Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird verworfen. Der Berufung des Angeklagten wird dahin Folge gegeben, daß über ihn unter Anwendung des § 37 StGB eine Geldstrafe in der Höhe von 300 (dreihundert) Tagessätzen zu je 40 S (vierzig Schilling), für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 150 Tagen, verhängt wird.
Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des seine Berufung betreffenden (weiteren) Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 16.März 1958 geborene Gerd Peter L*** des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, am 1.September 1987 in Graz versucht zu haben, die Polizeibeamten Helmut C*** und Erich P*** mit Gewalt an einer Amtshandlung, nämlich seiner Eskortierung zum Polizeiwachzimmer, zu hindern, indem er dem erstgenannten Beamten nach ausgesprochener Festnahme eine Autotür gegen die rechte Körperseite stieß, mit der rechten Faust und dem rechten Ellenbogen gegen die Brust schlug und in weiterer Folge gegen beide Polizeibeamte Schläge führte (nach den Urteilsfeststellungen schlug der von den Beamten festgehaltene Angeklagte wild um sich und fügte Helmut C*** dabei Kratzwunden zu - US 3 verso unten und 5).
Von der weiters wider ihn erhobenen Anklage, er habe durch die Tathandlung den Polizeibeamten Helmut C*** wegen und während der Vollziehung seiner Aufgaben am Körper verletzt (indem er ihm je eine 1 cm große Hautabschürfung am Daumengrundgelenk und am Mittelgelenk der rechten Hand, eine pflaumengroße Schwellung zwischen Daumen und Zeigefinger sowie eine 2 cm große Hautabschürfung am linken Handgelenk zufügte), wurde der Angeklagte gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Dieses Urteil bekämpfen der Angeklagte mit (rechtzeitig angemeldeter, in der Folge aber nicht ausgeführter) Nichtigkeitsbeschwerde und mit Berufung sowie die Staatsanwaltschaft mit Nichtigkeitsbeschwerde. Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wurde vom Obersten Gerichtshof bereits mit dem in nichtöffentlicher Sitzung gefaßten Beschluß vom 1.März 1988, 11 Os 3/88-7, zurückgewiesen. Gegenstand des Gerichtstages waren daher noch die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Angeklagten.
Rechtliche Beurteilung
Allein gegen die (der erstgerichtlichen Auffassung zuwider im übrigen keinen gesonderten Freispruch erfordernde - vgl. Mayerhofer-Rieder2, EGr. 61 zu § 259 StPO) Nichtannahme eines eintätigen Zusammentreffens des Vergehens des (versuchten) Widerstandes gegen die Staatsgewalt mit dem Vergehen der schweren Körperverletzung nach den §§ 83, 84 Abs. 2 Z 4 StGB richtet sich die sachlich auf die Z 10 des § 281 Abs. 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
Die Beschwerdeargumentation, eine im Zuge des Widerstandes gegen die Staatsgewalt vorsätzlich unmittelbar gegen einen Beamten geübte körperliche Gewalttätigkeit erfülle regelmäßig alle Kriterien einer vorsätzlichen Mißhandlung am Körper (weshalb im Fall hiedurch fahrlässig bewirkter Körperverletzungen alle Merkmale des - unter den qualifizierenden Voraussetzungen des § 84 Abs. 2 Z 4 StGB verwirklichten - Grundtatbestandes nach dem § 83 Abs. 2 StGB erfüllt seien), hält allerdings einer Überprüfung nicht stand: Der Vorsatz, die Amtshandlung mit Gewalt zu verhindern, schließt keineswegs Verletzungs- oder auch nur Mißhandlungsvorsatz in sich (RZ 1979/65; 13 Os 9/81; ferner mwN Leukauf-Steininger, StGB2, RN 32 zu § 269). Selbst bei einem unmittelbar gegen den Beamten geführten Stoß oder Schlag ist das Vorhaben des Täters, den Angegriffenen hiedurch an einer Amtshandlung zu hindern, nicht zwangsläufig mit dem Vorsatz verbunden, dessen körperliches Wohlbefinden nicht ganz unerheblich zu beeinträchtigen, dem Beamten also irgendein körperliches Übel, seien es auch nur erhebliche körperliche Schmerzen, zuzufügen (SSt. 47/35). Umso weniger ist ein Mißhandlungsvorsatz aus einem "wilden" (ungezielten) Umsichschlagen des Täters, mag er damit auch die Vereitelung seiner Festnahme oder Abführung bzweckt haben, zwingend ableitbar (LSK 1976/280 zu § 84 Abs. 2 Z 4 StGB): Gerade in solchen Fällen, in welchen der Täter in erster Linie bestrebt ist, sich Freiraum für seine Flucht zu verschaffen, ist nicht auszuschließen, daß er im Vertrauen darauf handelt, die Beamten zum rechtzeitigen Zurückweichen aus dem Gefahrenbereich zu veranlassen. Die in der Beschwerde hervorgehobene Intensität der Gewaltanwendung ist in diesem Zusammenhang nicht von entscheidender Bedeutung (vgl. erneut RZ 1979/65 zum weitaus schwererwiegenden Fall der Gewaltanwendung durch Losfahren mit einem Kraftfahrzeug gegen einen Beamten).
