OGH 14Os131/87

OGH14Os131/874.11.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 4.November 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Thoma als Schriftführer, in der Strafsache gegen El Sayed Abdel Rahman EL-S*** wegen des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 10.September 1986, GZ 3 a Vr 11.308/85-60, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu Punkt 1 des Urteilssatzes (wegen Verbrechens der Brandstiftung) und zu Punkt 2 des Urteilssatzes (wegen Verbrechens des versuchten schweren Betruges) sowie demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich des Ausspruchs über die Vorhaftanrechnung) und im Adhäsionserkenntnis aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen. Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der ägyptische Staatsangehörige El Sayed Abdel Rahman EL-S*** (zu 1) des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs. 1 StGB, (zu 2) des Verbrechens des versuchten schweren Betruges nach §§ 15, 146, 147 Abs. 3 StGB und (zu 3) des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er in Wien

(zu 1) am 30.September (im Urteilsspruch infolge eines offenkundigen Schreibfehlers unrichtig: Dezember) 1985 an den von ihm gemieteten Geschäftsräumlichkeiten des Franz Gottlieb K*** in Wien XX, Rauscherstraße 11, ohne dessen Einwilligung dadurch, daß er mit einer offenen Flamme an mehreren Stellen des Lokales Feuer legte, eine Feuersbrunst verursacht;

(zu 2) am 6.Dezember 1985 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Angestellte der W*** A***-Versicherung durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die wahrheitswidrige Erstattung von Versicherungsmeldungen, durch unbekannte Ursache sei ein Brand im Lokal entstanden, zur Auszahlung eines Geldbetrages von mindestens 300.000 S, sohin zu einer Handlung zu verleiten versucht, die die Versicherungsanstalt W*** A*** an ihrem Vermögen um diesen Betrag schädigen sollte;

(zu 3) am 10.Juni 1985 Valerie EL-S*** durch Schläge und Stöße, wodurch sie Blutergüsse über dem rechten Hüftgelenk, über dem Darmbeinkamm und an der rechten Schulter, im Bereich des rechten Ellbogens, an der Außenseite des linken Oberarmes und linken Oberschenkels erlitt, vorsätzlich am Körper verletzt. Während der Schuldspruch wegen Körperverletzung unangefochten geblieben ist, bekämpft der Angeklagte den Schuldspruch wegen Brandstiftung (Punkt 1) und wegen versuchten schweren Betruges (Punkt 2) mit einer auf die Z 4, 5 und "9 a, b bzw. 10" des § 281 Abs. 1 StPO; dies im Ergebnis zu Recht.

Der Beschwerdeführer hat sowohl vor der Polizei als auch vor dem Untersuchungsrichter und in der Hauptverhandlung geleugnet, die von ihm gemieteten Geschäftsräumlichkeiten in Brand gesteckt zu haben. Er hat sich (unter anderem) dahin verantwortet, im Tatzeitpunkt so stark alkoholisiert gewesen zu sein, daß er sich an nichts erinnern könne (vgl. hiezu den Polizeibericht S 38, weiters seine Angaben am Bezirkspolizeikommissariat Brigittenau vom 2.Oktober 1985 S 85, vor dem Untersuchungsrichter vom 4.Oktober 1985 S 92 und vom 7. November 1985 S 94 sowie in den Hauptverhandlungen vom 19. Feber 1986 S 234 und vom 10.September 1986 S 352, 353, 354), womit er der Sache nach behauptete, im Tatzeitpunkt voll berauscht gewesen zu sein. Die Zeugen Hanna A***, Moustafa Kamel M*** und Valerie EL-S*** haben (zunächst) zwar nur von einer "Alkoholisierung" des Angeklagten bzw. davon gesprochen, daß er eine Flasche Bier getrunken habe (S 39, 84); in der Folge haben sie aber bekundet, daß er "betrunken" gewesen sei (Zeuge A*** S 237; Zeugin EL-S*** S 292, insb. S 361), zumal er nicht gewohnt sei, so viel zu trinken (Zeuge A*** S 237), und daß er beim Gehen geschwankt habe (Zeuge M*** S 238) bzw. hin- und hergetorkelt sei (Zeugin EL-S*** S 361).

In den Urteilsgründen heißt es diesbezüglich lediglich, daß die leugnende Verantwortung des Angeklagten (insgesamt) als bloße Schutzbehauptung zu werten sei (S 381); in bezug auf die behauptete Trunkenheit wird (nur) ausgeführt, daß sich der Angeklagte, wenn er konkret zu Details befragt werde, "mit Alkoholisierung - er hatte im Verlaufe des Abends einige Bier getrunken - verantwortet" (S 376) und daß die Zeugen A*** und M*** "der Alkoholisierung des Angeklagten zunehmende Bedeutung beimessen, offenbar ebenfalls in der Absicht einer Entlastung" (S 378).

