OGH 11Os157/87

OGH11Os157/8712.1.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 12.Jänner 1988 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Samek als Schriftführer in der Strafsache gegen Gerhard G*** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB und eines anderen Deliktes über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Jugendgerichtshof Wien vom 21.Oktober 1987, GZ 17 Vr 564/87-64, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Tschulik, des Angeklagten und seines gesetzlichen Vertreters Johann G*** sowie des Verteidigers Dr. Lackner zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 17.November 1970 geborene Kellnerlehrling Gerhard G*** aufgrund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB und des Verbrechens des Zwanges zur Unzucht nach dem § 203 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Ihm liegt zur Last, am 1. Juni 1987 in Wien (zunächst) die am 20.Mai 1971 geborene Alexandra C*** mit Gewalt gegen ihre Person widerstandsunfähig gemacht und in diesem Zustand zur Unzucht mißbraucht zu haben, indem er sie unter einem Vorwand in ein abgelegenes, mit Büschen und Bäumen bewachsenes, daher kaum einsehbares und von Passanten kaum frequentiertes Gelände lockte, dort zu Boden riß, gegen heftigen Widerstand und trotz der Hilfeschreie entkleidete, ihr sodann mehrere Faustschläge in den Oberbauch versetzte und sie mehrfach mit den Händen und Textilien würgte, sich auf sein am Rücken liegendes Opfer setzte und es durch Festhalten des Kopfes und gewaltsames Aufzwängen des Mundes zum Mundverkehr mit ihm zwang (Punkt B/ des Schuldspruchs), und (hierauf) versucht zu haben, Alexandra C*** zu töten, indem er sie mit ihrem Unterhemd knebelte, ihr in der Folge mit einem schweren faustgroßen, keilförmigen Stein zahlreiche, wuchtig angetragene Schläge auf das Schädeldach versetzte, sie sodann mit einem Geo-Dreieck attackierte, ihr neuerlich mehrere wuchtige Schläge mit dem Stein auf das Schädeldach versetzte und sie mit einer um ihren Hals fest verknoteten Nylonstrumpfhose mit derartiger Gewalt zu erwürgen suchte, daß Teile der Strumpfhose zerrissen (Punkt A/ des Schuldspruchs).

Dieses Urteil wird vom Angeklagten Gerhard G*** - der Sache nach nur im Punkt A/ des Schuldspruchs - mit einer ausschließlich auf den Nichtigkeitsgrund der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft. Darin macht der Beschwerdeführer geltend, den Geschwornen hätten Eventualfragen wegen Totschlags nach dem § 76 StGB und wegen Körperverletzung nach den §§ 83 ff StGB gestellt werden müssen.

Rechtliche Beurteilung

In der Hauptverhandlung wurden indes keine Tatsachen vorgebracht, deren Annahme eine von der Anklage abweichende und für den Angeklagten günstigere rechtliche Beurteilung zur Folge haben könnte: Totschlag setzt voraus, daß die heftige Gemütsbewegung, in der sich der Täter dazu hinreißen läßt, einen anderen vorsätzlich zu töten, allgemein begreiflich, dh von einem objektiven Maßstab aus betrachtet in Relation zu ihrem Anlaß sittlich verständlich ist. Allgemein begreiflich ist ein hochgradiger Affektzustand nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs aber nur, wenn er bei rechtsethischer Bewertung für einen rechtstreuen Menschen in der Situation des Täters vorstellbar wäre. Dies bedeutet zum einen, daß die Ursache der tatauslösenden Gemütsbewegung nicht in einem Charakter- oder Gesinnungsmangel des Täters begründet sein darf, sondern ausschließlich in besonderen äußeren Umständen der konkreten Tatsituation gelegen sein muß; ein Affekt, der in einem psychisch abnormen Persönlichkeitsbild des Täters wurzelt, ist demnach in der Regel nicht allgemein begreiflich (vgl. ÖJZ-LSK 1975/200, 1978/199 uva; Moos im WK, Rz. 37 zu § 76 StGB). Zum anderen kommt bei Tötung des Tatopfers zur Verdeckung einer Straftat eine Privilegierung gemäß dem § 76 StGB mangels sittlicher Verständlichkeit eines psychischen Ausnahmezustandes, in den ein Täter durch seine eigene strafbare Handlung und durch die Furcht vor Entdeckung geriet, nicht in Betracht (vgl. ÖJZ-LSK 1975/199; Moos, aaO).

