OGH 13Os88/87

OGH13Os88/875.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 5.November 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch (Berichterstatter) als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Levnaic-Iwanski als Schriftführers in der Strafsache gegen Dr. Manfred S*** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 12, 15, 75 StGB. und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichts beim Landesgericht Feldkirch vom 29. April 1987, GZ. 16 Vr 405/87-185, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Stöger, und des Verteidigers Dr. Sarlay, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf 16 (sechzehn) Jahre erhöht.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung hierauf verwiesen. Gemäß § 390 a StPO. fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Der am 14.Dezember 1938 geborene ehemalige Rechtsanwalt Dr. Manfred S*** wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des versuchten Mordes als Bestimmungstäter nach §§ 12 (zweiter Fall), 15, 75 StGB. (I), des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht als Bestimmungstäter nach §§ 12 (zweiter Fall), 288 Abs 1 StGB. (II) und des Vergehens nach § 36 Abs 1 lit a, b und e WaffenG. (richtig gemäß dem am 29.August 1986 ausgegebenen BGBl. Nr. 443/1986: § 36 Abs 1 Z. 1, 2 und 5 WaffenG.; III) schuldig erkannt. Darnach hat er

zwischen Mitte Jänner 1986 und Ende März 1986 in Innsbruck den abgesondert verfolgten Helmuth M*** dadurch zu bestimmen versucht, Dr. Bernt S*** vorsätzlich zu töten, daß er M*** wiederholt und eindringlich aufforderte, Dr. S*** umzubringen, wobei er ihm als Belohnung einen erheblichen Geldbetrag in Aussicht stellte;

den Entschluß des M*** billigte, den deswegen außer Verfolgung gesetzten Johann OSL zur unmittelbaren Ausführung der Tat anzuwerben und zu bestimmen;

M*** eine Pistole mit Schalldämpfer und Munition übergab und ihm mehrere tausend Schilling zwecks Ausfolgung an OSL überbrachte und

M*** die Kanzlei und die Wohnung sowie das Fahrzeug des Dr. S*** als mögliche Tatorte beschrieb (I);

nachgenannte Personen jeweils durch entsprechende Anleitung und Aufforderung dazu bestimmt, vor Gericht als Zeugen bei ihrer förmlichen Vernehmung zur Sache falsch auszusagen, und zwar im Juni 1985 in Landsberg am Lech Helmuth M*** zu der von diesem am 30.Juli 1985 vor dem Amtsgericht Landsberg am Lech als Rechtshilfegericht im Strafverfahren 23 Hv 7/84 des Landesgerichts Innsbruck abgelegten falschen Aussage des Inhalts, der R*** (gemeint: Hermann R***, Mitbeschuldigter im Verfahren 23 Hv 7/84 des Landesgerichts Innsbruck) habe ihn (M***) damals vor ca. sechs Jahren dauernd angelogen; er habe ihn um 10.000 S betrogen; deswegen habe er eine Wut auf ihn gehabt; den Rechtsanwalt Dr. S*** hätte er vorher nicht gekannt, den Namen habe er erst vom Richter A*** erfahren; was in dem Brief (gemeint ist der Brief des M***, verfaßt am 14.Juni 1985 in Landsberg am Lech und adressiert an Dr. S***) stehe, sei vollständig und richtig (II 1); anfangs Oktober 1986 in Innsbruck den Johann K*** zu der von diesem im Strafverfahren 34 Vr 2934/86 des Landesgerichts Innsbruck abgelegten falschen Aussage des Inhalts, er (K***) hätte ihm (Dr. S***) erzählt, ein Mithäftling habe ihn (K***) anläßlich einer Vorführung zum Arzt angesprochen und habe ihn gefragt, ob er den S*** kenne; er habe dies bejaht, worauf ihn der Mann gefragt hätte, ob er sich einen "Batzen" Geld verdienen wolle; auf die Frage, wie er sich dieses Geld verdienen könne, habe der Mithäftling erwidert, er solle aussagen, daß der S*** den Auftrag zur Ermordung des Dr. S*** gegeben habe (II 2);

in Innsbruck im März 1986 unbefugt eine Faustfeuerwaffe, nämlich eine Pistole der Marke CZ, Modell 27, Kal. 7,65 mm, mit Schalldämpfer, sohin eine verbotene Waffe (§ 11 Abs 1 Z. 4 WaffenG.), besessen (III 1);

Mitte März 1986 die unter III 1 angeführte Waffe dem M***, der zum Besitz dieser Faustfeuerwaffe nicht befugt war, überlassen (III 2).

