OGH 2Ob4/88 (2Ob5/88)

OGH2Ob4/88 (2Ob5/88)23.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1.) Johann P*** sen., Angestellter, 4810 Gmunden, Auwald, 2.) Gertrud S***, Pensionistin, 4812 Pinsdorf, Pinsdorfberg 25, 3.) mj. Ernst S***, geboren am 13.Juli 1976, Schüler, 4.) mj. Peter S***, geboren am 14.Oktober 1977, Schüler, 5.) mj. Wolfgang S***, geboren am 14.Juni 1979, Schüler, und 6.) mj. Regina S***, geboren am 29.Juni 1982, alle wohnhaft in

4812 Pinsdorf, Pinsdorfberg 25, alle vertreten durch die Zweitklägerin als deren eheliche Mutter, diese ebenso wie der Erstkläger vertreten durch Dr.Wilfried Mayer, Rechtsanwalt in Gmunden, wider die beklagten Parteien 1.) Gerhard H***, Kraftfahrer, 5280 Braunau, Laabstraße 28, 2.) Firma Michael H***, 4840 Vöcklabruck, Lötschstraße 10, und 3.) E*** A*** Unfall- und Schadensversicherungs AG, 4020 Linz, Zollamtstraße 1, alle vertreten durch Dr.Wolfgang Zahradnik, Rechtsanwalt in Lambach, wegen S 93.891,80 s.A. im Verfahren 5 Cg 444/83 des Kreisgerichtes Wels und S 68.069,02 s.A. sowie wegen Feststellung (Streitwert je S 50.000, insgesamt S 250.000), im Verfahren 5 Cg 449/83 des Kreisgerichtes Wels, infolge Revision und Rekurs der klagenden Parteien sowie Rekurs der beklagten Parteien gegen das Urteil und den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 7. Juli 1987, GZ 4 R 377, 378/86-40, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Wels vom 14. Juli 1986, GZ 5 Cg 444/83-31, teilweise bestätigt und teilweise augehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung

1. zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Erstkläger ist schuldig, dem Erstbeklagten S 4.591,43 (darin keine Barauslagen und S 417,40 Umsatzsteuer) an Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen; die zweit- bis sechstklagenden Parteien sind zu je einem Fünftel schuldig, dem Erstbeklagten S 13.774,30 (darin keine Barauslagen und S 1.252,21 Umsatzsteuer) an Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

2. den

B e s c h l u ß

gefaßt:

Keinem der Rekurse wird Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 31.Jänner 1983 ereignete sich gegen 15.45 Uhr auf der Salzkammergut-Bundesstraße B 145 im Gemeindegebiet von Altmünster bei Straßenkilometer 31,2 ein Verkehrsunfall, an welchem Gerhard W*** als Lenker eines nicht zum Verkehr zugelassenen PKWs Audi 100 sowie der Erstbeklagte als Lenker des Sattelzuges mit den polizeilichen Kennzeichen O-193.265 und O-293.520 beteiligt waren. Halter des Sattelzuges war im Unfallszeitpunkt die Zweitbeklagte, deren Haftpflichtversicherer die Drittbeklagte. Der Unfall wurde von Gerhard W***, dem Lenker des PKWs Audi 100 verschuldet. Er und seine Beifahrer, Johann P*** jun. und Ernst S***,

verunglückten dabei tödlich.

Der Erstkläger ist der Vater des tödlich verunglückten Johann P*** jun., bei den übrigen Klägern handelt es sich um die Witwe, bzw. Kjnder des tödlich verunglückten Ernst S***. Sie begehren von den beklagten Parteien Schadenersatz (die Hinterbliebenen des Ernst S*** überdies die Feststellung der Schadenersatzpflicht für künftigen Unterhaltsentgang) und begründen dies damit, daß der Erstbeklagte den Unfall durch die Einhaltung einer für die damaligen Fahrbahnverhältnisse überhöhten Geschwindigkeit mitverschuldet habe. Für die beiden übrigen Beklagten ergebe sich die Haftung überdies aus § 9 EKHG, weil sich nicht habe klären lassen, ob der Erstbeklagte verspätet auf die Gefahrensituation reagiert habe.