So gesehen ist aber eine Fragestellung wegen Totschlags weder durch die Befunde und Gutachten der dem Verfahren beigezogenen gerichtspsychiatrischen Sachverständigen Dr. Otto S*** und Dr. Rudolf Q***, noch durch die Verantwortung des Angeklagten, er habe Alexandra C*** "aus Angst" töten wollen, indiziert gewesen. Der durch Verdrängungen im Sexualbereich, Affekt- und Angstverdrängung, Kontaktarmut, Mißtrauen und eine ungünstige Erziehungssituation geprägte Charakter des Angeklagten mag zwar die sexuellen Gewalttätigkeiten gegen das Tatopfer psychologisch erklären; im Zusammenhang mit der Frage der allgemeinen Begreiflichkeit eines die Begehung des nachfolgenden Mordversuches auslösenden Affektes haben solche mit einem rechtstreuen Charakter nicht zu vereinbarende Persönlichkeitskomponenten jedoch außer Betracht zu bleiben. Ebensowenig kann das Motiv des Angeklagten für seinen Tötungsvorsatz - die Befürchtung, daß mit seiner Tat auch seine antisoziale Gesinnung bekannt werden könnte - eine privilegierende Schuldbewertung im Sinn des § 76 StGB rechtfertigen. Da sohin in der Hauptverhandlung keine Tatsachen vorgebracht wurden, die, wenn als erwiesen angenommen, eine im Zeitpunkt des Tötungsversuchs allenfalls vorhandene, den Angeklagten zur Tat hinreißende heftige Gemütsbewegung sittlich verständlich erscheinen ließen, bestand für den Schwurgerichtshof zur Stellung einer Eventualfrage wegen Totschlags kein Anlaß (vgl. Mayerhofer-Rieder, II/2, ENr. 38 zu § 314 StPO).

Den Beschwerdeausführungen zuwider kann aus dem Vorbringen des Angeklagten in der Hauptverhandlung auch kein solches Maß konkreter Tatsachen abgeleitet werden, daß bei deren Annahme seine ihm als Mordversuch angelasteten Tathandlungen bloß als (schwere) Körperverletzung hätten beurteilt werden können. Gab doch der Angeklagte ausdrücklich zu, daß er Alexandra C*** töten wollte (vgl. S 33, 51/52, 69 a verso, 69 e ff, 131, 133, 245, 399, 400, 402 dA). Zudem ergeben sich aus dem Gutachten des gerichtsmedizinischen Sachverständigen Dr. Christian R*** keinerlei Hinweise dafür, daß die gegen Alexandra C*** gerichteten Tathandlungen insgesamt zur Herbeiführung des gewollten (Tötungs-)Erfolges absolut - dh auch bei generalisierender Betrachtungsweise, unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles - untauglich gewesen sein könnten, weil sowohl mehrmalige stumpfe Gewalteinwirkungen mit einem faustgroßen Stein mit spitzen und scharfkantigen Konturen gegen die stark durchblutete Kopfschwarte, als auch eine längerdauernde Drosselung an sich geeignet sind, den Tod eines Menschen herbeizuführen (vgl. S 171, 172, 413 ff dA). Auch insoweit bestand für den Schwurgerichtshof mithin keine Verpflichtung, den Geschwornen durch Stellung von Eventualfragen eine Alternative zu der auf Mordversuch lautenden Hauptfrage 1 zu bieten. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über Gerhard G*** nach dem § 75 StGB unter Bedachtnahme auf § 28 Abs 1 StGB und unter Anwendung des § 11 Z 1 JGG eine Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Jahren.

Bei der Strafbemessung wertete es das Zusammentreffen von zwei Verbrechen, die Delinquenz während eines anhängigen Strafverfahrens, die vorbedachte Planung und die für das "jungfräuliche und behütete" Opfer qualvolle Durchführung des Unzuchtsdeliktes sowie den intensiven Täterwillen und die schwere Verletzungsfolge beim versuchten Mord als erschwerend. Als mildernd berücksichtigte es demgegenüber das umfangreiche, zur Wahrheitsfindung beitragende Geständnis und die neurotische Persönlichkeit des Angeklagten, die ungünstigen erzieherischen Verhältnisse sowie den Umstand, daß es beim Mord beim Versuch blieb.

Mit seiner Berufung strebt Gerhard G*** eine Herabsetzung des Strafausmaßes im Wege der außerordentlichen Strafmilderung an. Die Berufung ist nicht begründet.

Das Erstgericht stellte die Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig fest und wertete sie auch zutreffend. Wenn auch der Oberste Gerichtshof beim jugendlichen Angeklagten trotz der bisherigen ungünstigen Persönlichkeitsentwicklung künftiges Wohlverhalten nach längeren Resozialisierungsmaßnahmen für möglich hält, kann - entgegen den Berufungsausführungen - von einem beträchtlichen Überwiegen der mildernden über die erschwerenden Umstände nicht die Rede sein. Das Tatmotiv und die Tatausführung zeigen im übrigen ein derart hohes Ausmaß an Handlungs- und Erfolgsunwert, daß die ohnehin näher der Untergrenze des von fünf bis fünfzehn Jahren reichenden Strafrahmens gefundene Strafhöhe nicht als zu streng angesehen werden kann.

Auch der Berufung konnte daher kein Erfolg beschieden sein. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

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