OGH 10ObS40/88

OGH10ObS40/8826.4.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Meches (AG) und Renate Csörgits (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Margarete N***, Pensionistin, 1200 Wien,

Engerthstraße 110/9/13, vertreten durch Dr. Rudolf Müller,

Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei

P*** DER A***, 1092 Wien, Roßauer

Lände 3, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Hilflosenzuschuß, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.September 1987, GZ 31 Rs 160/87-33, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 30.März 1987, GZ 11 a Cgs 133/86-29 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. das angefochtene Urteil und das Urteil des Erstgerichtes werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 7.12.1985 entschied die beklagte Partei, daß der Klägerin zu ihrer Invaliditätspension ab 26.8.1985 der Hilflosenzuschuß gebührt. Mit Bescheid vom 23.5.1986 setzte die beklagte Partei unter Berufung auf § 97 Abs 3 ASVG die Invaliditätspension der Klägerin ab 1.7.1986 um den auf den Hilflosenzuschuß entfallenden Betrag mit der Begründung herab, daß die im § 105 a Abs 1 ASVG für den Anspruch auf Hilflosenzuschuß festgelegten Voraussetzungen nicht mehr vorlägen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin ab 1.7.1986 den Hilflosenzuschuß im gesetzlichen Ausmaß weiterhin zu bezahlen, ab. Es stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die am 14.6.1915 geborene Klägerin erlitt am 26.6.1985 einen Bruch der linken Kniescheibe und am 28.6.1985 einen Bruch der linken Speiche. In der Folge wurde sie mit der Diagnose "Morbus Sudeck" in eine Krankenanstalt aufgenommen. Wegen der Unbeweglichkeit im Bereich des linken Kniegelenks gewährte ihr die beklagte Partei in der Zeit vom 26.8.1985 bis 31.6.1986 den Hilflosenzuschuß. Nach dem Isotopenbefund finden sich weder im Bereich des linken Handgelenks noch im Bereich des rechten Kniegelenks Anzeichen eines Morbus Sudeck.

Der Klägerin ist es möglich, allein aufzustehen, sich allein niederzulegen, aus- und anzuziehen, die Kleider und Schuhe zu reinigen, die kleine Leibwäsche durchzuführen, Essen zu sich zu nehmen, eine Mahlzeit zuzubereiten, die Toilette aufzusuchen und sich nachher zu reinigen, oberflächlich eine Wohnung in Ordnung zu halten und ein Ofenfeuer zu unterhalten, wobei sie alles durchführen kann, was mit der Feuerung des Ofens zu tun hat, das Heizmaterial aber beim Ofen haben muß. Sie kann ferner eine Aschenlade entleeren und das Heizmaterial, wenn es in einem Sack ist, in den Ofen leeren. Mit der gesunden Hand kann sie Heizmaterial heben und "auch die Bewegung durchführen". Sie bedarf jedoch für die schwierigen Tätigkeiten, wie das Heranbringen von Heizmaterial, Besorgen der Großwäsche, Großreinemachen und Fensterputzen sowie die Benützung eines Bades, fremder Hilfe und ist außerdem nicht imstande, die zur Befriedigung des täglichen Bedarfes notwendigen Lebensmittel selbst einzuholen, jedenfalls nicht bei Nässe und schneeglatter Fahrbahn. Rechtlich gelangte das Erstgericht aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhaltes zur Ansicht, daß die Klägerin nicht hilflos im Sinne des § 105 a ASVG sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge, wobei es im Sinne seiner ständigen Rechtsprechung als bis zum 31.12.1986 zuständiges Höchstgericht die Ansicht vertrat, daß ein Pensionist nur dann hilflos im Sinne des § 105 a ASVG sei, wenn er sowohl im Bereich der Wartung, also im persönlichen Lebensbereich, als auch im Bereich der Hilfe, also im sachlichen Lebensbereich, ständig auf den Beistand dritter Personen angewiesen sei. Bei der Klägerin sei dies aber nur im Bereich der Hilfe der Fall. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne des Klagebegehrens abzuändern.

Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes ist im Hinblick auf die in der Zwischenzeit vorhandene Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes überholt. Dieser vertrat darin (JBl 1988, 64; ZAS 1988, 53 ua) die Auffassung, Hilflosigkeit im Sinn des § 105 a ASVG liege dann vor, wenn der Rentner oder Pensionist nicht imstande sei, auch nur einzelne dauernd wiederkehrende, lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen. Aus der Höhe und dem Zweck des Hilflosenzuschusses ergäbe sich allerdings, daß ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur dann angenommen werden könne, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Leistungsbeziehers üblicherweise aufzuwendenden und daher nicht bis ins einzelne, sondern nur überschlagsmäßig (vgl. § 273 ZPO) festzustellenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch wie der begehrte Zuschuß seien.

