Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 3.397,35 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 308,85 S Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin begehrte die Scheidung ihrer mit dem Beklagten am 24. Oktober 1980 geschlossenen Ehe wegen schwerer Eheverfehlungen, nämlich Verletzung der Unterhaltspflicht, tätlicher Mißhandlung und unhygienischer Lebensweise.
Der Beklagte widersetzte sich dem Scheidungsbegehren nicht, beantragte aber die Feststellung des überwiegenden Verschuldens der Klägerin, die ihn lieblos behandelt habe, tätlich gegen ihn vorgegangen sei und zu viel Zeit außer Hauses verbracht habe. Das Erstgericht gab dem Scheidungsbegehren statt und sprach aus, daß die Klägerin mitschuldig sei.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil.
Die Vorinstanzen gingen im wesentlichen von folgenden
Tatsachenfeststellungen aus:
Die Ehe der Streitteile verlief von Anfang an nicht harmonisch. Sie hatten die Ehe ohne tiefere Zuneigung geschlossen. Die Klägerin sah in dem fast 20 Jahre älteren Beklagten eher eine Vaterfigur. Der Beklagte versuchte der Klägerin über einen guten Kontakt zu deren Kindern aus ihrer ersten Ehe näherzukommen. Da der Beklagte von Montag bis Freitag als Stauseewärter arbeitete und sich in einer Dienstwohnung aufhielt, die die Klägerin nur einmal wöchentlich zum Aufräumen aufsuchte, lebten die Streitteile nur am Wochenende zusammen.
Der Beklagte trank vor dem Heimkommen am Wochenende ein bis zwei Bier - ein größerer Alkoholkonsum ist nicht erwiesen - was dazu führte, daß ihm die Klägerin immer seine "Bierfahne" vorwarf. Infolge seiner Müdigkeit schlief der Beklagte vor dem Fernsehapparat ein, worüber sich die Klägerin aufregte. Die Klägerin warf dem Beklagten zu Unrecht vor, er vernachlässige die Körperpflege und Reinigung seines künstlichen Gebisses, was ebenfalls zu Streitigkeiten führte. Der Beklagte war gegenüber der Klägerin sehr besitzergreifend, sagte wiederholt, sie gehöre ihm allein, war auf alle Kontakte der Klägerin zu anderen Personen eifersüchtig und akzeptierte nicht, daß sie unter der Woche auch ohne ihn einmal ausging. Erheblichere Probleme ergaben sich daraus, daß der Beklagte mit der Klägerin wegen seiner Impotenz nie geschlechtlichen Verkehr hatte. Eine von ihm versuchte ärztliche Behandlung blieb erfolglos. Zwischen den Streitteilen herrschte eine lieblose kalte Athmosphäre. Die Interessen waren verschieden. Im Gegensatz zur Klägerin interessierte sich der sehr religiöse Beklagte nur für seine Arbeit, den Kameradschaftsbund und die Kirche. Mangels gemeinsamer Gesprächsthemen fand zwischen den Eheleuten keine wirkliche Kommunikation statt.
Im Zuge eines Streites aus nicht feststellbaren Gründen etwa vier Monate nach der Eheschließung riß die Klägerin dem Beklagten die Brille herunter und fügte ihm Kratzer im Gesicht zu. Am 14.April 1985 kam es zwischen den Streitteilen zu einem Wortwechsel, bei dem die Klägerin dem Beklagten Kratzwunden an beiden Wangen zufügte und der Beklagte die Klägerin so stark an den Haaren riß, daß sie Haare verlor. - Das Berufungsgericht ergänzte die Feststellungen zu diesem Vorfall dahin, daß die Klägerin dem Beklagten durch den Vorwurf provoziert hatte, er sei kein Mann, und ließ andererseits offen, ob der Beklagte die Klägerin bei diesem Vorfall nicht auch gewürgt habe.
Am folgenden Tag versuchte der Beklagte eine Aussöhnung, doch war die Klägerin dazu nicht bereit. Die Streitteile gingen eine Woche getrennt auf Urlaub und unternahmen noch einen Vergleichsversuch beim Bezirksgericht, der dazu führte, daß der Beklagte der Klägerin die vorläufige Trennung gestattete und sich zu einer Unterhaltsleistung an die Klägerin bereit erklärte. Bis Jänner 1986 zahlte er monatlich 6.500 S, nachher stellte er die Unterhaltszahlungen ein, weil er über dritte Personen das unbewiesene Gerücht gehört hatte, die Klägerin habe einen Freund. - Das Berufungsgericht ergänzte die Feststellungen des Erstgerichtes dahin, daß der Beklagte in der Folge zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 6.260 S verurteilt wurde, weil die Klägerin nach der Trennung nur 3.640 S Einkommen hatte, während der Beklagte 22.900 S monatlich verdiente. Bis zur Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft hatte der Beklagte für die Klägerin immer ausreichend gesorgt und ihr die Vollmacht zur Verfügung über sein Gehaltskonto erteilt. Als er aus Anlaß eines Arbeitsunfalles eine Abfindungssumme von 208.000 S erhielt, zahlte er 100.000 S auf das Sparbuch der Klägerin zu ihrer freien Verfügung ein. Schon ein Jahr nach der Eheschließung hatten sich die Streitteile so auseinandergelebt, daß sie überwiegend getrennt schliefen. Seit Mitte Mai 1985 fehlte es beiderseits an der Bereitschaft, die häusliche Gemeinschaft wieder aufzunehmen und die Ehe fortzusetzen.
Auf Grund dieses Sachverhaltes waren die beiden Vorinstanzen der Auffassung, daß beide Teile zur Zerrüttung der Ehe beigetragen hätten. Beide Teile hätten es nicht verstanden, für das Entstehen einer entsprechenden Gesprächsbasis zu sorgen, seien lieblos zueinander gewesen, hätten Tätlichkeiten gesetzt, sodaß kein erhebliches Überwiegen des Verschuldens eines Teiles erkennbar sei. Das Berufungsgericht wies vor allem darauf hin, daß die Tätlichkeiten des Beklagten beim Vorfall vom 14.April 1985 durch die wegen der Impotenz des Beklagten besonders kränkende Bemerkung der Klägerin provoziert worden seien. Die Unterhaltsverletzung seit Februar 1986 habe nur mehr geringfügig zur endgültigen Zerrüttung beigetragen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist nicht berechtigt.
Die Klägerin stellt in den Vordergrund ihrer Rechtsrüge, daß der Beklagte der Klägerin vor der Eheschließung verheimlicht habe, daß er impotent sei. Bei einem religiösen Menschen von der Art des Beklagten sei in einem Bundesland wie Vorarlberg nicht davon auszugehen, daß einer Frau dies schon vor der Ehe auffallen habe müssen. Der Beklagte habe seine Impotenz nicht beheben können. Seine in seiner Parteienaussage dargestellten Versuche durch Gebet etwas zu erreichen oder auf eine gewisse Initiative der Klägerin zu hoffen, seien untaugliche Mittel. Die Geltendmachung dieser Umstände verstoße nicht gegen das Neuerungsverbot, weil dies die eigentliche Ursache der Zerrüttung der Ehe gewesen sei.
Mit Recht hat das Berufungsgericht dem Beklagten seine Impotenz nicht als Eheverfehlung angerechnet. Zum einen hat die Klägerin das Verheimlichen der Impotenz und das Unterlassen geeigneter Versuche zur Behebung derselben nicht als Scheidungsgrund geltend gemacht, sodaß auf die diesbezügliche Neuerung nicht einzugehen war. Zum anderen läßt sich aber aus den vom Erstgericht getroffenen überschießenden Tatsachenfeststellungen nicht ableiten, daß dem Beklagten das Verschulden am Scheitern sexueller Kontakte allein angelastet werden könnte. Über religiöse Vorstellungen kann in diesem Zusammenhang nicht geurteilt werden. Das passive Hinnehmen der Impotenz durch den Beklagten mag falsch gewesen sein. Das Unterlassen einer liebevollen Zuwendung durch die Klägerin kann, wenn die Impotenz des Beklagten etwa nur psychisch bedingt gewesen sein sollte, aber durchaus von ebenso entscheidender Bedeutung gewesen sein. Im Zusammenhang mit den geschlechtlichen Problemen der Streitteile ergibt sich daher kein überwiegendes Verschulden eines Teiles.
Wenn die Klägerin auf die vom Beklagten ausgehende Ausdünstung verweist, entfernt sich die Revision in unzulässiger Weise von den getroffenen Feststellungen. Denn festgestellt ist, daß sich der Beklagte regelmäßig wusch. Urteilsfremd ist auch die Annahme der Revision, der Beklagte sei wegen seines Alkoholkonsums übermüdet gewesen, etwa weil er eben auch ein bis zwei Bier nicht vertrage. Mit Recht macht die Revision indessen geltend, daß sich der Beklagte der Klägerin gegenüber interesselos verhalten hat und sie mit grundloser Eifersucht verfolgte. Hierin liegt gewiß das Hauptverschulden des Beklagten. Diesem Verschulden steht aber ein ähnliches Verhalten der Klägerin gegenüber. Auch sie war zum Beklagten lieblos. Auch sie warf ihm zu Unrecht Alkoholmißbrauch und mangelnde Hygiene vor.
Der Ausspruch, daß die Schuld eines Ehegatten überwiegt, ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nur zulässig, wenn die Schuld des einen Ehegatten erheblich schwerer ist und das Verschulden des anderen Teils fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 48.832). Dabei ist vor allem das Gesamtverhalten der Ehegatten maßgebend (EFSlg 48.815), wobei aber vor allem zu berücksichtigen ist, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang machte (EFSlg 48.818).
In Anwendung dieser Grundsätze läßt sich kein offenkundiges und augenscheinlich hervortretendes Übergewicht des Verschuldens des Beklagten erkennen. Beide Eheleute haben es vielmehr von Anfang an am nötigen Einfühlungsvermögen, am Interesse für den anderen Teil und an einer anständigen Begegnung fehlen lassen. Die Entscheidung der Vorinstanzen ist daher frei von Rechtsirrtum.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 50 und 41 ZPO.
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