OGH 9ObS27/87

OGH9ObS27/872.12.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Bauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Raimund Kabelka und Jürgen Mühlbauer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Anton K***, Faistenau, Tiefenbrunnau 76, vertreten durch Dr. Hans Werner Mitterauer, Referent der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Salzburg, dieser vertreten durch Dr. Peter Cardona, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei

A*** U***, Wien 20., Adalbert

Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner und Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Juli 1987, GZ 13 Rs 1056/87-14, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 9. März 1987, GZ 39 Cgs 60/87-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten der Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 30. Juni 1942 geborene Kläger war nach Beendigung seiner Bäckerlehre bis Mai 1985 als Bäcker tätig. Der Kontakt mit Backhilfsstoffen und Paramix rief beim Kläger ekzematöse Hautveränderungen hervor. Im Mai 1985 gab er seine Tätigkeit als Bäcker auf und ist seither im Außendienst eines Versicherungsunternehmens beschäftigt. Nach diesem Berufswechsel schwanden die Hautveränderungen, doch blieb eine allgemeine Empfindlichkeit der Haut, besonders in den Händen, zurück, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 10 v.H. (ab 8. Juli 1985) bedingt. Würde der Kläger die Arbeit als Bäcker wieder aufnehmen und mit den genannten Stoffen in Berührung kommen, so wäre mit dem Wiederauftreten des Ekzems zu rechnen. In diesem Fall betrüge die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers am allgemeinen Arbeitsmarkt 20 v.H.

Das Erstgericht gab dem auf Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 20 v.H. der Vollrente gerichteten Begehren des Klägers statt; die Besserung der Hautkrankheit sei nur auf den erfolgten Berufswechsel zurückzuführen, sodaß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Gewährung der Rentenleistung erfüllt seien. Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei gegen dieses Urteil erhobenen Berufung nicht Folge. Hautkrankheiten seien Berufskrankheiten im Sinn des § 177 ASVG, wenn und solange sie zur Aufgabe der schädigenden Erwerbstätigkeit zwingen.

Entscheidungswesentlich sei, ob mit einem Wiederauftreten einer derartigen Erkrankung bei neuerlicher Aufnahme der krankheitsauslösenden Tätigkeit zu rechnen sei. Dies sei im vorliegenden Fall zu bejahen.

Weder das Erstgericht noch das Berufungsgericht hat der beklagten Partei eine vorläufige Leistung im Sinne des § 89 Abs 2 ASGG (das Berufungsgericht iVm § 463 Abs 1 ZPO) auferlegt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Hautkrankheiten sind Berufskrankheiten im Sinn des § 177 ASVG gemäß lfd.Nr. 19 der Anlage 1 zum ASVG, wenn und solange sie zur Aufgabe schädigender Erwerbsarbeit zwingen. In der Stammfassung des ASVG lautete die laufende Nr. 19 der Anlage 1: "Schwere und wiederholt rückfällige berufliche Hauterkrankungen, die zum Wechsel des Berufes oder zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit zwingen". Diese Fassung war der Anlage zur Dritten Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 16. Dezember 1936, DRGBl. I S. 1117 idF der Vierten Verordnung zur Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 29. Jänner 1943, DRGBl. I S. 85 (dort Nr. 15) entnommen (599 BlgNR. VII, 63). Die geltende Fassung der laufenden Nr. 19 der Anlage 1 zum ASVG wurde mit der 29. ASVG-Novelle geschaffen. Hiezu führen die Gesetzesmaterialien (404 BlgNr. XIII, 131) aus, daß die Auslegung der Z 19 der Anlage 1 zum ASVG Schwierigkeiten bereitet habe und in einzelnen Fällen zu problematischen Ergebnissen geführt habe, da der Begriff "Beruf" sich infolge der Entwicklung neuer Tätigkeitsformen immer weniger zuverlässig abgrenzen lasse. Andererseits könne gerade bei Hauterkrankungen auf die Aufgabe der schädigenden Tätigkeit als Voraussetzung für den Entschädigungsanspruch nicht verzichtet werden. In der Neufassung seien die für den Eintritt des Versicherungsfalles bis dahin maßgeblichen Kriterien der Schwere und der wiederholten Rückfälligkeit der Erkrankung und der Zwang zum Wechsel des Berufes nicht mehr enthalten, wodurch sich eine Erweiterung des Versicherungsumfanges in zwei Richtungen ergebe. Ausgehend von der bestehenden Spruchpraxis der AUVA, die den Begriff des "Berufes" in seinem Umfang in großzügiger Weise ausgelegt habe, und unter Berücksichtigung, daß Hauterkrankungen, die weder schwer noch wiederholt rückfällig seien, relativ selten zur Aufgabe der schädigenden Erwerbsarbeit zwingen, werde sich in der Praxis keine wesentliche Zunahme der Zahl der Versicherungsfälle ergeben. Von den wegfallenden Kriterien komme dem Zwang zum Wechsel des Berufes die größte Bedeutung zu, da die Abgrenzung des Begriffes "Beruf", wie einleitend ausgeführt, in der Praxis große Schwierigkeiten bereitet habe.

