OGH 8Ob610/87

OGH8Ob610/879.2.1988

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Laura G***, Angestellte, Seuttergasse 19, 1130 Wien, vertreten durch Dr. Guido Kollmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Wolfgang K***, Angestellter, Kuefsteingasse 12, 1140 Wien, vertreten durch Dr. Franz Glöckler, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 19.500,-- s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 22. April 1987, GZ 48 R 70/87-11, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 21. Oktober 1986, GZ 43 C 310/86-7, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere

Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrte die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von S 19.500,-- s.A. im wesentlichen mit der Begründung, sie sei auf Grund eines Mietvertrages vom 6. Juni 1979 Mieterin der Wohnung Nr 4 im Haus des Beklagten in Wien 5, Ramperstorffergasse 30, gewesen. Das Bestandverhältnis sei aufgelöst und der Bestandgegenstand am 21. Jänner 1986 zurückgestellt worden. Die Klägerin habe in der gemieteten Wohnung Aufwendungen im Wert von S 19.500,-- gemacht, deren Ersatz sie vom Beklagten im Sinne der Vorschrift des § 10 MRG, deren Voraussetzungen in tatsächlicher Hinsicht gegeben seien, begehre.

Der Beklagte wendete im wesentlichen ein, daß die Klagsforderung nicht zu Recht bestehe, weil die Klägerin auf den Ersatz von Investitionen verzichtet habe. Es bestehe eine Gegenforderung aus der Beschädigung der Mietwohnung in der Höhe von S 20.000,--. Die Klagsforderung sei zu 43 C 711/85 des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien kompensando eingewendet worden und damit "verfahrensanhängig". Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es stellte im wesentlichen fest, daß die Klägerin vom Beklagten die Wohnung top Nr 4 im Haus Wien 5, Ramperstorffergasse 30, mietete; das Hauptmietverhältnis begann mit 1. Juli 1979. Im Mietvertrag wurde unter § 4 vereinbart, daß in einverständlicher Abänderung des § 1096 ABGB der Mieter die Verpflichtung übernimmt, den Mietgegenstand auf seine Kosten ohne Anspruch auf Ersatz jederzeit in gutem brauchbarem Zustand zu erhalten und bei Beendigung der Miete in gutem brauchbarem Zustand zurückzustellen. Weiters wurde im § 5 Z 3 des Mietvertrages vereinbart, daß im Zusammenhang mit baulichen Veränderungen innerhalb des Bestandgegenstandes erfolgte Investitionen, Einbauten und dergleichen sofort unentgeltlich in das Eigentum des Vermieters übergehen; das gleiche gilt für Gas- und elektrische Leitungen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß die Klägerin durch die im Mietvertrag getroffene Vereinbarung auf einen Aufwandersatzanspruch gemäß § 1097 ABGB wirksam verzichtet habe. Die Klägerin stütze ihr Begehren auch auf § 10 MRG. § 10 Abs 6 MRG bestimme, daß auf den Ersatzanspruch gemäß § 10 MRG im voraus nicht rechtswirksam verzichtet werden könne. Das MRG sei am 1. Jänner 1982 in Kraft getreten, der hier zu beurteilende Mietvertrag jedoch schon vorher abgeschlossen worden. Eine Übergangsbestimmung betreffend die Anwendung des § 10 MRG gebe es im MRG nicht. Liege keine Übergangsbestimmung vor, aus der zu entnehmen sei, daß ein vor Inkrafttreten des MRG rechtswirksam erklärter Vorausverzicht des Mieters auf Ersatz von Aufwendungen rückwirkend für unwirksam erklärt werde, so bleibe ein derartiger Vorausverzicht auch nach Inkrafttreten des MRG wirksam, und zwar auch hinsichtlich der im § 10 MRG umschriebenen Aufwendungen. Die Vorschrift des § 10 Abs 6 MRG könne sich daher nur auf nach Inkrafttreten des MRG geschlossene Verträge beziehen.

Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Beschluß Folge. Es hob das Urteil des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, der Abschluß des Bestandvertrages der Streitteile sei vor Inkrafttreten des MRG, nämlich am 6. Juni 1979, erfolgt. Die Vereinbarung eines Vorausverzichtes auf Ersatzansprüche für Investitionen des Mieters in seiner Wohnung sei nach der Rechtslage des § 17 Abs 3 MG nur für Wohnungen zulässig gewesen, die nicht im Sinne des § 3 Z 10 des Stadterneuerungsgesetzes mangelhaft gewesen seien. Diesen Umstand habe das Erstgericht nicht berücksichtigt, sodaß seinem Urteil zunächst Feststellungen darüber fehlten, ob es sich bei der Wohnung im Zeitpunkt ihrer Anmietung um eine sogenannte Substandardwohnung gehandelt habe oder nicht. Schon aus diesem Grund erweise sich das bisherige Verfahren als mangelhaft.

