Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit S 2.991,12 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 271,92, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin kündigte mit einer am 17. Juni 1986 beim Erstgericht eingebrachten gerichtlichen Aufkündigung den Beklagten Geschäftsräumlichkeiten in den Häusern Hernalser Hauptstraße 86 und 88 sowie Rötzergasse 39 zum 31. Dezember 1986 mit der Begründung auf, der Alleininhaber der Klägerin sei zu 9/20-Anteilen Miteigentümer dieser Liegenschaften. Er habe sich mit den Beklagten einvernehmlich über eine Beendigung des Bestandverhältnisses zum 31. März 1986 geeinigt. Diese Vereinbarung werde nunmehr bestritten. Die Kündigung stelle daher eine Vorsichtsmaßnahme der Klägerin als Mieterin dar; sie bedürfe keines Kündigungsgrundes. Die Beklagten erhoben fristgerecht Einwendungen, in denen sie außer Streit stellten, daß der Alleininhaber der Klägerin zu 9/20-Anteilen Miteigentümer der in der Kündigung angeführten Liegenschaften sei. Nach dem Vorbringen der Klägerin sei das Bestandverhältnis einvernehmlich zum 31. März 1986 beendet worden; die Klägerin habe daher weder ein Rechtsschutzinteresse daran, ein bereits angeblich aufgelöstes Mietverhältnis aufzukündigen, noch sei dies aus rechtlichen Gründen möglich. Die Bestreitung der behaupteten Vereinbarung ermögliche der Klägerin allenfalls eine Feststellungsklage. Die aufgekündigten Räumlichkeiten seien in der Kündigung nicht hinlänglich bezeichnet. Vermieter seien die Beklagten und Hans K***, dem gegenüber keine Aufkündigung erfolgt sei. Die Parteien eines Mietvertrages seien auf Vermieterseite eine notwendige Streitgenossenschaft, weshalb die vorliegende Aufkündigung nicht wirksam sein könne.
Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für wirksam. Es führte im wesentlichen aus, die Klägerin behaupte selbst, daß die Frage der einvernehmlichen Auflösung des Bestandverhältnisses zwischen den Parteien strittig sei. Die Beklagten hätten eine einvernehmliche Auflösung des Bestandverhältnisses per 31. März 1986 keineswegs außer Streit gestellt. Demnach habe aber die Klägerin ein rechtliches Interesse, angesichts einer strittigen Situation jenes Instrument zu ergreifen, mit dem das von ihr angestrebte Ziel, nämlich die Auflösung des Bestandverhältnisses, am sichersten erreicht werden könne; das aber sei gemäß § 29 Abs 1 MRG in Verbindung mit § 33 Abs 1 MRG die gerichtliche Aufkündigung. Nur dann, wenn unstrittig eine einvernehmliche Auflösung des Bestandverhältnisses gegeben wäre, was rechtlich auch im Bereich des MRG möglich sei, hätte die Klägerin kein Rechtsschutzinteresse mehr. Da die Beklagten den Bestand einer einvernehmlichen Auflösung per 31. März 1986 aber nicht außer Streit gestellt hätten, gehe ihr Argument, der Klägerin fehle ein Rechtsschutzinteresse an der Aufkündigung, ins Leere. Einer Feststellungsklage stehe die Möglichkeit der Einbringung einer Leistungsklage (hier in Gestalt einer Aufkündigung) entgegen. Die Einwendung der Beklagten, die aufgekündigten Räumlichkeiten seien ungenügend bezeichnet, sei unzutreffend. Hans K***, der zu 9/20-Anteilen Liegenschaftseigentümer sei, sei auch Alleininhaber der Klägerin und somit mit der kündigenden Partei ident. Angesichts dieser Situation wäre es absurd, zu verlangen, daß die Klägerin gegen sich selbst eine Aufkündigung einbringen hätte müssen.
Der gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil Folge. Es änderte die Entscheidung des Erstgerichtes im Sinne der Aufhebung der Aufkündigung ab. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes S 300.000,-- übersteigt.
Das Berufungsgericht führte im wesentlichen aus, die Vorschriften der §§ 560 f ZPO über die gerichtliche Aufkündigung setzten zumindest eine in sich widerspruchslose Behauptung eines Bestandvertrages in der Aufkündigung voraus. Daß ein solcher wirklich vorliege, sei für die Anwendbarkeit der Vorschriften des Bestandverfahrens bedeutungslos und nur für die urteilsmäßige Aufrechterhaltung der Aufkündigung nach Erhebung von Einwendungen erforderlich. Eine Aufkündigung setze das Bestehen eines Bestandverhältnisses voraus, das mit Ablauf der Kündigungsfrist beendet werden solle. Werde daher in der Aufkündigung behauptet, ein Bestandverhältnis liege gar nicht vor, führe dies wegen Unschlüssigkeit der Aufkündigung zu ihrer Aufhebung. Daher sei eine Kündigung, in der nur vorsichtsweise ein Bestandverhältnis behauptet, primär aber der Standpunkt vertreten werde, es liege kein Bestandverhältnis vor, in sich so widerspruchsvoll, daß das Gericht selbst unter Zugrundelegung des Kündigungsvorbringens nicht zur Annahme eines Bestandvertrages gelangen könne.
Mit der vorliegenden Aufkündigung habe die Klägerin vorgebracht, es sei zu einer einvernehmlichen Beendigung des Bestandverhältnisses zwischen den Parteien zum 31. März 1986 gekommen. Diese Vereinbarung werde nunmehr (offenbar von den Beklagten) bestritten. Die vorliegende Aufkündigung stelle daher eine Vorsichtsmaßnahme der kündigenden Partei als Mieterin dar.
Mit diesem Vorbringen werde das Vorliegen eines Bestandverhältnisses nicht behauptet, sondern vorgebracht, daß ein solches Bestandverhältnis bereits per 31. März 1986 geendet habe. Die Einbringung dieser Aufkündigung sei nach dem Endigungszeitpunkt, nämlich erst am 17. Juni 1986, erfolgt. Der Kündigungsschutz des MRG stehe der einvernehmlichen Auflösung eines Bestandverhältnisses nicht entgegen.
Soweit ein Bestandverhältnis aber nicht mehr bestehe, weil es durch übereinstimmenden Willen der Vertragsteile beendet worden sei, könne es auch nicht mehr durch den rechtsgeschäftlichen und prozessualen Akt der Aufkündigung beendet werden. Daß dennoch die Klägerin zum Mittel der Aufkündigung greife, mache das gesamte Klagsvorbringen unschlüssig. Dies müsse zur Aufhebung und Abweisung der Aufkündigung führen, ohne daß auf die übrigen Berufungsausführungen einzugehen sei.
Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin. Sie bekämpft es aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern; hilfsweise stellt sie einen Aufhebungantrag. Die Beklagten haben eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, die Revision zurückzuweisen, allenfalls ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen der in der Revisionsbeantwortung der Beklagten vertretenen Rechtsmeinung zulässig, und zwar ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe, weil das Berufungsgericht im Sinne des § 500 Abs 2 Z 3 ZPO ausgesprochen hat, daß der Streitgegenstand, über den es entschieden hat, S 300.000,-- übersteigt. Gewiß sind nach dieser Gesetzesstelle auf die Berechnung des Wertes des Streitgegenstandes die §§ 54 bis 60 JN sinngemäß anzuwenden, wobei jedoch das Gericht an die Geldsumme, die der Kläger als Wert des Streitgegenstandes angegeben hat, nicht gebunden ist. Bezüglich der im § 49 Abs 1 Z 5 JN genannten Streitigkeiten enthält diese Gesetzesbestimmung nur die Anordnung, daß sie jedenfalls mit einem S 15.000,-- übersteigenden Betrag zu bewerten sind. Nach Lehre und Rechtsprechung ist der Oberste Gerichtshof an eine