Rechtliche Beurteilung

Diese Schuldsprüche ficht der Angeklagte mit einer auf § 345 Abs 1 Z. 1, 5 und 6 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde an. Die Nichtigkeit der Z. 1 wird daraus, daß der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs einen "U-Haftbeschluß gegen den Angeklagten gefaßt" habe und er deshalb als Richter von der Hauptverhandlung ausgeschlossen gewesen sei, abgeleitet.

Der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs hat nach der Vertagung der Hauptverhandlung vom 6.April 1987 an der Sitzung der Ratskammer des Landesgerichts Feldkirch vom 10.April 1987, in welcher einem Enthaftungsantrag des Angeklagten nicht Folge gegeben wurde, teilgenommen (ON. 176). Indes ist gemäß § 68 Abs 2 StPO. nur jener Richter von der Mitwirkung und Entscheidung in der Hauptverhandlung ausgeschlossen, der in derselben Sache als Untersuchungsrichter tätig war (die weiteren in dieser Gesetzesstelle angeführten Ausschließungsgründe sind hier nicht aktuell). Der Vorsitzende des Schwurgerichtshofs ist in der gegenständlichen Strafsache niemals als Untersuchungsrichter tätig geworden.

Nichtigkeit gemäß § 345 Abs 1 Z. 5 StPO. erblickt der Beschwerdeführer zunächst darin, daß die von seinem Verteidiger in der Hauptverhandlung am 6.April 1987 beantragte Einvernahme der Zeugen Reinhard P*** und Dipl.Ing. Edmund K*** (vgl. Band III, S. 278 und 279) nicht durchgeführt und über diese Anträge vom Schwurgerichtshof nicht entschieden worden ist.

Die Zeugen P*** und Dipl.Ing. K*** sind zur fortgesetzten Hauptverhandlung am 29.April 1987 vorgeladen worden (Band III, S. 295); beide haben aber dieser Ladung nicht Folge geleistet (Band III, S. 395). Der in der Bundesrepublik Deutschland aufhältige Zeuge P*** hat in einem - in der Hauptverhandlung am 29.April 1987 verlesenen (Band III, S. 395) - Schreiben vom 27.April 1987 (Band III, S. 353 und 354) dem Gericht bekanntgegeben, daß er der Vorladung nicht Folge leiste, weil er in Österreich Zwangsmaßnahmen (nämlich seine Festnahme, die Übernahme in Schubhaft und seine zwangsweise Abschiebung in die Bundesrepublik Deutschland) zu besorgen habe. Zudem hat er in diesem Schreiben vorsorglich erklärt, sein Erscheinen vor dem inländischen Gericht von der Zusicherung abhängig zu machen, daß er in Österreich keinen Zwangsmaßnahmen unterworfen werde, und gleichzeitig betont, einer Zeugeneinvernahme im Rechtshilfeweg in der Bundesrepublik Deutschland nicht zuzustimmen und in diesem Falle die Aussage zu verweigern. Der Zeuge Dipl.Ing. K*** ist ohne Angabe von Gründen der Hauptverhandlung ferngeblieben. Daraufhin wurde, ohne daß sich der Nichtigkeitswerber oder sein Verteidiger dagegen verwahrt hätten, die Aussage dieses Zeugen vor dem Untersuchungsrichter (ON. 40) in der Hauptverhandlung verlesen (Band III, S. 395 und 409). Hinsichtlich des Zeugen P*** wurde in der Hauptverhandlung nichts mehr beantragt. Vielmehr wurde am Schluß des Beweisverfahrens nach den Verlesungen aus den Akten von beiden Seiten, somit auch vom Angeklagten bzw. von seinem Verteidiger über ausdrückliches Befragen des Vorsitzenden die Erklärung abgegeben, daß keine Beweisanträge mehr gestellt werden (Band III, S. 410). Ein Zwischenerkenntnis über die schon in der Hauptverhandlung am 6.April 1987 gestellten Anträge auf Vernehmung der Zeugen P*** und Dipl.Ing. K*** unterblieb (vgl. die Stellungnahme des Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs Band III, S. 555). Unter den geschilderten Umständen ist in dem eben erwähnten Verhalten des Beschwerdeführers und seines Verteidigers in der Hauptverhandlung am 29.April 1987 ein zumindest stillschweigend zum Ausdruck gebrachter Verzicht auf die Einvernahme dieser Zeugen zu erblicken (§ 863 ABGB.).