Abgesehen davon könne sich aber das Berufungsgericht der in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes Rechtsansicht, daß ein vor Inkrafttreten des MRG rechtswirksam abgegebener Verzicht des Mieters auf die Geltendmachung von Aufwandersatzansprüchen auch hinsichtlich der im § 10 MRG umschriebenen Aufwendungen wirksam sei und sich die Vorschrift des § 10 Abs 6 MRG nur auf Mietverträge, die nach Inkrafttreten des MRG abgeschlossen werden seien, beziehe, nicht anschließen. § 43 Abs 1 MRG sehe vor, daß, soweit im II. Hauptstück nichts anderes bestimmt sei, das I. Hauptstück des MRG auch für Mietverträge gelte, die vor Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes geschlossen worden seien. Daraus folge, daß auch bei "Altverträgen" der Mieter bei Beendigung des Bestandverhältnisses grundsätzlich Ersatzansprüche nach § 10 MRG geltend machen könne. Dafür sei auch entscheidend, daß der Rechtsanspruch nach § 10 MRG überhaupt erst nach Beendigung des Mietverhältnisses, daher hier erst nach Inkrafttreten des MRG, entstehen habe können. Ein Verzicht auf künftig dem Mieter durch das Gesetz eingeräumte neue Rechte, dessen Inhalt noch gar nicht zuverlässig abzusehen gewesen sei, sei nicht zulässig und wirksam. Bei einem Verzicht auf künftig entstehende Rechte müßten sich die Rechtsverhältnisse, auf die sich der Verzicht beziehe, schon von vornherein übersehen lassen. Soweit dies nicht zutreffe, sei der Verzicht unwirksam. Die Geltendmachung von Aufwandersatzansprüchen nach § 10 MRG sei daher auch dann zulässig, wenn der Mieter vor Inkrafttreten des MRG wirksam auf den Ersatz von Investitionen verzichtet habe.

Ausgehend von einer vom Berufungsgericht nicht geteilten Rechtsansicht habe das Erstgericht keine Feststellungen getroffen, die eine Beurteilung der Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche im Sinne der Voraussetzungen des § 10 MRG ermöglichten. Das Erstgericht werde, ausgehend von der Rechtsunwirksamkeit eines Vorausverzichtes, Feststellungen zu treffen haben, die eine Beurteilung der geltend gemachten Forderung nach § 10 MRG in formeller und materieller Hinsicht ermöglichten. Dabei werde das Erstgericht zunächst die Klägerin aufzufordern haben, aufzuschlüsseln, für welche Investitionen der Klagsbetrag begehrt werde, wobei die einzelnen Investitionen detailliert anzugeben seien, und zwar sowohl der seinerzeit getätigte Aufwand als auch der Wert der Investitionen im Zeitpunkt der Rückstellung der Wohnung. Darüber hinaus seien auch die übrigen Voraussetzungen des § 10 MRG, wie etwa rechtzeitige Geltendmachung des Anspruches etc, zu prüfen. Erst dann werde beurteilt werden können, ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Ersatz nach den Bestimmungen des § 10 MRG zustehe. Den angeordneten Rechtskraftvorbehalt begründete das Berufungsgericht damit, die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO seien im Hinblick darauf gegeben, daß noch keine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Rechtswirksamkeit eines Vorausverzichtes des Mieters in einem "Altvertrag" hinsichtlich der Geltendmachung von Ansprüchen nach § 10 MRG bestehe.

Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen. Die Klägerin hat eine Rekursbeantwortung mit dem Antrag erstattet, dem Rekurs des Beklagten nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig. Die Voraussetzungen des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sind gegeben, weil in der Frage der Wirksamkeit eines vor Inkrafttreten des MRG erklärten Vorausverzichtes des Mieters auf Ersatz von im § 10 MRG umschriebenen Aufwendungen eine uneinheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliegt. Dazu kann auf die folgenden Ausführungen verwiesen werden. Sachlich ist der Rekurs des Beklagten aber nicht berechtigt. In der in JBl. 1986,390 (= RdW 1986,175) veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes, der sich das Erstgericht angeschlossen hat und auf deren ausführliche Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden kann, wurde die Rechtsansicht vertreten, daß ein vor Inkrafttreten des MRG rechtswirksam erklärter Vorausverzicht des Mieters einer Wohnung auf Ersatz von Aufwendungen auch nach Inkrafttreten des MRG wirksam bleibt, und zwar auch hinsichtlich der im § 10 MRG umschriebenen Aufwendungen; die Vorschrift des § 10 Abs 6 MRG könne sich nur auf nach dem Inkrafttreten des MRG geschlossene Verträge beziehen. Diese Entscheidung wurde nicht nur im Schrifttum ablehnend kritisiert (Iro in RdW 1986,175; Meinhart in ImmZ 1986,198), sondern auch in späteren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes ausdrücklich abgelehnt.

So wurde etwa in der in JBl. 1987,787 veröffentlichten Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ausgeführt, § 43 Abs 1 MRG ordne die Anwendung der §§ 1 bis 42 MRG ab Inkrafttreten des Gesetzes auch auf vorher abgeschlossene Mietverträge an, sodaß sich der durch § 10 MRG neu geschaffene Ersatzanspruch jedenfalls auf erst nach Inkrafttreten des MRG getätigte Investitionen im Rahmen schon vor diesem Zeitpunkt begründeter Mietverhältnisse erstrecke, weil ein allfälliger Vorausverzicht des Mieters ab diesem Zeitpunkt, soweit es um Ansprüche nach § 10 MRG gehe, seiner Wirksamkeit entkleidet sei (§ 10 Abs 6 MRG). Fraglich könnte es lediglich sein, ob ein vorher vereinbarter Verzicht Ansprüche des Mieters auf Ersatz von ihm gleichfalls schon vorher getätigter Aufwendungen gar nicht erst entstehen ließ und ihm daher vor Inkrafttreten des MRG überhaupt keine Ersatzansprüche, die einer Beurteilung nach § 10 MRG zu unterziehen wären, zugestanden wären. Dies sei zu verneinen. Gemäß § 10 Abs 1 MRG habe der Hauptmieter einer Wohnung erst bei Beendigung des Mietverhältnisses Anspruch auf Ersatz näher bezeichneter Aufwendungen, den er überdies erst unter den im Abs 5 umschriebenen Voraussetzungen gerichtlich geltend machen könne. Eine der Voraussetzungen der Entstehung des Ersatzanspruches sei somit die Auflösung des Mietverhältnisses. Sei das Mietverhältnis erst nach Inkrafttreten des MRG aufgelöst worden (bei vorher beendeten Bestandverhältnissen habe sich das Problem eines nach § 10 MRG zu beurteilenden Anspruches nicht stellen können), so sei gemäß § 43 Abs 1 MRG § 10 dieses Gesetzes auch auf vor dem 1. Jänner 1982 abgeschlossenen Mietverträge und damit auf alle in den letzten 20 Kalenderjahren vor der Beendigung des Mietverhältnisses gemachten Aufwendungen anzuwenden; deshalb unterscheide das MRG in Bezug auf die Ersatzfähigkeit von Aufwendungen des Hauptmieters auch nicht, ob die Investitionen vor oder nach Inkrafttreten dieses Gesetzes getätigt worden seien. Der Mieter einer Wohnung sei daher trotz eines vor Inkrafttreten des MRG erklärten Verzichtes auf den Ersatz von Aufwendungen berechtigt, den im voraus unverzichtbaren Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen nach § 10 MRG unter den dort umschriebenen Voraussetzungen geltend zu machen.

Zum gleichen Ergebnis kamen die zu 3 Ob 519/87 und 3 Ob 537/87 getroffenen (bisher - soweit überschaubar - unveröffentlichten) Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes.

Unter diesen Umständen sieht sich der erkennende Senat - nicht zuletzt im Interesse der Herbeiführung einer einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes - nicht in der Lage, die der in JBl. 1986,390 (= RdW 1986,175) veröffentlichten Entscheidung zugrundeliegende Rechtsansicht aufrecht zu erhalten bzw ihr beizutreten. Er schließt sich vielmehr aus den in JBl. 1987,787 dargestellten Erwägungen dem in dieser Entscheidung vertretenen Rechtsstandpunkt an.

Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus, daß ein vor Inkrafttreten des MRG erklärter Vorausverzicht der Klägerin auf den Ersatz von Aufwendungen in der von ihr gemieteten Wohnung sie im Sinne des § 10 Abs 6 MRG nicht hindert, den Ersatz von Aufwendungen im Sinne des § 10 MRG unter den dort normierten Voraussetzungen vom Beklagten zu fordern. Ob die im § 10 Abs 4 und Abs 5 MRG normierten tatsächlichen Voraussetzungen für einen derartigen Anspruch vorliegen, wird ebenso wie die übrigen tatsächlichen Voraussetzungen eines solchen Ersatzanspruches im fortgesetzten Verfahren zu klären sein.

Der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes ist daher gerechtfertigt. Dem Rekurs des Beklagten muß unter diesen Umständen ein Erfolg versagt bleiben.

Da dieses Rechtsmittel zur Klägerung der Rechtslage beigetragen hat, ist die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens im Sinne des § 52 ZPO dem weiteren Verfahren vorzubehalten (EvBl 1958/28).

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