im Sinne des § 500 Abs 2 ZPO vorgenommene Bewertung des Streitgegenstandes durch das Berufungsgericht nur dann nicht gebunden, wenn eine solche Bewertung überhaupt nicht vorzunehmen war, wenn sie im Widerspruch zu der in dieser Gesetzesstelle vorgeschriebenen sinngemäßen Anwendung der §§ 54 bis 60 JN steht oder wenn eine Bestandsache mit einem S 15.000,-- nicht übersteigenden Betrag bewertet wurde (Petrasch in ÖJZ 1983, 201; 3 Ob 71-75/84 ua). Ein derartiger Fall liegt aber hier nicht vor. Die Behauptung der Beklagten, daß mangels Bewertung durch die Klägerin der Streitwert nach § 56 Abs 2 JN mit S 30.000,-- anzunehmen sei, ist nicht verständlich. Eine derartige Bewertungsvorschrift ergibt sich aus den Bestimmungen der §§ 54 bis 60 JN keineswegs. § 58 Abs 2 JN bezieht sich nur auf Streitigkeiten über das Bestehen eines Pacht- oder Mietverhältnisses, aber nicht auf Streitigkeiten über Aufkündigungen. Für die Bewertung von Kündigungstreitigkeiten maßgebliche Bestimmungen sind (abgesehen von der Vorschrift des § 56 Abs 2 JN) in den Vorschriften der §§ 54 bis 60 JN nicht enthalten. Die Bewertung des Streitgegenstandes durch das Berufungsgericht übersteigt im übrigen den im § 500 Abs 2 Z 3 letzter Satz ZPO genannten Betrag von S 15.000,-- und ist somit für den Obersten Gerichtshof unüberprüfbar.
Sachlich ist die Revision allerdings nicht berechtigt. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO). Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, von der abzugehen kein Anlaß besteht, daß eine Aufkündigung, wie sich aus § 1116 ABGB und § 560 ZPO ergibt, immer das Vorhandensein eines Bestandvertrages voraussetzt, dessen Beendigung nach Ablauf der Kündigungsfrist durch die Aufkündigung bewirkt werden soll. Fehlt in der Aufkündigung die widerspruchslose Behauptung des Bestehens eines Bestandverhältnisses, muß dies (aus materiellrechtlichen Gründen) zur Aufhebung der Aufkündigung führen. Eine Aufkündigung, in der behauptet wird, daß kein Bestandverhältnis bestehe und daß die Aufkündigung nur als Vorsichtsmaßnahme erfolge, muß daher aufgehoben werden (MietSlg. 31.747, 32.733, 35.820 ua). Im vorliegenden Fall hat die Klägerin in ihrer am 17. Juni 1986 eingebrachten Aufkündigung behauptet, daß sie sich mit den Beklagten über eine einvernehmliche Beendigung des Bestandverhältnisses zum 31. März 1986 geeinigt habe, diese Vereinbarung aber nunmehr (von den Beklagten) bestritten werde. Die Kündigung stelle daher eine Vorsichtsmaßnahme der Klägerin dar. Aus diesem Vorbringen ergibt sich eindeutig und ohne jeden Zweifel die Behauptung der Klägerin, daß ihr Bestandverhältnis zu den Beklagten bereits zum 31. März 1986, also einem vor der Einbringung der Aufkündigung liegenden Zeitpunkt, einvernehmlich beendet wurde. Ob sich die Beklagten an eine derartige Vereinbarung gebunden erachten oder nicht, ist für ihre Wirksamkeit ohne Bedeutung. Feststellungen darüber, ob das Bestandverhältnis mit den Beklagten nach diesem Zeitpunkt allenfalls weiter fortgesetzt wurde, waren im Hinblick auf diese von der Klägerin selbst aufgestellte eindeutige Behauptung nicht erforderlich. Vielmehr mußte diese von der Klägerin selbst aufgestellte Behauptung im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung zur Aufhebung ihrer Aufkündigung führen. Der Revision der Klägerin muß unter diesen Umständen ein Erfolg versagt bleiben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
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