Der Erstkläger begehrt den Ersatz der von ihm getragenen Todfallskosten, die er mit insgesamt S 93.891,80 beziffert hat und die der Höhe nach nur insoweit bestritten sind, als die Beklagten die mit S 69.364 veranschlagten Kosten der Grabstätte als unangemessen hoch bezeichnen und als Auslagen für die Trauerkleidung nur S 2.500 statt S 3.208 zugestehen wollen.

Auch die Zweitklägerin begehrt den Ersatz der von ihr getragenen Todfallskosten, und zwar S 68.069,02, wovon nur noch die Auslagen für die Trauerkleidung der Höhe nach strittig sind (die Zweitklägerin begehrt S 3.747, die beklagten Parteien erachten lediglich S 3.000 als angemessen). Alle Hinterbliebenen des Ernst S*** behaupten dazu noch einen möglichen Unterhaltsentgang bei geänderten Verhältnissen, etwa einer Änderung der Sozialgesetzgebung. Sie haben daher die mit je S 50.000 bewertete Feststellung begehrt, daß ihnen die Beklagten für den Ersatz des Unterhaltsentgangs zu haften hätten, und zwar der Erstbeklagte sowie die Zweitbeklagte der Höhe nach unbeschränkt, die Drittbeklagte im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages.

Dagegen haben die Beklagten eingewendet, daß der Erstbeklagte den streitgegenständlichen Unfall nicht mitverschuldet habe und ihn auch bei Anwendung größter Sorgfalt nicht hätte verhindern können. Sie beantragten daher die kostenpflichtige Abweisung sämtlicher Klagebegehren.

Das Erstgericht wies alle Klagebegehren ab, wobei es von folgenden, für das Revisionsverfahren noch wesentlichen Feststellungen ausging:

Die B 145 verläuft in Fahrtrichtung Traunkirchen gesehen zuerst über mehrere hundert Meter geradlinig und geht etwa auf Höhe der Unfallstelle in eine Linkskrümmung über, die sich über rund 100 m hinzieht. Daran schließt sich ein etwa 200 m langes gerades Straßenstück an. Die Fahrbahn der geraden Straßenstücke verläuft waagrecht; im Kurvenbereich besteht ein geringfügiges Quergefälle zur Innenseite im Ausmaß von rund 2 %. Im Bereich der Unfallstelle ist die Fahrbahn innerhalb der Randlinien 7,20 m breit (bei einer Gesamtbreite des Asphaltbandes von 8,20 m) und durch eine Leitlinie geteilt. Sie wird in Fahrtrichtung Traunkirchen gesehen rechtsseitig durch ein Bankett begrenzt; es geht zunächst in einen Straßengraben, dann in ein ansteigendes Wiesengelände über. Auf der linken Seite wird das Asphaltband von einer Bordsteinkante begrenzt, dahinter folgt ein etwa 1,8 m breiter Gehsteig und schließlich abfallendes Gelände. Der beschriebene Straßenverlauf liegt im Freilandgebiet; Geschwindigkeitsbeschränkungen bestehen nicht. Sogar im Kurvenbereich besteht noch eine Sicht von mehr als 200 m. Zur Unfallszeit herrschende Tageslicht mit leichter Sichtbehinderung durch in Schneefall übergehenden Regen. Auf der Fahrbahn befand sich ca. 5 cm tiefer Schneematsch mit freien Spurrinnen. Das vom Erstbeklagten gelenkte Sattelfahrzeug war mit mehr als 22 Tonnen Mais beladen und hatte ein Gesamtgewicht von ca. 36 Tonnen. Es war mit Winterreifen ausgerüstet. Der Erstbeklagte fuhr aus Richtung Altmünster kommend in Richtung Traunkirchen. Er hatte Gegenverkehr und hielt sich ganz rechts. Seine Geschwindigkeit betrug 60 bis 65 km/h; das Abblendlicht hatte er eingeschaltet. Gerhard W*** fuhr mit seinem PKW aus Richtung Altmünster. Auch er hatte das Abblendlicht eingeschaltet; seine Geschwindigkeit betrug ca. 60 km/h. Der PKW war mit Sommerreifen ausgerüstet. Unmittelbar vor Gerhard W*** fuhr Monika H***, die ebenfalls eine Geschwindigkeit von ca. 60 km/h einhielt. Da an ihrem rechten Fahrbahnrand ein PKW Golf so abgestellt war, daß die linken Reifen ca. 30 cm in die Fahrbahn hineinragten, bremste Monika H*** ihr Fahrzeug leicht ab, schaltete auf den 2. Gang und fuhr - ohne die Mittellinie zu überragen - am Golf vorbei. Auch Gerhard W*** bremste sein Fahrzeug ab, kam jedoch ins Schleudern, geriet zuerst nach links, dann nach rechts, dann wieder nach links, holte in der Schleuderbewegung den PKW der Zeugin H*** ein und stieß schließlich mit einer Restgeschwindigkeit von ca. 45 km/h mit der linken Breitseite gegen das vom Erstbeklagten gelenkte Sattelkraftfahrzeug. Der Zusammenstoß erfolgte auf der (in Richtung Traunkirchen gesehen) rechten Fahrbahnhälfte.