Eine Nichtigkeit liegt aber auch nicht vor, soweit geltend gemacht wird, daß der Schwurgerichtshof über die im Schriftsatz vom 23. April 1987 (Band III, ON. 172) u.a. gestellten Anträge auf Vernehmung der Zeugen Dr. Ekkehard E***, Dr. Klaus N***, Johann OSL und James Rudolf S*** nicht erkannt habe. Nach dem Inhalt des Protokolls über die Hauptverhandlung vom 29.April 1987 (Band III, ON. 183) wurden nämlich die in dem erwähnten, bereits vor dieser Hauptverhandlung eingebrachten Schriftsatz gestellten Anträge auf Vernehmung der angeführten Zeugen in der Hauptverhandlung nicht wiederholt. Die erfolgreiche Geltendmachung des Nichtigkeitsgrunds des § 345 Abs 1 Z. 5 StPO. setzt aber eine entsprechende Antragstellung in der Hauptverhandlung voraus. Fehlt dieses Formalerfordernis, ist der Nichtigkeitswerber zur Erhebung der Verfahrensrüge nicht legitimiert.

Aus eben denselben Erwägungen begründet die Unterlassung der Vorladung des psychiatrischen Sachverständigen Dr. P*** (auch) zur Hauptverhandlung am 29.April 1987 keine Nichtigkeit, denn der bezughabende Antrag des Angeklagten wurde lediglich im Schriftsatz ON. 172 gestellt, nicht aber in der Hauptverhandlung wiederholt (EvBl 1972 Nr. 97 u.a.).

Nicht prozeßordnungsgemäß ist das Vorbringen in der Verfahrensrüge, mit welcher die Nichtzulassung von zwei Fragen an den Sachverständigen durch den Schwurgerichtshof moniert wird. Diese Fragen wurden nicht, wie in der Beschwerdeschrift behauptet wird, deshalb nicht zugelassen, weil es sich um "Suggestivfragen" handelte (die zufolge § 200 Abs 2 StPO. ja erlaubt sind), sondern weil "es sich um eine Beweiswürdigungsfrage handelt, deren Lösung allein den Geschwornen zusteht" (Band III, S. 277). Sonach weicht die Beschwerde von den tatsächlichen Erwägungen des Gerichts ab, mit denen es die Nichtzulassung der Fragen begründet hat. Der Beschwerdeführer kann aber auch einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Fragestellung, insbesondere gegen jene des § 312 StPO., und damit den Nichtigkeitsgrund nach § 345 Abs 1 Z. 6 StPO. nicht aufzeigen. Der Hauptfrage I (nach Anstiftung zum Mord an Dr. S***) sei weder ein bestimmter Geldbetrag, den der Nichtigkeitswerber für die Durchführung des Mordes in Aussicht gestellt und sodann tatsächlich zur Verfügung gestellt habe, zu entnehmen noch gehe daraus hervor, auf welche Weise er zum Mord angestiftet habe.

Gemäß § 312 Abs 1 (zweiter Satz) StPO. sind in eine Hauptfrage alle gesetzlichen Merkmale der strafbaren Handlung aufzunehmen und die besonderen Umstände der Tat nach Ort, Zeit, Gegenstand usw. (nur) soweit beizufügen, als es zur deutlichen Bezeichnung der Tat (oder für die Entscheidung über die Entschädigungsansprüche) notwendig ist. Zur hinreichenden Individualisierung einer Tat genügt eine solche Tatbeschreibung, daß - entsprechend dem Grundsatz "ne bis in idem" (materielle Rechtskraft) - die Verwechslung mit einer anderen Straftat ausgeschlossen ist. Diesem Erfordernis entsprach die Hauptfrage I. Wurden doch darin neben den abstrakten Tatbestandsmerkmalen auch mehrfach Tatsachen näher bezeichnet, die diese Merkmale verwirklichten. Einer darüber hinausgehenden Spezialisierung des Geschehens in der Fragestellung im Sinn einer erschöpfenden Tatbeschreibung bedurfte es hingegen nicht (SSt. XXIII/91, ÖR. 500, 11 Os 79/71, 12 Os 111/72, 10 Os 187/84 u. a.; Foregger-Serini3, Anm. II zu § 312 StPO.).

Auf den Inhalt des in die Beschwerdeschrift aufgenommenen, vom Angeklagten handschriftlich verfaßten "Memorandums" vom 20.Mai 1987, mit dem er im wesentlichen die Unglaubwürdigkeit der ihn belastenden Angaben des Zeugen M*** darzutun versucht und eine Maßnahme gemäß § 362 StPO. durch den Obersten Gerichtshof anstrebt, ist im Hinblick auf das Verbot des § 362 Abs 3 StPO. nicht einzugehen. Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über den Angeklagten nach § 75 StGB. unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB. eine Freiheitsstrafe von 12 Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Delikte, die Wiederholung des Vergehens der falschen Beweisaussage vor Gericht, die einschlägige Vorstrafe wegen § 107 Abs 1 StG in bezug auf die "Haupttat" (gemeint: der Mordversuch, nicht die Haupttat im Sinn der Strafrechtslehre, die dem Begriff des unmittelbaren Täters in § 12 StGB. entspricht) und die führende Beteiligung am Verbrechen des versuchten Mordes als Anstifter hinsichtlich zweier Personen, als mildernd die versuchsweise Begehung der "Haupttat" (siehe oben). Den Strafausspruch fechten die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit Berufung an. Während die Anklagebehörde eine Erhöhung der Freiheitsstrafe begehrt, beantragt letzterer deren Herabsetzung. Nur der Berufung der Staatsanwaltschaft kommt Berechtigung zu. Die erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe bedürfen einer Korrektur. Zusätzlich erschwerend ist, wie die Staatsanwaltschaft zutreffend aufzeigt, auch die Vorverurteilung wegen § 288 StGB. Daß der Angeklagte zwei Personen zur falschen Beweisaussage angestiftet hat, ist gleichfalls richtig: Helmuth M*** (II 1) und Johann K*** (II 2). Auch diesen erschwerenden Umstand hat das Geschwornengericht übersehen.

Die vom Berufungswerber reklamierten zusätzlichen Milderungsgründe liegen indes nicht vor: Daß er bisher einen ordentlichen Lebenswandel geführt hat und die nunmehrige Straffälligkeit mit seinem sonstigen Verhalten in auffallendem Widerspruch steht (§ 34 Z. 2 StGB.), ist mit dem Inhalt der ihn betreffenden Strafregisterauskunft nicht in Einklang zu bringen. Für eine heftige Gemütsbewegung als Motiv für seine Delinquenz bietet das im Wahrspruch festgestellte geplante Vorgehen keine Stütze. Daß er nach der Tat nicht ins Ausland geflohen ist, obwohl er sehr gute Kontakte nach Spanien und Übersee hat, stellt keinen Milderungsgrund dar.

Bei Abwägung der so berichtigten Strafbemessungsgründe ist davon auszugehen, daß der Strafausspruch in diesem Verfahren sich nicht an der über den "angestifteten Anstifter" M*** verhängten Unrechtsfolge orientieren darf. M*** handelte nämlich unter dem Druck des Angeklagten (Urteil III. Bd. S. 458), sodaß seine subjektive Lage mit derjenigen des den Druck ausübenden Täters schlechthin unvergleichbar ist.

Berücksichtigt man, daß Dr. S*** als ehemaliger Rechtsanwalt ein Mensch ist, dem die rechtlich geschützten Werte in besonderem Maße bewußt sein müssen (und zweifelsfrei auch sind), erweist sich die vom Geschwornengericht geschöpfte Freiheitsstrafe als zu gering bemessen. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs entspricht eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 16 Jahren der schweren personalen Täterschuld des Angeklagten.

Dieser war mit seiner Berufung hierauf zu verweisen.

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