OGH 2Ob48/88

OGH2Ob48/8810.5.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna E***, Bäuerin in 6250 Kundl, Saulueg 1, vertreten durch Dr. Hugo Haslwanter, Rechtsanwalt in Telfs, wider die beklagten Parteien 1.) Josef W***, Bauer in Radfeld Nr. 88,

  1. 2.) I*** M*** reg. Genossenschaft mbH, 6300Wörgl,
  2. 3.) B*** Versicherungs-AG, 6020 Innsbruck, Boznerplatz 7, alle vertreten durch Herbert Hillebrand, Dr. Walter Heel, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen Rente (S 14.491,66 monatlich), Streitwert S 521.699,76, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 4. Februar 1988, GZ 2 R 310/87-28, womit das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 9. Juli 1987, GZ 6 Cg 582/84-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin die mit S 6.506,53 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 591,50) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 24. Jänner 1974 verschuldete der Erstbeklagte auf der Bundesstraße Nr. 1 im Gemeindegebiet von Radfeld als Lenker des LKWs T 175.462, dessen Halter die Zweitbeklagte und dessen Haftpflichtversicherer die Drittbeklagte waren, mit dem von Anton E*** gelenkten PKW T 145.102 einen Unfall, bei dem die Klägerin, die Beifahrerin im PKW war, schwer verletzt wurde. Die Klägerin erlitt dabei unter anderem einen Trümmerbruch der rechten Kniescheibe. Im Verfahren 6 Cg 794/74 des Landesgerichtes Innsbruck wurde die Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden der Klägerin aus dem Unfall festgestellt. Die Klägerin erhält von der Drittbeklagten zum Ausgleich für ihre unfallsbedingte Behinderung bei ihrer Arbeit eine monatliche Rente von S 800,--. Nunmehr begehrte die Klägerin von den Beklagten die Zahlung einer weiteren monatlichen Rente von S 14.491,66 ab 1. Dezember 1981. Die Beugefähigkeit des rechten Knies sei infolge der Unfallsverletzungen auf 35 Grad beschränkt. Dies bedinge eine Beeinträchtigung ihrer Geh- und Standfähigkeit. Sie könne nicht mehr im Haushalt arbeiten, nicht mehr landwirtschaftliche Maschinen bedienen oder dem Vieh nachlaufen. Die Klägerin lebe am Hofe ihres Mannes Anton E***, der Besitzer eines Bergbauernhofes sei. Die Klägerin sei Mutter von sieben Kindern im Alter zwischen 2 und 12 Jahren. Aufgrund ihrer Invalidität von 30 % könne sie die ihr zukommenden Arbeiten im Haushalt, bei der Kindererziehung und in der Landwirtschaft entweder überhaupt nicht oder nur mehr mit vermehrtem Einsatz oder unter Beschwerden durchführen. Die Klägerin habe daher einen Schaden erlitten, der den Kosten einer anzustellenden Ersatzkraft entspreche. Diese Kosten betrügen für Hausarbeit und Landwirtschaft zusammengefaßt S 183.500,-- pro Jahr, was einen monatlichen Rentenanspruch von S 14.491,66 ergebe.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens. Mit dem bisherigen Rentenbetrag von S 800,-- seien alle Ansprüche der Klägerin aus dem Unfall abgegolten. Die Klägerin habe in erster Linie Hausfrauenarbeiten zu verrichten, weil sie für sieben Kinder und den Ehemann sorgen müsse. Daher könne sie nur in geringem Umfang auch in der Landwirtschaft Hilfe leisten.

Das Erstgericht sprach der Klägerin ab 1. Dezember 1981 eine weitere monatliche Rente von S 3.200,-- zu und wies das Mehrbegehren ab.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht - von hier infolge eigener Feststellungen des Berufungsgerichtes nicht mehr relevanten Feststellungen ausgehend - die Auffassung, daß der Klägerin aufgrund ihrer Invalidität und der dadurch bedingten Beeinträchtigung bei ihren Haushalts- und landwirtschaftlichen Arbeiten ein Verdienstentgangsanspruch zustehe, der unter Anwendung des § 273 ZPO mit S 4.000,-- pro Monat zu bemessen sei. Nach Abzug der schon bisher gezahlten Rente von S 800,-- ergebe sich daher noch ein berechtiger Rentenanspruch von S 3.200,--.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen der Parteien nicht Folge. Es stellte nach Beweiswiederholung folgenden Sachverhalt fest:

Die am 21. Dezember 1944 geborene Klägerin ist mit Anton E*** verheiratet. Anton E*** ist der Eigentümer des Bergbauernhofes Saulueg 1, der der Bergbauernzone IV, einer Extremzone, zugeordnet wird. Aus der Ehe der Klägerin mit Anton E*** stammen 8 Kinder im Alter zwischen 1 1/2 und 15 Jahren. Fünf Kinder sind bereits schulpflichtig, davon besuchen zwei die Volksschule und kommen mittags nach Hause. Drei Kinder besuchen die Hauptschule und kommen an Schultagen meistens erst abends nach Hause.