Der Erstbeklagte hat sofort, als er das Schleudern des entgegenkommenden PKWs wahrnahm, mit einer Bremsung in technisch möglicher Intensität reagiert. Er hat dabei den LKW aus einer Geschwindigkeit von 64,5 km/h durch eine Bremsung mit einer Verzögerung von ca. 2,5 m/sec2 auf ungefähr 45 km/h im Kollisionszeitpunkt abgebremst. Die Bremsung erfolgte spurhaltend; das Sattelkraftfahrzeug geriet dabei nicht auf die linke Fahrbahnseite. Im Zeitpunkt der Kollision wurde allerdings beim Sattelkraftfahrzeug die Bremsanlage funktionsunfähig. Das Sattelkraftfahrzeug schob den PKW nach der Kollision noch ca. 45 m weit vor sich her und kam in der Auslaufbewegung nach links ab, so daß es sich in der Endlage über der Fahrbahnmitte befand. Der PKW des Gerhard W*** hatte im Kollisionszeitpunkt bereits eine Schrägstellung von ca. 45 (zur Fahrbahnlängsachse), so daß eine Rückschleuderbewegung nicht mehr zu erwarten war. Bei einer Bremsverzögerung von 2,5 m/sec2 wäre dem Erstbeklagten aus einer Geschwindigkeit von 64,5 km/h ein Anhalten auf einer Gesamtstrecke von 85 m möglich gewesen. Um die Restgeschwindigkeit des PKWs (ca. 45 km/h im Kollisionszeitpunkt) zu vernichten, wäre bei einer Bremsverzögerung von 2 m/sec2 eine zusätzliche Wegstrecke von etwa 39 m nötig gewesen. Der Erstbeklagte hat ca. 53 m vor der Anstoßstelle reagiert. Der schleudernde PKW hätte also davon noch 39 m beansprucht. Um vor dem heranschleudernden PKW zum Stillstand zu gelangen, hätte das Sattelkraftfahrzeug nur einen Anhalteweg von 14 m benötigen dürfen. Das entspräche einer Bremsverzögerung von 2,5 m/sec2 einer Ausgangsgeschwindigkeit von nur 24 km/h. Verwertet hat das Erstgericht überdies noch den Umstand, daß in § 58 Abs 1 lit. a) KDV (gestützt auf § 98 KFG) die zulässige Höchstgeschwindigkeit für Sattelkraftfahrzeuge mit 70 km/h festgelegt ist.

Das Erstgericht verneinte ein Verschulden des Erstbeklagten an dem Unfall, weil dieser weder zu schnell gefahren sei noch verspätet reagiert habe. Es komme auch eine Haftung der Zweit- und Drittbeklagten nach dem EKHG nicht in Betracht.