Jenen Ausführungen des Erstgerichtes (US 5), denenzufolge dem Angeklagten ungeachtet der Herbeiführung der Verletzungen des Zeugen C*** im Zug des Widerstandes gegen die Staatsgewalt eine Verletzungs"absicht" oder (überhaupt) ein Vorsatz in Richtung des § 83 StGB (Verletzungs- oder Mißhandlungsvorsatz) nicht anzulasten ist, läßt sich daher keineswegs entnehmen, daß sie auf unrichtiger Rechtsauffassung - etwa auf Verkennung des Wesens des Mißhandlungsvorsatzes im Sinn des § 83 Abs. 1 StGB - beruhen. Die sachlich nicht begründete Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war darum zu verwerfen.
Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten Gerd Peter L*** nach dem § 269 Abs. 1, 1.Strafsatz, StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 5 (fünf) Monaten. Dabei wertete es die auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Vorstrafen als erschwerend, als mildernd hingegen den bloßen Versuch und das "wenngleich ohne erkenntliche offene Reue und ebenso ohne Mitwirkung an der Aufklärung des Sachverhaltes" abgelegte Geständnis. Der Angeklagte strebt mit seiner Berufung die Gewährung einer bedingten Strafnachsicht (§ 43 Abs. 1 StGB) im wesentlichen mit der Begründung an, daß ihn im Zusammenhang mit der Tathandlung infolge disziplinärer (Bundesheer) und verwaltungsstrafrechtlicher Ahndung kumulative Sanktionen träfen, er die Tat in alkoholisierungsbedingter Enthemmung begangen habe und in Anbetracht seiner zwischenzeitigen Verehelichung und der damit verbundenen Bemühung um eine gesicherte Existenzgrundlage durch einen unbedingten Strafausspruch besondere Nachteile erleide. Zudem sei er des (ihm allein zur Last liegenden) bloß versuchten und ausschließlich fluchtorientierten Widerstandes gegen die Staatsgewalt von Anfang an geständig gewesen und bisher durchwegs wegen Tathandlungen geringen Unrechts- und Schuldgehaltes verurteilt worden.
