OGH 9ObS41/87

OGH9ObS41/8727.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Müller und Dr. Gerhard Dengscherz als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dragoljub I***, Nis, Juznomoravskih Brigada 34, Jugoslawien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wider die beklagte Partei A*** U***, Wien 20.,

Adalbert Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. August 1987, GZ 32 Rs 145/87-21, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17. Februar 1987, GZ 1 a Cgs 311/86-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Das Begehren des Inhalts, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger eine höhere als die mit Bescheid vom 31. Mai 1977 im Ausmaß von 20 % der Vollrente zuerkannte Versehrtenrente zu gewähren, wird abgewiesen."

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid der beklagten Partei vom 31. Mai 1977 wurde dem Kläger für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 26. August 1975 eine Dauerrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente gewährt. Mit Bescheid vom 29. Juli 1986 wies die beklagte Partei das auf die Behauptung einer Verschlimmerung der Unfallsfolgen gestützte Begehren des Klägers auf Erhöhung der Rentenleistung ab. Das Erstgericht gab dem gegen diesen Bescheid erhobenen Begehren des Klägers auf Erhöhung der Rentenleistung statt und verpflichtet die beklagte Partei zur Leistung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 25 v.H. der Vollrente ab 19. Dezember 1985. Dabei legte es seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehende Feststellungen zugrunde:

Der Kläger erlitt bei einem Arbeitsunfall am 26.August 1975 eine perforierende Verletzung des linken Auges. Das Sehvermögen hat nunmehr von 1/5 auf 1/10 abgenommen. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt nunmehr 25 v.H.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, daß im Hinblick auf die Verschlimmerung der Unfallsfolgen die Neufestsetzung der Rente gerechtfertigt sei, zumal das Gesetz eine prozentmäßige Grenze der Veränderung als Voraussetzung für die Neufeststellung nicht enthalte. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Der Rechtsmeinung, daß eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Fall des Klägers erst angenommen werden könne, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit 30 v.H. betrage, könne nicht beigetreten werden. Wohl sei diese Ansicht in der Rechtsprechung teilweise unter Anlehnung an die Bestimmung des § 184 Abs 3 ASVG vertreten worden, doch spreche die Verschiedenartigkeit der Regelungen über die Neufeststellung einer laufenden Rente einerseits und die abermalige Gewährung einer abgefundenen Rente andererseits gegen eine analoge Anwendung der für einen dieser Bereiche getroffenen Bestimmungen auf den anderen Bereich. Die Bestimmung des § 184 Abs 3 ASVG enthalte nur Sonderregelungen für den Fall einer Neugewährung einer Rente nach Abfindung, die nicht auf die Fälle des § 183 Abs 3 ASVG übertragen werden könnten. Es sei daher der Rechtsmeinung des Erstgerichtes beizutreten, daß die festgestellte Veränderung der Unfallsfolgen wesentlich sei und eine Neufeststellung der Rente rechtfertige.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Durch Art. III Z 4 SozRÄG 1988 (44. ASVG-Novelle), BGBl. 609/1987, das mangels einer Sonderregelung für diese Bestimmung gemäß Art. 10 Abs 1 am 1. Jänner 1988 in Kraft getreten ist, ist der hier maßgeblichen Norm des § 183 Abs 1 ASVG ein weiterer Satz angefügt worden. Demzufolge gilt als wesentlich eine Änderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 von 100 geändert wird, wenn ferner durch die Änderung ein Rentenanspruch entsteht oder wegfällt (§§ 203, 210 Abs 1) oder die Schwerversehrtheit entsteht oder wegfällt (§ 205 Abs 4). In den Gesetzesmaterialien wird dazu ausgeführt, daß sich zu dem Begriff "wesentliche Änderung" eine einheitliche Judikatur entwickelt habe, die den Begriff der Wesentlichkeit genau definiere und für jene Grenzfälle, die an "Schwellwerten liegen", im Sinn der sozialen Rechtsanwendung Klarstellung bringe. Sie solle nunmehr im Gesetzeswortlaut (§ 183 Abs 1 ASVG) Niederschlag finden (324 BlgNR 17. GP, 36). Da im vorliegenden Fall nur eine Verschlechterung von 5 % (in bezug auf die Vollrente) eingetreten ist, muß die Frage, ob das Gesetz in der neuen Fassung bei der Entscheidung über die Revision bereits Berücksichtigung zu finden hat, geprüft werden. Judikatur und Lehre vertreten weitgehend übereinstimmend die Auffassung, daß mangels gegenteiliger Anordnungen des Gesetzgebers die Entscheidung nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz zu ergehen habe (Holzhammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht, Erkenntnisverfahren 175). Auf Rechtsänderungen nach diesem Zeitpunkt ist grundsätzlich nicht Bedacht zu nehmen (JBl. 1975, 485 u.a.; nunmehr auch Fasching Zivilprozeßrecht Rz 1456). Ausnahmen erachtete der Oberste Gerichtshof dort für gerechtfertigt, wo auf rückwirkend angeordnetes zwingendes Recht - wie z.B. die rückwirkende Außerkraftsetzung typisch nationalsozialistischer Vorschriften (Ehrenzweig2 I/1, 88; vgl. auch Wolff in Klang2 I/1 74 f) - Bedacht zu nehmen ist (JBl. 1947, 243) oder wenn - wie bei Unterhaltsansprüchen - auch über solche Ansprüche für die Zukunft und damit für die Zeit nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes abzusprechen ist (EvBl 1977/67 mwH). Abweichendes gilt allerdings auch für Fälle, in denen durch das Gesetz keine neue Rechtslage geschaffen wurde, sondern bloß eine Auslegung einer bereits zuvor bestandenen Norm durch den Gesetzgeber erfolgt. Die Vorschrift des § 8 ABGB regelt die authentische Interpretation. Darnach steht nur dem Gesetzgeber die Macht zu, ein Gesetz auf allgemein verbindliche Art zu erklären; eine solche Erklärung muß auf alle noch zu entscheidenden Rechtsfälle angewendet werden, sofern der Gesetzgeber nicht hinzufügt, daß seine Erklärung bei Entscheidung solcher Rechtsfälle, welche die vor der Erklärung unternommenen Handlungen und angesprochenen Rechte zum Gegenstand haben, nicht bezogen werden soll. Diese Vorschrift hat deshalb eine über den Bereich des Privatrechts hinausreichende Bedeutung, weil sie eine Festlegung der Bedeutung einer authentischen Interpretation enthält, so daß anzunehmen ist, daß jede authentische Interpretation des Gesetzgebers - sofern nicht Besonderes verfügt wurde - in diesem Sinn zu verstehen ist (Robert Walter ÖJZ 1966, 6). Von einer authentischen Interpretation spricht man sohin, wenn das zur Aufstellung oder Änderung der Grundnorm berechtigte Organ bestimmt, in welchem Sinn sie zu verstehen sei. Dies bedeutet die Anordnung einer Rückwirkung (Bydlinski in Rummel ABGB Rz 1 zu § 8; Koziol-Welser8 I 20; Walter Mayer Grundriß des österreichischen Verfassungsrechtes4, 40; Walter Österreichisches Bundesverfassungsrecht 82 f; GesRZ 1985, 38).

Für den vorliegenden Fall weisen sowohl der Wortlaut des Art. III Z 4 SozRÄG 1987, BGBl. 609/87, wie auch die Gesetzesmaterialien deutlich darauf hin, daß der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung nicht neues Recht schuf, sondern eine authentische Interpretation des bisher im Gesetz nicht näher definierten Begriffes der wesentlichen Änderung nach den Grundsätzen der in den Gesetzesmaterialien erwähnten Judikatur vornahm. Diese authentische Interpretation ist zufolge der Bestimmung des § 8 ABGB auch auf die in der Rechtsmittelinstanz anhängigen Fälle anzuwenden (3 Ob 346/56). Auf dieser Grundlage ist aber die Verschlimmerung der Unfallsfolgen des Klägers keine wesentliche Änderung im Sinn des § 183 Abs 1 ASVG nF, so daß die Voraussetzungen für eine Neufeststellung der Rente nicht erfüllt sind.

Eine Kostenentscheidung entfiel, da Kosten nicht verzeichnet wurden.

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