Damit wurde zum Ausdruck gebracht, daß der Begriff "Aufgabe schädigender Erwerbsarbeit" nach wie vor auf die letzte Erwerbstätigkeit zu beziehen ist. Die Neufassung bezweckte nur eine Klarstellung in der Richtung, daß "Beruf" nicht etwa im Sinn eines erlernten Berufes (§ 255 Abs 1 ASVG) zu verstehen sei, sondern von dieser Bestimmung jede Erwerbstätigkeit, auch wenn es sich nicht um einen Beruf im Sinn eines Lehrberufes handelt, umfaßt sein soll. Daraus ergibt sich, daß anders als in anderen Fällen der gesetzlichen Unfallversicherung eine unmittelbare Anknüpfung an die vom Versicherten zuvor ausgeübte Tätigkeit zu erfolgen hat. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist nicht abstrakt bezogen auf den aktuellen Leidenszustand zu untersuchen; selbst wenn ein akuter Leidenszustand nicht besteht, sind vielmehr die Auswirkungen einer Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit auf das wenn auch derzeit nur latent vorhandene Leiden zu prüfen. Der Versicherungsträger ist entschädigungspflichtig, wenn eine medizinisch notwendige Aufgabe des Arbeitsplatzes vorgenommen wurde. Daß auf den Zwang zur Aufgabe schädigender Erwerbsarbeit abgestellt wird, hat den Zweck, ein Verweilen des Versicherten auf dem gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlechterung der Krankheit oder deren Wiederausbruch zu verhüten. Mit der tätigkeitsbezogenen Betrachtung soll erreicht werden, daß auch in Zukunft die Gefahr eines Wiederauflebens oder einer Verschlechterung der Berufskrankheit möglichst vermieden wird. Zu diesem Zweck wird auch in Fällen, in denen akute Krankheitserscheinungen nach Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit nicht bestehen, eine Entschädigung aus der Unfallversicherung gewährt. Grundlage für diese Entschädigung bildet in diesem Fall die latent vorhandene Krankheit, mit deren Ausbruch bei Ausübung der früheren Erwerbstätigkeit zu rechnen wäre. Im vorliegenden Fall steht fest, daß bei Wiederaufnahme der früher vom Kläger ausgeübten Tätigkeit ein Wiederaufleben der Krankheit zu erwarten ist; dies würde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v.H. bedingen. Zutreffend sind daher die Vorinstanzen zu einer klagestattgebenden Entscheidung gelangt. An Kosten für das Revisionsverfahren wurden vom Kläger ausschließlich Barauslagen für die für die Vollmacht entrichtete Stempelgebühr begehrt. Gemäß § 80 ASGG sind Vollmachten in Sozialrechtssachen gebührenbefreit; ein Anspruch auf Ersatz für dennoch vorgenommene Vergebührung der Vollmacht besteht somit nicht.

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