Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den Klägern die mit 3.737,08 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 339,73 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Zwischen dem Erstkläger und der Beklagten besteht eine Haushaltsversicherung, der die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haushaltsversicherung (ABH) Fassung 1980 zugrunde liegen. Nach Art. 15 Abs. 2 lit. a ABH übernimmt der Versicherer die Erfüllung von Schadenersatzverpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhaltes wegen eines Personenschadens, eines Sachschadens oder eines Vermögensschadens, der auf einen versicherten Personen- oder Sachschaden zurückzuführen ist, erwachsen. Der Versicherungsschutz erstreckt sich gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. a ABH auch auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherten als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens, mit Ausnahme der Gefahr einer betrieblichen, beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit. Nach Art. 21 Abs. 2 ABH erstreckt sich die Versicherung nicht auf Schadenersatzverpflichtungen der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, rechtswidrig und vorsätzlich herbeigeführt haben. Dem Vorsatz wird eine Handlung oder Unterlassung gleichgehalten, bei welcher der Schadenseintritt mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden mußte, jedoch in Kauf genommen wurde.
Der Zweitkläger, ein Sohn des Erstklägers, ist Mitversicherter der erwähnten Haushaltsversicherung. Am 8. November 1985 hat er in Neumarkt am Wallersee auf dem Schulweg etwa zehn PKW dadurch beschädigt, daß er mit einem spitzen Gegenstand deren Lack zerkratzte.
Die Beklagte lehnt den Versicherungsschutz für die Handlung des Zweitklägers mit der Begründung ab, dieser habe den Schadensfall vorsätzlich herbeigeführt. Der Erstkläger könne Versicherungsschutz deshalb nicht verlangen, weil ihm eine Verletzung der Aufsichtspflicht gegenüber dem Zweitkläger nicht vorgeworfen werden könne, sodaß er für dessen Handlungsweise nicht haftbar sei. In Abänderung der Entscheidung des Erstgerichtes hat das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil dem auf Deckung für das Ereignis vom 8. November 1985 gerichteten Klagebegehren zugunsten beider Kläger stattgegeben. Hiebei führte es im wesentlichen aus, die Frage, ob dem Erstkläger eine Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 1309 ABGB vorgeworfen werde könne, sei im Deckungsprozeß nicht zu prüfen, weil der Versicherungsschutz auch die Abwehr unbegründeter Ansprüche umfasse. Die Handlungsweise des Zweitklägers sei den "Gefahren des täglichen Lebens" zuzurechnen, weil darunter alle Gefahren fallen, die erfahrungsgemäß im normalen Lebenslauf immer wieder häufiger oder auch seltener vorkommen. Dies gelte insbesondere für Schädigungshandlungen von Kindern. Für das Vorliegen des Ausschlußtatbestandes der vorsätzlichen Herbeiführung des Versicherungsfalles sei die Beklagte beweispflichtig. Vorsatz liege nur dann vor, wenn der Täter den schädlichen Erfolg vorhersah und diesen Erfolg auch billigte. Wegen eines vom Willen beherrschbaren Verhaltens könne dem Handelnden aber nur dann ein Vorwurf gemacht werden, wenn er anders hätte handeln sollen und auch anders hätte handeln können, wenn er also zur Tatzeit die Fähigkeit zu einer vernünftigen Willensbildung hatte. Kinder unter 7 Jahren seien zwar nicht schlechthin unzurechnungsfähig, sondern im Rahmen des § 1310 ABGB beschränkt zurechnungsfähig. Die Verantwortlichkeit eines Kindes sei im Einzelfall unter Bedachtnahme auf das vorhandene Maß an Einsichten auf die Art seines Verhaltens zu prüfen. Entscheidend sei nicht, welche Einsicht bei einem Kind vorauszusetzen war und ihm zugemutet werden konnte, sondern es komme allein darauf an, welche Einsicht das Kind im Augenblick der schädigenden Handlung tatsächlich hatte. Demnach hätte die Beklagte konkret behaupten und beweisen müssen, daß der Zweitkläger zur Tatzeit nicht nur den schädlichen Erfolg und das Verbot seines Tuns erkannt hat, sondern auch dieser Einsicht gemäß dem Drang zur Beschädigung der Autos hätte widerstehen können. Derartiges habe sie nicht einmal behauptet.
Auf die Frage der aktiven Klagslegitimation des Zweitklägers sei nicht einzugehen, weil die Beklagte den Mangel einer solchen Legitimation nicht eingewendet habe.
Das Berufungsgericht hat ausgesprochen, daß der Wert des Streitgegenstandes bezüglich beider Kläger 15.000 S, nicht aber 300.000 S übersteigt. Es hat die Revision für zulässig erklärt. Richtig ist der Einwand der Kläger in der Revisionsbeantwortung, daß zur Frage, was unter "Gefahren des täglichen Lebens" im Sinne der ABH zu verstehen ist, eine reichhaltige Judikatur vorliegt und das Berufungsgericht von dieser Judikatur ausgegangen ist.
Rechtliche Beurteilung
Diesbezüglich liegen die Voraussetzungen für eine Revision nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO nicht vor, weshalb der Oberste Gerichtshof im Rahmen dieser Entscheidung auf diese Frage nicht mehr eingeht. Das Berufungsgericht hat allerdings seinen Zulassungsausspruch nicht mit dem Hinweis auf diese Rechtsfrage begründet, sondern damit, daß bezüglich der Anwendbarkeit des Art. 21 Abs. 2 ABH auf das Verhalten von Kindern keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes vorliege.
Es ist nun richtig, daß auch die Ausführungen des Berufungsgerichtes zur Auslegung des Begriffes "Vorsatz" sowie zur Frage, wann Kindern unter 7 Jahren Vorsatz vorgeworfen werden kann, durch reichhaltige Literatur und Judikatur gedeckt ist. Auch hier erübrigen sich zusätzliche Ausführungen des Obersten Gerichtshofes. Grundsätzlich sind also Kinder gemäß § 153 ABGB nicht deliktsfähig (Aicher in Rummel, Rdz 8 zu § 21 ua). Über die Minderjährigkeit hinaus wird keine eigene Verschuldensfähigkeit des Minderjährigen begründet (Pichler in Rummel, Rdz 1 zu § 153, Wentzel-Piegler in Klang2 I/2, 450, 543). Daraus ergibt sich aber, daß die Deliktsunfähigkeit des Minderjährigen die Regel, die Haftung für deliktisches Verhalten, wie schon die Einordnung des § 1310 ABGB ergibt, die Ausnahme ist.
Wenn die aus den oben dargelegten Grundsätzen abzuleitenden Schlußfolgerungen bezüglich der Anwendung des § 21 Abs. 2 AHB auf Minderjährige auch naheliegen, so ist diesbezüglich doch keine unmittelbar anwendbare Judikatur des Obersten Gerichtshofes auffindbar. Aus diesem Grunde erweist sich die Revision als zulässig, allerdings nicht, soweit sie Mängelrügen erhebt. Die in § 503 Abs. 1 ZPO aufgezählten Revisionsgründe gelten nicht für Revisionen nach § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO. Nach § 503 Abs. 2 ZPO kann in diesen Fällen die Revision nur begehrt werden, weil das Urteil des Berufungsgerichtes auf der unrichtigen Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechtes oder des Verfahrensrechtes beruht, der erhebliche Bedeutung im Sinne des § 502 Abs. 4 Z 1 ZPO zukommt. Demnach können in derartigen Revisionen bisher nicht erhobene Beweis- oder Mängelrügen nicht nachgeholt werden (vgl. JBl. 1986, 121). Ein bereits vom Berufungsgericht vermeinter Mangel (hier Ablehnung der Parteienvernehmung) kann auch in sonstigen Revisionen nicht mehr geltend gemacht werden.
Ein Eingehen auf die Mängelrüge der Revision ist demnach nicht möglich.
Die Zulässigkeit der Revision ist sohin nur bezüglich der Rechtsrüge mit der oben aufgezeigten Einschränkung gegeben, jedoch ist die Revision nicht berechtigt.
Mit Recht ist das Berufungsgericht auf die Frage der Aktivlegitimation des Zweitklägers nicht eingegangen. Die Sachlegitimation ist eine materielle Voraussetzung für das Bestehen des geltend gemachten Anspruches. Ihr Fehlen kann nicht ohne entsprechendes Vorbringen von Amts wegen wahrgenommen werden. Auch die in der Revision zitierte Stelle bei Fasching (II, 128) weist gegenüber der Judikatur nur insoweit einen Unterschied auf, als sie die ausdrückliche Einwendung der fehlenden Sachlegitimation für entbehrlich erachtet. Sie steht jedoch ebenfalls auf dem Standpunkt, daß das Wahrnehmen eines solchen Fehlens ein entsprechendes Sachvorbringen voraussetzt. Ein solches Sachvorbringen wurde hier von der Beklagten im erstgerichtlichen Vorfahren nicht erstattet. Auf die Versicherungsbedingungen hat sich die Beklagte nur zum Nachweis für den grundsätzlichen Ausschluß des Versicherungsschutzes berufen, nicht aber zum Nachweis für eine Vereinbarung dahin, daß nur der Versicherungsnehmer selbst Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag geltend machen könne (Art. 23 ABH). Mangels Behauptung einer diesbezüglichen Vereinbarung war demnach die Sachlegitimation des Zweitklägers nicht zu prüfen.
