OGH 8Ob91/87

OGH8Ob91/879.2.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Zehetner als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hannes S***, Elektriker, Walderdorffstraße 15, 4470 Enns, vertreten durch Dr. Maximilian Polak, Rechtsanwalt in Enns, wider die beklagten Parteien 1.) Alfred R***, Angestellter, 4633 Kematen 97, und

2.) E*** A*** Versicherungs-AG, Brandstätte 7-9, 1010 Wien, beide vertreten durch Dr. Dominikus Schweiger, Rechtsanwalt in Linz, wegen 18.550,90 S samt Anhang, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 4. August 1987, GZ 18 R 487/87-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 31. März 1987, GZ 9 C 1454/86-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das erstgerichtliche Urteil wiederhergestellt wird. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien binnen 14 Tagen zur ungeteilten Hand an Kosten des Berufungsverfahrens den Betrag von 2.489,69 S (darin 226,33 S an Umsatzsteuer) und an Kosten des Revisionsverfahrens den Betrag von 4.491,12 S (darin 271,92 S an Umsatzsteuer und 1.500 S an Barauslagen) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 13. Mai 1986 ereignete sich in Linz im Bereich der Einmündung der Landwiedstraße in die Unionstraße ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger mit seinem Kombi (Opel Kadett D, O-806.476) und der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW (Audi 100, O-544.125) beteiligt waren. Dabei wurden beide Kraftfahrzeuge beschädigt.

In die Unionstraße mündet - stadteinwärts gesehen - von links die Gaumbergstraße und in der Folge von rechts die Landwiedstraße ein; vor der Einmündung der Gaumbergstraße befindet sich im Bereich eines über die Unionstraße führenden Schutzweges eine "Druckknopfampel". Auf der - ebenfalls stadteinwärts betrachtet - rechten Hälfte der Unionstraße ist vor dem Schutzweg eine Haltelinie angebracht. Nach der Einmündung der Gaumbergstraße und noch vor der Einmündung der Landwiedstraße (beides stadteinwärts gesehen) ist im Bereich der - ebenfalls stadteinwärts gesehen - linken Fahrbahnhälfte (also der stadtauswärts führenden Fahrbahnhälfte) ebenfalls eine Haltelinie vorhanden. Die Landwiedstraße ist gegenüber der Unionstraße durch das Vorrangzeichen "Vorrang geben" (§ 52 lit c Z 23 StVO) benachrangt. Der Kläger fuhr am Unfallstag auf der Landwiedstraße in der Absicht, nach links (stadtauswärts) in die Unionstraße einzubiegen. An der Fluchtlinie der Unionstraße hielt er sein Fahrzeug an und ließ den Querverkehr passieren. Er blickte nach links und nahm das auf der Unionstraße stadteinwärts fahrende Kraftfahrzeug des Erstbeklagten wahr; er stellte weiters fest, daß die Ampel auf Rotlicht umgeschaltet hatte. Im Wegfahren blickte der Kläger nochmals nach links und sah neuerlich das Fahrzeug des Erstbeklagten, das sich zu diesem Zeitpunkt im Nahbereich der Verkehrsampel befand. Der Kläger nahm an, daß der Erstbeklagte sein Fahrzeug vor der Ampel anhalten werde. Der Erstbeklagte, der auf der Unionstraße mit einer Geschwindigkeit von ca. 50 km/h (stadteinwärts) gefahren war, hielt seinen Wagen trotz Rotlichtes an der Verkehrsampel nicht an. Als der Kläger dies feststellte, bremste er und brachte er sein Fahrzeug nach zwei bis drei Metern Fahrt zum Stillstand. Der Erstbeklagte bremste ebenfalls und stieß mit einer Geschwindigkeit von etwa 25 bis 35 km/h gegen das stehende Fahrzeug des Klägers.

