Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger lebt und arbeitet seit 1973 in Österreich. Im Jahr 1979 zog seine Ehefrau mit den beiden gemeinsamen Kindern aus der Türkei nach Österreich und lebte in weiterer Folge mit dem Kläger in einer gemeinsamen Wohnung in Guntramsdorf. Ende 1984 bzw. Anfang 1985 kehrte die Ehefrau des Klägers mit den Kindern wieder in die Türkei zurück. Sie lebte in weiterer Folge mit dem Vater des Klägers und weiteren Familienangehörigen im Ort Karadirek in der Türkei. Der Kläger wohnte in Österreich weiterhin in Guntramsdorf und verrichtete dort alle für den Lebensunterhalt notwendigen Tätigkeiten wie Essen, Kochen und Waschen. Der Kläger besucht seine Familie einmal im Jahr während seines Urlaubes. Der Wohnort der Familie des Klägers in der Türkei ist ungefähr 2300 km von Wien entfernt. Für eine Fahrt mit dem PKW benötigt man ungefähr zweieinhalb Tage.
Im Dezember 1986 erkrankte die Frau des Klägers und mußte sich in Spitalbehandlung begeben. Aus diesem Grund nahm der Kläger von seinem Arbeitgeber 5 Wochen Urlaub, um in dieser Zeit seine Familie in der Türkei zu besuchen. Auf dem Weg dorthin erlitt er am 20. Dezember 1986 kurz vor Edirne in der Türkei einen Verkehrsunfall, in dessen Folge ihm der Zeige- Mittel- Ring- und Kleinfinger der rechten Hand im Endglied amputiert werden mußte.
Mit Bescheid vom 22.April 1987 lehnte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß des Unfalles vom 20. Dezember 1986 ab.
Das Erstgericht wies die dagegen erhobene Klage ab. Die Fahrt des Klägers zu seiner erkrankten Ehefrau in die Türkei habe den Charakter einer Urlaubs- bzw. Besuchsfahrt gehabt und stehe daher nicht unter Versicherungsschutz. Es liege kein Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs. 2 Z 1 ASVG vor.
Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers keine Folge. Der Kläger habe in Österreich eine Wohnung, seinen "Familienwohnsitz" jedoch in der Türkei. Berücksichtige man, daß der Kläger nur einmal jährlich seine Familie besuche und ziehe auch die Distanz von seiner Wohnung im Inland und die Fahrtdauer von zweieinhalb Tagen in Betracht, sei der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen nicht in der Türkei gelegen. Im Regelfall werden der ständige Aufenthaltsort und die Familienwohnung zusammenfallen. Der im Gesetz verwendete Begriff "ständiger Aufenthaltsort" sei durch objektive Umstände (wie Essen, Wohnen, Schlafen) oder subjektive Beziehungen (Mittelpunkt der Lebensinteressen) gekennzeichnet. Durch die Verbindung des Begriffes "Aufenthaltsort" mit dem Begriff "ständig" werde das zeitliche Element betont und zum Ausdruck gebracht, daß ein Aufenthalt nur eine solche Niederlassung sein könne, bei der Dauer und Beständigkeit in besonderem Maße gegeben seien. Besondere subjektive oder objektive Beziehungen zu einem Aufenthaltsort allein seien nicht ausreichend, es sei überdies erforderlich, daß diese Beziehungen ständig, dh sehr häufig verwirklicht werden. Es müsse auch eine besondere Nähe zur betrieblichen Tätigkeit bestehen. Von einem ständigen Aufenthaltsort könne zwar noch gesprochen werden, wenn eine tägliche Reise von und nach der Arbeitsstätte unwirtschaftlich oder unzumutbar sei (Wochenpendeln) aber dann nicht mehr, wenn der Aufenthaltsort von der Arbeitsstätte so weit entfernt sei, daß eine "ständige" tatsächliche Beziehung unter allgemeinen vernünftigen Voraussetzungen gar nicht mehr möglich sei. Dem Verkehrsunfall des Klägers vom 20.Dezember 1986 in der Türkei komme die Qualifikation eines Arbeitsunfalles im Sinne des § 175 Abs. 2 Z 1 ASVG daher nicht zu.
