OGH 15Os160/87

OGH15Os160/8718.12.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Dezember 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bernardini als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Friedrich, Dr. Reisenleitner, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Plachy als Schriftführerin in der Strafsache gegen Manfred B*** wegen des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 und Abs. 2 SGG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Linz als Schöffengericht vom 7.Juli 1987, GZ 34 b Vr 380/87-46, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im Freispruch unberührt bleibt, im übrigen aufgehoben und die Sache - zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung - an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte darauf verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Manfred B*** des Verbrechens nach § 12 Abs. 1 zweiter, dritter und vierter Fall, Abs. 2 erster Fall SGG schuldig erkannt (Abschnitt 1. des Urteilssatzes). Nach dem Inhalt des (wie folgt noch weiter unterteilten) Schuldspruches hat er den bestehenden Vorschriften zuwider das Suchtgift Kokain in einer großen Menge

1. "von Südamerika über die Schweiz nach Österreich (Linz) ausgeführt bzw eingeführt", und zwar

1.1. zwischen Jänner und Anfang April 1985 mindestens 200 Gramm von Rio de Janeiro; und 1.2. Mitte Oktober 1986 mindestens 200 Gramm von Bolivien; sowie

2. in Verkehr gesetzt, und zwar zu 2.1. und 2.2. gewerbsmäßig, nämlich

2.1. im Zeitraum zwischen April 1985 und Ende August 1986 mindestens 30 Gramm durch Verkauf in Einzelmengen an Peter B*** sowie mindestens 150 Gramm durch Verkauf in Einzelmengen an unbekannte Personen;

2.2. Ende 1986 in Wien mindestens 190 Gramm durch Verkauf an unbekannte Personen; und 2.3. um den 20.Oktober 1986 in Santa Cruz (Bolivien) ca 200 Gramm durch Übergabe an Peter B*** zum Zwecke der Einfuhr und des Verkaufs in Österreich.

Diesen Schuldspruch bekämpft der Angeklagte mit einer auf Z 3, 4 und 5 des § 281 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der aus dem zuletzt bezeichneten Grund Berechtigung zukommt. Das Erstgericht gründete sein Urteil in erster Linie auf die Aussagen des abgesondert verfolgten Peter B***, die dieser bei der Polizei (S 33 ff./I) und in dem gegen ihn durchgeführten Strafverfahren als Beschuldigter vor dem Untersuchungsrichter (S 161 ff./I) abgelegt sowie schließlich "nach einigem Zögern und gewissen Abstrichen" auch im gegenständlichen Verfahren als Zeuge in der Hauptverhandlung (S 7 ff./II) aufrecht erhalten hat (US 5). Diesen Angaben des B***, insbesondere jenen vor Polizei und Untersuchungsrichter, folgte es deshalb uneingeschränkt, weil sie zum einen "insgesamt zu präzise und detailliert sind, um frei erfunden zu sein" (US 6), und weil zum anderen - kurz zusammengefaßt - die forensiche Erfahrung gerade in Suchtgiftstrafverfahren zeige, daß den Erstangaben der Beteiligten erhöhte Glaubwürdigkeit und Beweiskraft zukomme (US 6/7). Die Aussagen B***'s legte das Schöffengericht seiner Entscheidung aber auch deshalb zugrunde, weil sie in wesentlichen Punkten mit jenen der Helga W*** vor der Polizei am 14.März 1987 (S 299 ff./I) und am 15.März 1987 (S 312/I) übereinstimmten (US 7). Helga W***, die Lebensgefährtin (§ 72 Abs. 2 StGB) des Angeklagten, hatte bei ihren (mehrfachen) niederschriftlichen Vernehmungen vor der Kriminalpolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Linz zunächst am 27.Februar 1987 (S 81 ff./I), am 13.März 1987 (S 247 ff./I) und auch noch nach ihrer am 13.März 1987 erfolgten Festnahme am 14.März 1987 (S 291 f./I) angegeben, daß sie von Suchtgiftstraftaten des Angeklagten nichts wisse. Erst bei einer weiteren Vernehmung am 14.März 1987 (S 299 ff./I) hat sie eingestanden, daß er ihr mitgeteilt habe, von der Südamerika-Reise im Herbst 1986 (Schuldspruchfaktum 1.2.) 150 Gramm Kokain nach Hause mitgebracht und dieses Suchtgift in Wien verkauft zu haben. Davon ging sie auch anläßlich ihrer letzten polizeilichen Einvernahme am 15.März 1987 (S 312/I) nicht mehr ab. In der Hauptverhandlung hat sich Helga W*** allerdings gemäß § 152 Abs. 1 Z 1 StPO der Zeugenaussage entschlagen (S 7/II); ihre niederschriftlichen Polizeiangaben wurden jedoch - ungeachtet des Widerspruchs des Verteidigers - verlesen (S 15, 16/II). Durch diese Verlesung erachtet sich der Beschwerdeführer - sich dabei auf das Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (im folgenden: EGMR) vom 24.November 1986, Nr 1/1985/87/134 = EuGRZ 1987 147 ff., berufend - in seinen Verteidigungsrechten verletzt (Z 4), zumal er in keinem Stadium des Verfahrens die in Art 6 Abs. 3 lit d MRK garantierte Möglichkeit gehabt habe, an die Belastungszeugin Fragen zu stellen und Widersprüche aufzuklären.

Zur Geltendmachung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z 4 StPO ist der Beschwerdeführer jedoch insoweit primär gar nicht legitimiert; denn formelle Voraussetzung hiefür wäre ein gegen seinen Antrag gefälltes Zwischen-Erkenntnis des Gerichtshofes. Die - durch die Verlesung der Polizeiaussage der Helga W*** trotz des Widerspruches des Verteidigers zum Ausdruck gebrachte - prozeßleitende Verfügung des Vorsitzenden (§ 232 StPO) entspricht dieser Voraussetzung nicht. Zur Erlangung der Beschwerdelegitimation hätte daher der Verteidiger sofort die Entscheidung des Senates über die Zulässigkeit der von ihm unerwünschten Verlesung begehren müssen (vgl Mayerhofer-Rieder, StPO2, E 6, 7 zu § 281 Abs. 1 Z 4): dies ist nach dem Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls vorliegend nicht geschehen.

Rechtliche Beurteilung

Im übrigen hätte aber selbst ein Zwischenerkenntnis des Gerichtshofes, mit welchem die Verlesung der im sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahren (§§ 24, 88 StPO) abgelegten Aussagen der Helga W*** zugelassen worden wäre, obwohl sie sich in der Hauptverhandlung des Zeugnisses entschlagen hatte (§ 152 Abs. 1 Z 1 StPO) zu einer Nichtigkeit im Sinne der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO nicht führen können, weil die Verlesung derartiger Aussagen nach geltendem Recht dem Gesetz (§ 252 Abs. 2 StPO) entspricht.

Die Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit (vgl §§ 3, 96, 232 Abs. 2, 254 StPO) ist nämlich im Strafprozeß dem Grundsatz der Unmittelbarkeit des Verfahrens (vgl §§ 245 Abs. 1, 247 Abs. 1, 252 Abs. 1 StPO), der gerade im Interesse der Wahrheitsfindung darauf abzielt, die der Überzeugungsbildung zugrunde liegenden Erkenntnisquellen dem Entscheidungsorgan direkt zugänglich zu machen, teleologisch vorgeordnet. Demzufolge sind Einschränkungen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes, die nicht ohnehin eine Förderung der Wahrheitserforschung bezwecken, wie etwa bei einer faktischen Unmöglichkeit direkter Beweisaufnahme oder bei deren Diskrepanz zum Ergebnis einer früheren Ausschöpfung des selben Beweismittels (§ 252 Abs. 1 Z 1 und Z 2 StPO), sondern anderen Zielen dienen, wie etwa dem Zeugenschutz oder der Prozeßökonomie (§ 252 Abs. 1 Z 3 und Z 4 StPO), jedenfalls unter dem Aspekt der Minimierung einer damit verbundenen Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung ihrerseits einschränkend zu interpretieren. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof von allem Anfang an (vgl etwa SSt 2/23) bis in die jüngste Zeit (vgl etwa SSt 52/17) in ständiger Rechtsprechung erkannt, daß die in § 252 Abs. 1 normierten Verlesungsverbote in Ansehung der Vernehmung von Zeugen nur darüber aufgenommene gerichtliche Protokolle betreffen, sodaß - entgegen der insoweit ablehnenden, nach dem Gesagten jedoch bloß vordergründig überzeugend wirkenden Auffassung der nahezu einhelligen Lehre (vgl etwa Schmoller, RZ 1987 192 FN 3), die auf einer nicht sachgerechten Überbewertung der (in Wahrheit nachgeordneten) Teleologie (allein) des Entschlagungsrechtes gegenüber jener des Unmittelbarkeitsprinzips, also dem Interesse an der Wahrheitsfindung, beruht - die Verlesung von Niederschriften, die mit nahen Angehörigen iS § 152 Abs. 1 Z 1 StPO (nicht bei Gericht, sondern) im sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahren iS §§ 24, 88 StPO aufgenommen wurden, selbst dann, wenn sich die betreffenden Zeugen in der Hauptverhandlung der Aussage entschlagen haben, nicht (nach Abs. 1 Z 3 der in Rede stehenden Verfahrensbestimmung arg. e contr.) untersagt, sondern vielmehr (nach deren Abs. 2 sogar) zwingend geboten ist (vgl zuletzt RZ 1987/62-II.).

Von dieser Auslegung abzugehen besteht - zumal unter Bedacht auf die diesfalls naheliegende Annahme einer Notwendigkeit, in bezug auf die Qualität der vom Verlesungsverbot nach § 252 Abs. 1 StPO erfaßten "Zeugen-Protokolle" nach organisationsrechtlichen Kriterien zwischen polizeilichen und von der Gendarmerie aufgenommenen Niederschriften zu differenzieren (vgl RZ 1987/62-I.), wodurch der in der Literatur kritisierte Wertungswiderspruch noch zusätzlich verschärft würde (vgl Schmoller, RZ 1987 213) - kein Anlaß. Sie wird insbesondere, der Beschwerdeauffassung zuwider, weder durch Art 6 (Abs. 1 iVm) Abs. 3 lit d MRK noch durch das darauf bezogene relevierte Erkenntnis des EGMR in Frage gestellt. Die Inanspruchnahme des mit der zitierten Bestimmung garantierten Rechtes des Angeklagten, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen (gleichwie die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken), wird durch das insoweit offensichtlich nicht konventionswidrige Entschlagungsrecht naher Angehöriger in jenen Fällen, in denen es tatsächlich ausgeübt wird, genauso durch einen vom Gericht unbeeinflußbaren Umstand faktisch gehindert (vgl EGMR aaO 150 Z 30) wie etwa dann, wenn der betreffende Zeuge nicht stellig gemacht werden kann. Eine derartige faktische Unmöglichkeit der Wahrnehmung eines Verteidigungsrechtes mit Beziehung auf ein bestimmtes, nicht greifbares Beweismittel (hier: die Vernehmung eines Zeugen vor dem erkennenden Gericht), steht aber jedenfalls der (im Interesse der Wahrheitsfindung gebotenen) Einführung eines anderen, sei es auch (in abstracto) vergleichsweise "schlechteren" Beweismittels (hier:

der Verlesung früherer Niederschriften über sicherheitsbehördliche Vernehmungen dieses Zeugen iS §§ 24, 88 StPO) in das Beweisverfahren unter dem Gesichtspunkt eines fairen Verfahrens (Art 6 Abs. 1 iVm Abs. 3 lit d MRK) nicht entgegen; allerdings ist bei dessen folgender Verwertung zum Zweck der Überzeugungsbildung in Fällen, in denen der Angeklagte in keinem Stadium des vorausgegangenen Verfahrens die Möglichkeit gehabt hat, an die betreffenden Zeugen, deren Aussagen bei der Verhandlung verlesen wurden, Fragen zu stellen, den Interessen der Verteidigung - deren Schutz, Ziel und Zweck des Art 6 MRK ist - (nicht anders als in allen anderen Fällen der Würdigung einer zulässigen mittelbaren Beweisaufnahme) durch eine den Umständen des konkreten Falles entsprechende sachgerechte Erweiterung der Entscheidungsgrundlagen in besonderer Weise Rechnung zu tragen (vgl EGMR aaO 150 Z 31; ebenso RZ 1987/62-I. und II.). Der in der Literatur vertretenen Ansicht, der in der Statuierung des uneingeschränkten Entschlagungsrechtes naher Angehöriger gelegene "partielle Verzicht des Gesetzgebers auf die Ermittlung der materiellen Wahrheit" (vgl Schmoller RZ 1987 210) nötige im Interesse der Ausschaltung jeder Möglichkeit einer daraus resultierenden Benachteiligung des Angeklagten (durch eine Beeinträchtigung seines Fragerechtes) das Gericht zu einer (mit Bezug auf Art 6 MRK) verfassungskonformen Interpretation des § 252 Abs. 1 Z 3 StPO dahin, daß man das mit dieser Verfahrensbestimmung normierte Verlesungsverbot auch auf bei der Polizei und bei der Gendarmerie aufgenommene Verlesungsprotokolle beziehe (Schmoller aaO; noch weitergehend, und zwar grundsätzlich für alle Fälle des § 252 Abs. 1 StPO, Hock, ÖJZ 1985 367 ff., sowie Tews, AnwBl 1987 281 ff.), vermag sich der Oberste Gerichtshof demnach nicht anzuschließen: sie geht zum einen an der Priorität der Verpflichtung zur Erforschung der materiellen Wahrheit vor dem ihr nachgeordneten Unmittelbarkeitsgrundsatz und zum anderen daran vorbei, daß die mit dem (nicht konventionswidrigen) Entschlagungsrecht naher Angehöriger verbundene Möglichkeit einer Beeinträchtigung von Verteidigungsrechten durch den Verlust eines Beweismittels (auch nach dem zitierten Erkenntnis des EGMR) für sich allein keineswegs schon einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gewährleistung eines fairen Verfahrens in seiner positivrechtlichen Ausformung (vgl EGMR aaO 150 Z 29) bedeutet.

Dementsprechend richtet sich die in Rede stehende Argumentation bezeichnenderweise primär gar nicht gegen die vom Beschwerdeführer bekämpfte Beschränkung des Verlesungsverbots, sondern der Sache nach in erster Linie gegen die potentielle Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung durch das mehrfach relevierte Entschlagungsrecht. Sie könnte daher, will man ihr im Interesse einer über Art 6 MRK noch hinausgehenden Ausgestaltung der Verteidigungsrechte de lege ferenda nähertreten (vgl den JAB, 359 dBeil XVII. GP, 40 f.), bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der de lege lata bestehenden Priorität der Verpflichtung zur amtswegigen Erforschung der materiellen Wahrheit - deren eminente kriminalpolitische Bedeutung auch im Rahmen der hier aktuellen Problematik keineswegs auf Straftaten im Familienkreis beschränkt ist, denen zudem sehr häufig (wie etwa bei Sittlichkeitsdelikten) ein durchaus hoher Unrechtsgehalt innewohnt - folgerichtig (nicht zu einer Erweiterung des Verlesungsverbots, sondern umgekehrt) nur zu einer (internationalem Standard entsprechenden) Einschränkung des Rechtes auf Zeugnisverweigerung Anlaß geben.

Trägt man jedoch den Verteidigungsinteressen des Angeklagten (wie zuvor dargelegt) im hier erforderlichen Ausmaß Rechnung, dann führt dies zum Ergebnis, daß das Erstgericht die vor der Polizei abgelegten Aussagen der Helga W*** in unzulässiger Weise verwertet und damit das angefochtene Urteil nur offenbar unzureichend begründet hat (Z 5).

Zu einer den Grundsätzen eines fairen Verfahrens iS Art 6 MRK entsprechenden Verwertung der im sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahren (§§ 24, 88 StPO) aufgenommenen Niederschriften über die Angaben von Zeugen, die sich in der Hauptverhandlung berechtigterweise der Aussage entschlagen haben, ist nämlich vorauszusetzen, daß das Gericht zum einen - auf Antrag oder von Amts wegen (§ 254 StPO) - auch alle sinnvollen und rechtlich zulässigen Ermittlungen durchgeführt hat, die geeignet sind, die Überzeugungskraft der in Rede stehenden indirekten

Beweismittel - als bloßer "Beweis über indizierende Tatsachen" - abzuschwächen oder gar auszuschalten, und sich zum anderen im Urteil mit sämtlichen konkreten Verfahrensergebnissen dieser Art mängelfrei auseinandersetzt (vgl RZ 1987/62 - I. und II.). Unbeschadet des Rechtes des Angeklagten auf entsprechende Antragstellung und eine (schon) daraus ableitbare Anfechtbarkeit des Urteils (mit Verfahrensrüge gemäß § 281 Abs. 1 Z 4 StPO) sind daher solche flankierenden Beweise von Amts wegen stets - aber auch nur dann - aufzunehmen, wenn die Notwendigkeit einer Überprüfung der Begleitumstände, unter denen eine dem Gericht allein zur Verfügung stehende sicherheitsbehördliche Aussage abgelegt worden ist, nach seiner Verantwortung oder sonst nach der Aktenlage indiziert ist. Zur Gewinnung von Anhaltspunkten für eine amtswegige Anordnung solcher Kontrollbeweise - durch die eine Erschütterung der ohne seine Mitwirkung im Sinn des Art 6 Abs. 3 lit d MRK zustandegekommenen Aussagen (und damit seine Entlastung) eintreten könnte - sind dabei auch jene im Vorverfahren abgelegten gerichtlichen Aussagen der betreffenden Personen heranzuziehen, die infolge deren Zeugnisverweigerung nach § 252 Abs. 1 Z 3 StPO nicht verlesen wurden und demgemäß im Urteil unter keinen Umständen als Beweismittel (§ 258 Abs. 1 StPO) oder zur Entkräftung eines eine flankierende Beweisaufnahme indizierenden Verfahrensergebnisses verwertet werden dürfen.

Vorliegendenfalls hat sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht bloß auf die Behauptung beschränkt, die ihn belastende polizeiliche Aussage seiner (zeugnisbefreiten) Lebensgefährtin Helga W*** "stimme nicht" (S 15/II), worin für sich allein noch kein Anlaß zur Aufnahme von diesbezüglichen Kontrollbeweisen zu erblicken wäre, sondern darüber hinaus auch noch eingewendet (S 4/II), die Genannte sei von der Polizei durch die Androhung der Abnahme ihres Kindes unter Druck gesetzt worden und überdies zuckerkrank, womit er ersichtlich zum Ausdruck bringen wollte, daß sie krankheitsbedingt einer solchen Einwirkung zugänglicher gewesen sein könnte als ein gesunder Mensch in der gleichen Lage. Der Sache nach in diese Richtung hin geht auch der Beschwerdeeinwand, die "eigenartige Wandlung" des Aussageverhaltens der Helga W*** sei nur so verständlich, daß sie lediglich unter dem Eindruck ihrer Festnahme und wegen ihres Gesundheitszustandes bereit gewesen sei, "gewünschte Aussagen" zu machen.

Das damit relevierte Vorbringen des Angeklagten in der Hauptverhandlung hätte aber das Erstgericht nach den zuvor dargelegten Grundsätzen in der Tat - auch ohne einen darauf abzielenden Antrag - zu einer amtswegigen Überprüfung veranlassen müssen, weil nur unter dieser Voraussetzung eine faire Gewichtung und Wertung des in Frage gestellten Beweismittels auf seine Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit (vgl abermals RZ 1987/62-II) gewährleistet und damit seine mängelfreie Verwertung zur Begründung des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen (Z 5) gerechtfertigt gewesen wäre.

Bereits dieser Begründungsmangel, von dem die erklärte Stütze der (ansonsten das Urteil in seiner Gesamtheit allein tragenden) Aussage des Peter B*** (US 7) betroffen ist, macht eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unumgänglich, sodaß nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruche zu erkennen war (§ 285 e StPO), ohne daß es einer Erörterung des übrigen Beschwerdevorbringens bedarf. Im zweiten Rechtsgang wird das Schöffengericht die vom Angeklagten in der Hauptverhandlung vorgebrachten Einwände (S 4/II) gegen die Verläßlichkeit der polizeilichen Angaben der Helga W*** durch eine zeugenschaftliche Vernehmung der in Betracht kommenden Kriminalbeamten zu überprüfen und überdies durch eine Anhörung des seinerzeit beigezogenen Amtsarztes Dr. W*** sowie allenfalls auch durch die Einholung eines gerichtsärztlichen Sachverständigengutachtens zu klären haben, ob die Genannte trotz der ihr zufolge des Polizeiberichts auch während der Verwahrungshaft zuteil gewordenen Behandlung (S 179, 268/I) möglicherweise in ihrer Aussagefähigkeit beeinträchtigt gewesen sein könnte.

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