OGH 10ObS51/87

OGH10ObS51/8715.12.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Joklik und Dr. Klenner in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Johann L***, ohne Beschäftigungsangabe, 1030 Wien, Neulinggasse 31/10, vertreten durch Dr. Rudolf M***, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***,

1020 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 10. April 1987, GZ 32 Rs 28/87-77, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien vom 20. Oktober 1986, GZ 17 b C 228/84 -71, (nunmehr AZ 17 Cgs 228/84 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien) abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung der ersten Instanz wiederhergestellt wird. Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die mit 2.357,85 S (darin enthalten 214,35 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 2.829,75 S (darin enthalten 257,25 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 2. Mai 1984 beantragte der am 24. August 1921 geborene Kläger bei der Beklagten eine Berufsunfähigkeitspension.

Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 25. Juli 1984 mit der Begründung ab, daß der Kläger nicht berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG und - mangels der im Abs 3 lit b und d der zitierten Gesetzesstelle geforderten Voraussetzungen - auch nicht in diesem Sinne sei.

In der dagegen am 27. September 1984 erhobenen Klage begehrte der Kläger eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß seit 2. Mai 1984.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte im zweiten Rechtsgang schuldig, dem Kläger eine Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Juni 1984 zu gewähren.

Nach den erstgerichtlichen Feststellungen kann der Kläger während der üblichen Arbeitszeit bei Einhalten der üblichen Arbeitspausen in geschlossenen Räumen und an nicht gefährdenden Arbeitsplätzen in vorwiegend sitzender Arbeitshaltung leichte geistige und körperliche Arbeiten verrichten, wenn er nicht unter ständigem besonderem Zeitdruck und nicht in Kälte und Nässe arbeiten muß. Vom Antragstag bis Ende März 1985 konnte er keine Tätigkeiten ausführen, die beidäugiges Sehen erforderten, seit Feber 1986 keine Arbeiten, die stereoskopisches Sehen verlangen. Der Kläger war von 1949 bis 1979 (richtig 1978) als mittätiger Ehegatte im Geschäft (chem. Putzerei und Färberei) seiner Ehegattin tätig und führte dieses Geschäft dann (richtig 1979 und) 1980 selbständig. Vom 2. Jänner 1981 bis 30. April 1984 war er in der Feinwäscherei Ottilie S*** beschäftigt. Er hatte die Kunden zu betreuen und zwei Arbeiterinnen zu beaufsichtigen und konnte selbständige Entscheidungen treffen, wenn die Dienstgeberin nicht anwesend oder nicht erreichbar war. Sein monatlicher Bruttogehalt betrug 10.600 S. Eine solche Arbeitskraft wird zwar häufig als Geschäftsführer bezeichnet, übt aber tatsächlich nur die Tätigkeit eines Filialleiters in einer Wäscheübernahmestelle aus und wird nach dem Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs in die Beschäftigungsgruppe 3 eingestuft, während Geschäftsführer der Beschäftigungsgruppe 5 angehören. Die Arbeitsfähigkeit des Klägers reicht für die vom Erstgericht näher beschriebene Tätigkeit eines Filialleiters nicht mehr aus, wohl aber für einfache Büroberufe, die eine Einschulung von 1 bis 2 Monaten erfordern. Damit wäre ein beträchtlicher sozialer Abstieg verbunden, weil der Kläger von einer Vorgesetztentätigkeit in eine einfache Tätigkeit wechseln müßte, was in den Augen der Öffentlichkeit eine Herabsetzung bedeutet. Wegen dieses vom Erstgericht als unzumutbar beurteilten sozialen Abstieges sei der Kläger berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG. Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten Folge und änderte das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn ab. Die Tätigkeit des Klägers falle zwar nicht unter den Kollektivvertrag für die Handelsangestellten Österreichs, sondern unter den Kollektivvertrag für Angestellte des Gewerbes, sei aber auch dort in die Beschäftigungsgruppe 3 einzuordnen. Der Kläger könne noch Arbeiten verrichten, die zur Beschäftigungsgruppe 2 dieses Kollektivvertrages gehörten und sei daher nicht berufsunfähig. Bei der Übernahmestelle einer Wäscherei handle es sich um einen Kleinstbetrieb, in dem der Kläger im wesentlichen einfachste Tätigkeiten und Handreichungen einfachster Art verrichtet habe. Die Verweisung auf einfache Büroarbeiten stelle daher keinen unzumutbaren sozialen Abstieg dar.