Vorweg ist zunächst festzuhalten, daß § 294 Abs. 2 StPO in der seit 1.März 1988 geltenden Fassung des Strafrechtsänderungesetzes 1987, BGBl. 1987/605 (Art. II Z 45 in Verbindung mit Art. XIX Abs. 1) in bezug auf das Anfechtungsbegehren bei Berufungen eine im Vergleich zur alten Rechtslage wesentliche Vereinfachung normiert. Darnach muß sich nämlich der Berufungswerber nunmehr - anders als nach dem § 294 Abs. 2 StPO aF - lediglich darüber erklären, ob er sich durch den Ausspruch über die Strafe oder durch den Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche beschwert erachtet, beziehungsweise im Fall des Ausspruchs von mehr als einer Strafe oder Unrechtsfolge auch darüber, gegen welche von ihnen sich die Berufung richtet. Damit im Einklang ist gemäß dem § 290 Abs. 1 StPO in der Fassung des Art. II Z 44 des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987 im Fall der Geltendmachung des im § 281 Abs. 1 Z 11 StPO nF angeführten Nichtigkeitsgrundes unabhängig von einer die dargelegten gesetzlichen Mindesterfordernisse übersteigenden Konkretisierung des Anfechtungsbegehrens so vorzugehen, als wäre auch Berufung ergriffen worden. Solcherart ist aber nunmehr (auch) jede gegen den Strafausspruch von Kollegialgerichten erhobene Berufung, so ihr ein den gesetzlichen Mindestkriterien genügendes Anfechtungsbegehren zugrunde liegt, im Sinn eines umfassenden Anfechtungswillens zu verstehen, der jedwede für den Angeklagten im Rahmen des jeweiligen Ermessensspielraums günstige Änderung des bekämpften Strafausspruchs einschließt. Damit kommen im Rahmen der Entscheidung über die Berufung - abgesehen vom Ausspruch einer (nicht bedingt nachgesehenen) Geldstrafe an Stelle einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, welcher gemäß dem § 295 Abs. 2, 2. Satz StPO nF einen bezüglichen Antrag oder die Zustimmung des Angeklagten voraussetzt - zugunsten des Angeklagten innerhalb der gesetzlichen Grenzen sämtliche, mithin auch solche Modifikationen des erstgerichtlichen Strafausspruchs in Betracht, welche vom Berufungsantrag nicht ausdrücklich umfaßt sind. Ausgehend von diesen geänderten prozessualen Rechtsgrundlagen war im konkreten Fall dem Umstand Rechnung zu tragen, daß der (ihrem Wortlaut nach allein auf die Gewährung der bedingten Nachsicht der verhängten Freiheitsstrafe gemäß dem § 43 Abs. 1 StGB ausgerichteten) Berufung des Angeklagten (schon vorlebensbedingt) zwar nicht in der beantragten, dafür aber in anderer Richtung Berechtigung zukommt. Obwohl die erstgerichtlichen Strafzumessungserwägungen zum Nachteil des Angeklagten um den Erschwerungsgrund der Verletzung eines der tatbetroffenen Polizeibeamten zu ergänzen sind, konnte sich der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Berufungsverfahrens davon überzeugen, daß hier die Voraussetzungen nach dem § 37 Abs. 1 StGB für die Verhängung einer Geldstrafe an Stelle der in erster Instanz ausgesprochenen Freiheitsstrafe gegeben sind. Mit der nach Begehung der urteilsgegenständlichen Tat durch Eheschließung vollzogenen Ordnung seiner familiären Situation und den vor dem Obersten Gerichtshof glaubhaft gemachten ernsthaften Initiativen zu entsprechender wirtschaftlicher Lebensfundierung (überbrückungsweise Übernahme eines Hausbesorgerpostens bei gleichzeitiger erwerbsdienlicher Fortbildung) läßt der Angeklagte gerade in jenen Persönlichkeitsbereichen positive Ansätze erkennen, in denen sich bisher eine ersichtlich oberflächliche Lebenseinstellung und unzureichende Selbstkontrolle in Konfliktsituationen als die (durchwegs minderschweren) Vortaten fördernde Faktoren auswirkten. So gesehen bedarf es aber weder um den Angeklagten von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten noch zur Hintanhaltung strafbarer Handlungen anderer der Verhängung einer Freiheitsstrafe. Bei der Bemessung der aus den dargelegten Erwägungen auszusprechenden Geldstrafe verlangte die erstgerichtliche Gewichtung der aktuellen Strafzumessungsgründe im Ergebnis keine wesentliche Korrektur. Der Ausspruch über die Höhe der Tagessätze ist daran orientiert, daß dem Angeklagten nach Maßgabe seines Einkommens als Hausbesorger und entsprechender familiärer Unterstützungen regelmäßige Einkünfte zur Verfügung stehen, die summiert das Existenzminimum doch übersteigen. Aus den dargelegten Erwägungen war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.
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