OGH 9ObA114/88

OGH9ObA114/8811.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Stefan Seper und Anton Tauber als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Wolfgang P***, Koch und Kellner, Neumarkt in Tauchental 22, vertreten durch Dr. Günter Philipp, Rechtsanwalt in Mattersburg, wider die beklagte Partei Andreas S***, Gastwirt, Oberwart, Hauptplatz 2, vertreten durch Dr. Alfred Pribik, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 21.505,62 sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. September 1987, GZ 32 Ra 72/87-16, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 7. April 1987, GZ 16 Cga 26/87-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 4.219,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 247,20 Umsatzsteuer und S 1.500,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war beim Beklagten vom 19. Juli 1982 bis zum 18. Juli 1986 als Koch- und Kellnerlehrling beschäftigt. Mit Schreiben vom 25. Juni 1986 beantragte der Beklagte bei der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für das Burgenland die Erteilung der Genehmigung zur vorzeitigen Auflösung des Dienstverhältnisses des Klägers; mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seines Unternehmens sei ihm die Beschäftigung des Klägers (und eines zweiten Lehrlings) nicht möglich. Mit Schreiben vom 30. Juni 1986 teilte der Beklagte dem Kläger unter dem Betreff "Kündigung" mit, daß auf Grund der schlechten Geschäftslage eine Weiterbeschäftigung nicht möglich sei. Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für das Burgenland lehnte die Zustimmung zur Befreiung des Klägers von der Behaltefrist gemäß § 18 Abs 3 BAG ab. Mit Bescheid vom 17. Oktober 1986, dem Beklagten zugestellt am 23. Oktober 1986, sprach die Bezirkshauptmannschaft Oberwart aus, daß gemäß § 18 BAG dem Antrag des Beklagten auf Kündigung des Klägers stattgegeben werde.

Der Kläger begehrt die Zahlung eines Betrages von S 21.505,62 netto sA an Gehalt für die Zeit von 19. Juli 1986 bis 16. Oktober 1986, sowie an aliquoter Jahresremuneration und Urlaubsabfindung. Der Beklagte habe gegen die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Ende der Lehrzeit verstoßen. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart sei nur die Kündigung ab Bescheidzustellung genehmigt worden.

Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Über den Antrag auf Auflösung des Dienstverhältnisses sei bisher nicht entschieden worden. Die Entscheidung der Bezirkshauptmannschaft Oberwart habe den Antrag des Beklagten, der auf Erlaß der Weiterbeschäftigungspflicht gerichtet gewesen sei, nicht erledigt. Das Erstgericht gab dem Begehren des Klägers statt. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart sei dem Beklagten die Kündigung des Klägers innerhalb der Behaltefrist bewilligt worden. Zwar könnte ein Bescheid in die Vergangenheit wirken, doch sei der Entscheidung der Bezirksverwaltungsbehörde nicht zu entnehmen, daß die Kündigungsbefugnis des Beklagten zurückwirken solle. Es sei daher davon auszugehen, daß die Bezirksverwaltungsbehörde die Bewilligung der Kündigung mit Eintritt der Wirksamkeit des Bescheides, also mit Beginn seiner Bindungswirkung habe terminisieren wollen. Diese Wirkung sei frühestens mit der Zustellung des Bescheides an die Parteien anzunehmen. Dem Beklagten sei die in § 18 Abs 1 BAG normierte Behaltepflicht frühestens mit 23. Oktober 1986 erlassen worden, sodaß die dem Kläger gegenüber mit 30. Juni 1986 ausgesprochene Kündigung gesetzwidrig gewesen sei. Dem Beklagten stünden daher die Ansprüche auf das Entgelt für den Zeitraum ab Beendigung des Lehrverhältnisses bis 23. Oktober 1986 zu. Das Berufungsgericht änderte über Berufung des Beklagten diese Entscheidung in klageabweisendem Sinn ab. Der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart vom 17. Oktober 1986 habe dem Antrag des Beklagten um Befreiung von der Behaltepflicht, den dieser am 25. Juni 1986 zunächst an die Handelskammer gerichtet habe, ohne Einschränkung stattgegeben. Nach dem Inhalt des Bescheides sei der Beklagte aus wirtschaftlichen Gründen von der Behaltepflicht befreit worden, und zwar, da eine Einschränkung nicht vorgenommen worden sei, in vollem Umfang. Wenn auch der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Oberwart erst am 17. Oktober 1986 erlassen worden und erst durch seine Kundmachung wirksam geworden sei, so bedeute dies nur, daß sich vor seiner Kundmachung niemand auf ihn mit Erfolg hätte berufen könne. Dies bedeute aber nicht, daß die Erlassung der Behaltepflicht nur für die Zukunft wirke. Der Kläger könne sein Begehren nicht mehr auf die Behaltepflicht stützen. Gegen dieses Urteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision ist zulässig.