Es kann derzeit dahingestellt bleiben, ob der Klägerin nach dieser Rechtsprechung der Hilflosenzuschuß gebührt. In erster Linie ist nämlich zu beachten, daß die Klägerin schon Anspruch auf Hilflosenzuschuß hatte. Die beklagte Partei faßte den der Klägerin gebührenden Hilflosenzuschuß als Teil ihrer Pension auf und setzte diese gemäß § 97 Abs 3 ASVG um den Betrag des Hilflosenzuschusses herab. In dieser Bestimmung ist nur die Wirksamkeit der Herabsetzung, genauer: des Herabsetzungsgrundes, geregelt, es findet sich darin aber keine Regelung darüber, unter welchen Voraussetzungen die Pension herabgesetzt werden darf. Sieht man von Sonderregelungen ab, wie sie etwa § 183 ASVG für die Neufeststellung der Versehrtenrente enthält, so ist auch die Herabsetzung einer Rente oder Pension nur unter den im § 99 ASVG für die Entziehung von Leistungsansprüchen festgelegten Voraussetzungen zulässig, weil die Herabsetzung einer (teilweisen) Entziehung gleichkommt (so schon 10 Ob S 101/87).

Hier ist also für die Zulässigkeit der von der Klägerin bekämpften Herabsetzung ihrer Pension § 99 Abs 1 ASVG maßgebend. Der Oberste Gerichtshof vertrat in der Entscheidung vom 20.10.1987, 10 ObS 89/87, die Auffassung, aus den im § 99 Abs 1 ASVG verwendeten Wörtern "nicht mehr" ergebe sich eindeutig, daß die Entziehung nur in Betracht kommt, wenn sich die Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung der Leistung geändert haben. Nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen komme nur eine wesentliche Änderung in Betracht. Dies gilt also auch für die Aberkennung des Hilflosenzuschusses, und zwar unabhängig davon, ob darin die Herabsetzung der Pension im Sinn des § 97 Abs 3 ASVG oder die Entziehung einer Leistung im Sinn des § 99 Abs 1 ASVG erblickt wird. Voraussetzung für die Aberkennung des Hilflosenzuschusses ist daher, daß sich der körperliche oder geistige Zustand des Rentners oder Pensionisten gegenüber demjenigen wesentlich gebessert hat, der zur Zeit der Zuerkennung des Hilflosenzuschusses bestand. Ohne Bedeutung ist es, ob dieser Zustand damals die Zuerkennung rechtfertigen konnte. War dies nicht der Fall, bietet weder § 97 noch § 99 ASVG eine Möglichkeit, die Wirkung der materiellen Rechtskraft der Entscheidung, mit dem der Hilflosenzuschuß gewährt wurde, zu brechen, um die Leistung abzuerkennen. Es genügt daher nicht, wenn sich herausstellt, daß die nach § 105 a ASVG für die Gewährung des Hilflosenzuschusses maßgebenden Voraussetzungen nunmehr nicht erfüllt sind. Erforderlich ist vielmehr, daß dies auf eine Änderung der Verhältnisse in dem dargestellten Sinn zurückzuführen ist (10 ObS 89/87). Zur Beurteilung der Frage, ob dies hier zutrifft, reichen aber die Feststellungen des Erstgerichtes nicht aus.

Aus den Feststellungen des Erstgerichtes ergibt sich, daß der Hilflosenzuschuß wegen der Unbeweglichkeit im Bereich des linken Kniegelenkes gewährt wurde. Zur Veränderung dieses Zustands heißt es nur, daß sich nach dem Isotopenbefund weder im Bereich des linken Handgelenkes noch im Bereich des rechten Kniegelenkes Anzeichen eines Morbus Sudeck fänden. Diese Ausführungen sind einerseits verfehlt, weil damit nur der Inhalt einer Befund- und damit Beweisaufnahme wiedergegeben wird, im Urteil aber das Ergebnis der Schlußfolgerungen, die das Gericht aus den aufgenommenen Beweisen zieht, festzuhalten ist (s. § 417 Abs 2 ZPO). Außerdem ist der wiedergegebene Satz auch deshalb völlig ungenügend, weil daraus weder das Ausmaß noch der Zeitpunkt der Änderung eindeutig zu entnehmen ist, zumal sich die Aussage auf das rechte Kniegelenk bezieht, während nach den vorhergehenden Feststellungen eine Unbeweglichkeit im Bereich des linken Kniegelenkes zur Gewährung des Hilflosenzuschusses führte.

Da somit für die Entscheidung wesentliche Tatsachen von den Vorinstanzen nicht festgestellt wurden, waren ihre Urteile aufzuheben und die Rechtssache war zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Dieses wird nach Aufnahme der erforderlichen Beweise vor allem Feststellungen darüber zu treffen haben, wie der körperliche und geistige Zustand der Klägerin zur Zeit der Zuerkennung des Hilflosenzuschusses war und welche lebensnotwendige Verrichtungen sie infolge dieses Zustands nicht selbst ausführen konnte. Gleichartige Feststellungen werden für die Zeit ab 1.7.1986 zu treffen sein. Aufgrund all dieser Feststellungen wird das Erstgericht sodann zu beurteilen haben, ob sich die Verhältnisse, die für die Zuerkennung des Hilflosenzuschusses maßgebend waren, wesentlich geändert haben und ob in diesem Fall unter den nunmehr bestehenden Verhältnissen nach der bezogenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ein Anspruch auf Hilflosenzuschuß nicht mehr besteht.

Der Ausspruch über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf § 2 Abs 1 ASGG iVm § 52 Abs 1 ZPO.

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