Zum Hof gehört eine Grundfläche von 19,32 ha, davon 11,43 ha Wald. Den Produktionsverhältnissen entsprechend ist der Hof auf reine Viehhaltung abgestellt. Auf dem Hof werden 15 Stück Vieh, davon 7 Milchkühe gehalten. Im Jahresdurchschnitt beträgt die tägliche Milchleistung 20 bis 30 l. Diese Milch wird wegen der weiten Entfernung von der Milchsammelstelle am Hof selbst verwendet bzw. verarbeitet. Eine Melkmaschine ist nicht vorhanden. Beim landwirtschaftlichen Betrieb handelt es sich um einen reinen Vollerwerbsbetrieb mit hauptsächlicher Selbstversorgung ohne Zuerwerb und ohne Einsatz von Fremdarbeitskräften.

Der Betrieb zählt zu den ganz armen Bergbauernbetrieben. Auf dem Hof kann pro Jahr ein Roherlös von S 40.000,-- erwirtschaftet werden. Dieser Roherlös reicht gerade aus, die variablen Kosten wie Treibstoff, Strom, Düngemittel und dergleichen abzudecken. Der Lebensunterhalt der Familie wird überwiegend aus Sozialleistungen (Familienbeihilfen) bestritten.

Zu den Aufgaben und übertragenen Pflichten der Klägerin gehört die Besorgung des Haushalts und Versorgung der Familie sowie die Mithilfe in der Landwirtschaft. Die tägliche Arbeitsleistung der Klägerin beträgt ca. 14 Stunden. Davon entfallen ca. 8 Stunden auf den Haushalt und ca. 6 Stunden auf die Mithilfe in der Landwirtschaft. Bei den landwirtschaftlichen Arbeiten ist die Klägerin wegen der unfallsbedingten Behinderung nicht mehr in der Lage, ihrem Mann beim Melken der Milchkühe und beim Ausmisten des Stalles zu helfen. Diese Arbeiten verrichtet nunmehr Anton E*** allein. Teilweise helfen ihm dabei auch die Kinder. Die Klägerin kann wegen ihrer verletzungsbedingten Behinderung auch nicht mehr am Heustock arbeiten und ebenso nicht mehr den in einiger Entfernung von der Hofstelle gelegenen Futterstall betreuen. Die übrigen Arbeiten in der Landwirtschaft, insbesondere die Mithilfe bei der Feldarbeit (Heuen und Besorgen des Grünfutters) und die Bedienung der Seilwinde beim Mistaustragen, kann die Klägerin weiterhin verrichten, allerdings mit einem etwas größeren Zeitaufwand. Dieser größere Aufwand an Zeit und Mühe ist zwangsläufig auch bei einer Reihe von Arbeiten im Haushalt (z.B. Fensterputzen; Wäscheaufhängen und dgl.) verbunden. Die Kinder helfen, soweit sie sich nicht in der Schule befinden oder aufgrund ihres Alters dazu noch nicht in der Lage sind, in der Landwirtschaft mit. Diese Mitarbeit der Kinder würde auch ohne die verletzungsbedingte Behinderung der Klägerin erfolgen, weil die Kinder diese Arbeiten in der Landwirtschaft lernen müssen, und zwar auch für den Fall, daß der Bauer einmal ausfällt.

Es ist im übrigen allgemein bekannt, daß die Kinder auf Bergbauernhöfen bei den landwirtschaftlichen Arbeiten mithelfen müssen, weil anders die arbeitsintensive Bewirtschaftung solcher Höfe gar nicht möglich wäre.

Die Kosten des Stundensatzes eines Taglöhners in der Region betragen S 70,--. Von diesem Stundensatz wird auch in der Klage ausgegangen. Die Kosten einer stundenweise beschäftigten Haushaltshilfe in dieser Region betragen, wie gerichtsbekannt ist, ca. S 60,--.

Insgesamt ist davon auszugehen, daß für jene Arbeiten, die die Klägerin unfallsbedingt nicht mehr verrichten kann und die nunmehr von ihrem Mann bzw. den Kindern geleistet werden müssen, ein Mehraufwand von einer Stunde pro Tag anzunehmen ist. Der zeitliche Mehraufwand für die übrigen Arbeiten, die die Klägerin sowohl in der Landwirtschaft als auch im Haushalt nach wie vor verrichten kann, hiefür aber mehr Zeit und Mühe aufwenden muß, ist ebenfalls mit einer Stunde pro Tag anzusetzen.

