7.547,10 bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz (darin enthalten S 686,10 Umsatzsteuer) und die mit S 20.099,39 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 8.000,-- Barauslagen und S 1.099,94 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen."

Die Klägerin ist weiters schuldig, den beklagten Parteien die mit S 15.657,85 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 10.000,-- Barauslagen und S 514,35 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Als Folge eines Verkehrsunfalles vom 2. Juli 1983 wurde der rechte Arm der am 18. Dezember 1963 geborenen Klägerin gebrauchsunfähig, es trat eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 % ein. Die Klägerin war ab 20. September 1981 als Hotel- und Gewerbeassistentin mit dreijähriger Lehrzeit in einem Hotel gegen S 2.000,-- monatlich und freie Station beschäftigt und besuchte die Landesberufsschule für das Gastgewerbe. Nach dem Unfall besuchte sie diese Schule weiter und legte die Lehrabschlußprüfung am 4. Mai 1985 ab, konnte aber keine Beschäftigung in einem gastgewerblichen Unternehmen finden. Sie absolvierte einen Umschulungskurs für Sekretariatsarbeiten und Buchhaltung, den sie am 18. April 1986 beendete. Seit 7. Jänner 1987 ist die Klägerin auf Grund eines Sondervertrages mit dem Amt der Steiermärkischen Landesregierung im allgemeinen Hilfsdienst "geschützte Arbeit" in der Landesberufsschule Bad Gleichenberg als Büroangestellte tätig. Sie verdiente im Jahre 1987 im Durchschnitt S 8.516,-- monatlich netto. Die Klägerin begehrt die Zuerkennung einer abstrakten Rente von S 3.000,-- monatlich ab 1. Juli 1986.

Das Erstgericht sprach der Klägerin vom 14. September 1987 (Schluß der mündlichen Verhandlung erster Instanz) bis zur Erreichung ihres 60. Lebensjahres eine Rente von S 2.980,-- monatlich zu. Das Mehrbegehren wurde abgewiesen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und erklärte die Revision für zulässig. Es führte im wesentlichen aus, es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin vor dem 7. Jänner 1987 einen konkreten Verdienstentgang erlitten habe, da es auf die Verhältnisse zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung ankomme. Daß die Klägerin zu diesem Zeitpunkt einen Verdienstentgang gehabt habe, sei nicht behauptet und nicht festgestellt worden. Wesentlich sei, ob in Zukunft eine Gefährdung des Arbeitsplatzes zu befürchten sei. Der Arbeitsplatz der Klägerin komme nicht einem solchen nach dem Invalideneinstellungsgesetz gleich, der einen weitaus besseren Kündigungsschutz als nach dem Vertragsbedienstetengesetz 1948 biete. Mit der Klägerin sei lediglich ein Sondervertrag nach § 56 Vertragsbedienstetengesetz 1948 auf bestimmte Zeit (bis 6. Jänner 1988) geschlossen worden. Selbst wenn dieser Vertrag auf unbestimmte Zeit verlängert worden sein sollte, könne eine Kündigung unter anderem dann erfolgen, wenn sich die Klägerin für ihre Tätigkeit als nicht geeignet erweisen sollte, wenn sie einen angemessenen Arbeitserfolg nicht erreiche oder wenn aus dienstlichen oder organisatorischen Gründen eine Kündigung notwendig erscheine (§ 32 Abs 2 lit b), c) und g) Vertragsbedienstetengesetz 1948). Von einem gesicherten Arbeitsplatz etwa im Sinne eines pragmatischen Dienstverhältnisses oder auch nur nach dem Invalideneinstellungsgesetz könne daher nicht gesprochen werden. Habe aber die Klägerin keinen geschützten Arbeitsplatz inne, so müsse sie im Hinblick auf ihre schwerwiegende Versehrtheit an der ursprünglichen Arbeitshand möglicherweise mit einem Verlust des Arbeitsplatzes rechnen. Damit bestehe ein innerer Zusammenhang mit einem künftig möglicherweise zu erwartenden Verdienstentgang. Infolge der Unbrauchbarkeit der rechten Hand müsse sich die Klägerin bei Ausübung ihrer Berufstätigkeit wesentlich mehr anstrengen als früher. Hinsichtlich der Höhe sei auf das Einkommen zur Zeit des Schlusses der mündlichen Verhandlung abzustellen. Das Erstgericht habe sich der "Pieglerschen Formel" bedient (Hälfte des Prozentsatzes der Minderung der Erwerbsfähigkeit). Der ermittelte Betrag von S 2.980,-- sei durchaus angemessen.

