OGH 2Ob678/87

OGH2Ob678/8710.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Viktor I***-I***, Rechtsanwalt, 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 84, als zu 4 S 14/84 des Handelsgerichtes Wien bestellten Masseverwalter über das Vermögen des am 1. August 1984 verstorbenen Ing. Gustav K***, 1180 Wien, Währinger Straße 132 a, wider die beklagte Partei Helga K***, Pensionistin, 1180 Wien, Währinger Straße 132 a, vertreten durch Dr. Erhard C. J. Weber, Rechtsanwalt in Wien, wegen Anfechtung (Streitwert S 500.000,--), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 10. September 1987, GZ 3 R 88/87-31, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 10. November 1986, GZ 33 Cg 417/84-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger die mit S 15.874,65 (darin keine Barauslagen und S 1.443,15 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger begehrte, 1.) den Schenkungsvertrag über die Liegenschaft EZ 550 des Grundbuchs Liesing den Gläubigern im Konkurs gegenüber für unwirksam zu erklären und 2.) die Beklagte zu verpflichten, in die kridamäßige Verwertung der Liegenschaft einzuwilligen. In der Verhandlungstagsatzung vom 8. November 1984 dehnte er das Klagebegehren auf die Feststellung der Verpflichtung der Beklagten aus, dem Kläger den Schaden zu ersetzen, der sich bei Verwertung der Liegenschaft dadurch ergebe, daß die Tiroler Handels- und Gewerbebank reg. Genossenschaft mbH aus den zu ihren Gunsten eingetragenen Pfandrechten als bücherliche Pfandberechtigte den Verwertungserlös ganz oder teilweise für sich beansprucht. Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage. Die Zahlungsunfähigkeit des Gemeinschuldners sei frühestens Anfang 1984 eingetreten. Hinsichtlich des auf der geschenkten Liegenschaft einverleibten Pfandrechtes für einen Höchstbetrag von S 900.000,-- habe eine Forderung von S 411.456,68 samt Anhang ausgehaftet. Zur Abdeckung des gegen die Beklagte geltend gemachten Hypothekarkredites habe sie Fremdmittel von insgesamt S 454.663,50 in Anspruch nehmen müssen. Der Gesamtaufwand der Beklagten werde als aufrechenbarer Gegenanspruch dem Klagebegehren entgegengesetzt. Der Wert der Liegenschaft sei bei der Schenkung unter dem Kaufpreis von S 804.740,-- gelegen gewesen, einerseits wegen eines Preisverfalls auf dem Immobilienmarkt, andererseits wegen des Fruchtgenußrechtes sowie des Belastungs- und Veräußerungsverbotes zugunsten des Gemeinschuldners. Die Beklagte habe bei der Schenkung keine Kenntnis von den finanziellen Schwierigkeiten des Gemeinschuldners gehabt. Sie habe auch nach der Schenkung einen erheblichen Erhaltungsaufwand auf das Anfechtungsobjekt getätigt, welcher sich nicht annähernd wertsteigernd ausgewirkt habe. Durch die Schenkung sei einer sittlichen Pflicht oder Rücksichten des Anstandes entsprochen worden, weil es sich bei dem Anfechtungsobjekt um den ehelichen Wohnsitz gehandelt habe. Außerdem habe die Beklagte den Gemeinschuldner vor und nach der Schenkung aufwendig gepflegt. Die Beklagte habe der Intabulation weiterer Pfandrechte auf der Liegenschaft zugestimmt, um ihrem Sohn den Erwerb einer dem Gemeinschuldner gehörigen Liegenschaft in Wörgl zu ermöglichen und um die sonst drohende Versteigerung dieses Objektes zu verhindern. Am 5. November 1982 habe sich der Gemeinschuldner gesundheitlich auf voller Höhe befunden, sein gesundheitlicher Verfall habe erst mit Einleitung des Konkursverfahrens Anfang 1984 eingesetzt. Das Erstgericht gab dem - ausgedehnten - Klagebegehren statt, wobei es im wesentlichen von folgenden Feststellungen ausging:

