Spruch:
Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß dem § 290 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch der Anja G*** (A I des Urteilsspruches) und in der Qualifikation des dem Angeklagten Thomas S*** zur Last liegenden Verbrechens auch als in Gesellschaft begangen nach dem § 127 Abs. 2 Z 1 StGB sowie demgemäß im gesamten Strafausspruch (einschließlich des Ausspruches über die Anrechnung der Vorhaft) aufgehoben und es wird gemäß dem § 288 Abs. 2 Z 3 StPO im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:
Anja G*** wird von der Anklage, sie habe am 18.Mai 1987 in Wien in Gesellschaft (mit Thomas S***) als Beteiligte nach dem § 12 StGB fremde bewegliche Sachen, und zwar zwei Dosen Coca-Cola, zwei Dosen Almdudler, einen Liter Keli, zwei Dosen Keli, eine Packung Erdnüsse, eine Packung Soletti, eine Flasche Mineralwasser, zwei Dosen Zipfer Bier und eine Flasche Ottakringer Bier im Gesamtwert von 150 S, dem Hannes R*** durch Einbruch in seinen Kiosk mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich durch die Zueignung der Sachen unrechtmäßig zu bereichern, sie habe hiedurch das Verbrechen des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 129 Z 1 StGB begangen, gemäß dem § 259 Z 4 StPO freigesprochen.
Thomas S*** wird für die ihm nach dem unberührt gebliebenen Teil des Schuldspruches weiterhin zur Last fallenden Delikte, und zwar das Verbrechen des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 Abs. 1, 129 Z 1 StGB und die Vergehen der versuchten Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, der Körperverletzung nach dem § 83 Abs. 1 StGB und der Urkundenunterdrückung nach dem § 229 Abs. 1 StGB, nach dem § 129 StGB unter Bedachtnahme auf den § 28 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 8 (acht) Monaten und gemäß dem § 389 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens verurteilt.
Gemäß dem § 38 Abs. 1 StGB wird Thomas S*** die Vorhaft am 3. März 1987 von 14,35 Uhr bis 20,00 Uhr, am 27.April 1987 von 17,30 Uhr bis 20,35 Uhr und vom 18.Mai 1987 5,30 Uhr, bis 15. Juli 1987, 10,15 Uhr auf die Strafe angerechnet. Mit ihren Rechtsmitteln wird Anja G*** auf diese Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurden der am 9.November 1959 geborene Thomas S*** und die am 3.Mai 1966 geborene Anja G*** des Verbrechens des versuchten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 15, 127 Abs. 1, Abs. 2 Z 1, 129 Z 1 StGB schuldig erkannt. Ihnen liegt, und zwar der Angeklagten G*** allein, dem Angeklagten S*** unter anderem, zur Last, am 18. Mai 1987 in Wien in Gesellschaft als Diebsgenossen dem Hannes R*** durch Einbruch in seinen Kiosk die im Spruch bereits näher bezeichneten Gegenstände zu stehlen versucht zu haben.
Rechtliche Beurteilung
Aus Anlaß der von Anja G*** erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde konnte sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugen, daß das Urteil mit einer von der Angeklagten nicht geltend gemachten, ihr zum Nachteil gereichenden materiellen Nichtigkeit (§ 281 Abs. 1 Z 9 lit b StPO) behaftet ist. Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen lernte die Angeklagte Anja G***, die am 1.Mai 1987 nach Österreich gekommen war, um einen ehemaligen Freund zu treffen, in den Nachmittagsstunden des 17.Mai 1987 den Mitangeklagten S*** kennen. Da sie ohne Quartier war, folgte sie seiner Einladung, die Nacht in einem leerstehenden Gebäude, dem ehemaligen Gasthaus "R*** H***" in der Lobau, zu verbringen. In den frühen Morgenstunden, kurz nach 3 Uhr, des darauffolgenden Tages begab sich Thomas S*** ohne Wissen der Angeklagten G*** zu dem in der Nähe gelegenen Kiosk des Hannes R***, um dort einzubrechen und Lebensmittel und Getränke zu beschaffen. Nachdem er einen etwa 1,2 m hohen Maschendrahtzaun überstiegen sowie ein Fenster eingeschlagen hatte und durch diese Öffnung in den Kiosk eingedrungen war, gab er die bereits näher bezeichneten Waren in einen Plastikkübel. Als er den Tatort mit der Beute verlassen wollte, wurde er "von einem Polizeifahrzeug gestört", worauf er unter Zurücklassung der Beute in seinen Unterschlupf flüchtete, wo die Angeklagte noch immer schlief. Sie wurde später von S*** geweckt, der ihr vom mißlungenen Einbruchsdiebstahl Mitteilung machte. Einige Zeit später (als die beiden nach Tagesanbruch aufgewacht waren - S 74 d.A) forderte S*** G*** auf, den Kübel mit den Eß- und Trinkwaren, den er hinter dem Kiosk zurücklassen hatte müssen (und der nach mittlerweiliger Entdeckung des Diebstahlsversuches durch den Eigentümer und auch einer ersten Sachverhaltsaufnahme durch die Polizei an diesem Ort verblieben war), zu holen. Dieser Aufforderung Folge leistend begab sich die Angeklagte zum Kiosk, wurde aber als sie eben die Diebsbeute an sich nehmen wollte, vom Eigentümer Hannes R*** beobachtet, worauf (auch) sie unverrichteter Dinge in den Unterschlupf zurückeilte. Da die beiden Angeklagten hungrig und durstig waren, suchte die Angeklagte G*** nochmals den Tatort auf, mußte aber nach Übersteigen der Einfriedung abermals ohne Beute flüchten, weil der Eigentümer (noch immer) anwesend war. In der Folge wurden die beiden Angeklagten von Polizeibeamten (in ihrem Unterstand entdeckt und) festgenommen.
Bei der Subsumtion dieses Sachverhaltes unterlief dem Erstgericht ein Irrtum.
Zunächst ist davon auszugehen, daß in Gesellschaft (als Diebsgenosse) handelt, wer am Tatort oder in dessen unmittelbarer Nähe anwesend ist und auf Grund gemeinschaftlichen Tatentschlusses mit mindestens einer weiteren Person an der Begehung des Diebstahls mitwirkt. Zwischen den Diebsgenossen muß also unter anderem während der Tatausführung ein räumliches Naheverhältnis bestehen, wobei es darauf ankommt, ob der Beteiligte de facto einen mitgestaltenden Einfluß auf die Tatausführung besitzt. Bloßes Warten in der Nähe erfüllt nur dann die Qualifikation des § 127 Abs. 2 Z 1 StGB, wenn dies nach den konkreten Umständen als "Bereithalten für den Bedarfsfall" anzusehen ist (zu all dem Kienapfel, Grundriß Besonderer Teil II, RN 259, 261, 263 zu § 127 StGB). Um diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall als erfüllt ansehen zu können, reichen die Urteilsfeststellungen nicht aus. Die fehlenden Kriterien könnten aber auch in einem zweiten Rechtsgang - wie die Aktenlage unzweifelhaft erkennen läßt - nicht mit mängelfreier Begründung festgestellt werden.
Gemäß der Tatortbeschreibung durch die Polizei liegt das Gebäude des ehemaligen Gastlokales "R*** H***" ca 200 m vom Tatort entfernt (S 67 d.A). Wohl wurde in einem Fall diese Distanz als für das örtliche Naheverhältnis noch ausreichend gefunden (EvBl 1967/412), jedoch unter entscheidend anderen sonstigen Gegebenheiten. Aus der örtlichen Nähe des Diebsgenossen muß sich nämlich eine konkrete Erleichterung der Tatausführung für den unmittelbaren Täter und damit ein (objektiv) höherer Grad der Gefährlichkeit der Tat (siehe dazu Leukauf-Steininger2 RN 74 zu § 127 StGB) ergeben. Das trifft wohl auf den der erwähnten Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu, nach dem der Angeklagte den unmittelbaren Täter mit seinem PKW zum Tatort geführt und dann in einer Entfernung von 200 m gewartet hatte, um ihn (und die Beute) vom Tatort wieder wegzubringen, nicht aber auf den vorliegenden Fall. Denn hier blieb der an der Tat der Angeklagten G*** beteiligte Thomas S*** bewußt dem Tatort fern und verließ die gemeinsame Unterkunft nicht, weil er fürchtete, entdeckt zu werden.
Der Umstand, daß der Angeklagte S*** bereits einige Zeit vorher in diebischer Absicht am Tatort war, ändert an dieser Beurteilung nichts, weil die erste Tat nicht von einem gemeinsamen Vorsatz der Angeklagten getragen war und zwischen den beiden Versuchen überdies ein deutlicher zeitlicher Abstand lag (siehe S 59, 73, 74, 76, 108, 177 d.A), welche Umstände in Verbindung mit den sonstigen Gegebenheiten dieses Falles auch eine von der (Vor-)Tat des Angeklagten S*** losgelöste rechtliche Wertung des Verhaltens der Angeklagten G*** rechtfertigen.
Ist aber das Gesellschaftsverhältnis (§ 127 Abs. 2 Z 1 StGB) - wie auch ein rechtlicher Zusammenhang mit der (Vor-)Tat des Thomas S*** überhaupt - zu verneinen, dann hat auch die der Angeklagten angelastete Qualifikation nach dem § 129 Z 1 StGB zu entfallen, zumal das Übersteigen eines Zaunes, um auf eine Wiese zu gelangen (S 62 d.A), dem Merkmal dieser Gesetzesstelle nicht entspricht.
Demnach könnte die Tat der Angeklagten G*** - sofern sie nicht letztlich bloß als (versuchte) Entwendung zu beurteilen ist - allein den §§ 15, 127 Abs. 1 StGB unterstellt werden. Damit ist im Hinblick auf die Höhe der Strafdrohung jedenfalls des weiteren zu prüfen, ob die (übrigen) Voraussetzungen des § 42 StGB vorliegen. Dies ist zu bejahen:
Die Schuld der Angeklagten G***, die - strafrechtlich nicht vorbelastet - vom Mitangeklagten S*** zur Tat verführt, aber auch aus Hunger und Durst dazu getrieben wurde (S 74, 75, 176, 177, 179 d.A) und überdies infolge eines regelmäßiger Medikation bedürftigen Anfallsleidens (Epilepsie) in ihrer Zurechnungsfähigkeit möglicherweise erheblich vermindert war, wofür auch ihr ungewöhnliches, auffälliges Verhalten am Tatort spricht (s S 181 d.A), ist mit Sicherheit als gering einzustufen. Ihre Tat hatte auch keine Folgen nach sich gezogen. Und schließlich ist auch eine Bestrafung der Angeklagten, die - wie erwähnt - bisher einen ordentlichen Lebenswandel führte, weder aus spezial- noch aus generalpräventiven Gründen geboten, zumal der Versuch nur auf Aneignung von Speisen und Getränken im Wert von etwa 150 S gerichtet war.
Es war daher aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde in Ansehung der Angeklagten G*** gemäß dem § 290 Abs. 1 StPO wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.
Mit ihren dadurch gegenstandslos gewordenen Rechtsmitteln war die Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen. Gleichzeitig war allerdings auch die den Mitangeklagten Thomas S*** benachteiligende, in erster Instanz zu Unrecht ausgesprochene Qualifikation des Diebstahls nach dem § 127 Abs. 2 Z 1 StGB in amtswegiger Wahrnehmung dieser materiellen Nichtigkeit nach der vorzitierten Gesetzesstelle aus dem Schuldspruch auszuscheiden.
Dieses Vorgehen machte auch eine Neubemessung der über Thomas S*** zu verhängenden Strafe notwendig. Dabei konnten die in erster Instanz angeführten Strafzumessungsgründe als zutreffend vom Obersten Gerichtshof übernommen werden. Sie waren allerdings auf Seite der mildernden Umstände noch durch Berücksichtigung des geringen Wertes der Diebsbeute und des Umstandes zu ergänzen,daß Hunger und Durst zur eingangs näher beschriebenen Tat motivierten. Unter den sich daraus ergebenden geänderten Aspekten erscheint eine Freiheitsstrafe in dem aus dem Spruch ersichtlichen Ausmaß tat- und tätergerecht.
Die übrigen Entscheidungen beruhen auf den angeführten Gesetzesstellen.
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