OGH 6Ob651/87

OGH6Ob651/878.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Alexander W***, geboren am 10. Juli 1976, und Martin W***, geboren am 20. April 1978, beide in 1100 Wien, Oberlaaer-Straße 91, infolge Revisionsrekurses der ehelichen Mutter und Antragstellerin Christine W***, 1100 Wien, Oberlaaer-Straße 91, vertreten durch Dr. Georg Fialka, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 17. Juni 1987, GZ. 44 R 3228/87-23, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Favoriten vom 16. März 1987, GZ. 8 P 281/87-20, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Antragstellerin und ihr Bruder Hermann L***, welche beide bereits zu je 3/16-tel Miteigentümer der Liegenschaft EZ 545 der KG. Breitensee (Haus in Wien 14., Kienmayergasse 54, mit Hof, Garten und Garage) waren, sind im Erbwege nach ihrem am 31.5.1981 verstorbenen Vater Martin L*** am 11.1.1982 Hälfteeigentümer dieser Liegenschaft geworden. Die von ihnen ererbten restlichen je 5/16-tel Anteile an der Liegenschaft sind jedoch beschränkt durch die im Testament vom 15.3.1972 angeordnete fideikommissarische Substitution je zugunsten der Kinder der Antragstellerin (der beiden hier Pflegebefohlenen) und ihres Bruders (zwei bereits großjährige Söhne). Das auf der Liegenschaft befindliche Wohnhaus enthält je eine Wohnung im Erdgeschoß und im ersten Stock. Hermann L*** benützt die im Erdgeschoß gelegene Wohnung, die Antragstellerin wohnt mit ihrer Familie nicht in diesem Haus. Über die Benützung der Liegenschaft besteht zwischen der Antragstellerin und ihrem Bruder Streit. Ein von ihr beim Bezirksgericht Hietzing am 12.11.1984 gestellter Antrag auf Benützungsregelung, gegen den sich ihr Bruder ausgesprochen hatte, ist im August 1986 wieder zurückgezogen worden. Das Erstgericht wies, im wesentlichen von diesen Feststellungen ausgehend, den von der ehelichen Mutter gestellten Antrag auf Bestellung eines Kollisionskurators und auf Genehmigung der beabsichtigten Einbringung einer Teilungsklage ab. Es führte aus, eine solche Klagsführung entspreche nicht dem Kindeswohl, weil die Anwartschaft der beiden Pflegebefohlenen auf die Miteigentumsanteile der Liegenschaft durch mündelsichere Anlegung eines Geldbetrages ersetzt würde. Zum Inflationsrisiko treffe die Kinder daher auch noch das Prozeßkostenrisiko und das Ertragsrisiko der Feilbietung. Die Schwierigkeiten bei der Benützung der Liegenschaft seien außerdem kein Grund, die Miteigentumsgemeinschaft zum Nachteil der Minderjährigen aufzuheben, zumal der Antrag auf gerichtliche Benützungsregelung zurückgezogen worden sei.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es meinte, die von der Antragstellerin geltend gemachte Mangelhaftigkeit des Verfahrens liege schon deshalb nicht vor, weil sich selbst bei Unterstellung der Richtigkeit ihres gesamten Tatsachenvorbringens daraus bloß ableiten ließe, daß es zwischen den beiden Hälfteeigentümern zu keinen gedeihlichen Kontakten betreffend die Verwaltung des gemeinsamen Hauses gekommen sei. Es bestehe vielmehr eine gespannte Atmosphäre, die auch zu gerichtlichen Auseinandersetzungen geführt habe. Der Vorwurf, der andere Hälfteeigentümer benütze die Sache uneingeschränkt gleich einem Alleineigentümer, rechtfertige noch nicht die Teilungsklage und die Veräußerung der Liegenschaft zu Lasten der Minderjährigen. Sämtliche von der Antragstellerin ins Treffen geführten Gründe ließen eine solche Klage keineswegs als vordringlich erscheinen. Möge die Antragstellerin auch aus begreiflichen Gründen lieber eine Geldsumme als einen Miteigentumsanteil am Haus wünschen, so habe sie doch - solange die Rechte der Minderjährigen am Haus in Frage stünden - die von der Rechtsordnung für diese Fälle in erster Linie eingeräumten Möglichkeiten zu ergreifen. Ein Verkauf zu Lasten der Kinder zur Vermeidung dieser Auseinandersetzungen sei abzulehnen. Die von der Antragstellerin in den Vordergrund gestellten Schwierigkeiten, mit dem anderen Hälfteeigentümer auszukommen, seien mit den Mitteln des Zivilrechtes auch ohne Teilungsklage behebbar. Die Erhaltung des Anwartschaftsrechtes auf den Liegenschaftserwerb sei - unabhängig von den Sicherungsmöglichkeiten eines Geldsurrogates - höher einzuschätzen als die Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen zwischen den Miteigentümern und stehe zudem im Einklang mit dem Willen des Erblassers. Das Kindeswohl gebiete daher keinesfalls eine Entscheidung in Richtung einer Veräußerung des Liegenschaftsbesitzes.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Antragstellerin gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes wegen Nichtigkeit, Aktenwidrigkeit und offenbarer Gesetzwidrigkeit erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist unzulässig.

Die Nichtigkeit soll darin liegen, daß das Rekursgericht nicht aufgrund der Mängelrüge der Antragstellerin Ermittlungen durchgeführt bzw. die Antragstellerin vernommen und so den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt habe. Dabei übersieht die Rechtsmittelwerberin, daß das Rekursgericht ihre Mängelrüge in Wahrheit gar nicht meritorisch behandelt hat, weil es die Rechtsauffassung vertrat, daß schon bei Unterstellung der Richtigkeit ihres gesamten Tatsachenvorbringens die Entscheidung nicht anders hätte ausfallen können. Es hat daher auch - anders als in dem der von der Rechtsmittelwerberin zitierten Entscheidung EvBl. 1982/120 zugrundeliegenden Fall - keineswegs für sie nachteilige wesentliche neue Tatsachen aufgrund von Beweisergebnissen festgestellt, zu denen sie vorher etwa nicht gehört worden wäre. Ebensowenig ist eine Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs durch das Erstgericht erfolgt. Der Antragstellerin wurde nämlich die Möglichkeit der Stellungnahme zur Aussage ihres Bruders gegeben und sie hat eine solche Stellungnahme auch abgegeben (ON 19). Der Grundsatz des Parteiengehörs erfordert nur, daß der Partei ein Weg eröffnet wird, auf dem sie ihre Argumente für ihren Standpunkt - oder zur Abwehr eines gegen sie erhobenen Anspruches - vorbringen kann, und zwar auch in der Form einer schriftlichen Äußerung (EFSlg. 49.985). Wurde jemandem aber - wie hier - die Möglichkeit zu einer Äußerung zu bestimmten Verfahrensergebnissen gegeben, diese Äußerung aber dann nicht berücksichtigt, so kann darin keine Nichtigkeit des Verfahrens erblickt werden (EFSlg. 42.382).

Auch die gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor. Eine solche ist nur dann gegeben, wenn das Rekursgericht den Inhalt einer Parteienbehauptung oder eines Beweismittels unrichtig wiedergegeben und dadurch ein fehlerhaftes Sachverhaltsbild der rechtlichen Beurteilung unterzogen hätte (EFSlg. 47.272, 50.005). Das Rekursgericht hat entgegen der Meinung der Rechtsmittelwerberin deren Vorbringen keineswegs dahin wiedergegeben, daß zwischen ihr und ihrem Bruder keinerlei Kontakte bestanden hätten. Das Vorbringen wurde vielmehr resümierend und durchaus im Einklang mit der Aktenlage in dem Satz zusammengefaßt, daß es zwischen den beiden Hälfteeigentümern zu keinen gedeihlichen Kontakten betreffend die Verwaltung des Hauses gekommen sei. Die nach dem Tode des Martin L*** zwischen den Geschwistern nach dem Vorbringen der Antragstellerin getroffene Vereinbarung umfaßte nur die Benützung der beiden Wohnungen. Zu einer Einigung über die Hof- und Gartenbenützung ist es dabei nicht gekommen (ON 19, AS 34). Die Antragstellerin hat auch selbst zugegeben, daß es ihr nicht gelungen ist, diese Benützungsvereinbarung über die Wohnungen im Besitzstörungsstreit vor dem Bezirksgericht Hietzing unter Beweis zu stellen (ON 19, AS 95). Der von der Rechtsmittelwerberin des weiteren bekämpfte Vorwurf des Rekursgerichtes, sie habe - abgesehen von dem erwähnten Prozeß - noch keine entsprechenden tauglichen Versuche zur Bereinigung der Schwierigkeiten mit ihrem Bruder unternommen, ist eine rechtliche Schlußfolgerung und keine Wiedergabe eines Parteienvorbringens. Er bezieht sich überdies auf die vom Rekursgericht erwähnten rechtlichen Mittel, die einem Miteigentümer noch vor der Teilungsklage zu Gebote stehen. Daß die Rechtsmittelwerberin aber die Zivilteilung und die mündelsichere Anlegung des auf den 5/16-tel Anteil entfallenden Erlöses wünscht, ergibt sich bereits aus ihrer Antragstellung, die sie zusammenfassend mit der wegen des unmöglichen und unleidlichen Verhaltens ihres Bruders entstandenen "untragbaren Situation" begründete. In diesem Zusammenhang ist vom Rekursgericht ein Vorwurf dahingehend, daß es der Antragstellerin dabei nicht auch um das Wohl der substitutionsberechtigten Kinder zu tun wäre, gar nicht erhoben worden. Der Hinweis des Rekursgerichtes schließlich, daß die getroffene Lösung zudem im Einklang mit dem Willen des Erblassers stehe, kann schon deshalb nicht aktenwidrig sein, weil die Beschränkung der 5/16-tel Anteile mit der fideikommissarischen Substitution nach den Feststellungen und dem eigenen Vorbringen der Antragstellerin (ON 1, AS 2) im Testament des Martin L*** vom 15.3.1972 angeordnet worden ist.

Daß die (gänzliche) Außerachtlassung des Kindeswohles im Pflegschaftsverfahren eine offenbare Gesetzwidrigkeit begründen kann, ist zwar richtig (vgl. EFSlg. 49.932), doch haben die Vorinstanzen sich entgegen der Meinung der Rechtsmittelwerberin eingehend mit dem Wohl der beiden substitutionsberechtigten Kinder auseinandergesetzt und die Auffassung vertreten, den Kindern müsse die künftige Substitutionsmöglichkeit gewahrt bleiben, bis dahin blieben der Antragstellerin sämtliche übrigen rechtlichen Mittel zur Durchsetzung ihrer Ansprüche als Hälfteeigentümerin offen. Darüber hinaus liegt eine offenbare Gesetzwidrigkeit nach ständiger Rechtsprechung (EFSlg. 47.208 mwN) nur vor, wenn ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar gelöst ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem eine damit im Widerspruch stehende Entscheidung gefällt wurde. Es bildet daher nicht jede unrichtige rechtliche Beurteilung eine offenbare Gesetzwidrigkeit (JBl. 1975, 547 und 661; EFSlg. 47.209 u.a.). Hat aber das Pflegschaftsgericht - wie hier - grundsätzlich bei seiner Entscheidung das Wohl der Kinder ausreichend in Betracht gezogen, so handelt es sich bei der Beurteilung, ob unter den konkreten Umständen diese oder jene Maßnahme dem Wohl der Kinder entspricht, um eine Ermessensentscheidung, die eine offenbare Gesetzwidrigkeit nicht begründen kann (EFSlg. 49.957, 49.958 u.a.). Ebensowenig kann die Frage, ob die Vorinstanzen jeden einzelnen Umstand bei Beurteilung des Vorranges der Erhaltung der belasteten Miteigentumsanteile entsprechend berücksichtigt haben, unter dem Rekursgrund der offenbaren Gesetzwidrigkeit geltend gemacht werden (EFSlg. 47.211, 49.933 u.a.).

Da somit keiner der im § 16 Abs.1 AußStrG genannten Rekursgründe vorliegt, war der Revisionsrekurs der Antragstellerin zurückzuweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte