OGH 1Ob5/88

OGH1Ob5/8820.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Andrea G***, Kindergärtnerin, Wien 18., Pötzleinsdorferstraße 96, vertreten durch Mag. Dr. Oskar Wanka, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei R*** Ö***, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 50.000 S und Feststellung (Gesamtstreitwert 111.000 S), infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 7. Juli 1987, GZ 12 R 35/87-15, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom 22. Jänner 1987, GZ 1 Cg 212/86-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 5.143,50 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin nahm im Juni 1984 als Schülerin der Bundesbildungsanstalt für Kindergärtnerinnen Wien 10 an einer Schulsportwoche in Mondsee teil. Im Rahmen dieser Schulsportwoche besuchte die Klägerin einen Tennisunterricht, der (erlaßgemäß) von einem Tennislehrer der örtlichen Sportschule erteilt wurde. Während des Übens an einer Tenniswand bückte sich die Klägerin, um einen am Boden liegenden Ball aufzuheben. Dabei wurde sie von einer Mitschülerin, die nach einem Ball schlug, mit dem Tennisschläger ins Gesicht getroffen. Der Klägerin wurden zwei Schneidezähne ausgeschlagen.

Die Klägerin begehrt aus dem Titel der Amtshaftung von der beklagten Partei ein Schmerzengeld in der Höhe von 50.000 S sA und die Feststellung, daß die beklagte Partei ihr für sämtliche Schäden, die ihr aus dem Unfall vom 5. Juni 1984 noch erwachsen werden, hafte. Die beklagte Partei habe für das Verschulden des Sportlehrers als Aufsichtsorganes in Vollziehung der Unterrichtsgesetze einzustehen. Das Verschulden liege in der mangelhaften Organisation des Übungsbetriebes. An einer Tenniswand von 9 m hätten gleichzeitig acht Tennisspieler geübt, so daß es zu einer gegenseitigen Gefährdung gekommen sei.

Die beklagte Partei wendete ein, eine Verletzung der Aufsichtspflicht liege nicht vor, es hätten nur vier Schülerinnen an einer Tenniswand in der Länge von 15 m gleichzeitig geübt. Der beklagten Partei komme auch das Haftungsprivileg nach § 333 ASVG zugute.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Klägerin genieße gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung. Da vorsätzliches Handeln nicht vorliege, treffe die beklagte Partei gemäß § 333 ASVG keine Haftung für Personenschäden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Partei nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden habe, 60.000 S, nicht aber 300.000 S übersteige. Die Revision erklärte es für nicht zulässig. Bei dem Übungsleiter habe es sich um einen Aufseher im Betrieb gehandelt. § 333 ASVG umfasse auch Schmerzengeldansprüche.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der Klägerin ist zwar zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Das Schulunterrichtsgesetz und die in dessen Vollziehung getroffenen Maßnahmen werden den Schülern gegenüber vollzogen. Die Erteilung des Unterrichtes an öffentlichen Schulen gilt als an sich hoheitliche Tätigkeit. Lehrer sind bei Vollziehung des Schulunterrichtsgesetzes daher Organe im Sinne des § 1 Abs 2 AHG (SZ 57/17; SZ 51/2; Loebenstein-Kaniak, AHG2 86). Nach Art. 14 Abs 1 B-VG ist die Gesetzgebung und die Vollziehung auf dem Gebiete des Schulwesens, von im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommenden Ausnahmen abgesehen, Bundessache. Schuldhaftes rechtswidriges Organhandeln wäre daher dem Bund zuzurechnen. Nach § 13 SchUG ist die Ergänzung des lehrplanmäßigen Unterrichtes durch unmittelbaren und anschaulichen Kontakt zum wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben sowie durch die Förderung der musischen Anlagen der Schüler und die körperliche Ertüchtigung Aufgabe der Schulveranstaltungen. Nach § 2 III Z 1 lit d der auf Grund des § 13 SchUG erlassenen Verordnung des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst vom 24. Juni 1974, BGBl. Nr. 369, über die Art, die Anzahl und die Durchführung von Schulveranstaltungen können Schullandwochen in der 10. oder 11. Schulstufe schwerpunktmäßig als Schulsportwochen durchgeführt werden. Nach Z 14 der Anlage D dieser Verordnung hat die in Form einer Schulsportwoche durchgeführte Schullandwoche in Ergänzung und Erweiterung des lehrplanmäßigen Unterrichtes aus Leibesübungen der kursmäßigen Unterweisung in jenen Sportarten zu dienen, deren Ausübung für eine sinnvolle Freizeitgestaltung von besonderer Bedeutung ist. Die Klägerin, die als Schülerin einer Bildungsanstalt für Kindergärtnerinnen (§ 94 SchOG idF vor der 7. SchOG-Novelle) an einer solchen Schulsportwoche teilgenommen hat, stützt ihr auf die Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes gegründetes Schmerzengeldbegehren darauf, daß ein Sportlehrer, der die Schülerinnen im Tennisspielen ausbildete, den Übungsbetrieb unfachgemäß derart organisiert habe, daß sie beim Bücken nach einem Ball von einer Mitschülerin mit dem Tennisschläger getroffen worden sei. Der den Tennisunterricht leitende Tennislehrer einer ortsansässigen Sportschule war im Sinne des § 1 Abs 2 AHG funktionell der beklagten Partei zuzurechnendes Organ. Durch § 1 Abs 2 AHG wird ausdrücklich klargestellt, daß jedes hoheitliche Handeln dazu bestellter Personen, von wem immer es gesetzt worden sein mag, Amtshaftungsansprüche begründen kann (1 Ob 35/87; Loebenstein-Kaniak aaO 29). Die im § 1 Abs 2 AHG erwähnten Typen von Verleihungsakten der Organeigenschaft sind nur Aufzählungen demonstrativer Natur (1 Ob 35/87; Loebenstein-Kaniak aaO 22). Damit stellt sich die Frage, ob § 333 ASVG auf den geltend gemachten Schmerzengeldanspruch und das Feststellungsbegehren anzuwenden ist, bejahendenfalls, ob Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser einfachgesetzlichen Bestimmung bestehen. Durch die 32. ASVG-Novelle, BGBl. 1976/74, wurden Schüler und Studenten in den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen. Nach § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG sind Schüler an Schulen im Sinne des Schülerorganisationsgesetzes unfallversichert. Nach § 74 Abs 5 ASVG, § 39 a FamLAG wird der Aufwand der Unfallversicherung für Schüler und Studenten einerseits aus eigenen Mitteln der allgemeinen Unfallversicherungsanstalt, andererseits aus dem Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen gedeckt. Nach § 175 Abs 5 Z 1 ASVG gelten in der Unfallversicherung der Schüler und Studenten auch Unfälle, die sich bei der Teilnahme an Schulveranstaltungen im Sinne der §§ 1 und 2 der Verordnung des Bundesministeriums für Unterricht und Kunst BGBl. 1974 Nr. 369 ereignen, als Arbeitsunfälle. Nach § 335 Abs 3 ASVG steht für die Anwendung des § 333 ASVG der Träger der Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgt, dem Dienstgeber gleich. Mit der Erstreckung der in den §§ 333, 334 ASVG geregelten Haftungsbeschränkungen auf das Verhältnis Lehrer-Schüler zu den gesetzlichen Schulerhaltern übernahm der Gesetzgeber eine Haftungsregelung, die sich seiner Ansicht nach im Betrieb auch im Verhältnis zwischen Dienstgeber und Dienstnehmern gut bewährt hat (181 BlgNR XIV. GP 54). Zum Zeitpunkt der Erlassung der 32. ASVG-Novelle war es gesicherte Rechtsprechung, daß sich das Haftungsprivileg des Dienstgebers und der ihm nach § 333 Abs 4 ASVG gleichgestellten Personen auch auf Schmerzengeldansprüche des Versicherten bezieht

(SZ 44/48 - verstärkter Senat gegen die von Steininger in Gschnitzer FS 399, 410 f geäußerten Bedenken; ZVR 1971/200; ZVR 1971/13; SZ 30/37; vgl. SZ 8/30). An dieser Rechtsprechung hielt der Oberste Gerichtshof auch in der Folge fest (EvBl 1979/102). Trug der Gesetzgeber aber nicht den von einem Teil der Lehre geäußerten Bedenken gegen die gänzliche Versagung des Ersatzes von Personenschäden, ausgenommen bei Vorsatz und bei Teilnahme am öffentlichen Verkehr, Rechnung (vgl. SZ 44/48), dehnte er vielmehr in Kenntnis der dem Wortlaut entsprechenden Auslegung dieser Bestimmung durch die Rechtsprechung deren Geltungsbereich bei den gemäß § 8 Abs 1 Z 3 lit h ASVG in der Unfallversicherung teilversicherten Schülern auf den Träger der Einrichtung, in der die Ausbildung erfolgt (§ 335 Abs 3 ASVG), mit dem ausdrücklichen Hinweis aus, die bisher nur zwischen Dienstgebern und deren Gleichgestellten und Dienstnehmern bestehende Haftungsausschlüsse hätten sich bewährt, entspricht es daher dem Willen des historischen Gesetzgebers, daß auch auf Schmerzengeld gerichtete Amtshaftungsansprüche (SZ 51/2) gegen den Rechtsträger ausgeschlossen sind. Es können dann aber auch die von der Lehre vorgetragenen Bedenken, daß dadurch dem Willen des Gesetzgebers, die Haftung des Schädigers solle durch das Dazwischentreten der Sozialversicherung weder vermindert noch vergrößert werden (Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts3 154; Krejci in Tomandl, System des österreichischen Sozialversicherungsrechts 321 und 333 FN 8) nicht Rechnung getragen werde, nicht durchschlagen (vgl. auch Loebenstein-Kaniak aaO 159).

Der erkennende Senat hegt auch keine Zweifel, daß die einfachgesetzliche Regelung der §§ 333, 335 Abs 3 ASVG Verfassungsbestimmungen nicht widerspricht. Der Oberste Gerichtshof hat zuletzt in seiner Entscheidung EvBl 1979/102 unter Hinweis auf die Vorentscheidungen SZ 44/48, EvBl 1960/186, Arb. 6681, SZ 30/37, ausgesprochen, daß die Haftungsbeschränkung des § 333 ASVG nicht als gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßend verfassungswidrig sei, da die verfassungsmäßige Gewährleistung eines Rechtes nicht hindere, daß aus wichtigen sachlich gerechtfertigten Gründen einzelne Gruppen der Bevölkerung ungleich behandelt werden. Die sachlich gerechtfertigte Differenzierung wurde darin erblickt, daß die Schlechterstellung der Versicherten durch eine geringere Sozialrente im Vergleich zu dem nach bürgerlichem Recht zu leistenden vollen Schadenersatz durch die Vorteile aufgehoben wird, die sich daraus ergeben, daß der Sozialversicherte bei einem Arbeitsunfall die Entschädigung durch den Sozialversicherungsträger ohne Rücksicht auf die Verschuldensfrage erhält (EvBl 1960/186; Arb. 6681; SZ 30/37). Ziel der Schaffung der gesetzlichen Unfallversicherung und der Einbeziehung immer weiterer Personengruppen in diese war es, den Arbeitnehmer (dem in der Unfallversicherung Einbezogenen) anstelle des Schadenersatzanspruches gegen den vielleicht nicht immer leistungsfähigen Schädiger einen Anspruch gegen die leistungsfähige Gesamtheit der Unternehmer zu geben. Es ist daher nur konsequent und entspricht den vom sozialen Schutzzweck getragenenen Gedanken der Unfallversicherung, daß das Gesetz mit den oben dargelegten Ausnahmen jeden Schadenersatzanspruch auf Ersatz von Personenschäden gegen Unternehmer und Gleichgestellte gar nicht zum Entstehen kommen läßt. Der Grund für die sachlich berechtigte Differenzierung liegt daher vornehmlich im sozialen Gesamtsystem, das einem gesetzlich Unfallversicherten unabhängig von den Fragen des eigenen Verschuldens oder Mitverschuldens und eines konkreten Verdienstentganges einen meist rasch durchsetzbaren Anspruch zuerkennt, weniger aber in der Ablöse der Unternehmerhaftung durch Bezahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung. Die Einbeziehung sozial schlechtergestellter Personengruppen in dieses soziale Gesamtsystem ist dann aber unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes selbst dann gerechtfertigt, wenn die nach bürgerlichem Recht bestehende Haftpflicht nicht durch eigene Beiträge abgegolten wird (aM, aber ohne nähere Begründung Holzer in JBl 1982, 355). Daß die Abgeltung der bürgerlich-rechtlichen Haftung durch Bezahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung einziges Merkmal für die sachliche Berechtigung des Wegfalles von sonst nach dem bürgerlichen Recht bestehenden Ansprüchen auf Ersatz von Personenschäden wäre, läßt sich aus dem prinzipiellen Grundgedanken der gesetzlichen Unfallversicherung nicht ableiten (vgl. bei ähnlicher Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland durch §§ 539 Abs 1 Z 14, 636 Abs 1 RVO den Beschluß des Bundesverfassungsgerichtes vom 7. November 1972, BVerfGE 34,118, Spruch in dBGBl. I/1973, 128).

Die Revisionswerberin wendet sich auch vornehmlich nicht gegen diese Ansicht, sie erblickt vielmehr in der bestehenden einfachgesetzlichen Regelung eine Verletzung der verfassungsgesetzlichen Eigentumsgarantie nach Art. 5 StGG. Die Frage, ob die Klägerin enteignet wurde, stellt sich aber gar nicht, weil das Gesetz den Schmerzengeldanspruch nicht entstehen läßt, demnach eine Vermögensverschiebung (VfSlg. 9911/1983 mwN; VfSlg. 8212/1977; Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 365) nicht eintritt. In einem Ausschluß von Schmerzengeldansprüchen könnte daher nur eine bloße Eigentumsbeschränkung liegen. Dem einfachen Gesetzgeber ist aber durch Art. 5 StGG nur verwehrt, solche Eigentumsbeschränkungen vorzusehen, durch die er den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unverletzlichkeit des Eigentums berührt oder in einer anderen Weise gegen einen den Gesetzgeber bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt (VfSlg. 8212/1977). Durch das der Unfallversicherung zugrundeliegende soziale Schutzprinzip wird aber in das Grundrecht des Eigentums schon wegen der sachlich berechtigten Differenzierung nicht eingegriffen.

Der Revision ist der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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