Infolge Berufung der Kläger bestätigte das Gericht zweiter Instanz mit Teilurteil die Abweisung des Klagebegehrens gegenüber dem Erstbeklagten durch das Erstgericht; im übrigen wurde das Urteil des Erstgerichtes unter Beisetzung eines Rechtskraftvorbehaltes aufgehoben; das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Bestätigung betroffene Wert des Streitgegenstandes im Verfahren 5 Cg 449/83 des Kreisgerichtes Wels hinsichtlich jedes einzelnen Klägers S 60.000, nicht jedoch S 300.000 übersteigt und sowohl im Verfahren 5 Cg 449/83 des Kreisgerichtes Wels auch im Verfahren 5 Cg 444/83 des Kreisgerichtes Wels gegen den bestätigenden Teil der Entscheidung die Revision zulässig sei, der von der Aufhebung betroffene Wert des Streitgegenstandes im Verfahren 5 Cg 449/83 des Kreisgerichtes Wels hinsichtlich jedes einzelnen Klägers S 15.000, nicht jedoch S 300.000 übersteigt. Das Berufungsgericht erachtete hinsichtlich der Frage des Verschuldens des Erstbeklagten die erstgerichtlichen Feststellungen als unbedenklich und billigte auch die diesbezügliche rechtliche Beurteilung der ersten Instanz. Ein Verstoß gegen § 20 Abs 1 StVO könne dem Erstbeklagten nicht angelastet werden. Auch wenn er die für Sattelkraftfahrzeuge zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h (§ 58 Abs 1 lit. a) KDV) nahezu ausgeschöpft habe, sei er damit für die konkreten Straßen- und Sichtverhältnisse nicht zu schnell gefahren, wenn man einen gewÄhnlichen Sorgfaltsmaßstab anlege. Die Tatsache, daß die Unfallstelle im Bereich einer leichten Linkskrümmung der Salzkammergut-Bundesstraße liege, wo noch dazu ein geringfügiges Quergefälle von etwa 2 % zur Kurveninnenseite bestehe, falle kaum ins Gewicht, weil sie die Stabilität und Lenksicherheit des Sattelschleppers nicht beeinträchtigte. Ähnliches sei zu den Sichtverhältnissen zu sagen. Auch wenn eine leichte Sichtbehinderung durch in Schneefall übergehenden Regen bestanden habe, könne dem Erstbeklagten nicht vorgeworfen werden, das Gebot des Fahrens auf Sicht mißachtet zu haben. Immerhin herrschte Tageslicht, und auch die örtlichen Verhältnisse seien so gewesen, daß von einem völlig übersichtlichen Straßenstück gesprochen werden könne. Da die objektive Sicht im Unfallbereich rund 200 m betrage und der Erstbeklagte bei der Geschwindigkeit von 64,5 km/h einen Anhalteweg von 85 m einzukalkulieren hatte, sei er selbst bei Berücksichtigung einer leichten Sichtbehinderung durch den Schneeregen annähernd sogar auf halbe Sicht gefahren. Bei diesen Erwägungen (sie gehen von der tatsächlich erreichten Bremsverzögerung von 2,5 m/sec2 aus) sei bereits berücksichtigt worden, daß die Fahrbahn zur Unfallszeit mit ca. 5 cm Schneematsch bedeckt war. Die konkrete Fahrbahnbeschaffenheit lasse sich also nicht als zusätzliches Argument für einen Verstoß des Erstbeklagten gegen § 20 Abs 1 StVO verwenden. Es sei auch nicht anzunehmen, daß ein 36 t schweres, mit Winterreifen ausgerüstetes Fahrzeug durch 5 cm tiefen Schneematsch außerhalb der freien Spurrinnen in seiner Verkehrstauglichkeit beeinträchtigt sei. Erneut sei also die vom Erstbeklagten eingehaltene Geschwindigkeit allein daran zu messen, ob er auf Sicht gefahren sei. Da er dies tat, liege ihm keine Verletzung des § 20 Abs 1 StVO zur Last. Auch die im § 58 Abs 1 lit. a) KDV festgelegte Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h habe er unterschritten, weshalb eine Schutznormverletzung als Haftungsgrund ausscheide. Schon daraus sei die Konsequenz zu ziehen, daß die Klagebegehren gegen den Erstbeklagten unbegründet seien. Bezüglich der Zweit- und Drittbeklagten könne deren Haftung zwar nicht auf das Vorliegen einer außergewÄhnlichen Betriebsgefahr gestützt werden, jedoch sei die Berufung insofern berechtigt, als den Beklagten der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG (noch) nicht gelungen sei. Nach dieser Gesetzesbestimmung sei für die Annahme eines die Ersatzpflicht nach § 9 Abs 1 EKHG ausschließenden unabwendbaren Ereignisses unter anderem vorausgesetzt, daß der Lenker jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet habe. Diese Bestimmung werde von der ständigen Judikatur dahin ausgelegt, daß das Unfallgeschehen auch bei Anwendung der äußersten, nach den Umständen möglichen Sorgfalt nicht zu vermeiden war. Diese erhöhte Sorgfaltspflicht gehe über die bloße Verpflichtung zur Beachtung der Verkehrsvorschriften (etwa des § 20 StVO) hinaus und sei schon vor dem Einsetzen einer Gefahrensituation wahrzunehmen. Es komme darauf an, daß der Unfall auch für einen besonders sorgfältigen Kraftfahrer bei der gegebenen Sachlage unvermeidbar erschienen sei. Diesem strengen Sorgfaltsmaßstab sei der Erstbeklagte nicht gerecht geworden, als er bei nicht idealen Straßen- und Sichtverhältnissen eine Geschwindigkeit wählte, die nicht weit von der absolut zulässigen Höchstgeschwindigkeit entfernt war. Daß sich besonders verantwortungsvolle und aufmerksame Kraftfahrer in der konkreten Situation anders verhalten hätten, zeige sich daran, daß etwa Monika H***, die sich im Gegenverkehr der Unfallstelle näherte, eine Geschwindigkeit von 60 km/h eingehalten habe, obwohl sie einen vergleichsweise leicht zu beherrschenden PKW fuhr und auch nicht an die für das Beklagtenfahrzeug geltende Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h gebunden gewesen sei. Es sei nach der Sachlage auch wahrscheinlich, zumindest aber nicht auszuschließen, daß der Erstbeklagte den am Rand der Gegenfahrbahn abgestellten PKW erkennen konnte, der den Gegenverkehr zu einer Geschwindigkeitsverminderung und Auslenkung gezwungen habe. Dadurch sei eine gewisse Gefahrensituation indiziert gewesen, auf die ein besonders verantwortungsvoller KFZ-Lenker sofort (etwa mit einer Geschwindigkeitsverminderung) reagiert hätte. Der Erstbeklagte habe sich jedoch mit einer Geschwindigkeit von 64,5 km/h der Unfallstelle genähert. Dies bei Schneematsch, der die Bremswirkung beeinträchtigte, und mit einem 36 t schweren Fahrzeug. Die Einhaltung größtmöglicher Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG könne ihm unter diesen Umständen nicht mehr zugebilligt werden. Darauf hätten die Kläger schon im erstinstanzlichen Verfahren hingewiesen, weil sie dem Erstbeklagten - wenn auch unter dem Gesichtspunkt der Verschuldenshaftung - die Einhaltung einer zu hohen Geschwindigkeit vorgeworfen hätten. Richtig bemerkten die Kläger schließlich, daß unaufgeklärte Umstände über die Unfallursachen zu Lasten des Kraftfahrzeughalters gingen. Das gelte auch für die Abwendbarkeit des Unfallerfolges durch die Einhaltung größtmöglicher Sorgfalt. Dennoch sei die Sache noch nicht entscheidungsreif. Abgesehen davon, daß Feststellungen über die Höhe