Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, den Beklagten die mit S 6.223,63 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 565,78) je zur Hälfte binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 18.November 1982 ereignete sich in Wien 14. auf der Hütteldorferstraße/Matzingerstraße-Sebastian Kelch-Gasse ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Fußgängerin und der Erstbeklagte als Lenker und Halter des bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKWs W 586.595 beteiligt waren. Die Klägerin begehrte unter Anerkennung ihres Mitverschuldens von 50 % von den Beklagten die Bezahlung von S 274.117,14 s.A. an Schmerzengeld, Verdienstentgang, Ersatz für beschädigte Kleidung und Entschädigung wegen Verunstaltung. Außerdem beantragte sie die Feststellung, daß die Beklagten auch für künftige Schäden aus dem Verkehrsunfall zu haften hätten. Sie habe die Hütteldorferstraße vom Erstbeklagten aus gesehen von rechts nach links überqueren wollen. Hiebei sei sie vom PKW des Erstbeklagten erfaßt und niedergestoßen worden. Den Erstbeklagten treffe ein Verschulden am Unfall von mindestens 50 %, weil er eine überhöhte Geschwindigkeit eingehalten habe; überdies sei ihm eine beträchtliche Reaktionsverspätung anzulasten.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Die Klägerin sei am Unfall allein schuld. Sie habe versucht, die Hütteldorferstraße im Laufschritt zu überqueren, ohne vor dem Betreten der Fahrbahn innezuhalten, um sich zu vergewissern, ob dies in Anbetracht des starken Verkehrs möglich sei.
Das Erstgericht schränkte die Verhandlung auf den Grund des Anspruches ein und erkannte mit "Zwischenurteil", daß das Verschulden am Zustandekommen des Unfalles die Klägerin und den Beklagten im Verhältnis 2 : 1 treffe. Außerdem traf es die Feststellung, daß die Beklagten für die zukünftigen Schäden der Klägerin zu einem Drittel zu haften haben. Es ging dabei im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Die 20-jährige Klägerin wollte die Fahrbahn von der stadtauswärts gelegenen rechten Bordsteinrundung nach links (wie dies durch den Pfeil 2 in der Verkehrsunfallskizze im Strafakt dargestellt ist) im Laufschritt überqueren. Sie trat zwischen dort geparkten Fahrzeugen vom Gehsteig auf die Fahrbahn und wollte die Kreuzung diagonal übersetzen. Obwohl der Erstbeklagte sofort und ohne Reaktionsverspätung auf das Auftauchen der Klägerin reagierte, kam seine Bremsung nicht mehr voll zum Tragen. Er stieß sie mit einer Geschwindigkeit von mindestens 51,5 km/h und maximal 67,5 km/h nieder. Die Annäherungsgeschwindigkeit der Klägerin hatte 11 km/h betragen (3 m/sec). Sie hätte bei dieser Laufgeschwindigkeit die Annäherungsstrecke von ca. 6 m zwischen Gehsteigrand und Kollisionsposition, die im Bereich des in der Verkehrsunfallskizze in verlängerter Richtung des Pfeiles 2 eingezeichneten roten Kreuzes anzunehmen ist, in zwei Sekunden zurücklegen können. Als der Erstbeklagte die Klägerin das erste Mal wahrnahm, befand sich sein PKW 31 m von der Kollisionsstelle entfernt. Er legte diese Strecke in zwei Sekunden zurück. Die Endlage der Klägerin befand sich bei der von der Polizei vorgefundenen Blutlache. Die Klägerin blieb 26 m nach der Kollisionsstelle liegen. Ihre Annäherungsstrecke zwischen dem Überquerungspunkt des Gehsteigrandes im Krümmungsbereich und der Kollisionsposition hatte ca. 6 m betragen. Die Klägerin war von der PKW-Front voll getroffen worden; die Bremsverzögerung des PKWs zum Kollisionszeitpunkt hatte nicht mehr als 3 m/sec2 betragen. Daraus ergibt sich eine Kollisionsgeschwindigkeit des PKWs von mindestens 55,5 km/h entsprechend der diagonalen Kreuzungsüberquerung durch die Klägerin und daraus wiederum eine Bremsausgangsgeschwindigkeit des Erstbeklagten von 60 km/h.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß es die Klägerin an der gebotenen Vorsicht beim Betreten und vor dem Überqueren der Fahrbahn habe fehlen lassen. Diesem grob verkehrswidrigen Verhalten der Klägerin stehe eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von mindestens 5,5 km/h durch den Erstbeklagten gegenüber. Bei Abwägung des beiderseitigen Verschuldens ergebe sich ein überwiegendes Verschulden der Klägerin im Verhältnis von 2 : 1.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Teile nicht Folge, sondern bestätigte die erstgerichtliche Entscheidung mit der Maßgabe, daß es mit Teil- und Zwischenurteil das Klagebegehren zu 2/3 als zu Recht bestehend erkannte und feststellte, daß die Beklagten für die zukünftigen Schäden der Klägerin zu 1/3 zu haften haben. Das Feststellungsmehrbegehren wurde abgewiesen, ebenso ein Teilleistungsbegehren von S 91.372,38 s.A. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, S 300.000 übersteigt. Das Gericht zweiter Instanz billigte die Verschuldensteilung des Erstgerichtes. Der Klägerin falle ein Verstoß gegen § 76 Abs 1 und Abs 4 lit b StVO zur Last, weil sie die Fahrbahn nicht habe überraschend betreten dürfen und sich vor der Fahrbahnüberquerung nicht entsprechend vergewissert habe, hiebei niemand zu gefährden. Der Geschwindigkeitsverstoß des Erstbeklagten sei nicht so gering, daß er vernachlässigt werden könne.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß dem Leistungsbegehren in vollem Umfang und dem Feststellungsbegehren auf der Grundlage eines gleichteiligen Verschuldens stattgegeben werden möge; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Klägerin stellt sich in der Revision auf den Standpunkt, daß der Erstbeklagte die zulässige Geschwindigkeit nicht um 20 %, sondern um 50 % überschritten habe, weil er bei den widrigen Umständen zur Zeit des Unfalles nur 40 km/h schnell hätte fahren dürfen. Daher sei sein Verschulden gravierender, als dies die Vorinstanzen angenommen hätten. Diese Argumentation ist nicht stichhältig:
Bei der Verschuldensteilung kommt es vor allem auf die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahren, auf die Wichtigkeit der verletzten Vorschrift für die Sicherheit des Verkehrs und auf den Grad der Fahrlässigkeit des einzelnen Verkehrsteilnehmers an (ZVR 1976/11 uza). Es ist auch zu berücksichtigen, wer das primär unfallsauslösende Verhalten setzte (8 Ob 246/82 ua). Wird davon ausgegangen, daß die Klägerin im Laufschritt die Fahrbahn in schräger Richtung überquerte, ohne auf den sich nähernden Verkehr in seiner tatsächlichen Gestaltung zu achten, so kann demgegenüber die zu schnelle Fahrweise des Erstbeklagten von 60 km/h selbst dann, wenn die Verhältnisse an der Unfallstelle die Einhaltung einer geringeren Geschwindigkeit als 50 km/h erfordert hätten (an sich bestand nach den Feststellungen jedoch normale Sicht - siehe S. 5 des Ersturteiles), nicht mit dem Verschulden der Klägerin gleichgestellt werden. Deren Verschulden überwiegt vielmehr deutlich, welchen Umstand die Vorinstanzen zutreffend mit einer Verschuldensteilung im Verhältnis 2 : 1 zu ihren Lasten Rechnung getragen haben.
Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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