Rechtliche Beurteilung

In der Mängelrüge (Z 5), zum Teil aber auch im Rahmen der Rechtsrüge (Z 9 lit. b) unter dem Aspekt eines Feststellungsmangels reklamiert der Beschwerdeführer zutreffend, daß sich das Erstgericht mit seiner (schon vor der Polizei vorgebrachten und vor Gericht stets wiederholten) Verantwortung, er sei damals in einem solchen Maß betrunken gewesen, daß er eine Erinnerungslücke habe, sowie mit den Zeugenaussagen über den Grad seiner Alkoholisierung nicht hinreichend auseinandergesetzt bzw. diese Verfahrensergebnisse bei seiner Beweiswürdigung außeracht gelassen hat. Gerade im Hinblick darauf, daß der Angeklagte wiederholt angab, infolge Alkoholisierung sich an die Vorgänge zur Tatzeit nicht erinnern zu können, worin (unter anderem) ein Indiz für eine die Diskretions- oder Dispositionsfähigkeit ausschließende volle Berauschung zu erblicken wäre (vgl. Leukauf-Steininger Komm.2 § 11 RN 28 sowie Mayerhofer-Rieder StGB2 ENr. 24 zu § 11), wäre es geboten gewesen, sich im Urteil mit allen bezüglichen Verfahrensergebnissen eingehend auseinanderzusetzen und einleuchtend zu begründen, aus welchen Erwägungen das Gericht den in Rede stehenden Depositionen des Angeklagten nicht folgt. Da dies nicht geschehen ist (vgl. abermals S 376, 378), haftet dem Urteil, soweit es implizite davon ausgeht, daß der Angeklagte zur Tatzeit nicht voll berauscht war, ein Begründungsmangel in Ansehung des Ausspruchs über entscheidende Tatsachen an, der zur Kassierung des Schuldspruchs zu Punkt 1 des Urteilssatzes zwingt (§ 285 e StPO).

Im gegebenen Zusammenhang kann aber auch dem (den Gegenstand der Verfahrensrüge aus der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO bildenden) Beweisantrag des Angeklagten auf Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie, soweit damit unter Beweis gestellt werden sollte, daß der Angeklagte zur Tatzeit infolge voller Berauschung zurechnungsunfähig war (in welchem Fall er nur das Vergehen nach § 287 (§ 169 Abs. 1) StGB zu verantworten hätte), Relevanz nicht von vornherein abgesprochen und darum nicht gesagt werden, es sei nach den Verfahrensergebnissen unzweifelhaft erkennbar, daß die dem Erstgericht bezüglich dieses Beweisantrages unterlaufenen Formverletzungen - es hat über den in Rede stehenden Beweisantrag überhaupt nicht entschieden, obwohl Beweisanträge nach einhelliger Auffassung auch noch im Schlußvortrag gestellt werden dürfen (Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 3 zu § 281 Z 4), weshalb sie (entgegen der von der Vorsitzenden des Schöffengerichtes vertretenen Rechtsauffassung; vgl. S 393, 419) als Anträge einer Partei im Hauptverhandlungsprotokoll festzuhalten (§ 281 Abs. 1 StPO) und einer Entscheidung gemäß § 238 StPO zuzuführen sind - keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß auf die Sachentscheidung üben konnten (§ 281 Abs. 3 StPO; vgl. hiezu 10 Os 122/86, 10 Os 43/87 ua). Ein solcher Nachteil könnte nach Lage des Falles nur dann als ausgeschlossen angesehen werden, wenn das Gericht der Verantwortung des Angeklagten, soweit sie den behaupteten trunkenheitsbedingten Erinnerungsverlust betrifft, mit unbedenklicher Begründung den Glauben versagt hätte (vgl. hiezu Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 67 zu § 281 Z 4). Gerade in diesem Belange enthalten aber die Urteilsgründe keine eindeutige Aussage, geschweige denn eine unbedenkliche, formal mängelfreie Begründung. Es genügt, hiezu auf die obigen Ausführungen zu verweisen.

