Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.829,70 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 257,20 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Chefbuchhalterin bei der I***
V*** in Wien. Ihr Vorgesetzter ist Vorstandsdirektor Dkfm. Karl F***, mit dem sie eng zusammenarbeitet. Die Klägerin leidet seit Jahren an Heuschnupfen. Wegen dieses Leidens wandte sie sich an ihren Hausarzt, der sie an einen Facharzt für HNO-Erkrankungen überwies. Eine Impfbehandlung brachte keine Besserung. Dkfm. F*** erkannte, daß die Arbeitsleistung der Klägerin durch diese Allergie eingeschränkt war und befürchtete, daß darunter auch das Unternehmen leide. Da die bisherige Behandlung der Klägerin keine Linderung ihrer Beschwerden brachte, legte ihr Dkfm. F*** als ihr Vorgesetzter nahe, einen Allergietest durchführen zu lassen. Irgendwelche Konsequenzen für den Fall der Unterlassung des Tests mußte Dkfm. F*** der Klägerin nicht androhen, weil diese selbst bereit war, den Test durchführen zu lassen. Die Klägerin begann 1984 im Allergielaboratorium der Wiener Gebietskrankenkasse in Wien 3., Rennweg 28 mit einer Testreihe, die 4 oder 5 Besuche im Ambulatorium erforderlich machte. Bei den einzelnen Tests wurde ihr gesagt, an welchem Tag und zu welcher Zeit sie wieder zu kommen habe. Eine Sanktion für den Fall der nicht ordnungsgemäßen Durchführung der Testreihe wurde ihr nicht angedroht.
Mit Zustimmung ihres Dienstgebers suchte sie in der Früh nicht unmittelbar von ihrer Wohnung aus den Arbeitsplatz auf, sondern begab sich zuerst in das Allergieambulatorium. Nach dem Test fuhr sie wieder zu ihrer Arbeitsstätte. Bevor die Klägerin das Ambulatorium aufsuchte, machte sie ihrem Vorgesetzten jeweils davon Mitteilung, daß sie später komme; nach ihrem Eintreffen meldete sie sich wieder im Betrieb. Auch am 1.April 1985 suchte sie das Allergieambulatorium auf. Nach Durchführung des Tests wollte sie sich wieder an ihre Arbeitsstätte begeben. Am Weg dorthin wurde sie im Bereich der Kreuzung Aspanggasse-Rennweg von einem PKW niedergestoßen und schwer verletzt. Die Klägerin war daraufhin bis zum 24.Juli 1985 im Krankenstand. Seit dieser Zeit ist ihre Erwerbsfähigkeit durch diesen Unfall um 20 vH gemindert. Die Klägerin begehrte die Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 40 vH der Vollrente. Der Unfall sei unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden; die bestehenden Unfallsfolgen rechtfertigten eine Rentenleistung in der begehrten Höhe.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage; die Voraussetzungen, die das Gesetz für die Qualifikation eines Unfalles als Arbeitsunfall normiere, lägen nicht vor.
Das Erstgericht gab im 2. Rechtsgang dem Begehren der Klägerin teilweise statt und verpflichtete die beklagte Partei zur Gewährung einer Rentenleistung von 20 vH der Vollrente ab 24.Juli 1985; eine Entscheidung über das darüber hinausgehende Begehren unterblieb unangefochten. Dazu führte das Erstgericht aus, daß die Klägerin das Allergielaboratorium über Anordnung ihres Dienstgebers aufgesucht habe. Dkfm. F***, der Vorgesetzte der Klägerin, habe ihr nahegelegt, sich dem Test zu unterziehen, weil durch die Allergie ihre Arbeitsleistung eingeschränkt gewesen sei. Wohl habe er dies der Klägerin in Form eines Rates erklärt, doch entspreche dies den Umständen eines guten Arbeitsklimas. Er habe dadurch, wenn auch in höflichen Worten, seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht, daß die Klägerin sich den Tests unterziehen möge. Dies sei als Anordnung im Sinn des § 175 Abs 2 Z 2 zweiter Satz ASVG zu qualifizieren, so daß die Voraussetzungen dieser Gesetzesstelle erfüllt seien. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Die Initiative zur Durchführung des Tests sei vom Dienstgeber der Klägerin ausgegangen. Dieser habe ihr nahegelegt, sich dem Test zu unterwerfen, weil er eine Schädigung des Unternehmens infolge der Allergiebeeinträchtigung der Klägerin befürchtet habe. Eine solche Befürchtung sei durchaus naheliegend. Die bei einer Heuschnupfenallergie notwendige Einnahme von Medikamenten führe bekanntermaßen zu Konzentrationsschwächen bzw. Störungen. Gerade bei einer Chefbuchhalterin wie der Klägerin könne aber ein geringer Konzentrationsfehler bereits großen Schaden anrichten. Die Allergietests, die in der Folge auch zu der erhofften Besserung des Leidens der Klägerin geführt hätten, seien daher vor allem im Interesse des Dienstgebers gelegen. Eine Anordnung des Dienstgebers müsse nicht im Befehlston gegeben werden und nicht mit der Androhung von Sanktionen für den Fall der Nichtbefolgung verbunden sein. Gerade bei einem guten Arbeitsklima sei es üblich und reiche es aus, daß der Dienstgeber seinen Willen mit höflichen Worten kundtue. Daß er diesen in die äußere Form von "Anregungen" oder "Wünschen" kleide, ändere nichts daran, daß es sich inhaltlich um eine Anordnung im Sinne des § 175 Abs 2 Z 2 zweiter Fall ASVG handle. Der Unfall, den die Klägerin am Weg vom Allergielaboratorium zu ihrem Arbeitsplatz erlitten habe, sei daher als Arbeitsunfall zu qualifizieren.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, es im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Durch § 175 Abs 2 Z 2 sind zwei verschiedene Arztwege geschützt. Fall 1 erfaßt den Schutz des Weges von der Arbeitsstätte zu einer ärztlichen Untersuchungsstelle zum Zweck der Inanspruchnahme jeder ärztlichen Hilfe (Zahnbehandlung) oder einer Gesundenuntersuchung sowie des Fortsetzungsweges zurück zur Arbeitsstätte oder zur Wohnung. Fall 2 schützt den Weg von der Arbeitsstätte oder der Wohnung zu einer ärztlichen Untersuchungsstelle und zurück zur Arbeitsstätte oder Wohnung, sofern es sich um eine gesetzlich gebotene bzw. um eine vom Träger der Sozialversicherung oder vom Dienstgeber angeordnete Untersuchung handelt, die anderen Zwecken als der Durchführung einer ärztlichen Behandlung dient. In der Stammfassung des ASVG (BGBl 1955/189) hatte § 175 Abs 2 Z 2 erster Satz folgenden Wortlaut: "Auf einem Weg von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte zu einer vor dem Verlassen dieser Stätte dort bekannt gegebenen ärztlichen Untersuchungsstelle (freiberuflich tätiger Arzt, Ambulatorium, Krankenhaus) zum Zweck der Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe und anschließend auf dem Weg zurück zur Arbeits-(Ausbildungs-)Stätte oder zur Wohnung". Die Judikatur verstand unter dem Ausdruck "ärztliche Hilfe" nur jene Teile der ärztlichen Tätigkeit, die der Beseitigung einer während der Betriebstätigkeit aufgetretenen Gesundheitsstörung diente. Der Weg zur Behebung einer anderen Erkrankung oder eines sonstigen Leidens, also der mit einer Heilbehandlung im Zusammenhang stehende Weg vom und zum Arzt wurde nicht in den Versicherungsschutz einbezogen. Durch die 29.ASVG-Novelle (BGBl 1973/31) wurde durch Bezugnahme auf § 135 erreicht, daß jeder Weg zur Inanspruchnahme einer ärztlichen Hilfe als Teil der Krankenbehandlung den Schutz der Unfallversicherung genießt. Durch die ausdrückliche Anführung der Zahnbehandlung (§ 153) sollte dies auch für Wege zur Inanspruchnahme einer zahnärztlichen Behandlung sichergestellt werden (404 BlgNR 13. GP 94). Durch die Einbeziehung der Gesundenuntersuchung in den Katalog des § 175 Abs 2 Z 2 ASVG durch die 32.ASVG-Novelle (BGBl 76/704) wurde der Anwendungsbereich dieser Bestimmung noch weiter ausgedehnt.
