OGH 6Ob701/87

OGH6Ob701/8722.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** W***, vertreten durch Dr. Nikolaus Bilowitzki, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ernest M***, Maler und Anstreicher, Kopalgasse 55-61/11/33, 1100 Wien, vertreten durch Dr. Hans Herndlhofer, Dr. Erich Kovar, Rechtsanwälte in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgerichtes vom 26. März 1987, GZ. 41 R 93/87-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Favoriten vom 19. Dezember 1986, GZ. 3 C 2366/85-23, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 1.510,08 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 137,28 Umsatzsteuer) und die mit S 3.312,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.500,-- Barauslagen und S 164,80 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin des Hauses Wien 11.,

Kopalgasse 55-61, der Beklagte ist Mieter der Wohnung Nr. 13 Stiege 11 dieses Hauses. Mit der am 18. Oktober 1985 eingebrachten, dem Beklagten am 25. Oktober 1985 zugestellten Aufkündigung kündigte die Klägerin die Wohnung mit der Begründung auf, der Beklagte verleide durch sein rücksichtsloses, anstößiges und grob ungehöriges Verhalten den anderen Mietern das Zusammenleben.

Das Erstgericht erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam und verurteilte den Beklagten zur Räumung der Wohnung. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Die Zwischenwände (auch diejenigen zu den anderen Wohnungen) der im Jahre 1926 erbauten Wohnhausanlage sind ca. 7 cm stark und haben nur eine geringe Schalldämmungswirkung. Lautes Sprechen kann in den angrenzenden Wohnungen gehört werden. Schon bald nach dem Einzug des Beklagten und seiner Ehefrau, spätestens seit Mitte 1984, kam es häufig zu starker Lärmentwicklung in der Wohnung, weil der Beklagte und seine Ehegattin lautstarke Streitigkeiten austrugen, schimpften, schrieen, Gegenstände zu Boden warfen, Sessel umwarfen und dergleichen. Einige Male rief die Ehefrau des Beklagten gellend um Hilfe. Diese Vorfälle ereigneten sich in unterschiedlichen Intervallen, manchmal zwei- bis dreimal wöchentlich mit ruhigen Intervallen bis zu einigen Wochen. Die Vorfälle fanden zumeist ab 21,00 Uhr statt, einige Male auch nach Mitternacht und dauerten 30 bis 60 Minuten. Durch diesen Lärm fühlten sich zumindest das unmittelbar benachbarte Ehepaar, weiters die unmittelbar unterhalb der aufgekündigten Wohnung wohnenden Ehegatten sowie ein schräg unter der aufgekündigten Wohnung wohnendes Ehepaar gestört, insbesondere auch in ihrer Nachtruhe. Das lautstarke Verhalten des Beklagten und seiner Ehefrau dauerte in den angeführten Intervallen bis Ende November/Anfang Dezember 1985. Seither gab es im April und Mai 1986 noch drei oder vier derartige Vorfälle, die aber nur kurz dauerten. Wegen der beschriebenen Vorfälle, insbesondere der Hilferufe, riefen andere Mieter mehrmals bei der Polizei an, es gab auch Beschwerden einiger Hausbewohner wegen des störenden Lärms bei der Hausbesorgerin. Als sich die unmittelbar neben dem Beklagten wohnende Johanna M*** beim Beklagten über den Lärm beschwerte, wurde sie von ihm beschimpft. Auf Grund eines Beschwerdeschreibens mehrerer Mieter forderte die S*** W*** mit

Schreiben vom 25. März 1985 den Beklagten schriftlich auf, das ruhestörende Verhalten in der aufgekündigten Wohnung einzustellen, wobei die gerichtliche Aufkündigung angedroht wurde. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, entscheidendes Kriterium dafür, ob das auf § 30 Abs 2 Z 3 MRG verpönte Verhalten vorliege, sei, ob das Gesamtverhalten des Mieters oder der übrigen Mitbewohner infolge seiner Intensität und Häufigkeit das Maß des Zumutbaren überschreite und objektiv geeignet sei, den Mitbewohnern des Hauses das Zusammenleben zu verleiden. Grundsätzlich sei auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung abzustellen, es sei jedoch auf bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz eingetretene Umstände Bedacht zu nehmen. Maßgeblich sei, ob im Fall einer Einstellung des unleidlichen Verhaltens während des Verfahrens die Gefahr einer Wiederholung für die Zukunft auszuschließen sei, oder ob der Vermieter auch weiterhin eines Schutzes gegen zu erwartende weitere Beeinträchtigungen bedürfe. Dem festgestellten Sachverhalt sei zwar kein einzelner derart schwerwiegender Vorfall zu entnehmen, der für sich allein den Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens darstelle, die über einen längeren Zeitraum hindurch bis zu mehrmals wöchentlich stattgefundenen abendlichen und nächtlichen lautstarken Auseinandersetzungen, durch die andere Mieter in ihrer Nachtruhe gestört worden seien, erfüllten jedoch den Tatbestand des § 30 Abs 2 Z 3 MRG. Die nur mangelhaft schalldämmende Bauweise eines Hauses könne die störende Lärmentwicklung nicht entschuldigen, die Mieter seien gerade deshalb zu besonderer Rücksicht auf die Mitbewohner verpflichtet. Auch die Voraussetzungen für eine günstige Zukunftsprognose lägen nicht vor, weil es im Laufe des Verfahrens zu weiteren Vorfällen in der Wohnung gekommen sei.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß die Aufkündigung aufgehoben und das Räumungsbegehren abgewiesen wurde. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision nicht zulässig sei. Das Gericht zweiter Instanz übernahm die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen und führte zur Rechtsfrage aus, nach ständiger Rechtsprechung sei beim Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG auch auf die nach dem Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung bis zum Schluß der Verhandlung in erster Instanz eingetretenen Umstände Bedacht zu nehmen, wobei im Falle der Einstellung des unleidlichen Verhaltens während des Verfahrens zu prüfen sei, ob die Gefahr einer Wiederholung für die Zukunft auszuschließen sei oder der die Interessen der Mitmieter wahrnehmende Vermieter auch weiterhin eines Schutzes gegen die Lärmbeeinträchtigungen bedürfe. Nach den vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen hätten die massiven nächtlichen Störungen Ende November Anfang Dezember 1985 aufgehört und sei es im Laufe der folgenden Monate nur mehr drei- oder viermal dazu gekommen, daß kurze Vorfälle aus der aufgekündigten Wohnung hätten wahrgenommen werden können. Dem Berufungswerber sei darin beizupflichten, daß diese Feststellungen den Schluß zuließen, daß der Beklagte angesichts des ihm durch das Kündigungsverfahren vor Augen geführten Ernstes der Situation sein störendes Verhalten eingestellt und es auch verstanden habe, auf seine Gattin dahin einzuwirken, daß Streitigkeiten nicht mehr lautstark unter Gepolter und Geschrei ausgetragen würden. Da der Beklagte sich damit imstande gezeigt habe, weitgehend für Ruhe in der aufgekündigten Wohnung zu sorgen, könne davon ausgegangen werden, daß er, um seine Wohnung nicht zu verlieren, auch weiterhin dafür Sorge tragen werde, daß aus seiner Wohnung keine Einwirkungen ausgingen, die den Mitbewohnern das Zusammenleben objektiv zu verleiden geeignet seien. Es sei damit der Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 zweiter Fall MRG "als gerade noch nicht" verwirklicht anzusehen.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Ersturteil wiederherzustellen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte hat sich am Revisionverfahren nicht beteiligt. Wie der Oberste Gerichtshof schon in MietSlg 28.296 und zuletzt in 8 Ob 597/85 ausgesprochen hat, ist die Rechtsprechung zur Frage, ob eine Kündigung nach § 19 Abs 2 Z 3 MG auch dann berechtigt ist, wenn der Mieter das ihm zum Vorwurf gemachte Verhalten nach der Aufkündigung einstellte, nicht ganz einheitlich. Zu der gleichlautenden Bestimmung des § 30 Abs 2 Z 3 MRG gibt es diesbezüglich noch keine Rechtsprechung. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision im Sinne des § 502 Abs 4 Z 1 ZPO sind daher gegeben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist auch berechtigt.

Die Ansicht, im Fall der Einstellung des unleidlichen Verhaltens während des Verfahrens sei zu prüfen, ob die Gefahr einer Wiederholung für die Zukunft auszuschließen sei oder der die Interessen der Mitmieter wahrnehmende Vermieter auch weiterhin eines Schutzes gegen Lärmbeeinträchtigungen bedürfe, entspricht wohl der Rechtsprechung des Berufungsgerichtes (MietSlg 32.420, 35.389, 37.466), nicht aber in dieser allgemeinen Form der neuesten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes. Nach dieser ist für die Berechtigung der Aufkündigung wesentlich, ob der Tatbestand zur Zeit der Aufkündigung erfüllt war. Allerdings kann eine Einstellung eines dem Mieter zum Vorwurf gemachten Verhaltens nach der Aufkündigung bei der Beurteilung, ob das Gesamtverhalten die Aufkündigung im Einzelfall rechtfertige, mitberücksichtigt werden (MietSlg 25.269, 28.296, 8 Ob 597/85).

Der im vorliegenden Fall geltend gemachte Kündigungsgrund des § 30 Abs 2 Z 3 MRG setzt Störungen des friedlichen Zusammenlebens durch längere Zeit oder in häufigen Wiederholungen voraus. Die Aufkündigung ist auch berechtigt, wenn zwar nicht jeder einzelne Vorfall für sich betrachtet als Kündigungsgrund ausreicht, durch die Häufung das den Mitbewohnern zumutbare Ausmaß jedoch überschritten wird (MietSlg 37.406). Die bald nach dem Einzug des Beklagten in das Haus aufgetretenen häufig stattgefundenen abendlichen und nächtlichen Ruhestörungen im Rahmen von Streitigkeiten, die auch trotz Beschwerden und Androhung der Aufkündigung nicht eingestellt wurden, erfüllen dieses Erfordernis. Eine Änderung des Verhaltens nach Zustellung der Aufkündigung kann im vorliegenden Fall schon deshalb eine Aufhebung der Aufkündigung nicht rechtfertigen, weil das störende Verhalten, obwohl die Zustellung der Aufkündigung am 25. Oktober 1985 erfolgte, bis Ende November, Anfang Dezember 1985 fortgesetzt wurde und es auch im April und Mai 1986 noch zu einigen derartigen Vorfällen kam. Auch wenn diese seltener als früher stattfanden und weniger lange dauerten, stehen sie der Annahme, das Gesamtverhalten erfülle den geltend gemachten Kündigungsgrund nicht, entgegen.

Aus diesen Gründen war der Revision Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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