Mit der am 13. November 1986 erhobenen Klage begehrte der Kläger von den Beklagten den Ersatz des ihm bei diesem Unfall entstandenen Schadens in der im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen Höhe von 18.550,90 S s.A. Der Erstbeklagte habe den Verkehrsunfall allein verschuldet, weil er das Rotlicht der ca. 30 m vor der Kreuzung befindlichen Verkehrsampel nicht beachtet habe.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Kläger den Unfall infolge Verletzung des Vorranges des Erstbeklagten allein verschuldet habe. In dem in der Tagsatzung vom 11. Dezember 1986 (ON 5) vorgetragenen Schriftsatz (ON 3) wendeten die Beklagten den dem Erstbeklagten entstandenen Fahrzeugschaden in der Höhe von 15.126 S (Beil./2) der Klagsforderung gegenüber aufrechnungsweise ein.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich beurteilte es den bereits wiedergegebenen Sachverhalt dahin, daß dem Kläger eine Vorrangverletzung nach § 19 Abs 4 StVO zur Last falle. Aus dem Verstoß des Erstbeklagten gegen § 38 Abs 5 StVO lasse sich mangels Rechtswidrigkeitszusammenhanges für den Kläger nichts gewinnen. Die Verkehrsampel habe nur den Zweck, Fußgängern ein gefahrloses Passieren der Unionstraße zu ermöglichen. Die Vermeidung von Schäden, die jenseits des Schutzweges infolge Vorrangverletzung entstünden, sei vom Zweck der Verkehrsampel nicht erfaßt. Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im Sinne des Zuspruches eines Betrages von 18.550,90 S s.A. bei Abweisung des 9 % Zinsen übersteigenden Zinsenbegehrens ab. Die Revision erklärte es gemäß §§ 500 Abs 3, 502 Abs 4 Z 1 ZPO für zulässig. Rechtlich vertrat es die Ansicht, der Berufungswerber stütze sich zu Recht auf den Vertrauensgrundsatz des § 3 StVO. Dieser räume ein gesetzliches Recht zur Annahme ein, daß alle anderen Personen die, und zwar alle für die Benutzung der Straße maßgeblichen Rechtsvorschriften befolgen (Dittrich-Veit-Schuchlenz, StVO, Anm. 13 zu § 3 StVO). Im vorliegenden Fall komme insbesondere die Vorschrift des § 38 Abs 5 StVO in Betracht, auf deren Einhaltung der Kläger habe vertrauen dürfen. Gemäß § 38 Abs 5 StVO gelte rotes Licht als Zeichen für "Halt". Bei diesem Zeichen hätten die Lenker von Fahrzeugen unbeschadet der Bestimmung des Abs 7 und § 53 Z 10 a StVO an den im Abs 1 leg.cit. bezeichneten Stellen anzuhalten.

§ 38 Abs 5 StVO enthalte ein absolutes Anhaltegebot; wer dieses Gebot übertrete, könne für sich auf einer im Verlaufe liegenden Kreuzung keinen Vorrang in Anspruch nehmen, weil dieser voraussetzen würde, daß der "bevorrangte" Lenker die Möglichkeit zur zulässigen Weiterfahrt gehabt habe (ZVR 1984/115, ZVR 1980/131; vgl. auch ZVR 1975/24; Dittrich-Veit-Schuchlenz, Anm. 29 zu § 38 StVO). Die absolute, unmittelbare Bedeutung des Rotlichtes auch für den aus der Landwiedstraße kommenden Kläger werde auch dadurch begründet, daß die Anlage der Unionstraße, Gaumberg- und Landwiedstraße als eine Kreuzung anzusehen sei, weil die gesamte, innerhalb eines Mündungstrichters liegende Fläche zum Kreuzungsbereich gehöre, bei einer trichterförmigen Einmündung der Kreuzungsbereich bereits dort beginne, wo die durch die Einmündung bedingte Verbreiterung der Straße deutlich erkennbar werde (Dittrich-Veit-Schuchlenz, StVO, Anm. 48 zu § 2 StVO) und im vorliegenden Fall die Mündungstrichter der einander gegenüberliegenden Gaumberg- und Landwiedstraße einander überschneiden, sohin ein einziger Kreuzungsbereich vorliege. Habe der Kläger aber erwarten dürfen, daß der von ihm wahrgenommene Erstbeklagte bei Rotlicht vor dem Schutzweg anhalten werde, so könne ihm eine Vorrangverletzung nicht zur Last gelegt werden. Nach den unbekämpft gebliebenen erstgerichtlichen Feststellungen habe für den Kläger bei Wahrnehmung des Fahrzeuges des Erstbeklagten keine Veranlassung zur Befürchtung bestanden, daß der Erstbeklagte das Rotlicht der Verkehrsampel mißachten werde. Durch seinen Verstoß gegen § 38 Abs 5 StVO falle dem Erstbeklagten das alleinige Verschulden an dem Unfall zur Last. Gegen dieses Urteil in seinem klagsstattgebenden Teil richtet sich die auf den Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Revision der beklagten Parteien mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern.

