OGH 11Os31/88

OGH11Os31/8810.3.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter in der Strafsache gegen Max K*** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach den §§ 127 Abs. 1, 131 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 13.Jänner 1988, GZ 11 Vr 3.546/87-17, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und es wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der beschäftigungslose Max K*** des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach (§ 127 Abs. 1 - vgl. 10 Os 160/76 ua) § 131, erster Fall, StGB (Pkt. 1 des Schuldspruches) und des Vergehens der (versuchten) Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB (Pkt. 2 des Schuldspruches) schuldig erkannt. Darnach hat er in Graz 1./ am 12.Oktober 1987 Verfügungsberechtigten der Firma B*** eine Dose Nescafe im Wert von 64,90 Schilling mit Bereicherungsvorsatz weggenommen und bei seiner Betretung auf frischer Tat Gewalt gegen eine Person dadurch angewendet, daß er der Geschäftsführerin Erika P*** einen Stoß versetzte, um sich die weggenommene Sache zu erhalten, sowie 2./ einige Tage danach Erika P*** durch gefährliche Drohung, nämlich die Äußerung, sie solle die Anzeige zurückziehen, denn sonst würde ihr etwas passieren, zur Rücknahme der Anzeige wegen der erstgenannten Tat zu nötigen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit einer ausdrücklich auf die Ziffern 4, 5 und 9 lit. a des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, welcher schon aus dem erstangeführten Nichtigkeitsgrund Berechtigung zukommt.

Zutreffend rügt der Beschwerdeführer, daß durch die Abweisung des von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung, nämlich im Schlußvortrag (zulässigerweise: vgl. Mayerhofer-Rieder2 ENr. 3 zu § 281 Z 4 StPO) gestellten Beweisantrages Verfahrensgrundsätze hintangesetzt wurden, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Verteidigung sichernden Verfahrens geboten ist. Der Verteidiger begehrte die zeugenschaftliche Vernehmung der Margit E*** (die sich laut Angabe der Zeugin P*** vor dem Untersuchungsrichter zur Zeit des zweiten Vorfalles am Tatort befand - S 22 dA) zum Nachweis dafür, "daß der Angeklagte Erika P*** in keiner Weise durch eine gefährliche Drohung zur Zurücknahme der Anzeige aufforderte" (S 65 dA). Diesen Antrag wies das Gericht mit der im Hauptverhandlungsprotokoll wiedergegebenen Begründung ab, daß "die Aussage der Zeugin Erika P*** vollkommen glaubwürdig ist, diese daher durch keine weitere Beweisaufnahme auf ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden muß", weshalb die Einvernahme der Margit E*** als Zeugin entbehrlich sei (S 66 dA). Damit setzte aber das Gericht, dem es schon im Hinblick auf die ihm gemäß den Bestimmungen der §§ 3 und 258 StPO obliegenden Pflichten verwehrt ist, den Umfang des Beweisverfahrens von einer vorzeitig gewonnenen Überzeugung von der Schuld des Angeklagten bestimmen zu lassen, einen Akt unzulässiger vorgreifender Beweiswürdigung (Mayerhofer-Rieder2 ENr. 78 ff zu § 281 Z 4 StPO). Ein Beweisantrag darf namentlich dann nicht abgewiesen werden, wenn der Beweisgegenstand nicht unerheblich und ein verwertbares Ergebnis der Beweisaufnahme, also eine weitere Klärung des relevanten Sachverhaltes, nicht von vornherein auszuschließen ist (SSt. 13/89, 52/17 uva). Ebensowenig darf ein Entlastungsbeweis mit der Begründung zurückgewiesen werden, daß das Gericht die Sachlage auf Grund der vorliegenden Belastungsbeweise für ausreichend geklärt halte (EvBl. 1957/34; RZ 1959 S 173 uva). Mit seiner darnach verfehlten (und lapidaren) Begründung für die Ablehnung der begehrten Beweisaufnahme setzte sich das Erstgericht über die dargelegten Grundsätze hinweg, weshalb das Urteil mit dem geltend gemachten Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 4 StPO behaftet ist.

Von dieser Nichtigkeit wäre zwar - isoliert

betrachtet - lediglich der Schuldspruch wegen versuchter Nötigung betroffen, doch steht dieser mit jenem wegen räuberischen Diebstahls in einem derart engen beweismäßigen Zusammenhang, daß im Interesse einer ungehinderten Beweiswürdigung im erneuerten Rechtsgang eine nur teilweise Urteilsaufhebung (§ 289 StPO) unmöglich ist (vgl. SSt. 39/18 ua). Infolge der zentralen Stellung, die das Erstgericht der für uneingeschränkt glaubwürdig erachteten Aussage der Zeugin P*** in seinen Erwägungen zur Beweiswürdigung einräumte (siehe US 3 = S 71 dA), kann nämlich nicht gesagt werden, daß im Fall des Gelingens des beantragten Entlastungsbeweises im erneuerten Verfahren die Tatrichter in sachverhaltsmäßiger Beziehung zur nämlichen Lösung der Frage der dem Angeklagten zur Last gelegten Gewaltanwendung gelangen müßten, zumal die vom Angeklagten - der zwar die Sachwegnahme eingestand, die Ausübung von Gewalt iS der ihm angelasteten Diebstahlsqualifikation aber letztlich bestritt - in der Hauptverhandlung erwähnte Kraftentfaltung (S 61 f dA) nach Art, Zielsetzung und Intensität nicht ohne weiteres schon dem Begriff der "Gewalt gegen eine Person" im Sinn des § 131 StGB unterstellt werden kann (vgl. hiezu Kienapfel BT II Rz. 19 zu § 131 StGB; Bertel im WK Rz. 1, 2 zu § 131 StGB; Leukauf-Steininger Kommentar2 Rz. 6, 7 zu § 142 StGB; ÖJZ-LSK 1987/82, 83 zu § 131 StGB). Mit einem allfälligen Entfall der Qualifikation des § 131 StGB wäre aber auch in Anbetracht des geringen Wertes der Beute - wie schon das Erstgericht richtig erkannte (US 3 verso = S 72 dA) - die Subsumtion der Tat unter den (Grund-)Tatbestand des Diebstahles neu zu prüfen, weshalb der Schuldspruch zu Pkt. 1 des Urteiles auch nicht teilweise aufrecht erhalten werden kann.

Da sich sohin zeigt, daß schon auf Grund der Verfahrensrüge in bezug auf beide Anklagevorwürfe die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist und eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst noch nicht einzutreten hat, war über die Beschwerde gemäß dem § 285 e StPO in nichtöffentlicher Sitzung spruchgemäß zu erkennen, wobei auf die weiters geltend gemachten Nichtigkeitsgründe nicht mehr eingegangen zu werden brauchte. Der Vollständigkeit halber soll jedoch nicht unerwähnt bleiben, daß die Mängelrüge (Z 5) zutreffend Divergenzen zwischen den einzelnen Aussagen der einzigen Belastungszeugin aufzeigt, welche das Erstgericht mit Stillschweigen überging. Mit seiner zufolge Kassierung auch des Strafausspruches gegenstandlos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

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