Aber auch der Schuldspruch zu Punkt 2 des Urteilssatzes ist mit einem von der Beschwerde im Ergebnis zutreffend gerügten Begründungsmangel im Sinne des § 281 Abs. 1 Z 5 StPO behaftet. Entgegen den Urteilsannahmen hat der Beschwerdeführer nämlich nicht eine "Versicherungsmeldung" (im Urteilsspruch ist sogar von "Versicherungsmeldungen" die Rede) erstattet, sondern eine von der Versicherung durchgeführten Schadenerhebung (im Sinne der §§ 33, 34 VersVG bzw. der Allgemeinen Feuerversicherungs-Bedingungen) unterschrieben, in welcher er die Brandursache nicht, wie das Erstgericht konstatiert (S 375, 380), als "unbekannt" angab. Hat er doch unter Punkt 3 lit. c dieser Schadenerhebung (S 316) die Frage, ob Verdacht besteht, daß der Brand vorsätzlich oder durch Fahrlässigkeit verursacht wurde bzw. durch wen und wodurch (wenngleich ohne Angabe weiterer Einzelheiten) mit "ja" beantwortet und ergänzend auf die "PolProtokolle bzw. Anzeige durch StA Wien" hingewiesen. Daraus könnte aber durchaus auch abgeleitet werden, daß der Angeklagte - zumal die Schadenerhebung am 6.Dezember 1985, somit nach Einleitung des gegenständlichen Strafverfahrens gegen ihn wegen des Verdachtes der Brandstiftung an dem versicherten Objekt, erstellt wurde - die Versicherungsgesellschaft jedenfalls insoweit (objektiv) richtig informierte (und damit in die Lage versetzte, von ihrem Recht gemäß Art. 13 Abs. 2 lit. b der Allgemeinen Bedingungen für die Sachversicherung, die Auszahlung der Versicherungssumme aufzuschieben, Gebrauch zu machen); daß er sich dabei nicht ausdrücklich als Tatverdächtiger bezeichnet hat, kann zwar, muß aber nicht unbedingt für die Annahme der subjektiven Tatseite des Betruges sprechen. Das Erstgericht hätte sich daher, soweit es sowohl einen Täuschungs- als auch einen Schädigungsvorsatz des Angeklagten als erwiesen annahm, auch mit der Bedeutung und dem bezüglichen Inhalt der Schadenerhebung beweiswürdigend auseinandersetzen müssen. Dazu kommt, daß der Versicherungsfall als solcher offensichtlich bereits vor dem 6.Dezember 1985, nämlich am 31. Oktober 1985, zu welchem Zeitpunkt sich der Angeklagte in dieser Sache noch in Untersuchungshaft befand, von seiner Ehegattin der Versicherung gemeldet worden sein dürfte (vgl. die Angaben des Zeugen Ö*** S 288), daß weiters an der Erstellung der Schadenerhebung auch eine Konzipientin des Verteidigers des Angeklagten mitwirkte (vgl. die Angaben der Zeugin Dr. R*** S 357 ff, insb. S 359), was jedenfalls darauf hindeutet, daß bei diesem Vorgang (zwar) die Interessen des Angeklagten gewahrt, dieser aber nicht zur Begehung einer weiteren strafbaren Handlung (durch vorsätzlich falsche Angaben in der Schadenerhebung) veranlaßt werden sollte, und daß schließlich, wie die Zeugin Dr. R*** bekundete, trotz Beiziehung eines Dolmetschers erhebliche Verständigungsschwierigkeiten mit dem Angeklagten bestanden (vgl. S 358, 359). Mit all diesen Verfahrensergebnissen, die für die Frage, ob der Angeklagte mit Täuschungs- und Schädigungsvorsatz handelte, als er die Schadenerhebung unterschrieb, hat sich das Erstgericht nicht befaßt, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, daß es bei deren Erörterung zu anderen Konstatierungen, insbesondere zur subjektiven Tatseite, gelangt wäre.

Aus den angeführten Gründen war demnach der Nichtigkeitsbeschwerde schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort Folge zu geben, das angefochtene Urteil im bekämpften Umfang aufzuheben und insoweit die Erneuerung des Verfahrens in erster Instanz anzuordnen, ohne daß auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden braucht. Nur der Vollständigkeit halber sei beigefügt, daß die Notwendigkeit, einen Brand in einem Wohngebäude durch den Einsatz mehrerer Löschfahrzeuge der Feuerwehr unter Kontrolle zu bringen, ein wesentliches Indiz für das Vorliegen einer Feuersbrunst ist und daß § 169 Abs. 1 StGB die Herbeiführung einer (konkreten) Gefahr für Leib und Leben von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß nicht voraussetzt.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und der öffentliche Ankläger auf die auch den Strafausspruch erfassende kassatorische Entscheidung zu verweisen.

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