OGH 1Ob677/87

OGH1Ob677/8711.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Hofmann, Dr.Kodek und Dr.Redl als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W*** & L*** in Liquidation, Wien 1.,Hoher Markt 12, vertreten durch Dr.Peter Hierzenberger, Rechtsanwalt in Wien, und des Nebenintervenienten auf Seite der klagenden Partei Kommerzialrat Michael L***, Kaufmann, Wien 1.,Hoher Markt 8, vertreten durch Dr.Michael Stern, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ekkehard B***, Kaufmann, Wien 19.,Krapfenwaldgasse 39, vertreten durch Dr.Helmut Michlmayr, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung infolge Revision der klagenden Partei und des Nebenintervenienten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 8.Juli 1987, GZ. 48 R 232/87-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei und des Nebenintervenienten das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 31. Dezember 1986, GZ. 48 C 81/86-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 5.438,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon S 494,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die klagende Partei, eine offene Handelsgesellschaft, befindet sich seit 31.3.1968 in Liquidation. Mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom 4.6.1974 wurde Rechtsanwalt Dr.Peter Hierzenberger zum Liquidator bestellt. Der Beklagte mietete von der klagenden Partei mit Vertrag vom 17.Oktober 1958 das Geschäftslokal in Wien 1., Hoher Markt 8-9, und betrieb darin einen Handel mit Tapeten, Teppichen, Vorhängen, Möbelstoffen und einschlägigen Artikeln. Am 30.4.1973 erklärte die B*** Ges.m.b.H., die sich als Mieter des Geschäftslokals bezeichnete, der klagenden Partei, auf die ihr aus dem Mietvertrag vom 17.10.1958 zustehenden Rechte unter der Bedingung zu verzichten, daß die Rechte Dipl.Ing.Adolf W*** übertragen werden. Am 4.5.1973 schloß Simon W*** als persönlich haftender Gesellschafter der klagenden Partei mit seinem Sohn Dipl.Ing.Adolf W*** einen Mietvertrag über das Geschäftslokal. Seit September bzw. Oktober 1973 betreibt Dipl.Ing.Adolf W*** in den vorgenannten Geschäftsräumlichkeiten eine Pelzhandel. Die klagende Partei, vertreten durch den gerichtlich bestellten Liquidator, erhob am 14.2.1975 zu 47 C 181/80 des Erstgerichtes gegen Dipl.Ing.Adolf W*** Räumungsklage, weil er das Gechäftslokal seit Mai 1973 titellos benütze. Das Klagebegehren wurde abgewiesen. Dipl.Ing.Adolf W*** begehrte von der klagenden Partei mit der zu 47 C 581/81 (= 47 C 446/84) erhobenen Klage die Zustimmung zur Abtretung von Mietrechten durch die B***-Gesellschaft m.b.H. an ihn. Das Klagebegehren wurde abgewiesen, weil nicht die B*** Gesellschaft m.b.H., sondern der nunmehrige Beklagte Mieter sei. Die klagende Partei hat die Weitergabe des Geschäftslokals bis zur gegenständlichen Aufkündigung nicht zum Anlaß rechtlicher Schritte gegen den Beklagten bzw. die B*** Gesellschaft m.b.H. genommen.

Die klagende Partei kündigte dem Beklagten mit der am 6.2.1986 überreichten Aufkündigung das Geschäftslokal in Wien 1.,Hoher Markt 8-9, zum 30.6.1986 auf und machte die Kündigungsgründe des § 30 Abs.1 und des § 30 Abs.2 Z.4 MRG geltend. Der Beklagte verfüge über ein anderes Geschäftslokal und benötige das aufgekündigte Geschäftslokal nicht mehr, was sich insbesondere daraus ergebe, daß er der Benützung des Lokals durch Dipl.Ing. Adolf W*** seit dem Jahre 1973 zugestimmt habe.

Der Beklagte erhob rechtzeitig Einwendungen und beantragte die Aufhebung der Aufkündigung. Der klagenden Partei sei die Weitergabe des Geschäftslokals durch ihn seit dem Jahre 1973 bekannt gewesen, die beklagte Partei habe sich demnach der Geltendmachung des Kündigungsgrundes verschwiegen. Darüber hinaus sei ihm im Bestandvertrag ein Weitergaberecht eingeräumt worden. In Ausübung dieses Rechtes habe er die Mietrechte an Dipl.Ing.Adolf W*** übertragen und den Liquidator mit Schreiben vom 21.Juni 1985 aufgefordert, die Mietrechtsübertragung zur Kenntnis zu nehmen. Das Erstgericht hob die Aufkündigung auf und stellte (im Rahmen der Ausführungen zur rechtlichen Beurteilung) fest, die Gesellschafter der klagenden Partei hätten seit Mai 1973 Kenntnis von der Benützung des Bestandobjektes durch Dipl.Ing.Adolf W*** gehabt. Simon W*** haben den Bestandvertrag mit seinem Sohn abgeschlossen, Kommerzialrat Michael L*** habe die Benützung des Geschäftslokals durch Dipl.Ing.Adolf W*** seit der Überlassung der Nutzung an diesen festgestellt.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, die klagende Partei habe dadurch, daß sie trotz Kenntnis der gänzlichen Weitergabe des Bestandobjektes seit Mai 1973 mit der Einbringung der Aufkündigung bis zum Jahr 1986 zuwartete, stillschweigend auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes verzichtet.

Das Berufungsgericht gab der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der klagenden Partei und des Nebenintervenienten nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteigt. Bei Prüfung des Vorliegens eines konkludenten Kündigungsverzichtes sei ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Das Verhalten des Vermieters müsse mit Überlegung aller Umstände unter Berücksichtigung der im redlichen Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche den eindeutigen Schluß zulassen, daß er auf die Ausübung des Kündigungsrechtes verzichtet habe. Den Gesellschaftern der klagenden Partei sei seit dem Jahre 1973 bekannt gewesen, daß das Bestandobjekt zur Gänze von jemand anderen als dem Hauptmieter benützt werde. Aus der völlig andersgearteten geschäftlichen Tätigkeit, die Dipl.Ing.Adolf W*** im Geschäftslokal entfaltete, sei für die klagende Partei auch klar erkennbar gewesen, daß es sich um keine zulässige Unternehmensveräußerung oder -verpachtung handeln konnte. Da die klagende Partei zumindest schon seit der am 14.2.1975 gegen Dipl.Ing.Adolf W*** eingebrachten Räumungsklage den Standpunkt vertreten habe, der dort Geklagte sei nicht Hauptmieter und benütze das Geschäftslokal titellos, könne sie sich nunmehr nicht darauf berufen, es sei für sie nicht leicht erkennbar gewesen, wer Hauptmieter gewesen sei. Habe die klagende Partei seit Überlassung des Geschäftslokals an Dipl.Ing.Adolf W*** im Jahre 1973 bis zur Einbringung der Aufkündigung im Februar 1986 keine rechtlichen Schritte wegen unzulässiger Weitergabe des Bestandobjektes unternommen, so sei ein konkludenter Verzicht auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes anzunehmen.

Den gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen Revisionen der klagenden Partei und ihres Nebenintervenienten kommt Berechtigung nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht ging zutreffend davon aus, daß die Unterlassung der Kündigung durch lägnere Zeit trotz Kenntnis des Kündigungsgrundes bei Dauertatbeständen wie insbesondere dem Kündigungsgrund des § 30 Abs.2 Z.4 erster Fall MRG als Verschweigung der Geltendmachung des Kündigungsgrundes zu werten ist, wenn das Verhalten des Vermieters bei Überlegung aller Umstände keinen vernünftigen Grund daran zu zweifeln übrig läßt, daß er den ihm bekannten Sachverhalt nicht als Auflösungsgrund geltend machen will (MietSlg.37.456, 35.568, 34.410, 32.358, 24.306, 22.435). Die klagende Partei stellt nicht in Abrede, daß ihren Gesellschaftern der der Aufkündigung zugrundegelegte Sachverhalt, die Weitergabe des Bestandobjektes durch den Beklagten an Dipl.Ing.Adolf W***, seit dem Jahr 1973 bekannt war. Dem gerichtlich bestellten Liquidator müßte die Weitergabe jedenfalls seit Erhebung der Räumungsklage gegen Dipl.Ing.Adolf W*** am 14.2.1975 bekannt sein. Daß der klagenden Partei bei gehöriger Prüfung des Sachverhaltes nicht erkennbar gewesen wäre, wer Mieter des Geschäftslokals ist und gegen wen daher mit Aufkündigung vorzugehen ist, kann nicht angenommen werden. Wenn der Beklagte das Geschäftslokal von der klagenden Partei im Jahr 1958 mietete und eine einvernehmliche Änderung des Bestandnehmers nicht erfolgte, kam nur der Beklagte (und nicht etwa die B*** Gesellschaft m.b.H.) als Mieter in Betracht. Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, mußte nicht erst der Ausgang des Verfahrens 47 C 581/81 (= 47 C 446/84) des Erstgerichtes abgewartet werden. Das Berufungsgericht verwies auch mit Recht darauf, daß für die klagende Partei klar erkennbar gewesen sein mußte, daß eine zulässige Übertragung der Bestandrechte wegen Veräußerung des Unternehmens nicht vorliegen konnte, weil Dipl.Ing.Adolf W*** ein andersgeartetes Unternehmen als der Beklagte in den aufgekündigten Räumen betrieb. Daß die klagende Partei gegen Dipl.Ing.Adolf W*** Mit Räumungsklage wegen titelloser Benützung vorging und der Beklagte hievon bei seiner Einvernahme als Zeuge im Prozeß erfahren haben konnte, mußte diesen nicht zur Annahme führen, daß die klagende Partei die Weitergabe des Geschäftslokals zum Anlaß einer Kündigung des mit ihm abgeschlossenen Bestandvertrages nehmen werde. Unter den gegebenen Umständen kann nicht davon gesprochen werden, daß nicht leicht durchschaubare Verhältnisse (vgl. MietSlg.37.426/31) vorlagen, die der Annahme, die klagende Partei habe stillschweigend auf die Geltendmachung des Kündigungsgrundes verzichtet, entgegenstünden. Demzufolge ist der Revision der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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