Bei der Frage der Auswirkung der Genehmigung einer Kündigung gemäß § 18 Abs 3 BAG auf die Behaltepflicht handelt es sich um eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 46 Abs 2 Z 1 ASGG, die über den Einzelfall hinausreicht. Eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu dieser Bestimmung des BAG besteht nicht. Die Voraussetzungen für die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision sind daher gegeben.

Die Revision ist auch berechtigt.

In § 18 Abs 3 BAG ist eine Befreiung von der Weiterbeschäftigungspflicht für den Fall vorgesehen, daß diese Pflicht aus wirtschaftlichen Gründen nicht erfüllt werden kann. Der betreffende Lehrberechtigte hat nach dieser Bestimmung noch während der Lehrzeit rechtzeitig einen entsprechenden Antrag bei der zuständigen Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft zu stellen, worauf diese im Einvernehmen mit der Kammer für Arbeiter und Angestellte binnen 14 Tagen zu entscheiden hat. Wird die Entscheidung nicht fristgerecht getroffen, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde nach Anhörung beider Kammern endgültig zu entscheiden. Die Vorschrift des § 18 Abs 3 BAG sieht neben der Befreiung von der Weiterverwendungsverpflichtung auch die Möglichkeit einer Bewilligung der Kündigung vor Ablauf der Behaltefrist vor und zwar unter denselben Voraussetzungen und im Weg derselben Verfahrensart wie bei der Befreiung von der Behaltepflicht. Das Gesetz sieht somit die Möglichkeit vor, entweder die Behaltepflicht überhaupt zu erlassen oder dem Arbeitgeber eine Kündigung während der Behaltepflicht zu genehmigen. Ein gänzlicher Entfall der Verpflichtung zur Weiterverwendung nach Ende der Lehrzeit tritt nur bei der Befreiung von der Weiterbeschäftigung (§ 18 Abs 3 erster Fall BAG) ein. Eine vorzeitige Beendigung der Behaltepflicht kommt - vom Fall der Entlassung abgesehen - nur durch ordnungsgemäße Kündigung des betreffenden Arbeitsverhältnisses in Betracht. Diese Kündigung ist - gerade wegen der Behaltepflicht - nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und nach Einholung einer besonderen Bewilligung zulässig und wirksam. Verwendet also der Lehrberechtigte den Lehrling nach Beendigung der Lehrzeit im Rahmen eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses, so kann er, wenn er aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, den Lehrling während der gesamten Behaltezeit weiterzubeschäftigen, die Bewilligung zur Kündigung einholen und dann zum nächstmöglichen Termin kündigen (Jabornegg DRdA 1977, 16). In diesem Fall erlischt mit dem Wirksamwerden der Kündigung, also mit Beendigung des gekündigten Arbeitsverhältnisses, auch die restliche Behaltepflicht. An die diesbezüglichen Entscheidungen der Selbstverwaltungskörper bzw. der Verwaltungsbehörden sind die Gerichte gebunden. Entscheidend ist nicht der Inhalt des Antrages des Lehrberechtigten bzw. Arbeitgebers, sondern allein die hierüber ergangene Entscheidung.

Die Bezirkshauptmannschaft Oberwart hat mit Bescheid vom 17. Oktober 1986 nicht die Befreiung von der Behaltepflicht sondern die Kündigung bewilligt. Bis dahin hat die Behaltepflicht bestanden. Der Ausspruch der Kündigung wäre erst nach diesem Zeitpunkt zum nächstmöglichen Termin zulässig gewesen.

Der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung Arb. 7072 lag ein Sachverhalt zugrunde, der vom vorliegenden insofern abwich, als dort (nachträglich) der Erlaß der Behaltepflicht (auf Grund der zu diesem Zeitpunkt in Geltung gestandenen Bestimmung des § 105 a Abs 4 GewO) gewährt worden ist. Die Begründung dieser Entscheidung ist daher auf den vorliegenden Fall, in dem die Bezirksverwaltungsbehörde die Kündigung genehmigte, nicht übertragbar.

Die Behaltepflicht ist die Verpflichtung, mit dem Lehrling nach Beendigung der Lehrzeit einen Dienstvertrag von mindestens viermonatiger Dauer abzuschließen. Diese Bestimmung bewirkt nicht einen Vertragsabschluß ex lege; sie normiert lediglich eine einseitige Verpflichtung des Lehrberechtigten zum Abschluß eines entsprechenden Arbeitsvertrages, dessen Nichtbefolgung einen Anspruch auf Erfüllung, gegebenenfalls auch auf Schadenersatz auslöst. Da der Beklagte gegen seine Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Klägers nach beendeter Lehrzeit verstoßen hat, besteht der Lohnanspruch des Kläges für den geltend gemachten Zeitraum der Behaltezeit als Ersatzanspruch wegen ungerechtfertigter vorzeitiger Auflösung im Sinn des § 1162 b ABGB zu Recht (Arb. 9344). Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO, hinsichtlich der Kosten der Berufung der beklagten Partei auf die §§ 40, 50 ZPO.

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