OGH 11Os29/88

OGH11Os29/8814.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.März 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in der Strafsache gegen Reinhard R*** wegen des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127 Abs. 1, 129 Z 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 14. Dezember 1987, GZ 1 b Vr 10.753/87-28, nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Reinhard R*** des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127 Abs. 1, 129 Z 1 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) sowie des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 StGB (Punkt 2) schuldig erkannt. Die Schuldsprüche bekämpft der Angeklagte mit einer auf die Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Die Beschwerde ist begründet.

Zutreffend wird in der Verfahrensrüge geltend gemacht, daß der Angeklagte durch die Abweisung des Antrages auf Einholung eines psychiatrischen Gutachtens über die Frage seiner Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit in seinen Verteidigungsrechten beeinträchtigt wurde.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen den vom Erstgericht in seinem den Beweisantrag abweisenden Beschluß angeführten Gründen (vgl. S 126) ergibt sich u. a. aus den im Verfahren zum Aktenzeichen 1 e Vr 1.043/83 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien eingeholten Gutachten des Primarius Dr. Heinrich G*** (vgl. auch dessen Gutachten ON 19 im Verfahren 1 e Vr 3.867/81 desselben Gerichtshofes), daß der Angeklagte seit einigen Jahren, abgesehen von anderen Auffälligkeiten, u.a. an einer episodisch auftretenden paranoiden Schizophrenie leidet, in deren Folge es im akuten Stadium zu paranoiden Wahnsymptomen und Halluzinationen kommt. Da die Schizophrenie immer wieder zur "Exazerpation" neige, hielt der Sachverständige eine psychiatrische "Oberservanz" des Angeklagten für unbedingt erforderlich. Prim. Dr. G*** wies auch darauf hin, daß es sich bei dem Angeklagten um einen chronischen Alkoholiker handelt, der im alkoholisierten Zustand Kontrollverluste entwickelt und zu aggressiven Entladungen gegen Personen und Sachen neigt (vgl. ON 30, insbesonders Seiten 125 ff im Akt 1 e Vr 1.043/83 des LG Wien).

Das Bundesministerium für Justiz wies am 30.Dezember 1983 anläßlich einer Entscheidung gemäß dem § 134 Abs. 1 StVG auf Selbstmordversuche und Medikamentenmißbrauch des Angeklagten, Aufenthalte im Psychiatrischen Krankenhaus der Stadt Wien sowie in der Sonderanstalt Wien-Favoriten hin und ordnete an, daß Reinhard R*** in der Strafvollzugsanstalt dem psychiatrischen Konsiliarius vorzustellen ist (vgl. S 167 f im Bezugsakt). Auch im vorliegenden Akt ergibt sich aus dem (kursorischen) polizeiamtsärztlichen Gutachten vom 30.September 1987 (S 19) u.a., daß Reinhard R*** im Zeitpunkt seiner Untersuchung an (nicht näher erläuterten) starken Koordinationsstörungen litt. Da nach dem erwähnten Gutachten des Sachverständigen Dr. G*** die psychotischen Akutsymptome "nach wenigen Tagen bzw. Wochen" wieder völlig abklingen, kann auch der persönliche Eindruck des Reinhard R*** auf die Tatrichter nicht zur Begründung der Ansicht des Erstgerichtes ausreichen (vgl. S 126, 137 dA), daß das "provokante" Verhalten in der Hauptverhandlung vom 14.Dezember 1987 "weniger der Ausfluß eines abnormen Geisteszustandes denn der asozialen Grundhaltung des Angeklagten" war.

Es zeigt sich sohin, daß dem von der Verteidigung unter Hinweis auf psychophysische Auffälligkeiten des Angeklagten gestellten Antrag auf Einholung eines gerichtsärztlichen Gutachtens zwecks zweifelsfreier Klärung der Frage der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit zur Tatzeit Berechtigung nicht von vornherein abgesprochen werden kann und das angefochtene Urteil daher im Sinn der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO nichtig ist.

Da bei dieser Sachlage die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war über die Nichtigkeitsbeschwerde gemäß dem § 285 e StPO bereits in nichtöffentlicher Sitzung wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Mit ihren dadurch gegenstandslos gewordenen Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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