Der Kläger beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist ungeachtet des Verstoßes des Berufungsgerichtes gegen die Verpflichtung, seinen auf § 500 Abs 3 ZPO gegründeten Ausspruch kurz zu begründen, im Hinblick auf das Fehlen einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob ein Verstoß nach § 38 Abs 5 StVO wegen Rotlichtes im Bereich eines Schutzweges auch den Verlust des Vorranges gegenüber dem Querverkehr auf einer nachfolgenden Kreuzung bedeutet, zulässig und auch berechtigt. In der Revision halten die beklagten Parteien an ihrer Rechtsansicht fest, die "Druckknopfampel" habe sich ausschließlich auf den Fußgängerübergang bezogen und keine Schutzwirkungen für den Verkehr auf der Landwiedstraße entwickelt, weshalb sich der Kläger dem Erstbeklagten gegenüber im Nachrang befunden habe. Dem ist beizupflichten.

Der Oberste Gerichtshof hat wohl schon wiederholt ausgesprochen, daß die Annahme eine Vorranges zur Voraussetzung hat, daß der betreffende Verkehrsteilnehmer überhaupt die Möglichkeit zum Weiterfahren (ZVR 1978/102) bzw. zum zulässigen Weiterfahren hat (2 Ob 1/79; ZVR 1980/131; ZVR 1984/115; 8 Ob 87/75; 8 Ob 53/86), ein Verkehrsteilnehmer, der das absolute Anhaltegebot des Rotlichtes im Sinne des § 38 Abs 5 StVO übertritt, für sich daher keinen Vorrang in Anspruch nehmen kann. Dies gilt aber nur für jene Fälle, in denen sich das hinsichtlich des Vorranges zu beurteilende Verkehrsgeschehen auf einer durch die Verkehrssignalanlage gesicherten Verkehrsfläche ereignet. Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen fuhr der Erstbeklagte auf eine "Druckknopfampel" zu, die über dem Schutzweg angebracht war. Nach der einen integrierenden Bestandteil des erstgerichtlichen Urteils bildenden Skizze befanden sich im Bereich der Einmündungen der Gaumbergstraße und der Landwiedstraße keine Verkehrsampeln; der Verkehr aus diesen beiden Straßen war gegenüber jenem auf der Unionstraße durch das Vorrangzeichen "Vorrang geben" (§ 52 lit c Z 23 StVO) benachrangt. Für das Einbiegen eines von der Landwiedstraße kommenden Verkehrsteilnehmers in die Unionstraße war somit kein Lichtzeichen einer Verkehrsampfel, sondern lediglich das genannte Vorrangzeichen zu beachten. Aus der für die rechtliche Beurteilung hier maßgeblichen Sachverhaltsgrundlage ergibt sich - wie der erwähnten Skizze zu entnehmen ist -, daß auf der stadtauswärts führenden Fahrbahnhälfte der Unionstraße zwischen der Einmündung der Landwiedstraße und jener der Gaumbergstraße eine ununterbrochene Querlinie im Sinne des § 55 Abs 2 StVO vorhanden war. § 9 Abs 3 StVO normiert für den Fall, daß an einer geregelten Kreuzung auf der Fahrbahn eine solche Haltelinie angebracht ist, beim Anhalten bis an diese Haltelinie herangefahren werden darf. Daraus folgt, daß ein von der Landwiedstraße kommender Verkehrsteilnehmer, wenn er im Zuge des Einbiegens in die Unionstraße stadtauswärts wahrnimmt, daß die Druckknopfampel über dem Schutzweg für den Fahrzeugverkehr auf der Unionstraße Rotlicht zeigt, bis zu dieser Haltelinie heranfahren darf