Der Gemeinschuldner Ing. K*** lernte 1977 die Beklagte kennen; diese ist seit 1. Februar 1978 in Pension. Ihre monatliche Pension beträgt rund S 7.200,-- einschließlich der Kinderbeihilfe für ihren Sohn Helmut W***, der studiert und daneben in Wörgl ein Kino betreibt. Der Gemeinschuldner erwarb am 15. Februar 1980 ein Haus in Liesing, Lechthalergasse 49 (Liegenschaft EZ 550 Grundbuch Liesing) zu einem Kaufpreis von S 804.740,--. Weiters kaufte er im Haus befindliche Einrichtungsgegenstände um einen ausgewiesenen Kaufpreis von S 295.260,--. Seit dem Erwerb dieses Hauses wohnte der Gemeinschuldner mit der Beklagten vorwiegend in diesem Haus. Er blieb aber auch noch Mieter einer Wohnung in 1180 Wien, Währinger Straße 132 a. Unmittelbar vor seiner Verehelichung mit der Beklagten am 14. Oktober 1982 erfuhr der Gemeinschuldner, bei dem sich bereits 1977 erste Symptome der Parkinsonschen Krankheit gezeigt hatten, daß eine Heilung aussichtslos sei. Der Gemeinschuldner und die Beklagte erwarteten sich durch die Verehelichung eine leichtere Pflege, besseren Zugang der Beklagten zu Krankenanstalten und Auskünften bei Ärzten. Mit Notariatsakt vom 15. November 1982 schenkte der Gemeinschuldner die Liegenschaft EZ 550, KG Liesing, der Beklagten gegen Vorbehalt des lebenslänglichen unentgeltlichen Fruchtgenußrechtes unter Einräumung eines Belastungs- und Veräußerungsverbotes. Im Punkt 4 des Schenkungsvertrages heißt es, die Liegenschaft gehe mit Ausnahme des einzuverleibenden Fruchtgenußrechtes sowie des Veräußerungs- und Belastungsverbotes satz- und lastenfrei an die Beklagte über. Die Forderungen, zu deren Gunsten Höchstbetragshypotheken bestellt seien, seien zur Gänze getilgt und nicht mehr existent. Zum Zeitpunkt der Schenkung war zugunsten der Z-Export- und Handelsbank Gesellschaft mbH eine Höchstbetragshypothek für den Betrag von S 900.000,-- auf der Liegenschaft einverleibt. Der aushaftende Saldo des gesicherten Kredites betrug S 260.500,--, zuzüglich 5,5 % Zinsen seit 1. Oktober 1982. Zum Zeitpunkt der Schenkung betrug der Schätzwert der Liegenschaft im bestand- und lastenfreien Zustand S 930.000,--. Zur Abdeckung des besicherten Kredites zahlte die Beklagte am 9. Jänner 1984 der Z-Export- und Handelsbank Gesellschaft mbH S 453.663,50. Sie nahm zur Abdeckung des zuletzt erwähnten Kredites bei der Tiroler Handels- und Gewerbebank (Hage-Bank) einen Kredit auf, der bis zu einem Höchstbetrag von S 650.000,-- auf der Liegenschaft sichergestellt wurde. Der Sohn der Beklagten Helmut W*** erwarb mit Kauf- und Leibrentenvertrag vom 4. Oktober 1983 die Liegenschaft EZ 1 II, KG Wörgl-Kufstein. Auf dieser Liegenschaft als Haupteinlage und auf der Liegenschaft EZ 550, KG Liesing, als Nebeneinlage wurden zugunsten der Hage-Bank Höchstbetragshypotheken über S 562.500,--, S 5,400.000,-- und S 2,600.000,-- eingetragen. Der Gemeinschuldner räumte den für die Kreditforderungen der Hage-Bank eingetragenen Pfandrechten den Vorrang vor dem zu seinen Gunsten eingetragenen Fruchtgenußrecht sowie Belastungs- und Veräußerungsverbot ein. Ab Ende 1983/Anfang 1984 verschlechterte sich der Gesundheitszustand des Gemeinschuldners deutlich. Er befand sich vom 2. Jänner bis 3. Februar 1984 sowie vom 16. April 1984 bis 11. Mai 1984 in stationärer