Dagegen richtet sich die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision des Klägers wegen Mangehaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichter rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern, allenfalls die vorinstanzlichen Entscheidungen aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Aus den erstgerichtlichen Feststellungen ergibt sich, daß der Kläger vom 2. Jänner 1981 bis 30. April 1984 in der Filiale einer Feinwäscherei vorwiegend zur Leistung kaufmännischer Dienste angestellt war und die Dienste auch tatsächlich ausübte. Seine Dienstleistungen zählten zu den typischen Tätigkeiten eines Kaufmannes und hatten für die Führung des Betriebes keine bloß untergeordnete Bedeutung. Der Kläger übte daher den Beruf eines kaufmännischen Angestellten im Sinne des § 1 Abs 1 bzw. § 2 Abs 1, jeweils erster Fall AngG aus, aber keine höheren nicht kaufmännischen Dienste und auch keine Kanzleiarbeiten, wurde aber auch nicht nur ausnahmsweise zu kaufmännischen Diensten verwendet und leistete auch nicht vorwiegend untergeordnete Verrichtungen im Sinne des § 1 Abs 2 leg. cit. Damit verrichtete der Kläger zwar nicht die Tätigkeit eines selbständigen Filialleiters, die der Verwendungsgruppe IV des für ihn geltenden Kollektivvertrages, abgeschlossen zwischen der Bundeskammer der gewerblichen Wirtschaft, Sektion Gewerbe, und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten, Sektion Industrie und Gewerbe, zuzuordnen wäre, wohl aber hatte er nach allgemeinen Richtlinien und Weisungen kaufmännische Arbeiten im Rahmen des ihm erteilten Autrages selbständig zu erledigen, so daß seine Tätigkeit der Verwendungsgruppe III des zitierten Kollektivvertrages zu unterstellen ist.

Wenn es auch zutrifft, daß zwischen den kollektivvertraglichen Gehältern der Verwendungsgruppen III und II keine solchen Unterschiede bestehen, daß schon deshalb von einem unzumutbaren sozialen Abstieg gesprochen werden könnte, muß im vorliegenden Fall doch berücksichtigt werden, daß der Kläger, der in den Jahren 1979 und 1980 als selbständig Erwerbstätiger einen (derselben Branchen angehörenden) Betrieb seiner Ehegattin weitergeführt hatte, in dem er jahrzentelang mittätig gewesen war, in den Jahren 1981 bis 1984 als angestellter Filialleiter und Vorgesetzter zweier weiterer Dienstnehmer eine Stellung einnahm, die in den Augen der Öffentlichkeit wesentlich höheres Ansehen genießt als die ihm allenfalls noch möglichen einfachen kaufmännischen Arbeiten der Verwendungsgruppe II, wie etwa eines Fakturisten mit einfacher Verrechnung oder einer Hilfskraft in Büro, Betrieb, Lager und Versand, die nach allgemeiner Anschauung untergeordnete Tätigkeit darstellen (so auch Oberlandesgericht Wien SVSlg 27.894 und SVSlg 31.710).

Wegen dieses unzumutbaren sozialen Abstieges gilt der Kläger als berufsunfähig im Sinne des § 273 Abs 1 ASVG.

Aus dem den Kläger betreffenden Pensionsakt der Beklagten ergibt sich, daß die im Hinblick auf den Stichtag 1. Juni 1984 noch nach der bis 31. Dezember 1984 geltenden Rechtslage vor der 40. ASVG-Novelle zu prüfenden allgemeinen Voraussetzungen für den Anspruch auf die begehrte Leistung, nämlich die Wartezeit und die Dritteldeckung, durch anrechenbare Versicherungsmonate erfüllt waren. Am Stichtag lagen nämlich 64 anrechenbare Versicherungsmonate vor (§ 236 Abs 1 Z 1 ASVG idF vor der 40. Novelle), und die letzten 36 nicht neutralen Kalendermonate vor dem Stichtag enthalten 36 anrechenbare Versicherungsmonate (der durch die 40. Novelle aufgehobene § 237 Abs 1 ASVG). Daß die allgemeinen Voraussetzungen für die begehrte Leistung erfüllt sind, war übrigens nicht strittig. Das angefochtene Urteil war daher durch Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung abzuändern.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.

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