Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß das Ersturteil im Verschuldensausspruch wiederhergestellt und im Kostenpunkt dahin abgeändert wird, daß der Kostenausspruch zu lauten hat:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die Hälfte der mit S 25.783,90 bestimmten Prozeßkosten (darin enthalten S 1.710,-- Barauslagen und S 2.328,40 Umsatzsteuer), d.s. S 12.891,95, binnen 14 Tagen zu bezahlen."
Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit S 10.056,85 bestimmten Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens (darin enthalten S 1.000,-- Barauslagen und S 823,35 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen. Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 1.772,16 bestimmten Kosten eines angenommenen Kostenrekurses (darin enthalten S 160,-- Barauslagen und S 146,56 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Streitteile haben am 23. Februar 1980 geheiratet. Es war beiderseits die erste Ehe, der der am 13. Juni 1980 geborene mj. Peter entstammt. Die Klägerin brachte ihr im Jahre 1975 unehelich geborenes Kind Annemarie R*** in die Ehe mit. Beide Teile sind österreichische Staatsbürger, ihr letzter gemeinsamer gewöhnlicher Aufenthalt war Wien.
Mit der am 9. November 1983 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Scheidung der Ehe aus dem Alleinverschulden des Beklagten. Sie wirft dem Beklagten vor, sich lieblos zu verhalten und sie gegen seine Eltern nicht in Schutz zu nehmen. Diese verweigerten ihr die Herausgabe des ehelichen Kindes, die Schwiegermutter habe sie mit "Gscherte" beschimpft und ihr eine Ohrfeige versetzt. Auch der Beklagte habe sie wiederholt mit Ausdrücken wie "Hure, Schwein, Drecksau" beschimpft und ihre uneheliche Tochter als "Praterhure" bezeichnet. Der Beklagte habe in der Ehewohnung randaliert und eine Glastüre zertrümmert. Er unterhalte ehewidrige Beziehungen zu anderen Frauen und habe im Jahre 1981 mit einer anderen Frau Geschlechtsverkehr gehabt. Der Beklagte widersprach der Scheidung nicht, stellte jedoch einen Mitschuldantrag. Als Eheverfehlungen der Klägerin macht er geltend: liebloses Verhalten, Interesselosigkeit, Vernachlässigung der Haushaltsführung und der Pflege des ehelichen Kindes, Beschimpfungen mit Ausdrücken wie "Hurenbock und Hurentreiber" und den Auszug der Klägerin aus der Ehewohnung.
Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Beklagten.
Das Berufungsgericht änderte den Verschuldensausspruch des Ersturteils im Sinne eines beiderseitigen gleichteiligen Verschuldens ab.
Den Entscheidungen der Vorinstanzen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Ehe der Streitteile gestaltete sich für die Klägerin von Anfang an nicht glücklich. Nach der kirchlichen Trauung beim Verlassen der Kirche sagte der Beklagte zur Klägerin, die damals im 5. Monat schwanger war, "Jetzt hast Du Deinen Zweck erreicht". Als der Sohn der Streitteile geboren wurde, war die Ehewohnung, die der Beklagte geerbt hatte, bereits eingerichtet. Der Klägerin wurde kein Einfluß auf die Gestaltung der Wohnung eingeräumt. Der Klägerin gelang es auch nicht, sich gegenüber ihrer sehr resoluten und der Klägerin verbal überlegenen Schwiegermutter durchzusetzen. Die Heirat wurde von den Eltern des Beklagten nicht geschätzt. Diese brachten der Klägerin gegenüber ihr Mißfallen zum Ausdruck. Der Beklagte, der unter dem Einfluß seiner dominanten Mutter steht, unterstützte die Klägerin nicht. Er war wegen seiner starken Mutterbindung nicht fähig, eine wirkliche eheliche Gemeinschaft mit der Klägerin zu begründen. Auch der Beklagte trat seinen Schwiegereltern nur mit Ressentiments gegenüber. Weil die Klägerin nicht bei den Eltern des Beklagten, ihren Feinden, essen wollte, hielt der Beklagte den Verwandten der Klägerin vor, daß sie wohl bei den Streitteilen gegessen hätten, seinen Eltern aber nichts anbieten würden.
Im Sommer 1981 mußte der mj. Peter, bei dem eine Entwicklungsverzögerung vorlag, fast täglich erbrechen und wurde deshalb in das Preyerische Kinderspital aufgenommen. Es wurde eine Lageanomalie des Darmes, eine Hufeisenniere und eine Subluxation der linken Hüfte festgestellt. Die Mutter des Beklagten übernahm in der Folge die Pflege des Kindes. Die Klägerin war damit einverstanden. Der Zustand des Kindes besserte sich auch durch die Pflege der väterlichen Großmutter. Die Streitteile besuchten das Kind regelmäßig. Die Klägerin erkundigte sich jedoch bei den behandelnden Ärzten nicht nach dem Zustand des Kindes. Im Laufe der Zeit drängte sie darauf, daß das Kind wieder in ihre Pflege und Erziehung kommt. Der Beklagte, der unter dem Einfluß seiner Mutter stand, widersetzte sich dem Wunsch der Klägerin. Es kam deshalb wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen, die lautstark geführt wurden und in deren Verlauf sich die Streitteile gegenseitig grob beschimpften. Bis zum Herbst 1982 versorgte die Klägerin den Beklagten mit "normaler Kost" und kochte ihm auch ein Nachtmahl. Ab diesem Zeitpunkt stellte sie nur mehr Burenwurst, Preßwurst und dgl. bereit. Als ihr der Beklagte deswegen Vorwürfe machte, verlangte sie, daß er ihr sein ganzes Gehalt gebe, sonst lasse sie sich scheiden. Im Frühjahr 1983 drohte der Vater der Klägerin dem Beklagten, daß sich die Klägerin scheiden lasse, wenn sie nicht das ganze Einkommen des Beklagten und die Pflege des mj. Peter erhalte. Im September 1983 kam es im Hause des Bruders der Klägerin wegen des Aufenthaltes des mj. Peter bei den väterlichen Großeltern zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf der Bruder der Klägerin dem Beklagten das Haus verbot und ihn bei der Küchentür hinausschob. Als der offen stehende Türflügel zuschlug, wurde der Beklagte am Ellenbogen verletzt. Die Klägerin ergriff bei dieser Auseinandersetzung nicht Partei für den Beklagten mit der Begründung, daß auch der Beklagte gegenüber seinen Eltern nicht für die Klägerin eintrete. Mit Schreiben vom 28. Dezember 1983 an das Bezirksgericht Lilienfeld ersuchte die Klägerin um Anweisung der Zeugengebühr und führte weiter aus: "Gestern 27. Dezember war ich bei meinem Bruder auf Besuch. Und da kam auch schon ein Brief vom Rechtsanwalt meines Gatten Helmut S*** und zwar das Schmerzengeld was er verlangt und die Anwaltskosten. Betrag: ca. S 34.700,-- insgesamt. Das heißt S 30.000,-- verlangt mein Gatte. Das finde ich sehr sehr viel. Denn ich kenne meinen Mann am besten. Er hat es meiner Ansicht nach absichtlich gemacht, daß er kassieren kann und in Krankenstand gehen kann. Er ist nämlich ziemlich arbeitsscheu und arbeitet nur darauf hin auf einen Krankenstand und überall Geld kassieren und einen anderen ausnützen. Egal wer das ist". Zu diesem Zeitpunkt war die Ehe bereits völlig zerrüttet.
Nach Einbringung der Scheidungsklage verweigerte die Mutter des Beklagten der Klägerin jeden Kontakt mit dem mj. Peter. Wegen seiner gestörten Entwicklung kam der mj. Peter vom 14. September bis 21. Dezember 1984 und vom 16. Jänner bis 11. Februar 1985 in stationäre Behandlung der Universitätskinderklinik. Nach Besuchen der Klägerin wirkte das Kind verstört und beeinträchtigt. Die Klägerin behandelte das Kind nicht seinem Alter entsprechend. Es gelang ihr nicht, eine positive Interaktion zwischen ihr und dem Kind aufzubauen. Sie bemühte sich um das Kind, war aber nicht in der Lage, den Anforderungen, die das schwierige und besonders förderungsbedürftige Kind an seinen Betreuer stellt, nachzukommen. Unstrittig ist, daß der Beklagte im Jahre 1981 mit einer anderen Frau Geschlechtsverkehr hatte.
Nach der Auffassung des Erstgerichtes hätten beide Teile schwere Eheverfehlungen begangen. Den Beklagten treffe jedoch das überwiegende Verschulden, weil er sich zu wenig um den Aufbau einer ehelichen Gemeinschaft bemüht habe.
Das Berufungsgericht ging bei seiner rechtlichen Beurteilung davon aus, daß ein überwiegendes Verschulden eines Ehegatten nur dann auszusprechen sei, wenn ein sehr unterschiedlicher Grad des Verschuldens hervorkomme, der Unterschied des beiderseitigen Verschuldens augenscheinlich hervortrete und das Verschulden des einen Ehegatten fast völlig in den Hintergrund trete. Dies sei aber hier nicht der Fall. Beim Geschehen um den entwicklungsgestörten mj. Peter könne keinem der Streitteile ein besonders schwerwiegender und überwiegender Schuldvorwurf gemacht werden. Insbesondere könne dem Beklagten nicht angelastet werden, daß er den Verbleib des Minderjährigen bei seiner Mutter als besser angesehen habe, sei doch nach der Ansicht der Ärzte die Klägerin nicht in der Lage gewesen, das entwicklungsgestörte Kind entsprechend zu versorgen. Es müsse jedoch beiden Ehegatten in gleicher Weise als Verschulden zugerechnet werden, daß es ihnen nicht gelungen sei, eine entsprechende partnerschaftliche Beziehung aufzubauen. Beide hätten sich dem anderen gegenüber lieblos verhalten, sie hätten einander beschimpft und sich von ihrer Verwandtschaft nicht lösen können. Dem Beklagten falle zwar ein Ehebruch zur Last, die Klägerin habe aber ihre mangelnde eheliche Gesinnung besonders dadurch gezeigt, daß sie dem Beklagten ab Herbst 1982 kein warmes Essen mehr zubereitet und ohne Notwendigkeit das gehässige Schreiben an das Bezirksgericht Lilienfeld gerichtet habe.
Rechtliche Beurteilung
Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision der Klägerin ist berechtigt.
Richtig ist die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes, daß ein überwiegendes Verschulden nur bei sehr erheblichem graduellen Unterschied des beiderseitigen Verschuldens auszusprechen ist (EFSlg. 48.832 ff uva). Es entspricht jedoch auch der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß bei der Verschuldensabwägung in erster Linie zu berücksichtigen ist, wer mit der schuldhaften Zerrüttung der Ehe den Anfang gemacht hat. Dieser Teil ist bei sonst gleichen Umständen gegenüber dem anderen Teil jedenfalls in höherem Grad schuldig (EFSlg. 43.682 mwN). Beizupflichten ist dem Berufungsgericht darin, daß aufgrund der Auseinandersetzungen der Ehegatten um den Verbleib des mj. Peter bei der väterlichen Großmutter, in deren Verlauf sich die Streitteile wechselseitig grob beschimpften, keinem der Ehegatten ein überwiegender Schuldvorwurf gemacht werden kann. Auch die Vernachlässigung der Versorgung des Beklagten durch die Klägerin ab Herbst 1982 und auch alle anderen Eheverfehlungen nach der Unterbringung des mj. Peter bei seiner väterlichen Großmutter hatten letztlich ihre Ursache in der Meinungsverschiedenheit der Streitteile über die Pflege des mj. Peter. Es ist daher zutreffend, daß insoweit beide Teile die unheilbare Zerrüttung der Ehe gleichmäßig herbeigeführt haben und ein gradueller Unterschied im beiderseitigen Verschulden insoweit nicht ersichtlich ist. Es kann jedoch nicht vernachlässigt werden, daß bis zur Unterbringung des mj. Peter im Preyerischen Kinderspital (am 20. Juli 1981) nur der Beklagte Eheverfehlungen setzte. Ihm ist nicht nur seine beleidigende Äußerung unmittelbar nach der kirchlichen Eheschließung als schwere Eheverfehlung anzulasten, sondern auch der Ehebruch (im Mai oder Juni 1981; ON 11). Der Ehebruch stellt eine besonders schwere Verletzung der ehelichen Treuepflicht dar und fällt im vorliegenden Fall deshalb besonders ins Gewicht, weil er zu einem Zeitpunkt begangen wurde, als die Ehe noch nicht zerrüttet war und die Klägerin sich noch keiner Eheverfehlung schuldig gemacht hatte. Steht somit fest, daß der Beklagte durch eine besonders schwere Eheverfehlung mit der Zerrüttung der Ehe den Anfang machte, ist ihm auch im Sinne der obigen Darlegungen das überwiegende Verschulden anzulasten.
Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 43 Abs. 1 und 50 ZPO. Da die Klägerin im Verfahren erster Instanz nicht zur Gänze obsiegte, das überwiegende Verschulden jedoch den Beklagten trifft, erscheint eine Kostenteilung auf der Basis eines Prozeßerfolges von 3 : 1 zu Lasten des Beklagten gerechtfertigt. Die Klägerin hat daher nur Anspruch auf Ersatz der halben Prozeßkosten erster Instanz. Die mit der Berufung des Beklagten verbundene Kostenbekämpfung ist daher berechtigt. Der Beklagte hat demgemäß auch Anspruch auf Kostenersatz auf Basis eines angenommenen Kostenrekurses. Im Berufungs- und Revisionsverfahren, in denen nur noch die Verschuldensteilung strittig war, hat die Klägerin dagegen zur Gänze obsiegt und daher auch Anspruch auf Ersatz ihrer gesamten Kosten.
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