Behandlung. Er war ein Pflegefall und in einem Zustand, der hohe Ansprüche an die Beklagte als Pflegeperson stellte. Etwa ab Weihnachten 1983 mußte die Beklagte ihren Ehegatten, den Gemeinschuldner, "rund um die Uhr" pflegen und betreuen. Sie mußte ihn waschen, rasieren, anziehen, das Essen mundgerecht zubereiten, ihn mit Sauerstoffinhalationen für die Dauer von 20 Minuten täglich versorgen. Der Gemeinschuldner war großteils bettlägerig und konnte nur mit großen Schwierigkeiten zum Gehen gebracht werden. Er hatte einen Katheter, welcher von der Beklagten gewechselt werden mußte. Das Handelsgericht Wien eröffnete mit Beschluß vom 10. Februar 1984, 4 S 14/84, über das Vermögen des Gemeinschuldners den Konkurs und bestellte den Kläger zum Masseverwalter. Am 1. August 1984 starb der Beklagte, 76-jährig, an einem Herzinfarkt.

Zur Rechtsfrage führte das Erstgericht aus, insgesamt habe die Beklagte zielführende Einwände gegen den Anfechtungsanspruch nicht darzutun vermocht, sodaß dem Klagebegehren des Masseverwalters stattzugeben gewesen sei.

Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos; das Berufungsgericht sprach aus, daß der Streitgegenstand, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt; ausgehend von den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichtes billigte es auch die rechtliche Beurteilung der ersten Instanz.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Klagsabweisung.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Beklagte bekämpft in ihrem Rechtsmittel die Auffassung des Berufungsgerichtes, auf seiten des Gemeinschuldners Ing. K*** habe im Zeitpunkt der Schenkung der Liegenschaft an die Beklagte keine sittliche Verpflichtung für eine solche Schenkung bestanden. Dem Gemeinschuldner sei bereits seit langem bekannt gewesen, daß er an der unheilbaren Parkinson-Krankheit leide, die immer in einem Siechtum ende. Nicht zuletzt dieser Umstand sei der Anlaß für die Eheschließung mit der Beklagten gewesen. Der Gemeinschuldner habe gewußt, daß er in Zukunft einer äußerst aufwendigen und intensiven Pflege bedürfen würde, und habe die Schenkung, die durchaus seinen persönlichen und Vermögensverhältnissen entsprochen habe, deshalb gemacht, weil er überzeugt war, daß die Beklagte ihn nicht zuletzt auch aus diesem Grund dann, sollte die Pflege noch so aufwendig werden, gut versorgen würde und er so vor dem "Dahinsiechen" in einem Pflegeheim bewahrt bliebe. Zum Zeitpunkt der Schenkung sei der Betrieb von Ingenieur K*** nicht insolvenzgefährdet gewesen. Er habe seine Ehegattin durch die Schenkung dafür entschädigen wollen, was sie alles bereits für ihn getan habe und noch tun würde. Bezüglich der Angemessenheit der Schenkung sei zu sagen, daß es wohl naheliegend sei, der Ehegattin, welche sich aufopfernd um ihren schwerkranken Ehegatten gekümmert habe, die letzte gemeinsame Wohnstätte zu schenken.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Gemäß § 29 Abs 1 Z 1 KO sind in den letzten zwei Jahren vor Konkurseröffnung vorgenommene unentgeltliche Verfügungen des Gemeinschuldners anfechtbar, soweit es sich nicht um die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung, um gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke oder um Verfügungen in angemessener Höhe handelt, die zu gemeinnützigen Zwecken gemacht wurden oder durch die einer sittlichen Pflicht oder Rücksichten des Anstandes entsprochen worden ist.