einzelner Klagsforderungen fehlten, sei noch nicht abschließend geklärt, ob überhaupt ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Nichtbeachtung der dem Erstbeklagten auferlegten besonderen Sorgfaltspflicht und dem Unfall vorliege. Würde der Unfall selbst dann eingetreten sein, wenn der Erstbeklagte mit größtmöglicher Sorgfalt gehandelt hätte, dann müsse auch eine Verletzung dieser Sorgfaltspflicht außer Betracht bleiben. Die Frage, ob der Unfall jedenfalls eingetreten wäre, und zwar mit denselben Folgen, sei daher ein für die Entscheidung wesentliches Beweisthema. Wie bereits erwähnt, hätte ein besonders sorgfältiger Lenker die Geschwindigkeit des Sattelschleppers bei Annäherung an die Unfallstelle erheblich reduziert. Nach Meinung des Berufungsgerichtes wäre - im Vergleich zu der von den PKW-Lenkern eingehaltenen Geschwindigkeit - eine Geschwindigkeitsreduktion auf etwa 50 km/h angezeigt gewesen. Dazu hätten die Beklagten in der mündlichen Streitverhandlung am 18. November 1985 vorgebracht, daß die PKW-Insassen auch dann getötet worden wären, wenn der Anprall mit einer Summengeschwindigkeit von etwa 50 km/h erfolgt wäre. Dies entspräche nach den bereits vorliegenden Beweisergebnissen einer nur mehr geringen Restgeschwindigkeit des Sattelschleppers. Zu klären bliebe demnach durch den KFZ-Sachverständigen (allenfalls im Zusammenwirken mit dem gleichfalls beantragten gerichtsmedizinischen Sachverständigen), welche Anstoßwucht bei einer Ausgangsgeschwindigkeit des Sattelschleppers von annähernd 50 km/h erreicht worden wäre und ob dadurch die Unfallfolgen wesentlich verringert hätten werden können, die Beifahrer des Gerhard W*** also am Leben geblieben wären; Zweifel hierüber gingen allerdings - wie oben erwähnt - zu Lasten der Zweit- und Drittbeklagten. Das bedinge eine Aufhebung des angefochtenen Urteils in Ansehung der Zweit- und Drittbeklagten und eine Verfahrensergänzung durch das Erstgericht. Die noch fehlenden Entscheidungsgrundlagen seien bereits erwähnt worden: Es gehe um die Kausalität der dem Erstbeklagten vorgeworfenen Pflichtwidrigkeit und um die Höhe der Klagsansprüche, allenfalls noch um die Erörterung des Feststellungsinteresses der Kläger im Verfahren 5 Cg 449/83 des Kreisgerichtes Wels. Sollte dem Klagebegehren stattzugeben sein, weil es den Beklagten nicht gelinge, die mangelnde Kausalität der Sorgfaltspflichtverletzung des Erstbeklagten für die Unfallsfolgen nachzuweisen, werde dem Leistungsbegehren der Kläger (nach Maßgabe der noch ausstehenden Beweise über die Höhe einzelner Ansprüche) stattzugeben sein. Bei der Entscheidung über die Feststellungsbegehren werde sich jedenfalls die Verneinung der Verschuldenshaftung so auswirken müssen, daß die Haftungshöchstgrenze für die Zweitbeklagte nach dem EKHG anzuwenden sei. Auf jeden Fall scheine eine Verfahrensergänzung durch das Erstgericht geboten, weil wesentliche Beweisthemen (etwa zur Höhe der Klagsansprüche) noch gar nicht erörtert worden seien. Gegen das Teilurteil des Berufungsgerichtes wendet sich die Revision der Kläger aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, daß mit Zwischenurteil das Zurechtbestehen der Leistungsbegehren des Erstklägers und der Zweitklägerin gegenüber dem Erstbeklagten dem Grunde nach festgestellt und dem Feststellungsbegehren der Zweit- bis Sechstkläger stattgegeben werde.