(§ 38 Abs 1 lit a StVO). Aus der besonderen Ausgestaltung der für die hier zusammentreffenden Verkehrsflächen maßgeblichen Verkehrsleiteinrichtungen, nämlich die Anbringung bloß einer einzigen Ampel über dem Schutzweg, das Nachrangzeichen in der Landwiedstraße und die Haltelinie zwischen den Einmündungen der Landwiedstraße und der Gaumbergstraße ergibt sich, daß der Regelungs- und damit auch der Sicherungsbereich der "Druckknopfampel" nur für den innerhalb der beiden Haltelinien liegenden Bereich der Unionstraße gilt und die Einmündung der Landwiedstraße in die Unionstraße bis zu der vor der Einmündung der Gaumbergstraße befindlichen Haltelinie nicht mehr als vom Regelungsbereich der Ampel umfaßt angesehen werden kann. Da sich der Unfall im Bereich der Einmündung der Landwiedstraße in die Unionstraße - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen - noch vor der Haltelinie zwischen den Einmündungen der Landwiedstraße und der Gaumbergstraße, also bereits außerhalb des Regelungsbereiches der Druckknopfampel ereignet hat, kann nicht gesagt werden, daß der Übertretung des absoluten Anhaltegebotes des Rotlichtes an der "Druckknopfampel" im Sinne des § 38 Abs 5 StVO durch den Erstbeklagten für die im Revisionverfahren strittig gebliebene Frage, welcher der beiden Verkehrsteilnehmer sich bei der Einmündung der Landwiedstraße in die Unionstraße im Vorrang befand, rechtliche Relevanz zukommt. Kommt aber ein rechtlich relevanter Verstoß des Erstbeklagten gegen § 38 Abs 5 StVO nicht zum Tragen, so richtet sich der Vorrang nach § 19 Abs 4 StVO. Nach dieser Bestimmung kam dem Erstbeklagten im Einmündungsbereich der Landwiedstraße gegenüber dem Kläger wegen des für diesen geltenden Vorschriftszeichens "Vorrang geben" der Vorrang zu. Befand sich der Kläger aber im Nachrang, so durfte er in die Unionstraße nur einfahren, wenn er durch gehörige Beobachtung des bevorrangten Verkehrs in seiner tatsächlichen Gestaltung sich die Gewißheit verschafft hat, dies ohne Gefährdung oder auch nur Behinderung des bevorrangten Verkehrsteilnehmers unternehmen zu können (§ 19 Abs 7 StVO; vgl. Dittrich-Veit-Schuchlenz, StVO, Anm. 68 a zu § 19 StVO). Nach der für die rechtliche Beurteilung maßgeblichen Sachverhaltsgrundlage hielt der Kläger sein Fahrzeug an der Fluchtlinie der Unionstraße an und ließ den Querverkehr vorbeifahren; in der Folge fuhr er jedoch trotz Wahrnehmung des herankommenden Kraftfahrzeuges des Erstbeklagten in die Kreuzung ein. Das Erstgericht ist daher mit Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger den Verkehrsunfall durch Verletzung des Vorranges des Erstbeklagten selbst verschuldet hat. Im Hinblick auf diese erhebliche Verkehrswidrigkeit des Klägers kann wegen der in § 11 Abs 1 EKHG normierten Rangordnung der Zurechnungskriterien auch in der Unterlassung der Annahme der Halterhaftung des Erstbeklagten durch das Erstgericht kein Rechtsirrtum erblickt werden.

Damit erweist sich aber die Revision als berechtigt, weshalb ihr Folge zu geben und das Urteil des Berufungsgerichtes im Sinne der Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern war. Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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