Die historische Entwicklung der Bestimmung des § 175 Abs 2 Z 2 erster Fall zeigt die Absicht des Gesetzgebers, mit der Arbeitstätigkeit zeitlich zusammenhängende Arztwege in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einzubeziehen, sofern der Arztbesuch zuvor dem Dienstgeber bekanntgegeben wurde. Wohl stellt der Wortlaut des ersten Satzes darauf ab, daß Arztwege nach dieser Bestimmung nur dann geschützt sind, wenn der Weg vom Betrieb aus angetreten wird. In diesem Fall besteht der Versicherungsschutz sowohl für den Weg zum Arzt als auch den folgenden Weg zurück zum Betrieb bzw. zur Wohnung. Auch Tomandl (System 3.ErgLfg 294) geht von einem in diesem Sinn eingeschränkten Inhalt der Bestimmung aus. Eine so enge Interpretation führt aber zu unhaltbaren Ergebnissen. So stünde ein Dienstnehmer, der am Morgen kurz zum Betrieb kommt, um seinen Arztbesuch bekanntzugeben und in der Folge den Arzt aufsucht, während des folgenden Weges zur ärztlichen Behandlung und zurück zum Betrieb unter Unfallversicherungsschutz, während der Dienstnehmer der am Tag vorher bekannt gibt, daß er sich am folgenden Morgen einer ärztlichen Untersuchung unterziehen wird, auf dem Weg zum Arzt und vom Arzt zum Betrieb, sofern er dabei von seinem direkten Arbeitsweg abweicht, nicht geschützt wäre. Insbesonders in Fällen, in denen bestimmte Untersuchungen nur in nüchternem Zustand durchgeführt werden können, ist das Aufsuchen der ärztlichen Untersuchungsstelle am Morgen erforderlich. Um des Schutzes der gesetzlichen Unfallversicherung teilhaftig zu werden, müßte dann ein Arbeitnehmer, auch wenn wegen des Arzttermines die Aufnahme der Arbeitstätigkeit gar nicht möglich ist, zuvor von seiner Wohnung aus den Betrieb aufsuchen, um von dort aus den Arztweg anzutreten, wobei er wegen des damit verbundenen längeren Weges in größerem Ausmaß den Gefahren des Weges ausgesetzt wäre. Bei Betrieben mit späterem Arbeitsbeginn wäre es in solchen Fällen überhaupt unmöglich, den Weg zur Untersuchung von der Arbeitsstätte aus anzutreten. Ein derartiges Ergebnis kann nicht in der Absicht des Gesetzgebers gelegen sein. § 175 Abs 2 Z 2 erster Satz ASVG kann daher nur dahin verstanden werden, daß der Versicherungsschutz jedenfalls auf dem Weg von der ärztlichen Untersuchungsstelle zum Betrieb auch dann besteht, wenn nach entsprechender vorheriger Bekanntgabe im Betrieb die ärztliche Untersuchungstelle am Morgen direkt von der Wohnung aus aufgesucht wird, ohne daß sich der Versicherte vorher zum Betrieb begibt.
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Unfall der Klägerin, die ein Ambulatorium und damit eine der in § 175 Abs 2 Z 2 erster Satz beispielsweise aufgezählten ärztlichen Untersuchungsstellen aufsuchte, stand daher schon aus diesem Grund unter Versicherungsschutz, so daß auf die Frage, ob eine Anordnung des Dienstgebers zur Durchführung der Allergieuntersuchung vorlag, nicht einzugehen ist.
Die Höhe der zuerkannten Leistung blieb unbekämpft. Der Revision mußte daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASVG; gemäß § 77 Abs 2 ASGG waren die Kosten ausgehend von einer Kostenbestimmungsgrundlage von 30.000 S zu bestimmen.
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