Was die Geltung des Ausschlußtatbestandes des Art. 21 Abs. 2 ABH anlangt, enthalten, entgegen den Behauptungen der Klägerin in der Revisionsbeantwortung, die Versicherungsbedingungen keinen Anhaltspunkt dafür, daß diese Bestimmung grundsätzlich auf mitversicherte Kinder nicht anzuwenden wäre. Das in dieser Bestimmung enthaltene Wort "vorsätzlich" leitet sich vom Hauptwort "Vorsatz" ab. Der Begriff des Vorsatzes ist ein solcher des Schadenersatzrechtes. Dort stellt er eine Form des Verschuldens dar. Mangels gegenteiligen eindeutigen Hinweises in den Versicherungsbedingungen kann daher das dort gebrauchte Wort "vorsätzlich" nur im Sinne des Vorsatzes im Schadenersatzrecht verstanden werden. Dies gilt auch für den zweiten Satz des Art. 21 Abs. 2 ABH, der in seinem Wortlaut dem Begriff des bedingten Vorsatzes entspricht. Um Leistungsfreiheit wegen vorsätzlicher Herbeiführung des Versicherungsfalles zu bewirken, muß sich also das Wissen und Wollen des Schädigers zumindest bedingt auch auf die Schadensfolgen erstrecken (VersR 1984, 1182, VersR 1987, 396 ua). Es ist schon fraglich, ob grundsätzlich ein sechsjähriges Kind begreifen kann, daß das Zerkratzen des Lacks eines Autos vermögensrechtliche Schäden mit sich bringt. Vielmehr liegt es nahe, daß ein gerade erst in die Volksschule eingetretenes Kind eine solche Handlung dem nicht sehr folgenschweren Beschmieren von Wänden gleichsetzt. Das Verbotene einer solchen Handlungsweise wird es zwar im allgemeinen einsehen, doch muß nach allgemeiner Lebenserfahrung davon ausgegangen werden, daß es einer ihm momentan ankommenden Lust zur Vornahme von Handlungen, deren Schädlichkeit es in ihrem vollen Ausmaß nicht annähernd erkennt, trotz eines entgegenstehenden Verbotes nicht widerstehen kann. Wie bereits oben dargelegt wurde, ist die Deliktsfähigkeit von Kindern die Ausnahme. Nur wenn die Voraussetzungen des § 1310 ABGB vorliegen, kann von einer beschränkten Deliktsfähigkeit ausgegangen werden. Das führt aber dazu, daß auch nur in Ausnahmsfällen Vorsatz im Sinne der schadenersatzrechtlichen Bestimmungen anzunehmen ist. Daß für die Frage, ob der Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt wurde, der Versicherer beweispflichtig ist, hat das Berufungsgericht richtig erkannt (Prölss-Martin, VVG23, 367, 370). Voraussetzung für die Erfüllung der diesbezüglichen Beweispflicht ist aber die Erstattung eines entsprechenden Vorbringens. Im allgemeinen wird die Behauptung, ein Schaden sei vorsätzlich herbeigeführt worden, auch die Behauptung in sich schließen, das Wissen und Wollen des Täters habe sich zumindest bedingt auch auf die Schadensfolgen erstreckt und der Täter wäre in der Lage gewesen, das Schädliche seines Handelns zu erkennen und dieser Einsicht gemäß zu handeln. Ob dies auch bei einem sechsjährigen Kind genügt, muß bezweifelt werden. Selbst wenn aber dieses Vorbringen ausreichend wäre, müßte vom Versicherer auch ein Beweis in der aufgezeigten Richtung erbracht werden. Hier hat die Beklagte nur die Parteienvernehmung (natürlich kommt hier höchstens der Zweitkläger in Frage) angeboten. Nach dem Beweisanerbieten sollte der Zweitkläger aber nur dazu vernommen werden, daß er in der Lage gewesen sei, das Unrichtige seines Verhaltens einzusehen. Dies allein würde für die Annahme eines Vorsatzes des Zweitklägers im oben aufgezeigten Sinn nicht ausreichen. Im übrigen ist nicht einzusehen, inwiefern ein zum Zeitpunkt seiner in Aussicht genommenen Einvernahme siebenjähriges Kind in der Lage sein soll, die für die Annahme seines Vorsatzes erforderliche Reife durch seine Aussage zu bekräftigen. Schon nach dem Vorbringen der Beklagten erwies sich demnach die Einvernahme des Zweitklägers als entbehrlich, weil sie, abgesehen von der Mangelhaftigkeit des Parteienvorbringens, überhaupt nicht geeignet gewesen wäre, den erforderlichen Beweis zu erbringen. Soweit sich die Revision gegen die den Erstkläger betreffende Entscheidung richtet, ist sie nahezu unverständlich, weil die Beklagte selbst zugesteht, daß dem Erstkläger eine Vernachlässigung der Obsorgepflicht nicht vorgeworfen werden kann. Dies schließt aber nicht aus, daß die Geschädigten versuchen werden, Ansprüche gegen den Erstkläger geltend zu machen. Daß dieser gegen die Beklagte einen Anspruch auf Abwehr unberechtigter Forderungen hätte, kann auch die Beklagte nicht bestreiten. Schon aus diesem Grunde wäre sie nicht berechtigt gewesen, die eigenen Ansprüche des Erstklägers auf Versicherungsschutz zu verneinen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.
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