In seiner wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Revision beantragt der Kläger, dieses Urteil im Sinne einer Klagestattgebung abzuändern und stellt hilfsweise einen Aufhebungsantrag.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revision kommt keine Berechtigung zu.
Der Oberste Gerichtshof teilt die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes.
Arbeitsunfälle sind nach § 175 Abs. 1 ASVG, welcher als Generalklausel für alle unter Versicherungsschutz gestellten Umstände anzusehen ist (Tomandl, System des Österreichischen Sozialversicherungsrechtes, 277) Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Versichert nach § 175 Abs. 2 Z 1 ASVG ist auch der Arbeitsweg - Unfälle auf Wegen zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte - soferne sie mit der Erwerbstätigkeit zusammenhängen. Hat der Versicherte wegen der Entfernung seines ständigen Aufenthaltsortes von der Arbeits(Ausbildungs-)stätte auf dieser oder in ihrer Nähe eine Unterkunft, so wird die Versicherung des Weges von oder nach dem ständigen Aufenthaltsort nicht ausgeschlossen. Ebenso wie für Arbeitsunfälle im engeren Sinn (§ 175 Abs. 1 Z 1 ASVG) wird auch für die sogenannten Wegunfälle gefordert, daß zwischen der Zurücklegung des unfallbringenden Weges und der betrieblichen Tätigkeit des Versicherten in dreifacher Hinsicht ein Zusammenhang bestehen muß, nämlich in örtlicher, in zeitlicher und in innerer, wenn das Unfallereignis als gemäß § 175 Abs. 2 Z 1 ASVG als versicherungsgeschützt anerkannt werden soll. Das bedeutet, daß Ausgangspunkt oder Ziel des Weges die Arbeitsstätte sein muß und daß die Absicht, die Tätigkeit im Betrieb aufzunehmen oder nach ihrer Beendigung heimzukehren, die wesentliche Ursache für die Zurücklegung des Weges sein muß. Nach der Absicht des Gesetzgebers soll der Versicherte vor jenen Gefahren geschützt werden, die - außerhalb des Betriebes - mit der Ausübung der Erwerbstätigkeit des Arbeitnehmers so eng verflochten sind, daß ihm die Gefahrentragung nicht allein zugemutet werden kann. Grundsätzlich wird der Endpunkt des Weges die Wohnung des Versicherten sein, wobei der Begriff "Wohnung" nach rein tatsächlichen Gesichtspunkten (jener Ort, an dem der Versicherte wohnt, ißt, schläft, Wäsche und Kleidung verwahrt, reinigt und instandhält) zu beurteilen ist (Leitner in SozSi 1961, 323 f, Tomandl aaO 292). Daß die Wohnung des Klägers danach in Österreich liegt und es sich dabei nicht nur um eine Unterkunft im Sinn des § 175 Abs. 2 Z 1 ASVG handelt, kann unter den gegebenen Umständen nicht bezweifelt werden. Als "ständiger Aufenthalt" im Sinne des § 175 Abs. 2 Z 1 kommt nämlich nur ein Ort in Betracht, der, obwohl eine tägliche Reise von und nach der Arbeitsstätte unwirtschaftlich und unzumutbar ist, noch als Mittelpunkt der privaten Lebensinteressen des Arbeitnehmers angesehen werden kann, weil er dem Zusammenleben der Familie und der Durchführung der sonst in der Wohnung erforderlichen Haushaltsverrichtungen dient und häufig und regelmäßig an arbeitsfreien Tagen auch aufgesucht wird. Wird aber der Aufenthaltsort der Familie des Versicherten nur äußerst selten aufgesucht, dann ist eine ständige Beziehung zu diesem nicht mehr möglich. Von einem ständigen Aufenthaltsort kann daher bei dessen Aufsuchen nur einmal jährlich anläßlich eines längeren Urlaubes (der ja als eigenwirtschaftliche Tätigkeit einzustufen ist) jedenfalls nicht mehr gesprochen werden. In einem solchen Fall ist der örtliche, zeitliche und innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit gelöst.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. b ASGG.
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