In ihrer Revisionsbeantwortung beantragen die Beklagten, der Revision nicht Folge zu geben.

Den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes bekämpfen die Kläger und die Beklagten aus dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung; während die Kläger beantragen, in der Sache selbst durch Zwischenurteil zu erkennen, daß die Leistungsbegehren des Erstklägers und der Zweitklägerin gegenüber der Zweit- und Drittbeklagten dem Grunde nach zu Recht bestehen sowie mit Teilurteil den Feststellungsbegehren der Zweit- bis Sechstkläger gegenüber der Zweit- und Drittbeklagten stattzugeben, streben die Beklagten die Aufhebung des Beschlusses der zweiten Instanz und die Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes an; hilfsweise wolle dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der Kläger aufgetragen werden.

Rechtliche Beurteilung

In ihren Rekursbeantwortungen beantragen die Kläger und die Beklagten, dem Rekurs der Gegenseite nicht Folge zu geben. Die Rechtsmittel sind zulässig (§ 502 Abs 4 Z 1 ZPO), jedoch nicht berechtigt.

1.) Zur Revision:

Die Kläger führen aus, der Erstbeklagte habe gegen die Schutznormen des § 20 Abs 1 StVO und des § 58 Abs 1 lit. a) KDV verstoßen, weil er eine Geschwindigkeit von ca. bis 65 km/h eingehalten und aus einer Geschwindigkeit von 64,5 km/h die Bremsung eingeleitet habe. Angesichts der ungünstigen Sicht- und Witterungsverhältnisse hätte er mit seinem überschweren Sattelkraftfahrzeug nur eine Geschwindigkeit von maximal 45 km/h einhalten dürfen. Bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 45 km/h hätte der Erstbeklagte auch vor der späteren Unfallstelle noch anhalten können. Der schleudernde PKW wäre daher nur mehr gegen das bereits angehaltene Sattelkraftfahrzeug gestoßen, wodurch sich das Unfallsrisiko (Verletzungsrisiko) zumindest erheblich vermindert hätte. Der Verstoß des Erstbeklagten gegen § 20 StVO bedeute jedoch, daß er den Klägern voll haftbar sei. Der Erstbeklagte hätte sich von seiner Haftung nur durch den Beweis befreien können, daß der Schaden auch eingetreten wäre, wenn er sich vorschriftsmäßig verhalten hätte. Diesen Beweis habe der Erstbeklagte nicht erbracht. Richtigerweise hätte daher das Berufungsgericht mit Zwischenurteil feststellen müssen, daß die Leistungsbegehren der Kläger dem Grunde nach zu Recht bestehen, und den Feststellungsbegehren mit Teilurteil stattgeben müssen.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Gemäß § 20 Abs 1 StVO hat der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen oder durch Straßenverkehrszeichen angekündigten Umständen, insbesondere den Straßen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen sowie den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen.

Dem Berufungsgericht ist beizupflichten, daß der Erstbeklagte bei Anlegung eines gewÄhnlichen Sorgfaltsmaßstabes trotz der leichten Sichtbehinderung durch in Schneefall übergehenden Regen für die gegebenen Straßenund Sichtverhältnisse keine zu hohe Geschwindigkeit eingehalten hat. Vielmehr ist er unter Berücksichtigung der objektiven Sicht im Unfallsbereich von ca. 200 m und der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit von 64,5 km/h, die bei Zugrundelegung der tatsächlich erreichten Bremsverzögerung von 2,5 m/sec2 einem Anhalteweg von etwa 85 m entspricht, jedenfalls auf Sicht gefahren. Er hat auch die gemäß § 58 Abs 1 lit. a) KDV für Sattelkraftfahrzeuge zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h unterschritten und unverzüglich nach Wahrnehmung des von Gerhard W*** gelenkten schleudernd entgegenkommenden PKWs mit einer Bremsung in technisch möglicher Intensität reagiert. In der Auffassung, daß ihm weder ein Verstoß gegen die Schutznorm des § 20 Abs 1 StVO, noch gegen jene des § 58 Abs 1 lit. a) KDV vorgeworfen werden kann und ihm daher kein Verschulden an dem Unfall anzulasten ist, kann somit entgegen der Ansicht der Revision keine unrichtige rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes erblickt werden.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 46 Abs 1, 392 Abs 1 und 50 ZPO.

2.) Zu den Rekursen:

Die Kläger führen in ihrem Rechtsmittel aus, das Berufungsgericht sei mit Recht davon ausgegangen, daß den Beklagten der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen sei. Nach Ansicht der Beklagten sei aber selbst eine Ausgangsgeschwindigkeit des Sattelkraftfahrzeuges von 50 km/h bei den gegebenen Verhältnissen als überhöht anzusehen. Der Erstbeklagte hätte vielmehr eine Geschwindigkeit von höchstens 45 km/h einhalten dürfen, bei welcher er noch vor der späteren Unfallstelle anhalten hätte können; dadurch hätte sich das Unfallrisiko erheblich vermindert. Das Leistungsbegehren der Kläger bestehe daher gegenüber der Zweit- und Drittbeklagten dem Grunde nach zu Recht; ebenso sei das Feststellungsbegehren berechtigt.

Die Beklagten vertreten in ihrem Rechtsmittel die Auffassung, bei Prüfung der Frage, ob die gebotene Sorgfalt im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG beobachtet wurde, sei nicht rückwirkend zu beurteilen, ob der Unfall bei einem anderen Verhalten vermieden worden wäre, vielmehr sei von der Sachlage vor dem Unfall auszugehen oder auf dieser Grundlage zu beurteilen, ob der Fahrzeuglenker in dieser Lage die äußerste, nach den Umständen zumutbare Verkehrssorgfalt beobachtet habe. Unter diesen Gesichtspunkten sei aber den Beklagten der Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG gelungen und die Zweit- und Drittbeklagte könnten gegenüber dem Kläger auch zu keiner Haftung nach dem EKHG herangezogen werden.

