OGH 10ObS100/87

OGH10ObS100/8720.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Redl als weitere Richter sowie Dr. Franz Köck und Karl Siegfried Pratscher als fachkundige Laienrichter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Franz Z***, dzt. Strafvollzugsanstalt Oberfucha, vertreten durch Dr. Albert Heiss, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei P*** DER A***,

1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. Juli 1987, GZ 5 Rs 1093/87-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. April 1987, GZ 42 Cgs 32/87-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 8. Jänner 1931 geborene Kläger (ein absolvierter Jurist), welcher daher bereits zur Zeit der Klagseinbringung am 14. Oktober 1986 das 55. Lebensjahr vollendet hatte, übte während der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag die Tätigkeit eines zum Teil auch allein zeichnungsberechtigten Geschäftsführers aus, und zwar ab 1974 sogar gleichzeitig bei mehreren Kapitalgesellschaften in der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung bzw. bei einer Kommanditgesellschaft. Geschäftsgegenstand dieser Gesellschaften war die Vermögensberatung bzw. das Immobilien- und Mobilienleasing sowie die Planung und Abwicklung von Wohnbauprojekten und die damit im Zusammenhang stehenden Finanzierungen. Er verbüßt derzeit im Zusammenhang mit Konkurseröffnung über eine dieser Gesellschaften eine mehrjährige Freiheitsstrafe.

Mit Bescheid der Beklagten vom 14. Juli 1986 wurde der Antrag des Klägers vom 12. August 1985 auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mit der Begründung abgewiesen, daß die gesetzlichen Voraussetzungen des § 273 ASVG nicht erfüllt seien. Mit seiner dagegen erhobenen Klage begehrte der Kläger, die Beklagte zur Leistung der Berufsunfähigkeitspension ab Antragstellung zu verhalten. Er brachte vor, daß er an ausgeprägter endogener Hypocalzämie, Hyperacidität, chronischer Magenschleimhautentzündung, Maldigestions-Syndrom, starker Gallereflux, einem Zustand nach äußerem Hämorridalknoten, Osteochondrose D7 bis D11 und L5/S1, Gastritis chronica, Depressionen und Kreislaufstörungen leide und daher in seinem bisherigen Beruf nicht mehr verwendbar sei. Zumutbare Verweisungsberufe ohne beträchtlichen sozialen Abstieg seien am allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vorhanden.

Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und brachte vor, daß der Kläger nach den Ergebnissen der im Anstaltsverfahren vorgenommenen ärztlichen Untersuchungen imstande sei, seine bisherige Berufstätigkeit bzw. eine ähnliche ihm zumutbare Beschäftigung auszuüben.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Aus seinen Feststellungen ist hervorzuheben:

Die geistig-psychische Leistungsfähigkeit des Klägers ist nicht eingeschränkt. Rein körperlich sind seiner Leistungsfähigkeit insoferne Grenzen gesetzt, als schwere und ausdauernde mittelschwere Arbeiten nicht verrichtet werden sollten. Zumutbar sind leichte und kurzfristig mittelschwere (körperliche) Arbeiten. Der Kläger sollte wegen möglicher Schwindelneigung nicht auf absturzgefährdeten Stellen arbeiten. Der gegenwärtige Zustand besteht seit 1980. Geschäftsführertätigkeiten von der Art und Qualifikation, wie sie der Kläger bekleidet hat, bringen von der geistig-psychischen Anforderungsseite her Belastungen mit sich, die kalkülmäßig zwischen mittelschwer und schwer bei etwa gleichen Anteilen streuen. Geschäftsführer dieser Art sind für die Verwirklichung der Unternehmensziele verantwortlich und sorgen daneben für eine reibungslose Abwicklung des gesamten betrieblichen Geschehens, wobei derartigen Führungskräften, insbesondere wenn sie allein zeichnungsberechtigt sind, auch die Alleinverantwortung zufällt. Hochdifferenziertes logisch-kritisches Denkvermögen wird abverlangt, ein ausgewogenes Kosten- und Leistungsdenken, ein hohes Maß an Initiative, Organisationstalent, Kooperationsfähigkeit, Rede- und Verhandlungsgeschick neben fundierten Kenntnissen im Bereich der Menschenführung, Personalpolitik und Managementumsetzung usw. werden bei der Ausübung solcher Tätigkeiten ständig abverlangt. Daneben sind Durchhaltevermögen und Standfestigkeit erforderlich. Tätigkeiten, die diese Merkmale aufweisen, sind in der Beschäftigungsgruppe 6 des Rahmenkollektivvertrages für Handelsangestellte zu finden.

