Spruch:
In der Strafsache AZ 9 U 2244/86 des Strafbezirksgerichtes Wien verletzen das Gesetz
1. die am 13.August 1986 gegen Johann Franz T*** erlassene Strafverfügung (ON 2) in den Bestimmungen der §§ 36 Abs. 1 und 22 Abs. 1 Z 2 lit b JGG;
2. der Beschluß vom 24.März 1987 (ohne Ordnungsnummer, S 92) insoweit durch dessen Punkt 1. die Bewilligung der Wiederaufnahme des Strafverfahrens bewilligt wurde, in der Bestimmung des § 353 StPO.
Text
Gründe:
Aus dem Akt 9 U 2244/86 des Strafbezirksgerichtes Wien ergibt sich folgender Sachverhalt:
Aufgrund einer am 22.Juli 1986 beim Strafbezirksgericht Wien eingelangten (der Übersendungsnote zufolge allerdings an die Staatsanwaltschaft beim Jugendgerichtshof Wien gerichtet gewesenen) Anzeige des Bezirkspolizeikommissariats Neubau wurde vom Bezirksanwalt (ua auch) gegen den am 2.Jänner 1969 geborenen, in Wien wohnhaften Johann Franz T*** am 30.Juli 1986 der Antrag auf Bestrafung wegen des Vergehens nach § 83 Abs. 1 StGB gestellt. Am 13. August 1986 erließ das Strafbezirksgericht gegen den Genannten die Strafverfügung ON 2, womit über ihn wegen des bezeichneten, (am 9. August 1985 in Wien) begangenen Vergehens eine Geldstrafe verhängt wurde. Die Strafverfügung wurde dem Bezirksanwalt sowie dem Beschuldigten zugestellt, die dagegen keinen Einspruch erhoben (AS 68).
Die Geldstrafe (von 1.000 S sowie die Verfahrenskosten von 300 S) wurden am 3.November 1986 bezahlt (S 83).
Am 27.Jänner 1987 beantragte die Staatsanwaltschaft Wien die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Johann Franz T***, gab die Erklärung ab, daß "sodann zur weiteren Verfolgung des Johann T*** kein Grund gefunden wird (§ 90 Abs. 1 StPO aus dem Grunde des § 12 Abs. 1 JGG)", und beantragte die Veranlassung der Rückzahlung von Geldstrafe und Kosten sowie die Übermittlung des Aktes an das Vormundschaftsgericht gemäß § 12 Abs. 1 JGG. Dieser Antragstellung entsprach das Strafbezirksgericht Wien mit - zwar nicht ausgefertigten, jedoch zweifelsfrei zu diesem Zweck der Geschäftsabteilung übergebenem (siehe ON 16) - Beschluß vom 24. März 1987 (AS 92), in welchem insbesondere die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen Johann Franz T*** wegen § 83 Abs. 1 StGB ohne vorherige Erhebungen begründungslos bewilligt, die Einstellung des Verfahrens gegen den Genannten wegen § 83 Abs. 1 StGB gemäß § 90 Abs. 1 StPO aus dem Grunde des § 12 Abs. 1 JGG verfügt, ferner die Rückzahlung der Strafe und des Pauschalkostenbetrages an den Genannten sowie die Übersendung des Aktes an den Jugendgerichtshof Wien als Vormundschaftsgericht angeordnet wurde.
Ungeachtet der weiteren Antragstellung der Staatsanwaltschaft Wien vom 26.August 1987 (ON 16), worin der Antrag auf Aktenübersendung an das Vormundschaftsgericht zurückgezogen, jedoch die Zustellung des Beschlusses auf Bewilligung der Wiederaufnahme an den Verurteilten beantragt wurde, erließ das Strafbezirksgericht Wien am 28.August 1987 die Verfügung: "Beschluß AS 92 nicht durchführen" (AS 100).
Rechtliche Beurteilung
Die Vorgangsweise des Strafbezirksgerichtes Wien verletzt im Hinblick auf das Alter des Johann Franz T***, der zur Tatzeit und zur Zeit der Einleitung des Strafverfahrens noch Jugendlicher war, das Gesetz zunächst insofern, als gemäß § 36 Abs. 1 JGG 1961 (ua) die Bestimmungen der §§ 460 bis 462 StPO (über das Mandatsverfahren) in Jugendstrafsachen (§ 1 Z 4 JGG 1961) nicht anzuwenden sind. Die Erlassung der Strafverfügung, welche insbesondere dazu führte, daß die besonderen Bestimmungen des III. und VII. Hauptstückes des Jugendgerichtsgesetzes unberücksichtigt blieben, war daher unzulässig.
Überdies war das Strafbezirksgericht Wien für das Strafverfahren gegen den (damals) Jugendlichen unzuständig; denn gemäß § 22 Abs. 1 Z 2 lit b JGG 1961 ist der Jugendgerichtshof Wien für die Sprengel der in Wien gelegenen Bezirksgerichte zur Ausübung der den Bezirksgerichten zustehenden Gerichtsbarkeit in Jugendstrafsachen berufen.
Darüber hinaus wurde die Wiederaufnahme des Strafverfahrens - allerdings zugunsten des rechtskräftig verurteilten Johann Franz T*** - bewilligt, obwohl keiner der in Z 1 bis 3 des (gemäß § 480 Abs. 1 StPO auch im bezirksgerichtlichen Verfahren anzuwendenden) § 353 StPO angeführten Wiederaufnahmsgründe vorlag (oder auch nur behauptet worden wäre). Insbesondere stellte das (damals) jugendliche Alter des Verurteilten keine neue Tatsache im Sinne des § 353 Z 2 StPO dar, zumal sein Geburtsdatum bereits in der Anzeige richtig angeführt, dem Gericht sohin nicht erst nach Erlassung der Strafverfügung zur Kenntnis gelangt worden war. In Stattgebung der von der Generalprokuratur gemäß § 33 StPO erhobenen Beschwerde waren daher diese Gesetzesverletzungen festzustellen. Zu einer gemäß § 292 letzter Satz StPO dem Obersten Gerichtshof anheimgestellten Maßnahme bestand allerdings vorliegend kein Anlaß, weil die Strafverfügung ON 2 bereits durch die Bewilligung der Wiederaufnahme gemäß § 358 StPO aufgehoben wurde, mag dies auch im Bewilligungsbeschluß nicht ausdrücklich ausgesprochen worden sein (vgl Mayerhofer-Rieder StPO2, ENr 2 zu § 358), und die außerdem - wenn auch vom Strafbezirksgericht Wien als sachlich unzuständigem Gericht - verfügte Verfahrenseinstellung zudem die Behebung der dem (damals) Jugendlichen durch die Strafverfügung erwachsenen Nachteile zur Folge haben muß. Es war daher spruchgemäß zu erkennen.
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