Der Gemeinschuldner hat die Liegenschaft EZ 550 KG Liesing der Beklagten innerhalb der letzten zwei Jahre vor Konkurseröffnung geschenkt. Die Schenkungsabsicht ist im Revisionsverfahren ebensowenig mehr strittig wie die Unentgeltlichkeit der Zuwendung trotz der auf der Liegenschaft haftenden Lasten. Zutreffend geht die Revision auch davon aus, daß für die Beurteilung der Anfechtbarkeit der Zeitpunkt der Verfügung maßgebend ist (vgl. RdW 1984/43 u.a.). Der Auffassung der Revision, der Gemeinschuldner habe der Beklagten die Liegenschaft in Erfüllung einer sittlichen Pflicht geschenkt, kann jedoch nicht beigepflichtet werden. Was sittliche Pflicht oder Anstandsrücksicht ist, bestimmt sich nach der Verkehrsanschauung im gesellschaftlichen Kreise der Verfügenden. Gemeint sind Leistungen, die nach der gesellschaftlichen Anschauung zwar nicht rechtlich, aber moralisch gefordert werden können, deren Unterlassung gesellschaftlich als Pflicht- oder Anstandsverletzung gilt und eine Minderung der gesellschaftlichen Achtung nach sich zieht (Bartsch-Pollak, KO3, I, 192). Die unentgeltliche Verfügung muß also im Zeitpunkt ihrer Vornahme nach Maßgabe ihres Anlasses, der Beziehungen des Gemeinschuldners zum Bedachten und den gesamten persönlichen und Vermögensverhältnissen des Gemeinschuldners dadurch veranlaßt sein, daß ihre Unterlassung in dem nach jenen Gesichtspunkten gebotenen Maßstab dem Gemeinschuldner den Vorwurf sittlicher Minderwertigkeit zuziehen würde. Das ist namentlich dort der Fall, wo die sittliche Anschauung, die der Normierung einer gesetzlichen Verpflichtung zugrundeliegt, über deren Bereich hinaus Befolgung erfordert (Petschek-Reimer-Schiemer, Österreichisches Insolvenzrecht, 350). Bei der Berufung auf die sittliche Pflicht obliegt der Beweis für diesen rechtshindernden Tatbestand dem Anfechtungsgegner (Petschek-Reimer-Schiemer aaO). Bei der Gläubigeranfechtung ist in diesem Fall ein strenger Maßstab anzulegen (Stanzl in Klang2 IV/1, 608, vor FN 4).

Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet und wird berücksichtigt, daß im maßgebenden Zeitpunkt der Schenkung (November 1982) der Gesundheitszustand des Gemeinschuldners, mag dieser auch um seine Erkrankung und die Aussichtslosigkeit von deren Heilung gewußt haben, keineswegs bereits so schlecht war, daß er eine aufwendige Pflege erforderte und die später erforderliche umfangreiche Pflege, etwa von Dezember 1983 bis zum Tode des Gemeinschuldners am 1. August 1984, überwiegend bereits nach dem Zeitpunkt der Konkurseröffnung (10. Februar 1984) von der Beklagten erbracht wurde, kann entgegen der Meinung der Revision in der Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Unterlassung der Schenkung nach den im Zeitpunkt ihrer Vornahme unter Berücksichtigung der gesamten persönlichen und Vermögensverhältnisse des Gemeinschuldners geltenden Anschauungen diesen bei Anlegung des gebotenen strengen Maßstabes nicht dem Vorwurf sittlicher Minderwertigkeit ausgesetzt hätte, keine unrichtige rechtliche Beurteilung erblickt werden. Die übrigen in § 29 Abs 1 Z 1 KO angeführten Ausnahmsgründe kommen nach dem Parteienvorbringen und den Feststellungen im vorliegenden Fall nicht in Betracht.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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