OGH 1Ob528/88

OGH1Ob528/8810.2.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei GEWOG Gemeinnützige Wohnungsbau-Gesellschaft m.b.H., Wien 1, Lugeck 2, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Rudolf H***, Facharzt für Frauenheilkunde, Wien 17, Alszeile 11/50, Stiege A, vertreten durch Dr. Bernhard Krause, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 23. September 1987, GZ 41 R 442/87-19, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hernals vom 10. Juli 1987, GZ 5 C 522/86-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die Aufkündigung aufgehoben und das Begehren der klagenden Partei auf Übergabe der Wohnung Nr. 50 im Haus Wien 17, Alszeile 11, Stiege A, abgewiesen wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.464,88 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin S 934,08 Umsatzsteuer und S 2.190,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei kündigte dem Beklagten die Wohnung Nr. 50 im Haus Wien 17, Alszeile 11, Stiege A, auf. Als Kündigungsgrund machte sie geltend, daß der Beklagte die Wohnung weder selbst benütze noch daß die Wohnung von eintrittsberechtigten Personen benützt werde. Der Beklagte halte sich ständig in Wien 2, Große

Pfarrgasse 23/1/1/16, auf.

Der Beklagte erhob Einwendungen. Er als Junggeselle benütze die Wohnung in Wien-Hernals zwar selten, weil er sich häufig in seinem Landhaus in Niederösterreich aufhalte, viel Zeit in seiner Ordination zubringe und auch oft bei Freundinnen weile. Die Wohnung in der Großen Pfarrgasse sei die Wohnung seiner Mutter. Das Erstgericht sprach aus, daß die Aufkündigung rechtswirksam sei; es verurteilte den Beklagten zur Übergabe des Bestandgegenstandes an die klagende Partei. Es stellte fest, die klagende Partei habe die Wohnung in der Alszeile 11 dem Beklagten vermietet. Dieser sei Arzt und halte sich deshalb viel in seiner Ordination in Wien 6, Gumpendorferstraße 34, auf. Dort stehe ihm auch ein Bett zur Verfügung, das er während der Arbeitspausen benütze. Er besitze ein Haus im Waldviertel, das er so oft wie möglich aufsuche, und ferner ein Haus in der Gegend von Schwechat, in dem er sich gelegentlich aufhalte. Er nächtige häufig bei Freundinnen. 1980, 1981 oder 1982 habe er der Schwester einer Freundin die Wohnung in der Alszeile 11 vorübergehend überlassen, um ungestört bei seiner Freundin nächtigen zu können. In der Wohnung in der Alszeile 11 halte sich der Beklagte 1 bis 3 mal wöchtentlich auf und benütze sie nur zum Schlafen; gelegentlich verfasse er dort auch wissenschaftliche Arbeiten.

In rechtlicher Hinsicht vertrat das Erstgericht die Ansicht, die aufgekündigte Wohnung diene dem Beklagten nicht als wirtschaftlicher und familiärer Mittelpunkt, so daß der von der klagenden Partei geltend gemachte Kündigungsgrund nach § 30 Abs. 1 Z 6 MRG zu bejahen sei.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar S 60.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Der Kündigungsgrund nach § 30 Abs. 2 Z 6 MRG liege vor, wenn die gemietete Wohnung nicht regelmäßig zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters oder eintrittsberechtigter Personen verwendet werde, und richte sich gegen Mieter, die ohne echtes Wohnbedürfnis den zur Bekämpfung der Wohnungsnot dringend benötigten Wohnraum durch getarnte Scheinbenützung entziehen und die Wohnung deshalb nur gelegentlich, etwa als Absteigquartier, benützen. Eine regelmäßige Benützung im Sinne des geltend gemachten Kündigungsgrundes sei dann anzunehmen, wenn der Mieter die Wohnung wenigstens während eines beachtlichen Zeitraumes im Jahr als wirtschaftlichen und familiären Mittelpunkt verwende. Daß wirtschaftlicher Mittelpunkt des Beklagten seine Ordination sei, räume er selbst ein. Bei der festgestellten Frequentierung der Wohnung sei sie aber auch nicht als familiärer Mittelpunkt des Beklagten anzusehen. Er könne aber auch kein schutzwürdiges Interesse an der Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses ins Treffen führen, weil er nicht dargetan habe, daß sein Wohnbedürfnis anderweitig nicht angemessen befriedigt werde und dies auch in naher Zukunft nicht mit Sicherheit erwartet werden könne. Bei berufsbedingter Abwesenheit von der Wohnung könne der Mieter die Kündigung nur abwehren, wenn die Abwesenheit bloß vorübergehend sei und die Rückkehr des Mieters in die Wohnung in konkret absehbarer Zeit mit Sicherheit gewärtigt werden kann. Dies habe der Beklagte aber nicht einmal behauptet.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Beklagten gegen das berufungsgerichtliche Urteil erhobene Revision ist zulässig, weil zur Frage des dringenden Wohnbedürfnisses eines Junggesellen im Sinne des § 30 Abs. 2 Z 6 MRG Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehlt; sie ist auch berechtigt.

Die klagende Partei stützt ihre Aufkündigung auf § 30 Abs. 2 Z 6 MRG. Danach ist es als wichtiger Kündigungsgrund anzusehen, wenn die vermietete Wohnung nicht zur Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des Mieters (oder eintrittsberechtigter Personen) regelmäßig verwendet wird, es sei denn, daß der Mieter zu Kur- und Unterrichtszwecken oder aus beruflichen Gründen abwesend ist. Die regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken (also nicht etwa zur Freizeitgestaltung) wird von der Rechtsprechung dann angenommen, wenn der Mieter die Wohnung wenigstens während eines beträchtlichen Zeitraumes im Jahr - worunter auch einige Tage in der Woche zu vestehen sind - als Mittelpunkt seiner Lebenshaltung benützt. Diesem Erfordernis wird die Benützung als bloße Absteige, nur während der freien Wochenenden bzw. als Urlaubsaufenthalt oder nur aus Bequemlichkeit tagsüber nicht gerecht (vgl. Würth in Rummel, ABGB, § 30 MRG Rz 32 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung). Das dringende Wohnbedürfnis des Mieters ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn es nicht anderweitig angemessen befriedigt wird (Würth aaO Rz 33 mwN).

Nach den Feststellungen benützt der Beklagte nur die aufgekündigte Wohnung regelmäßig; es kommt auch nur diese Wohnung als Mittelpunkt seiner Lebenshaltung in Betracht. In der Ordination hält sich der Beklagte naturgemäß nur zur Ausübung seines Berufes als Facharzt für Frauenheilkunde auf; das dort befindliche Bett dient ihm als Ruhelager während der Arbeitspausen. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Ordination auch nicht wirtschaftlicher Mittelpunkt des Beklagten, sondern seine Berufsstätte; wirtschaftlicher Mittelpunkt als Merkmal der regelmäßigen Benützung gemieteter Wohnräume im Sinne des geltend gemachten Kündigungsgrundes kann dagegen nur der Haushalt als Element der außerberuflichen Lebenshaltung in Betracht kommen; das trifft auf die Ordination schon ihrer Zweckbestimmung nach nicht zu. Auch das Haus im Waldviertel, in dem der Kläger bloß die Wochenenden und sonstige arbeitsfreie Zeiträume (Urlaube u.dgl.) zubringt, kann schon wegen der erheblichen räumlichen Entfernung vom Ort der Berufsausübung nicht als Lebensmittelpunkt des Beklagten angesehen werden. Der Beklagte besitzt zwar - nach den dürftigen Feststellungen des Erstgerichtes - auch noch ein Haus in der Gegend von Schwechat, doch ist festgestellt, daß er sich dort nur "gelegentlich" aufhalte. Wenngleich genauere Feststellungen über die näheren Umstände dieses Hauses und dessen Bewohnbarkeit fehlen - die insoweit (§ 33 Abs. 1 MRG) beweisbelastete klagende Partei hat aber auch weder Behauptungen aufgestellt noch den Beweis angetreten, daß der Beklagte sein Wohnbedürfnis in diesem Haus befriedige -, so indizieren doch bloß gelegentliche Aufenthalte noch keineswegs die regelmäßige Verwendung zu Wohnzwecken. Auch erfüllt selbst die Benützung mehrerer Wohnungen noch nicht diesen Kündigungstatbestand, solange der Mittelpunkt der Lebenshaltung zumindest zum Teil in der aufgekündigten Wohnung liegt (vgl. MietSlg. 31.422, 30.424 ua; Würth aaO Rz 32); für den Schwerpunkt der Lebenshaltung ist es auch ohne Bedeutung, ob andere Wohnungen des Mieters geräumiger oder besser ausgestattet sind (MietSlg. 20.471 ua).

Die Vorinstanzen haben dem Umstand, daß der Beklagte Junggeselle ist, nicht gebührend Rechnung getragen. Von einem "familiären" Mittelpunkt, dessen Vorliegen das Gericht zweiter Instanz in der aufgekündigten Wohnung ausdrücklich verneint hat, kann bei einem Junggesellen schon begrifflich keine Rede sein. Außerdem kann an die Anforderungen des Lebensschwerpunktes eines Junggesellen naturgemäß kein allzu strenger Maßstab angelegt werden. Dementsprechend hat der Oberste Gerichtshof bereits zu dem selbst im Wortlaut gleich formulierten Kündigungsgrund des § 19 Abs. 2 Z 13 MG ausgesprochen (MietSlg. 25.337), weder die Tatsache, daß der gekündigte Mieter während der warmen Jahreszeit sein Sommerhaus bewohne, noch der Umstand, daß er als Gast häufig auswärts nächtige, ließen den Schluß zu, daß die aufgekündigte Wohnung nicht mehr zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses des Beklagten benützt werde. Wie oft der Gekündigte in der Woche in der Wohnung nächtige, sei deshalb unmaßgeblich. Entscheidend sei lediglich, ob dem Mieter ein schutzwürdiges Interesse dauernd mangle. Übernachtet der Beklagte aber ohnedies ein- bis dreimal wöchentlich in der Wohnung, die er zudem auch noch zur Verfassung wissenschaftlicher Arbeiten benützt, und hält er sich sonst bei Freundinnen auf, so liegt außerhalb seiner beruflichen Tätigkeit sein Lebensschwerpunkt auch in jenem Ort, in der er seinen Beruf als Arzt ausübt, und damit in der einzigen dort gelegenen Wohnung. Die Auffassung der Vorinstanzen, die aufgekündigte Wohnung sei nicht Lebensmittelpunkt des Beklagten, obwohl er sonst keinen solchen hat, wird dem Wesen dieses für den Kündigungsgrund des § 30 Abs. 2 Z 6 MRG ausschlaggebenden Merkmales nicht gerecht.

Da der behauptete Kündigungsgrund nicht vorliegt, sind die vorinstanzlichen Urteile in Stattgebung der Revision des Beklagten im Sinne der Aufhebung der Aufkündigung abzuändern. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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