OGH 5Ob366/87

OGH5Ob366/8722.12.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Marold als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr. Griehsler, Dr. Jensik, Dr. Zehetner und Dr. Klinger als weitere Richter in der Ablehnungssache des Geschäftsführers Dipl.Ing. Wilhelm P*** der Gemeinschuldnerin Wilhelm P*** Internationale Hoch- und Tiefbaugesellschaft mbH, Bahnhofstraße 218, Bad Goisern, gegen alle Richter des Kreisgerichtes Wels infolge "Nichtigkeitsbeschwerde" des Geschäftsführers Dipl.Ing. Wilhelm P*** gegen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 1. September 1987, 5 N 321, 322/87, sowie infolge Rekurses und "Nichtigkeitsbeschwerde" des Geschäftsführers Dipl.Ing. Wilhelm P*** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 23. September 1987, GZ Nc 158, 159/87, womit die Erklärung des genannten Geschäftsführers, sämtliche Richter des Kreisgerichtes Wels abzulehnen, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Die gegen die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 1. September 1987, 5 N 321, 322/87, erhobene "Nichtigkeitsbeschwerde" des Dipl.Ing. Wilhelm P*** samt neuerlichem Antrag auf Delegierung aller Verfahren an ein Gericht außerhalb des Oberlandesgerichtssprengels Linz wird zurückgewiesen. Dem Rekurs des Dipl.Ing. Wilhelm P*** gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz vom 23. September 1987, Nc 158, 159/87, wird nicht Folge gegeben.

Die Erklärung der A*** R*** A*** (Arbeitsgemeinschaft rechtswidriger Konkursverfahren in Österreich), obgenanntem Rekurs als Nebenintervenientin beizutreten, wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Dipl.Ing. Wilhelm P*** hat in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der im Konkurs befindlichen Wilhelm P*** Internationale Hoch- und Tiefbaugesellschaft mbH in dem zur AZ S 63/85 des Kreisgerichtes Wels anhängigen Konkursverfahrens am 21. April 1987 den Antrag gestellt, das Verfahren an ein anderes Gericht zu delegieren, weil das Oberlandesgericht Linz am 14. Oktober 1986 zur AZ 5 Nc 144/86 und am 18. März 1987 zur AZ 11 Ns 138/87 der Befangenheitserklärung aller Richter des Kreisgerichtes Wels stattgegeben habe. Zugleich lehnte Dipl.Ing. P*** das gesamte Oberlandesgericht Linz für die Beurteilung seines Antrages ab, weil die bisherige Verhaltensweise aller Richter dieses Oberlandesgerichtes Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit gebe.

Dipl.Ing. Wilhelm P*** hat aber auch in den zu den AZ S 45, 46, 51, 57, 63 und 74/85 sowie S 66/86 beim Kreisgerichte Wels anhängigen Konkursverfahren in eigenem Namen und namens der dortigen Gemeinschuldner die Delegation aller dieser Konkursverfahren, der Strafverfahren und aller damit zusammenhängenden Zivilverfahren an ein anderes Gericht erster Instanz außerhalb des Sprengels des Oberlandesgerichtes Linz, nämlich an das Landesgericht St. Pölten, mit Schriftsatz vom 25. Juni 1987 beantragt, weil im Sprengel des Oberlandesgerichtes Linz kein objektives unparteiisches Verfahren für die Gemeinschuldner möglich sei, vom Landesgericht St. Pölten aber das Konkursverfahren über die M*** Baugesellschaft mbH korrekt abgewickelt werde. In diesem Schriftsatz erklärte Dipl.Ing. P***, auch alle Gerichte des Sprengels des Oberlandesgerichtes Linz und alle deren Richter zur Beurteilung dieser Anträge abzulehnen. Der Oberste Gerichtshof, dem das Oberlandesgericht Linz diese Anträge des Einschreiters vorlegte, wies mit seinem Beschluß vom 1. September 1987, GZ 5 N 321, 322/87, die gegen alle Richter des Oberlandesgerichtes Linz gerichtete Ablehnungserklärung zurück und gab dem Antrag auf Delegation der Konkursverfahren und aller damit zusammenhängender Zivilverfahren an ein anderes Gericht außerhalb des Oberlandesgerichtes Linz, insbesondere an das Landesgericht St. Pölten, nicht statt.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung des Obersten Gerichtshofes von Dipl.Ing. Wilhelm P*** erhobene Nichtigkeitsbeschwerde samt Delegierungsantrag war zurückzuweisen, weil ein weiteres Rechtsmittel, insbesondere eine "Nichtigkeitsbeschwerde", gegen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes als oberster Instanz in Zivilrechtssachen unzulässig ist.

Das Oberlandesgericht Linz faßte hierauf am 23. September 1987 den Beschluß (AZ Nc 158, 159/87), daß die Erklärung des Dipl.Ing. Wilhelm P***, sämtliche Richter des Kreisgerichtes Wels abzulehnen, in Ansehung deren Tätigkeit in den beim Kreisgericht Wels anhängigen Konkursverfahren S 45, 46, 51, 57, 63 und 74/85 zurückgewiesen werde. Es führte zur Begründung seines Beschlusses im wesentlichen an, daß die Ablehnung eines Gerichtes als Ganzes unzulässig sei, denn es könne immer nur ein Richter als Person abgelehnt werden, und die Ablehnung eines ganzen Gerichtes könne nur durch Ablehnung jedes einzelnen seiner Richter unter Angabe detaillierter Ablehnungsgründe gegen jeden einzelnen erreicht werden; da im konkreten Fall dies hinsichtlich jedes einzelnen Richters des Kreisgerichtes Wels nicht der Fall sei, könne dieses nach wie vor Entscheidungen gemäß § 23 JN treffen, und es bestehe auch kein Anlaß zur Delegation an einen anderen Gerichtshof. Der Umstand, daß sich Richter in Strafsachen und Rechtssachen gegen ihre Kollegen befangen erklärten (AZ 11 Ns 138/87 und 5 Nc 144/86), bedeute nicht, daß sie auch in den Konkurssachen über das Vermögen des Dipl.Ing. P*** und der von ihm vertretenen Gesellschaften befangen wären.

Diesen Beschluß bekämpft Dipl.Ing. Wilhelm P*** mit "Rekurs und Nichtigkeitsbeschwerde".

Da es in Zivilrechtssachen, insbesondere auch im Konkursverfahren (§ 171 KO), das Rechtsmittel der "Nichtigkeitsbeschwerde" nicht gibt, wird dieses Rechtsmittel insgesamt als Rekurs behandelt.

Dieser Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Zunächst behauptet Dipl.Ing. P***, der angefochtene Beschluß sei nichtig, weil die beschlußfassenden Richter im Zeitpunkt der Beschlußfassung befangen gewesen seien.

Konkrete Gründe, welche die angebliche Besorgnis ableiten ließen, werden aber nicht vorgebracht, so daß kein Anlaß besteht, vor der Entscheidung über dieses Rechtsmittel eine Entscheidung des beim Oberlandesgericht Linz zuständigen Senates über die Befangenheit der beschlußfassenden Richter einzuholen (Fasching, Lehr- und Handbuch Rz 161 Ende). Deshalb liegt aber auch nicht die behauptete Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses vor.

2. Es wird im Rekurs ferner behauptet, daß die Geschäftsordnung des Oberlandesgerichtes Linz verfassungswidrig und gesetzwidrig sei; dies bewirke ebenfalls eine Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses, denn es seien dem Einschreiter die verfassungsmäßigen Richter entzogen worden.

Auch diese Behauptung ist überhaupt nicht konkretisiert, so daß für den Obersten Gerichtshof gar kein Anlaß besteht, die Geschäftsordnung des Oberlandesgerichtes Linz auf ihre verfassungsgesetzliche und einfachgesetzliche Deckung zu untersuchen. Bloß allgemeine Ausführungen ohne konkrete Hinweise können nicht ein amtswegiges Untersuchungsverfahren in dieser Richtung auslösen.

3. Es wird ferner vorgebracht, das Oberlandesgericht Linz gehe in keiner Weise auf die wiederholt vorgebrachten Vorfälle beim Kreisgericht Wels ein, die berechtigte Zweifel an der völligen Unbefangenheit dieses Gerichts bedingten; der angefochtene Beschluß sei nur mit Scheinargumenten begründet und daher in Wirklichkeit unbegründet.

Tatsächlich ist es aber der Einschreiter Dipl.Ing. Wilhelm P***, der konkrete Umstände, welche die Besorgnis der Befangenheit eines jeden einzelnen Richters des Kreisgerichtes Wels rechtfertigen könnten, in seiner Befangenheitserklärung nicht vorgebracht hat. Aus diesem Grunde wurde auch diese untaugliche generelle und unsubstantiierte Befangenheitserklärung aller Richter des Kreisgerichtes Wels mit dem angefochtenen Beschluß zutreffend verworfen. Es ist nämlich in Lehre und Rechtsprechung herrschende und auch bisher unwidersprochen gebliebene Ansicht, daß die Ablehnung eines ganzen Gerichtes nur durch die Ablehnung eines jeden einzelnen seiner Richter unter Angabe detaillierter konkreter Ablehnungsgründe gegen jeden dieser Richter möglich ist (Fasching, Lehr- und Handbuch, Rz 165; derselbe im Kommentar I, 200 Anm. 4 zu § 19 JN; ebenso Baumbach/Lauterbach, dZPO45, 119 f Übers. § 41 mwH für den vergleichbaren deutschen Rechtsbereich; Oberster Gerichtshof in bereits mehr als 40 Entscheidungen, darunter SZ 33/122 und RZ 1968, 213, zuletzt etwa 5 N 517/87 und DS 9/87-6).

4. Es wird ferner geltend gemacht, das Oberlandesgericht Linz kehre die Beweislast der "Befangenheitsgesetze" um: nicht der Ablehnungswerber habe seine berechtigten Zweifel nachzuweisen, sondern der (abgelehnte) Gerichtshof und der betroffene Richter habe zu beweisen, daß er dennoch "völlig unbefangen" sei. Mit diesen Ausführungen setzt sich Dipl.Ing. P*** direkt mit dem Wortlaut des Gesetzes in Widerspruch: § 22 Abs. 1 zweiter Satz ZPO weist nämlich dem Ablehnenden die genaue Angabe der Ablehnungsgründe zu und der Absatz 2 derselben Gesetzesstelle ordnet an, daß "die wegen Besorgnis der Befangenheit ablehnende Partei...die vom Richter bestrittenen Ablehnungsgründe glaubhaft zu machen" hat. Glaubhaftmachen heißt aber nichts anderes, als beim Gericht die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit des Ablehnungsgrundes hervorzurufen (Fasching, Kommentar I, 208 Anm. 5 zu § 22 JN). Auch die vergleichbare deutsche ZPO weist in § 44 Abs. 2 die Bescheinigungslast dem Ablehnenden zu.

5. Schließlich meint Dipl.Ing. P***, die Befangenheit sei unteilbar, so daß es unzulässig ist, eine Aufteilung der Beurteilung in Zivilverfahren und Strafverfahren vorzunehmen; dies sei gesetzwidrig und nichtig und diene nur zur Verschleierung der tatsächlichen Befangenheit aller Richter des Oberlandesgerichtes Linz und aller Kreis- und Landesgerichte des Sprengels; es stelle eine weitere Scheinargumentation dar.

Eine Aufteilung der Beurteilung in Zivil- und Strafverfahren ergibt sich daraus, daß über jede Ablehnung in jeder einzelnen Zivil- und Strafsache entschieden werden muß und dafür auch verschiedene Verfahrensregelungen bestehen, nämlich einerseits in der Jurisdiktionsnorm (§§ 19-25) und andererseits in der Strafprozeßordnung (§§ 72-74 a); eine gemeinsame Entscheidung in Zivil- und Strafsachen ist deshalb ausgeschlossen.

Was aber die Befangenheitserklärung aller nicht ohnedies wegen ihrer prozessualen Parteistellung ausgeschlossenen Richter des Kreisgerichtes Wels in den dort von Dipl.Ing. Wilhelm P*** anhängig gemachten Zivilprozessen gegen einzelne Richter dieses Gerichtshofes einerseits und in dem Verfahren über den von Dipl.Ing. Wilhelm P*** gegen einzelne Richter dieses Gerichtshofes und gegen den Leiter der Staatsanwaltschaft Wels gestellten Subsidiarantrag auf Strafverfolgung andererseits betrifft, so ist die Ansicht des Einschreiters, daß es wegen der Unteilbarkeit der Befangenheit jener Richter, die sich dort als befangen erklärt haben und deshalb auch als befangen anerkannt worden sind, auch ausgeschlossen sei, daß diese Richter über die von ihm, dem Einschreiter Dipl.Ing. P***, erklärte Befangenheit der geklagten bzw. angezeigten Richter befinden, aus folgenden Gründen nicht richtig:

Die Jurisdiktionsnorm weist in § 23 die Entscheidung über Befangenheitserklärungen von und gegen Richter eines Gerichtshofes in die Zuständigkeit anderer Richter desselben Gerichtshofes, bei dem der befangen erklärte Richter seine richterliche Funktion ausübt, und delegiert diese Zuständigkeit nur für den Fall an den zunächst übergeordneten Gerichtshof, daß der zuständige Gerichtshof durch das Ausscheiden des abgelehnten Richters beschlußunfähig wird. Der Gesetzgeber hat sich bei dieser Regelung ganz offenkundig nicht von der Besorgnis leiten lassen, daß die Entscheidung über die Ablehnungserklärung von und gegen einen Richter desselben Gerichtshofes das pflichtgemäße objektive Urteilsvermögen der anderen Richter dieses Gerichtes überfordern könnte, sonst hätte er eine andere Zuständigkeitsregelung getroffen. Bei der Befangenheitsbeurteilung geht es um die Bewertung von Tatsachenbehauptungen auf ihre Wahrscheinlichkeit und auf ihre Eignung, den zuständigen Richter in Beziehung auf eine Partei des Verfahrens oder den Gegenstand des Rechtstreites als nicht völlig unvoreingenommen erscheinen zu lassen, so daß das mit Recht geforderte Vertrauen einer Partei auf Gewährung eines fairen Verfahrens und Erlangung einer fairen Entscheidung bei vernünftiger Sicht der Verhältnisse beeinträchtigt ist. Diese Entscheidung bedeutet regelmäßig keinen Vor- oder Nachteil für den betroffenen Richter, sie ist, gleichviel ob sie positiv oder negativ ausfällt, in Hinblick auf die Rechtsposition des Richters in seinem Amte und auf sein persönliches Ansehen neutral, so daß das subjektive Urteilsvermögen der zur Befangenheitsentscheidung berufenen Richter desselben Gerichtshofes auch regelmäßig nicht überfordert sein kann. Ganz anders liegen freilich die Verhältnisse dann, wenn ein Richter eines Gerichtshofes bei diesem Gerichtshof als Partei in ein Zivil- oder Strafverfahren verfangen ist. Es sehen zwar auch hier die Jurisdiktionsnorm und die Strafprozeßordnung keine Zuständigkeitsveränderung vor, doch entspricht es einem alten und anerkannten Gerichtsgebrauch, daß sich die anderen Richter desselben Gerichtshofes für befangen erklären, damit die Rechtssache oder Strafsache im Wege der Delegation einem anderen Gerichtshof zugewiesen wird. Die in diesen Verfahren zu erwartenden Entscheidungen berühren aber doch die Rechtsposition des betroffenen Richters, indem sie ihm einen Vor- oder Nachteil bringen können, weshalb den Ablehnungserklärungen der Richter desselben Gerichtshofes regelmäßig ohne weitere Prüfung der Besorgnis der Befangenheit stattgegeben und der Rechtsfall an einen anderen Gerichtshof delegiert wird.

Aus den dargelegten Erwägungen muß der Rekurs des Einschreiters Dipl.Ing. Wilhelm P*** erfolglos bleiben.

Die Erklärung der A*** R*** A*** (Arbeitsgemeinschaft rechtswidriger Konkursverfahren in Österreich), dem Rekurs als Nebenintervenientin beizutreten, war zurückzuweisen, weil selbst unter der Annahme, daß es sich bei der genannten Arbeitsgemeinschaft um einen Verein mit eigener Rechtspersönlichkeit handeln sollte, jedes rechtliche Interesse am Obsiegen der Hauptpartei im Sinne des § 17 ZPO zu verneinen ist.

Die Ablehnungserklärungen des Einschreiters Dipl.Ing. Wilhelm P*** gegen die Richter des 5. Senates des Obersten Gerichtshofes sind mit Beschluß des dafür zuständigen Senates des Obersten Gerichtshofes vom 16. Dezember 1987, AZ 11 Ns 27/87, verworfen worden.

Die ferner von Dipl.Ing. P*** gegen dieselben Richter erstattete Strafanzeige wegen Amtsmißbrauchs wurde von der Staatsanwaltschaft Wien mit Genehmigung der Oberstaatsanwaltschaft Wien und des Bundesministers für Justiz (JMZl. 28782/84-IV 2/87) gemäß § 90 StPO zurückgelegt.

Zur Einleitung des von Dipl.Ing. P*** gegen dieselben Richter beantragten Disziplinarverfahrens fand das Richterdisziplinargericht beim Obersten Gerichtshof keinen Anlaß (DS 9/87-6).

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