Spruch:
I. Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
II. 1. Den Berufungen beider Parteien gegen die Freiheitsstrafe
wird nicht Folge gegeben.
2. Der Berufung der Angeklagten gegen die Geldstrafe wird gleichfalls nicht Folge gegeben.
3. Die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen die bedingte Nachsicht der Geldstrafe wird zurückgewiesen.
III. Gemäß § 390 a StPO. fallen der Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Die am 25.August 1953 geborene Serviererin Behjat HAJ M*** ALI - eine iranische Staatsangehörige - ist des Verbrechens nach § 12 Abs 1 und 3 Z. 3 SuchtgiftG. schuldig erkannt worden. Darnach hat sie Ende April 1987 in Wien dadurch, daß sie rund ein Kilogramm Heroin dem abgesondert verfolgten Fikret Y*** und rund 980 Gramm Heroin dem abgesondert verfolgten Mostafa S*** übergab, den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge in Verkehr gesetzt, wobei sie die Tat mit Beziehung auf ein Suchtgift begangen hat, dessen Menge das Fünfundzwanzigfache der im § 12 Abs 1 SuchtgiftG. angeführten Menge ausmachte.
Rechtliche Beurteilung
Diesen Schuldspruch bekämpft die Angeklagte mit einer auf § 281 Abs 1 Z. 9 lit b StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, in der sie für sich den Schuldausschließungsgrund des § 10 Abs 1 StGB. reklamiert.
Den Urteilsfeststellungen zufolge war ein Beweggrund der Tat die Angst der Beschwerdeführerin vor einer möglichen Rache der Hintermänner des Suchtgifthandels (S. 249, 251). Das Erstgericht schloß hiebei zwar nicht aus, daß Masoud H***, der Behjat HAJ M*** ALI das Suchtgift zum Zweck des Weiterverkaufs übergeben hatte, ihr gedroht habe, er werde sie und ihre Kinder umbringen, es billigte ihr jedoch entschuldigenden Notstand (insbesondere) deshalb nicht zu, weil sie Masoud H*** nach einer Auseinandersetzung aus der Wohnung gewiesen habe und dieser unmittelbar nach der Drohung aus Wien abgereist sei, weshalb einer Todesdrohung die Unmittelbarkeit (§ 10 Abs 1 StGB.) gefehlt habe (S. 253). Dagegen wird von der Beschwerdeführerin eingewendet, sie habe auf Grund ihrer Vermutung, hinter der Verteilung des Suchtgifts stehe eine in mehreren Ländern operierende Organisation, nur die Wahl gehabt, die Anzeige zu erstatten und infolgedessen damit rechnen zu müssen, daß ihre beiden in Wien aufhältigen halbwüchsigen Kinder umgebracht würden, oder das Suchtgift in der von Masoud H*** befohlenen Art weiterzugeben.
Wie erwähnt, hegte das Schöffengericht Zweifel an der von ihr behaupteten, tatmotivierenden Furcht der Angeklagten vor Masoud H***, weil sie immerhin den Mut aufbrachte, den H*** nach einem Streit aus der Wohnung zu weisen. In Würdigung dieser subjektiven Beweislage gelangte der Schöffensenat zur Überzeugung, daß die Tat der Beschwerdeführerin nicht auf eine schuldausschließende Furcht zurückging und daher bei ihr ein entschuldigender Notstand (§ 10 StGB.) nicht zum Tragen kam. Die aus der solcherart konstatierten Prämisse, unbeschwert von theoretischem Ballast schlicht gezogene rechtliche Konsequenz, die ein Handeln der Angeklagten zur Abwendung eines unmittelbar drohenden bedeutenden Nachteils von sich oder anderen verneint, ist frei von Rechtsirrtum. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.
Das Schöffengericht verhängte über die Angeklagte gemäß § 12 Abs 3 SuchtgiftG. eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und gemäß § 13 Abs 2 SuchtgiftG. eine Geldstrafe von 5,940.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe ein Jahr). Bei der Strafbemessung war erschwerend die Weitergabe einer außergewöhnlich großen Heroinmenge, mildernd waren der bisher ordentliche Lebenswandel der Angeklagten sowie, daß sie die Tat unter der Einwirkung eines Dritten und in einer, wenn auch nicht schuldausschließenden Furcht verübt hat und nur in untergeordneter Weise beteiligt war. Die Geldstrafe wurde gemäß § 43 Abs 1 StGB. unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen, weil das Schöffengericht deren Vollziehung (neben der Freiheitsstrafe) nicht mehr als erforderlich erachtete, um die Angeklagte von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten (S. 254).
Beide Prozeßparteien haben Berufungen ergriffen; die Staatsanwaltschaft strebt eine Erhöhung der Freiheitsstrafe und die Eliminierung der bedingten Nachsicht der Geldstrafe an; die Angeklagte begehrt eine geringere "Strafe" und eine bedingte Strafnachsicht (letzteres eindeutig nur auf die Freiheitsstrafe bezogen).
Die Berufungen gegen die Freiheitsstrafe erweisen sich als nicht berechtigt.