Diesen Ausführungen ist zu entgegnen, daß gemäß § 9 Abs 1 EKHG die Ersatzpflicht des Halters ausgeschlossen ist, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Die Unabwendbarkeit eines Ereignisses iS des § 9 Abs 2 EKHG setzt voraus, daß der Halter und die mit seinem Willen beim Betrieb des Fahrzeuges tätige Person jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben. Die Sorgfaltspflicht iS dieser Gesetzesstelle umfaßt nicht die gewÄhnliche Verkehrssorgfalt, sondern die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt. Als Maßstab ist die Sorgfalt eines besonders umsichtigen und sachkundigen Kraftfahrers heranzuziehen. Die erhöhte Sorgfaltspflicht iS dieser Gesetzesstelle geht über die bloße Verpflichtung zur Beachtung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen hinaus. Sie setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, daß auch schon vorher vermieden wird, in eine Situation zu kommen, aus der eine Gefahr entstehen kann. Allerdings darf diese Sorgfaltspflicht auch nicht überspannt werden, soll eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erfolgshaftung vermieden werden. (ZVR 1987/22, ZVR 1985/51 ua). Werden diese Grundsätze auf den im vorliegenden Fall festgestellten Sachverhalt angewendet, ist dem Berufungsgericht beizupflichten, daß der Erstbeklagte, der unter den gegebenen Straßen- und Sichtverhältnissen bei Annäherung an die Unfallstelle eine nicht wesentlich unter der absolut zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h liegende Fahrgeschwindigkeit einhielt, nicht die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorfalt beobachtet hat. Dennoch kann, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, die Frage der Haftung der Zweit- und Drittbeklagten noch nicht abschließend beurteilt werden. Denn selbst bei Nichtbeachtung der nach § 9 EKHG geforderten äußersten Sorgfaltspflicht durch den Fahrzeuglenker muß für den Eintritt der Haftung des Halters ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Nichtbeachtung der Sorgfaltspflicht und dem Unfall gegeben sein. Würde daher der Unfall selbst bei Beachtung der äußersten Sorgfaltspflicht durch den Lenker in gleicher Weise und mit denselben Folgen erfolgt sein, kann auch die Verletzung dieser Sorgfaltspflicht nicht zu einer Haftung des Halters führen (vgl. E.Nr. 72 und 73 zu § 9 EKHG in der MGA4). Dem Berufungsgericht ist auch beizupflichten, daß unter den gegebenen Straßen- und Witterungsverhältnissen die Einhaltung einer Fahrgeschwindigkeit von etwa 50 km/h durch den Lenker des Sattelkraftfahrzeuges dem strengen Sorgfaltsmaßstab des § 9 EKHG entsprochen hätte. Nachdem die Beklagten im Verfahren erster Instanz jedoch vorbrachten, die PKW-Insassen wären auch dann getötet worden, wenn der Anprall mit einer Summengeschwindigkeit von etwa 50 km/h erfolgt wäre, bedarf es, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, zur Beurteilung der Kausalität der dem Erstbeklagten anzulastenden Sorgfaltsverletzung für den Schaden der Kläger der Klärung der Frage, welche Anstoßwucht bei einer Ausgangsgeschwindigkeit des Sattelschleppers von annähernd 50 km/h erreicht worden wäre und ob dadurch die Unfallfolgen wesentlich verringert hätten werden können, die Beifahrer des Gerhard W*** also am Leben geblieben wären; Zweifel hinsichtlich der Abwendbarkeit des Unfalles und dessen Folgen gehen allerdings im Rahmen des § 9 EKHG zu Lasten des Halters, wie dieser überhaupt Unklarheiten darüber, ob ein gemäß § 9 EKHG zu berücksichtigender Umstand für die Entstehung des Unfalles ursächlich war, zu vertreten hat (ZVR 1987, 25, ZVR 1978/304 ua).

Da das Berufungsgericht somit, ausgehend von einer zutreffenden Rechtsauffassung, eine Ergänzung der Sachverhaltsgrundlage für erforderlich erachtete, kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, den in dieser Richtung dem Erstgericht erteilten Aufträgen nicht entgegentreten.

Beiden Rekursen war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.

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