Die Beklagten bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, machen die Anfechtungsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragen, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, daß das Begehren auf Zuspruch einer abstrakten Rente abgewiesen werde. Hilfsweise stellen die Beklagten eine Aufhebungsantrag. Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Eine abstrakte Rente soll dem Verletzten einen Ausgleich dafür bieten, daß er sich zur Vermeidung eines konkreten Verdienstentganges physisch und psychisch mehr anstrengen muß als früher, und ihn in die Lage versetzen, für den infolge seiner Verletzung zu befürchtenden Fall späteren Arbeitsplatzverlustes auch schon jetzt durch Rücklagen einen Fonds zur Deckung des Ausfalles zu schaffen (ZVR 1975/167, RZ 1982/9 uva). Die abstrakte Rente hat somit eine Ausgleichs- und eine Sicherungsfunktion zu erfüllen, die Ausgleichsfunktion allein genügt nicht (ZVR 1967/235, ZVR 1985/48 uva). Voraussetzung ist, daß der Arbeitsplatz gefährdet ist (JBl 1971, 42, ZVR 1976/48, RZ 1984/16 uva) und deshalb nach den konkreten Umständen des Einzelfalles eine Einkommensminderung zu erwarten oder doch wahrscheinlich ist (1 Ob 575/87). Es ist Sache der Klägerin, Umstände, die den Verlust ihres Arbeitsplatzes und eine damit verbundene Einkommenseinbuße wahrscheinlich machen können, zu beweisen (8 Ob 139/77 uva).

Im vorliegenden Fall ist die Erwerbsfähigkeit der Klägerin wegen der auf den Unfall zurückzuführenden Dauerfolgen zwar beträchtlich herabgesetzt, doch hat sie derzeit eine Anstellung und bezieht ein Monatseinkommen von durchschnittlich S 8.516,-- netto. Bei Beurteilung der Frage, ob dieser Arbeitsplatz gefährdet ist, muß darauf Rücksicht genommen werden, daß es sich um eine "geschützte Arbeit" im Sinne des § 19 des Steiermärkischen Behindertengesetzes handelt. Der Schutz dieses Gesetzes bietet zwar keine Gewähr dafür, daß die Klägerin diesen Arbeitsplatz dauernd behalten können wird, doch wurden keine konkreten Umstände behauptet oder festgestellt, aus denen sich eine Wahrscheinlichkeit des Verlustes ergeben würde. Wohl ist nach § 22 leg. cit. die Hilfe durch geschützte Arbeit einzustellen, wenn festgestellt wird, daß der Behinderte den Anforderungen der geschützten Arbeit nicht gewachsen ist, doch hat die Klägerin, die im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz ihren Arbeitsplatz bereits mehr als neun Monate innehatte, nicht behauptet, den gestellten Anforderungen nicht gewachsen zu sein, es wurde auch weder vorgebracht noch festgestellt, daß der Dienstvertrag nach Ablauf eines Jahres nicht verlängert werden wird. Der Hinweis auf die Entscheidung RZ 1984/16 ist nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen, weil in dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall der konkrete Arbeitsplatz deshalb gefährdet war, weil der private Dienstgeber betriebliche Veränderungen erwog, nach welchen nur mehr Arbeiten zu verrichten wären, die der in seiner Arbeitsfähigkeit Eingeschränkte nicht mehr verrichten könnte. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin einen geschützten Arbeitsplatz inne, Dienstgeber ist das Land Steiermark, es sind keine Umstände in Sicht, die für einen drohenden Verlust dieses Arbeitsplatzes sprechen würden. Berücksichtigt man überdies, daß bei der Frage, ob eine abstrakte Rente zuzusprechen ist, eine eher restriktive Handhabung angezeigt ist (1 Ob 575/87, 8 Ob 88/87), dann kann der Klägerin mangels Sicherungsfunktion ein Anspruch auf eine abstrakte Rente nicht zuerkannt werden.

Aus diesen Gründen waren die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, daß das Begehren auf Zuerkennung einer abstrakten Rente abgewiesen wird.

Bei der Entscheidung über die Verfahrenskosen erster Instanz war zu berücksichtigen, daß die Klägerin bis zur Fällung des Teilanerkenntnisurteiles über das Feststellungsbegehren etwa mit der Hälfte durchgedrungen ist, weshalb die Kosten bis zu diesem Zeitpunkt gemäß § 43 Abs 1 ZPO gegenseitig aufzuheben waren. Ab diesem Zeitpunkt haben die Beklagten aber gemäß § 41 ZPO Anspruch auf Ersatz ihrer Kosten.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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