Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:
"Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei ab Antragstag (23. Oktober 1986) einen Hilflosenzuschuß im derzeitigen (1987) monatlichen Betrag von S 2.434,-- zu zahlen, wird abgewiesen."
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Bescheid vom 14. Jänner 1987 wies die Beklagte den Antrag des Klägers vom 23. Oktober 1986 auf Gewährung eines Hilflosenzuschusses ab, weil er nicht hilflos im Sinne des § 70 BSVG sei.
Dagegen erhob der Kläger rechtzeitig Klage mit dem aus dem Spruch ersichtlichen Begehren.
Das Erstgericht gab diesem Begehren statt.
Es stellte den körperlichen und geistigen Zustand des (am 10. Juli 1925 geborenen) Klägers und weiters fest, daß er sich nur mit vermehrtem Zeitaufwand dann allein an- und auskleiden kann, wenn er vorne durchknöpfbare Kleidungsstücke und Schlüpfschuhe und zum Anziehen normale Strümpfe ein Greifinstrument benützt. Er kann sich frisieren, rasieren und waschen, die unteren Körperpartien allerdings mit Hilfe einer Stielbürste. Zum Besteigen und Verlassen einer Sitzbadewanne braucht er Hilfe. Er kann allein auf die Toilette gehen, auch Hauptmahlzeiten selbst zubereiten, essen und trinken, das Geschirr abwaschen, mit einer Hand einen gefüllten Topf mit 2 l Inhalt tragen, die kleine Wäsche waschen, mit vermehrtem Zeitaufwand leichte Aufräumarbeiten, wie Zusammenkehren und notdürftiges Aufbetten, verrichten, den Feuerbrand in einem Holz- oder Kohleofen unterhalten und einen solchen Ofen im Sitzen entaschen und aus dem Sitzen Gegenstände vom Boden aufheben. Das Herbeischaffen des Brennmaterials aus dem Vorratsraum, das Tragen eines vollen Kübels, das Waschen der Großwäsche und die Zurücklegung größerer Gehstrecken, insbesondere des mehrere Kilometer weiten Weges zum Kaufmann, ist ihm nicht möglich. Der Kläger kann im Haus ohne Stock gehen und verwendet außer Haus einen Gehstock. Unter diesen Umständen erachtete das Erstgericht den Kläger als derart hilflos, daß er ständig der Wartung und Hilfe bedürfe. Das Berufungsgericht gab der in erster Linie auf Abweisung des Klagebegehrens gerichteten Berufung der Beklagten nicht Folge, weil es die Rechtsansicht vertrat, daß der Kläger zur Aufrechterhaltung seiner Existenz notwendige Verrichtungen im persönlichen und sachlichen Bereich unter zumutbaren Bedingungen nicht mehr leisten könne.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern oder aufzuheben.
Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs. 4 ASGG ohne die Beschränkung des Abs. 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt. Nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (zB 22. Oktober 1987, JBl. 1988, 64) liegt Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG und damit auch des im wesentlichen gleichformulierten § 70 BSVG dann vor, wenn der Pensionist nicht in der Lage ist, auch nur einzelne dauernd wiederkehrende, lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen. Aus der Höhe und dem Zweck des Hilflosenzuschusses ergibt sich allerdings, daß ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur dann angenommen werden kann, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen nach dem Lebenskreis des Pensionisten üblicherweise aufzuwendenden und daher nicht bis ins einzelne, sondern nur überschlagsmäßig (vgl. § 273 ZPO) festzustellenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch sind wie der begehrte Zuschuß. Bei der Frage, ob es sich um notwendige Dienstleistungen handelt, müssen die dem Hilfsbedürftigen tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel berücksichtigt werden. Da jedoch auch von einem Hilflosen erwartet werden kann, daß er einen Standard hält, der unter nicht hilflosen Beziehern gleichhoher Einkommen im selben Lebenskreis üblich ist, ist bei der Schätzung des notwendigen Dienstleistungsaufwandes mindestens dieser Standard zugrunde zu legen.
Daraus folgt, daß der in bäuerlichen Verhältnissen lebende Kläger seit der Antragstellung nicht hilflos im Sinne des § 70 BSVG ist.
Auch wenn der Kläger beim An- und Auskleiden, zum nicht täglich üblichen Wannenbad, zum Transport des Brennmaterials vom Vorratsraum zum Ofen, zum - insbesondere bei der Entfernung des Hofes vom Kaufmann - nicht täglich üblichen Besorgen der zuzukaufenden Lebensmittel und übrigen Bedarfsgegenstände sowie zu den nur in größeren Abständen anfallenden schwereren Hausarbeiten fremde Hilfe braucht, ist auszuschließen, daß für diese Dienstleistungen im Monatsdurchschnitt mehr als S 2.735,-- aufgewendet werden müssen. So hoch wäre nämlich der monatliche Durchschnitt des im Jahre 1986 gebührenden Mindesthilflosenzuschusses.
Das angefochtene Urteil war daher im klageabweisenden Sinn abzuändern.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)