Rechtlich war das Berufungsgericht der Auffassung, daß dem Schädiger unter Berücksichtigung der festgestellten Umstände des Falles die einen höheren Einsatz erfordernde Aufrechterhaltung des Betriebes der Landwirtschaft mit einer Stunde pro Tag (S 70,-- = S 2.100,-- pro Monat) anzurechnen sei und dieser auch die Abgeltung des höheren Aufwandes im Haushalt der Klägerin (S 60,-- pro Stunde = S 1.800,-- pro Monat) zu tragen habe. Unter Anwendung des § 273 ZPO gebühre der Klägerin ein Betrag von S 4.000,-- pro Monat, was unter Berücksichtigung der ihr bisher monatlich zukommenden S 800,-- einen weiteren Rentenzuspruch von S 3.200,-- pro Monat rechtfertige.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil aufzuheben oder dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde.

Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens rügen die Beklagten, daß die Vorinstanzen zu Unrecht von der Beiziehung eines weiteren Sachverständigen abgesehen hätten. Dieser Revisionsgrund liegt jedoch nicht vor. Die Ausführungen der Revision zielen einerseits darauf ab, dem Berufungsgericht vorzuwerfen, einen angeblichen erstgerichtlichen Verfahrensmangel nicht wahrgenommen zu haben, was aber nach ständiger Judikatur den Revisionsgrund nach § 503 Abs 1 Z 2 ZPO nicht zu verwirklichen vermag. Andererseits wenden sie sich gegen die Beweiswürdigung der Vorinstanzen, was im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten im Revisionsverfahren ebenfalls nicht zulässig ist. Im übrigen ist auf § 510 Abs 3 ZPO zu verweisen. In der Rechtsrüge stellen sich die Beklagten zunächst auf den Standpunkt, daß die Klägerin in Wirklichkeit eine abstrakte Rente geltend gemacht habe, welche ihr aber - da die Voraussetzungen hiezu nicht vorlägen - nicht hätte zuerkannt werden dürfen. Dem ist jedoch zu erwidern, daß die Klägerin in der Klage ganz konkret behauptete, infolge ihrer beim Unfall erlittenen Verletzungen nicht mehr in der Lage zu sein, gewisse Arbeiten wie vorher zu verrichten, weshalb sie - von dem Stundensatz von S 70,-- ausgehend - eine konkrete Berechnung ihrer geltend gemachten Rente anstellte. Daß sie den begehrten Betrag nach unten abrundete, kann ihr konkretes Begehren nicht in einen abstrakten Anspruch verwandeln. Davon abgesehen hat schon das Berufungsgericht ausgesprochen, daß es sich bei dem geltend gemachten Anspruch um ein konkretes Ersatzbegehren handelte, und die Rüge der Beklagten widerlegt, daß der Klägerin etwas anderes zugesprochen worden sei, als sie begehrt habe. Damit hat das Berufungsgericht das Vorliegen eines Verfahrensmangels des erstgerichtlichen Verfahrens verneint, weshalb die Beklagten darauf im Revisionsverfahren nicht mehr mit Erfolg zurückkommen können. Die Beklagten bekämpfen weiters die Höhe der der Klägerin zugesprochenen Rente. Hiebei argumentieren sie auf der Grundlage von Erwägungen, die durch keine Feststellungen des Berufungsgerichtes gedeckt sind. Geht man von den Feststellungen aus, daß die Verletzungen der Klägerin eine tägliche Hilfskraft von einer Stunde in der Familienversorgung und von einer Stunde zur Bewältigung der Landwirtschaft erfordern und legt man den weiteren Erwägungen die auf der Lebenserfahrung und dem Gutachten des Sachverständigen beruhenden Stundensätze für Aushilfskräfte zugrunde, so kann in der so ermittelten Höhe der Verdienstentgangs- und Hausfrauenrente kein Rechtsirrtum erblickt werden. Die zuletzt in der E. ZVR 1987/56 zusammengefaßt dargestellten Grundsätze treffen auf den vorliegenden Fall zu und wurden vom Berufungsgericht daher richtig seiner Entscheidung zugrundegelegt.

Im Gegensatz zur Ansicht der Beklagten ist die zuerkannte Rente nicht mit dem 65. Lebensjahr der Klägerin zu begrenzen. Die Regel, daß mit einer Fortsetzung der Berufstätigkeit über das 65. Lebensjahr hinaus nicht zu rechnen ist, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, die für eine gegenteilige Annahme sprechen, kann nicht auf die Frage der Beendigung der Berufstätigkeit eines selbständigen Landwirtes bzw. seiner im Landwirtschaftsbetrieb mitarbeitenden Ehegattin angewendet werden, weil die Stellung eines solchen Erwerbstätigen von jener eines unselbständig Tätigen in dieser Hinsicht wesentlich verschieden ist (ZVR 1961/288; 2 Ob 41/73; 2 Ob 167/78 ua).

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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