Auszugehen ist davon, daß der Gesetzgeber des Jahrs 1985 (BGBl. Nr. 184) den Gerichten bei der Aburteilung von Suchtgiftdelikten einen erweiterten Ermessensspielraum einräumen wollte, indem er den gleitenden Strafsatz von einem Jahr bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe nach § 12 Abs 1 SuchtgiftG. a.F. in einen nach unten unbegrenzten Strafsatz bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe für den Tatbestand des § 12 Abs 1 SuchtgiftG. n.F. umwandelte. Bei den auf gefährliche Suchtgifthändler abstellenden Qualifikationen der Abs 2 bis 4 dieses neugefaßten Paragraphen wurden, auf einem Mindestmaß von einem Jahr (Abs 2 und 3) bzw. von zehn Jahren (Abs 4) aufbauend, die Höchstgrenzen "abgestuft nach dem Gewicht belastender Gesichtspunkte" (Bericht des Justizausschusses 1985 S. 3) auf zehn, fünfzehn und zwanzig Jahre hinaufgesetzt, um vor allem gegen die (vorbestraften) Großhändler und Bandenchefs entsprechend differenziert vorgehen zu können (vgl. 13 Os 121/86). Daraus folgt, daß für einen nicht initiativ im Suchtgiftmilieu agierenden, im örtlichen Vertrieb eingesetzten Täter wie die Berufungswerberin eine Freiheitsstrafe im unteren Bereich des Strafrahmens angemessen ist. Die vom Schöffengericht verhängte Freiheitsstrafe ist selbst angesichts der hohen Gefährlichkeit des Suchtgifts Heroin und dessen sogar die übergroße Menge weit übersteigenden Quantität (S. 252) im Hinblick auf die der Angeklagten attestierte untergeordnete Beteiligung, die überdies der Einwirkung skrupelloser Krimineller auf eine zweifache Mutter zuzuschreiben ist, noch vertretbar. Sie war in der verhängten Höhe aber auch entgegen dem Berufungsvorbringen der Angeklagten zur Erreichung der Strafzwecke durchaus erforderlich. Soweit sich die Berufungen beider Prozeßparteien gegen das Ausmaß der Freiheitsstrafe richten, war ihnen daher ein Erfolg zu versagen (II 1).
Das Schöffengericht hat die Freiheitsstrafe unbedingt, die Wertersatzstrafe (§ 13 Abs 2 SuchtgiftG.) bedingt ausgesprochen. Allein zufolge § 44 Abs 2 StGB. darf eine Nebenstrafe (hier die "Wertersatzstrafe": siehe § 13 Abs 2, zweiter Satz, SuchtgiftG.) nur bedingt nachgesehen werden, wenn die Hauptstrafe (hier die Freiheitsstrafe nach § 12 SuchtgiftG.) bedingt nachgesehen wird (die §§ 13 Abs 2, dritter Satz, und 12 Abs 5, vierter Satz, SuchtgiftG. gestatten lediglich das gänzliche Absehen von der Verhängung der Geld- bzw. Wertersatzstrafe). Der Ausspruch der bedingten Nachsicht der Geldstrafe ist darum gemäß § 281 Abs 1 Z. 11 StPO. nichtig. Die Staatsanwaltschaft hat eine Nichtigkeitsbeschwerde nicht angemeldet. Sie ficht zwar die bedingte Nachsicht der Wertersatzstrafe mit einer Berufung an. Indes vermag diese Anfechtung eine Nichtigkeitsbeschwerde nicht zu ersetzen. Die - sachliche - Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrunds in einer Berufung könnte nämlich nur dann als ein bloßes Vergreifen in der Benennung des Rechtsmittels aufgefaßt und als Nichtigkeitsgrund behandelt werden, wenn eine Nichtigkeitsbeschwerde wenigstens angemeldet worden wäre (so die gesamte bisherige Praxis). Als Berufungsgrund (wie von der Staatsanwaltschaft releviert) hinwiederum kann eine Nichtigkeit (Z. 11) wegen der wesensmäßigen Verschiedenheit der Nichtigkeitsgründe (zwingendes, dem Ermessen entzogenes Recht) und der Berufungsgründe (nachgiebiges Recht, Ermessensfragen) nicht erledigt werden.
Aus dem Gesagten folgt, daß es bei der mit Nichtigkeit behafteten bedingten Nachsicht der Wertersatzstrafe, einem Rechtsirrtum des Schöffensenats zu Gunsten der Angeklagten, sein Bewenden haben muß (siehe § 290 Abs 1 StPO.). Die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen den bedingten Aufschub der Geldstrafe aber mußte zurückgewiesen werden (II 3), weil sie keinen Berufungsgrund des § 283 StPO. (siehe dessen Abs 1) enthält (§ 294 Abs 2 StPO.). Sofern die Angeklagte mit ihrer Berufung eine Herabsetzung auch der Geldstrafe anstreben sollte, blieb sie jegliche Argumentation für ein solches Begehren schuldig (II 2).
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)