Artähnliche Verwendungen in gut organisierten Großunternehmen, wie z.B. die eines Abteilungsleiters oder Referatsleiters, ebenso Referenten und Sachbearbeitertätigkeit bei Wirtschaftstreuhändern, Wirtschaftsberatern usw. entsprechen - auf die geistig-psychischen Anforderungen bezogen - mittelschwerem Kalkül. Solche Tätigkeiten, z. B. Tätigkeiten eines Abteilungsleiters, sind in der Beschäftigungsgruppe 5 des Rahmenkollektivvertrages für Handelsangestellte und Angestellte im Gewerbe zu finden. Rechtlich begründete das Erstgericht seine Entscheidung im wesentlichen damit, daß die Frage der Berufsunfähigkeit des Klägers nach der Bestimmung des § 273 Abs 3 ASVG zu lösen sei. Da für Bedienstete bei Firmen solcher Art, wie sie der Geschäftsführertätigkeit des Klägers entsprochen habe, kein eigener Kollektivvertrag vorhanden sei, müsse auf den Kollektivvertrag für Angestellte zurückgegriffen werden. Der Kläger sei zwar nicht mehr in der Lage, Tätigkeiten als Geschäftsführer in der Beschäftigungsgruppe 6 dieses Kollektivvertrages zu verrichten, wohl aber Arbeiten eines Angestellten der Beschäftigungsgruppe 5. Die maßgeblichen kollektivvertraglichen Gehälter in dieser Beschäftigungsgruppe lägen weit über der Hälfte jener der Beschäftigungsgruppe 6. Abteilungsleiter der Beschäftigungsgruppe 5 genössen in den Augen der Umwelt ein hohes soziales Ansehen, sodaß für den Kläger mit der Ausübung dieser Verweisungstätigkeit auch kein unzumutbarer sozialer Abstieg verbunden wäre.

Die gegen dieses Urteil erhobene Berufung des Klägers blieb erfolglos.

Das Berufungsgericht erachtete die gerügten Mängel nicht als gegeben. In rechtlicher Hinsicht ließ das Gericht zweiter Instanz die Frage einer für den Kläger zumutbaren Verweisungstätigkeit in der Verwendungsgruppe 5 des Angestellten-Kollektivvertrages dahingestellt. Die "Feststellung" des Erstgerichtes, wonach dem Kläger die Tätigkeiten, die er bisher ausgeübt habe, körperlich nicht mehr zumutbar seien, sei eine rechtliche Schlußfolgerung. Sie beruhe überdies auf einem Irrtum des Erstgerichtes, weil die vorliegenden medizinischen Gutachten zum Ergebnis gekommen seien, daß der Kläger seine bisherigen Tätigkeiten weiterhin ausüben könne und daß sein derzeitiger Zustand schon seit 1980 bestehe. Wenn das Erstgericht in Anlehnung an die ohne Begründung erfolgte Meinungsäußerung des berufskundlichen Sachverständigen zur Beurteilung gekommen sei, daß dem Kläger die bisherigen Tätigkeiten nicht mehr zumutbar seien, so stehe dies nicht nur im Widerspruch zu dessen Gutachten im Vorverfahren 7 C III 31/82 des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Tirol, auf welches er hier in seinem mündlichen Gutachten vom 7. April 1987 verwiesen habe, sondern werde auch durch die übrigen Ergebnisse dieses Vorverfahrens wiederlegt. Dort sei nämlich rechtskräftig festgestellt worden, daß dem Kläger die bisherigen Tätigkeiten noch zuzumuten sind. Da sich aber nach den nunmehr vorliegenden Feststellungen an den körperlichen und geistigen Voraussetzungen seit 1980 nichts geändert habe, seien dem Kläger die von ihm bisher ausgeübten Tätigkeiten nach wie vor zumutbar.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, der Aktenwidrigkeit sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf dessen Abänderung im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgebung, hilfsweise auf Urteilsaufhebung.

Die Beklagte hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die vom Kläger geltend gemachten Mangelhaftigkeiten betreffen ausschließlich solche des erstgerichtlichen Verfahrens, deren Vorliegen vom Berufungsgericht bereits verneint worden ist. In einem solchen Fall können sie auch in Sozialrechtssachen in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden (10 Ob S 23/87). Auch die von ihm gerügte Aktenwidrigkeit ist nicht gegeben. Das Berufungsgericht hat nämlich zutreffend erkannt, daß die Ausführung des Erstgerichtes, wonach dem Kläger körperlich nun solche Arbeiten (wie er sie bisher als Geschäftsführer durchgeführt hat) nicht mehr zumutbar seien, keine Tatsachenfeststellung, sondern eine rechtliche Schlußfolgerung ist. Wenn das Gericht zweiter Instanz in diesem Belang sodann eine gegenteilige Rechtsauffassung vertreten hat, so kann dies daher schon begrifflich keine Aktenwidrigkeit darstellen. Vielmehr ergibt sich lediglich die Frage, ob diese Rechtsansicht durch die vorliegenden sonstigen Tatsachenfeststellungen gedeckt ist. Es ist dabei dem Revisionswerber insoweit beizupflichten, als es in diesem Zusammenhang im Gegensatz zur Meinung des Berufungsgerichtes nicht um das Problem der Rechtskraft des im Vorverfahren gefällten Urteils gehen kann, weil das vorliegende Verfahren unabhängig davon durch die neue Antragstellung des Klägers ausgelöst worden ist und die Entscheidung somit hier nur auf den konkreten, neu getroffenen Feststellungen aufbauen kann (vgl. auch §§ 101, 362 ASVG). Auszugehen ist daher vom festgestellten Leistungskalkül des Klägers, demzufolge seine geistig-psychische Leistungsfähigkeit überhaupt nicht beeinträchtigt ist, wohl aber seiner körperlichen Leistungsfähigkeit insoferne Grenzen gesetzt sind, als er nur mehr leichte und kurzfristig mittelschwere Arbeiten verrichten kann und wegen möglicher Schwindelneigung nicht auf absturzgefährdeten Stellen arbeiten sollte. In diesem Zusammenhang wurden auch Feststellungen über die geistig-psychischen Anforderungen und Belastungen, die eine Geschäftsführertätigkeit der Art und Qualifikation, wie sie der Kläger bekleidet hat, mit sich bringen, getroffen. Daß diese kalkülmäßig zwischen mittelschwer und schwer streuen, vermag jedoch an der rechtlichen Schlußfolgerung nichts zu ändern, daß der Kläger diese Tätigkeiten weiterhin ausüben kann, weil seine geistig-psychische Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt ist. Feststellungen über körperliche Arbeiten, die mit der bisherigen Tätigkeit des Klägers verbunden waren, fehlen allerdings. Solche waren aber auch gar nicht erforderlich, weil es eine allgemein notorische Tatsache im Sinne des § 269 ZPO (vgl. dazu Fasching, Lehrbuch Rz 853) ist, und daher keines weiteren Beweises bedurfte, daß zumindest mit Geschäftsführertätikeiten in Geschäftszweigen, wie sie der Kläger bisher ausgeübt hat, wenn überhaupt so nur leichte körperliche Arbeiten verbunden sind; solche müssen auch nicht auf absturzgefährdeten Stellen verrichtet werden. Da sich somit die Rechtsauffassung des angefochtenen Urteils, die Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeitspension gemäß § 273 Abs 3 ASVG lägen nicht vor, weil die Arbeitsfähigkeit des Klägers insgesamt nicht einmal soweit gemindert ist, daß er die gleiche Tätigkeit wie in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag nicht mehr ausüben könnte, schon aus den dargelegten Gründen im Ergebnis jedenfalls als zutreffend erweist, mußte der Revision ein Erfolg versagt bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 lit b) ASVG.

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