OGH 10ObS158/87

OGH10ObS158/8722.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Zörner und Kurt Wuchterl in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Laura H***, Angestellte, 1110 Wien, Bleriotgasse 27/15/9, vertreten durch Dr. Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, 1021 Wien, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Witwenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. Juli 1987, GZ 32 Rs 114/87-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 20. Jänner 1987, GZ 17 a Cgs 225/86-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der frühere Ehegatte der Klägerin, der von der beklagten Partei eine Berufsunfähigkeitspension bezog, verstarb am 9. Mai 1986. Die mit ihm geschlossene Ehe war am 2. August 1984 aus seinem alleinigen Verschulden geschieden worden. Eine Vereinbarung über den Unterhalt für die Zeit nach der Scheidung wurde nicht getroffen; ein gerichtliches Urteil über Unterhaltsleistungen des Versicherten an die Klägerin erging nicht, ein Vergleich hierüber wurde nicht geschlossen. Die Klägerin erhielt von ihrem geschiedenen Ehegatten keine Unterhaltsleistungen. Sie bestand wegen offensichtlicher Aussichtslosigkeit (der Eintreibung) weder auf einem Unterhaltsvergleich noch erhob sie eine Unterhaltsklage. Das Erstgericht wies das auf Gewährung der Witwenpension gerichtete Klagebegehren im wesentlichen mit der Begründung ab, daß die Klägerin zur Zeit des Todes des Versicherten keinen gemäß § 258 Abs 4 ASVG vereinbarten oder gerichtlich festgelegten oder beurkundeten Unterhaltsanspruch gehabt habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und nahm die verfassungsrechtlichen Bedenken, die vom Erstgericht und in der Berufung gegen § 258 Abs 4 ASVG wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes geäußert wurden, nicht als gegeben an, weil die Rechtsnatur des Unterhaltsanspruchs bei aufrechter Ehe und nach der Scheidung verschieden sei und eine unterschiedliche Regelung der Hinterbliebenenversorgung daher keine unsachliche Differenzierung bedeute.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Begehren, beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen, die Wortfolge "auf Grund eines gerichtlichen Urteils, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung (Nichtigerklärung) der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung" im § 258 Abs 4 ASVG sowie den letzten Satz des § 264 Abs 4 ASVG als verfassungswidrig aufzuheben und danach die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Revision wird nur unter dem Gesichtspunkt ausgeführt, daß § 258 Abs 4 iVm § 264 Abs 4 ASVG verfassungsrechtlich bedenklich und daher die Aufhebung dieser Bestimmungen beim Verfassungsgerichtshof zu beantragen sei. In diesen Bestimmungen werde nämlich das Gleichheitsgebot dadurch verletzt, daß die Witwenpension nach der Ehescheidung nur gebühre, wenn der Versicherte zur Zeit des Todes Unterhalt (einen Unterhaltsbeitrag) auf Grund eines gerichtlichen Urteils, eines gerichtlichen Vergleiches oder einer vor Auflösung der Ehe eingegangenen vertraglichen Verpflichtung zu leisten hatte, während für den mit dem Versicherten in aufrechter Ehe lebenden Ehegatten diese Voraussetzungen auch dann nicht erfüllt sein müßten, wenn der gemeinsame Haushalt aufgehoben sei.

Dieser Ansicht vermag sich der Oberste Gerichtshof, der im übrigen hier nur § 258 Abs 4 ASVG anzuwenden hat und daher nur diese Bestimmung unter dem Gesichtspunkt des Art. 140 Abs 1 B-VG prüfen kann, jedoch aus folgenden Erwägungen nicht anzuschließen:

Trotz des Gleichheitsgrundsatzes, dessen Verletzung hier allein für eine Verfassungswidrigkeit maßgebend sein könnte, kommt dem einfachen Gesetzgeber eine - freilich nicht

unbegrenzte - rechtspolitische Gestaltungsfreiheit zu. Rechtspolitische Erwägungen des Gesetzgebers unterliegen - außer im Fall eines Exzesses - nicht der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes und sind insoweit auch nicht mit den aus dem Gleichheitsgebot ableitbaren Maßstäben zu messen. Innerhalb dieser Grenze ist die Rechtskontrolle nicht zu einem Urteil in Angelegenheiten der Rechtspolitik berufen (VfSlg. 9583 mwN). Der Gleichheitsgrundsatz verbietet dem Gesetzgeber ferner zwar, Differenzierungen zu schaffen, die sachlich nicht begründbar sind; sachlich begründbare - also nicht sachfremde - Differenzierungen vorzunehmen, ist dem Gesetzgeber hingegen durch das Gleichheitsgebot nicht verwehrt (VfSlg. 6884 mwN). Eine unterschiedliche Regelung, die aus entsprechenden Unterschieden im Tatsachenbereich gerechtfertigt werden kann, ist daher nicht gleichheitswidrig (vgl. VfSlg. 7400 mwN).

Aus diesen Gesichtspunkten ergibt sich, daß schon die Tatsache der Scheidung eine unterschiedliche Behandlung des geschiedenen Ehegatten rechtfertigt. Es ist rechtspolitisch sicherlich vertretbar, einen Ehegatten, der mit dem Versicherten bis zu seinem Tod in aufrechter Ehe lebt und bei dem auch nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts noch weiter die Verpflichtung zur Treue (vgl. § 90 ABGB) und damit im allgemeinen eine engere Bindung als nach der Scheidung besteht, beim Anspruch auf Witwen-(Witwer-)pension anders und damit auch besser als den geschiedenen Ehegatten zu behandeln. Insbesondere können familienpolitische Erwägungen eine Besserstellung gegenüber dem mit dem Versicherten in aufrechter Ehe lebenden Ehegatten rechtfertigen. Ein Verstoß gegen das "Exzessverbot", der etwa vorläge, wenn eine gesetzliche Regelung der Verletzung eines anderen Grundrechtes gleichkäme (VfSlg. 9583), kann darin nicht erblickt werden.

Die Klägerin übersieht ferner, daß die Unterhaltsansprüche des geschiedenen Ehegatten nicht dieselben wie die des Ehegatten sind, der mit dem anderen in aufrechter Ehe, wenn auch getrennt lebt. Dies gilt jedenfalls für den Unterhaltsanspruch nach § 66 EheG, weil er nur insoweit besteht, als dem Ehegatten nicht eine Erwerbstätigkeit zugemutet werden kann. Sieht man vom Fall des Rechtsmißbrauchs ab, kann hingegen von dem in aufrechter Ehe lebenden Ehegatten auch nach Aufhebung des gemeinsamen Haushalts eine Erwerbstätigkeit ungeachtet der Zumutbarkeit dann nicht verlangt werden, wenn dies der bisherigen Gestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft widerspricht (vgl. § 94 Abs 2 Satz 2 ABGB sowie EFSlg 35.170 und 39.967). Ähnliches gilt für den dem geschiedenen Ehegatten auf Grund des § 69 Abs 2 EheG zustehenden Unterhalts, mag dieser auch auf demselben Rechtsgrund wie der während der Ehe gebührende beruhen (SZ 52/182; EFSlg 34.094/3 ua). Dennoch kann aber gemäß § 69 Abs 2 letzter Satz EheG eine - während aufrechter Ehe nicht erlaubte - Wiederverehelichung unter Umständen zu einer Änderung des Unterhaltsanspruchs führen. Die aufgezeigten Unterschiede des Unterhaltsanspruchs während aufrechter Ehe und nach deren Auflösung bedeuten, daß ein nicht schon durch gerichtliches Urteil, gerichtlichen Vergleich oder vertragliche Vereinbarung festgestellter Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten oft schwerer als der eines in aufrechter Ehe lebenden Ehegatten festzustellen ist. Auch das Ziel, eine einfache und leicht handhabbare Regelung zu schaffen, bildet aber einen sachlichen Grund für eine unterschiedliche Regelung (VfSlg. 8827 ua), sofern nicht anderen Überlegungen größeres Gewicht beizumessen ist (VfSlg. 9524). Dies trifft hier aber nicht zu. Daß der Gesetzgeber im Ausgleichszulagenrecht die - im übrigen meist

einfache - Feststellung des Nettoeinkommens des Unterhaltspflichtigen verlangt (vgl. § 294 Abs 1 ASVG), hat entgegen der von der Klägerin in der Revision vertretenen Auffassung auf die Sachlichkeit der hier zu prüfenden gesetzlichen Bestimmung keinen Einfluß.

Schließlich muß auch das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel (vgl. EBzRV des ASVG 599 BlgNR 7.GP 86 f), durch die strittige Regelung eine spekulative Ausnützung der Einrichtung der Witwen-(und nunmehr auch der Witwer-)pension auszuschließen, als sachlicher Grund für die differenzierte Behandlung der Witwen-(Witwer-)pension des in aufrechter Ehe lebenden und des geschiedenen Ehegatten angesehen werden. Daß dies nicht in allen Fällen erreicht werden kann, macht die Differenzierung ebensowenig wie das Auftreten von Härtefällen sachlich unbegründet (zum letzten Punkt VfSlg. 8871 mwN). Im übrigen erkennt die Klägerin selbst, daß der Anspruch auf eine urteilsmäßige Verpflichtung zur Unterhaltsleistung unabhängig von einer Unterhaltsverletzung allein darin begründet sein kann, daß der Unterhaltsberechtigte einen öffentlich-rechtlichen Versorgungsanspruch nach dem Unterhaltspflichtigen geltend machen könnte (SZ 54/6). Daß es der Klägerin hier allenfalls nicht möglich war, ein Urteil über die Unterhaltspflicht des Versicherten zu erlangen, ändert an der Verfassungsmäßigkeit der strittigen Bestimmung nichts, weil bei der Prüfung der Frage der Verfassungsmäßigkeit von einer durchschnittlichen Betrachtung auszugehen und auf den Regelfall abzustellen ist (VfSlg. 8871 mwN). Die aufgezeigten rechtspolitischen Erwägungen und Unterschiede im Tatsächlichen rechtfertigen es also, daß der dem geschiedenen Ehegatten zustehende Anspruch auf Witwen-(Witwer-)pension im § 258 Abs 4 ASVG anders als der entsprechende Anspruch des mit dem Versicherten zur Zeit des Todes in aufrechter Ehe lebenden Ehegatten geregelt wird. Da somit keine verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Regelung bestehen, sieht sich der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt, gemäß Art. 140 Abs 1 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, auf Verfassungswidrigkeit der angeführten Bestimmung zu erkennen.

Im übrigen wird in der Revision zur der im angefochtenen Urteil enthaltenen rechtlichen Beurteilung nichts gesagt, weshalb hierauf nicht eingegangen werden muß, zumal sie der Sach- und Rechtslage entspricht.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Die Billigkeit erfordert schon deshalb nicht den Zuspruch von Kosten an die Klägerin, weil ihr der Rechtsanwalt, der für sie die Revision einbrachte, im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegeben wurde.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte