OGH 10ObS78/87

OGH10ObS78/876.10.1987

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Franz Köck und Karl Siegfried Pratscher als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Gerhard B***, Tischler, 1220 Wien, Quadenstraße 8/35/1/6, vertreten durch Dr. Helga Prokopp, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***,

1092 Wien, Roßauer Lände 3, diese vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 1. April 1987, GZ. 32 Rs 39/87-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Schiedsgerichtes der Sozialversicherung für Wien in Wien vom 2. Oktober 1986, GZ. 3 C 72/86-16 (3 Cgs 72/86 des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien), bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Das Erstgericht wies das auf Gewährung des Invaliditätspension gerichtete Klagebegehren ab. Der Kläger hatte hiezu vorgebracht, daß er den Beruf eines Tischlers erlernt habe und immer in diesem Beruf tätig gewesen sei.

Das Erstgericht stellte im wesentlichen folgenden Sachverhalt

fest:

Der Kläger kann auf Grund seines - im einzelnen

beschriebenen - körperlichen und geistigen Zustands mittelschwere Arbeiten während der normalen Arbeitszeit bei den üblichen Pausen verrichten. Arbeiten unter Einfluß von Nässe und Kälte sind ihm nicht möglich. Er ist einordenbar und anlernbar. Die Fingerfertigkeit ist für die bisherigen Arbeiten ausreichend. Der Arbeitsplatz kann erreicht werden. Die körperliche Anforderung an den Tischler ist eine mittelschwere, verbunden mit dem Heben und Tragen mittlerer Lasten in wechselnder Körperhaltung. Einfluß von Nässe und Kälte ist bei Werkstattarbeiten nicht gegeben, ebenso nicht bei Auf- und Umstellarbeiten in Wohnungen.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den von ihm festgestellten Sachverhalt dahin, daß der Kläger selbst unter der Annahme, daß er den Beruf eines Tischlers erlernt und während der letzten 15 Jahre vor der Antragstellung überwiegend ausgeübt habe und somit Berufsschutz gemäß § 255 Abs 1 ASVG genieße, nicht invalid im Sinne dieser Bestimmung sei, weil er diesen Beruf weiterhin ausüben könne. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es vertrat die Ansicht, daß die bei der Ausübung des Tischlerberufes auftretenden körperlichen Anforderungen dem Leistungskalkül des Klägers entsprächen. Wenn der Versicherte die Anforderungen im erlernten und bisher ausgeübten Beruf ohne Einschränkung bewältigen könne, sei er imstande, damit nicht nur die Hälfte des Lohnes, sondern den gleichen Lohn wie ein sonst so Beschäftigter zu erwerben, weshalb sich ein Lohnvergleich gegenüber einem gesunden Versicherten erübrige. Das Erstgericht habe daher zutreffend verneint, daß der Kläger gemäß § 255 Abs 1 ASVG invalid sei. Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne des Klagebegehrens abzuändern oder es allenfalls aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückzuverweisen. Die beklagte Partei erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Kläger geht selbst davon aus und es ist nach seinem Vorbringen auch davon auszugehen, daß die Frage seiner Invalidität nach § 255 Abs 1 ASVG zu beurteilen ist. Nach dieser Bestimmung gilt ein Versicherter, der überwiegend in erlernten (angelernten) Berufen tätig war, als invalid, wenn seine Arbeitsfähigkeit infolge seines körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in jedem dieser Berufe herabgesunken ist. Entscheidend ist das dem Versicherten verbliebene Ausmaß der Arbeitsfähigkeit. Aus der Bestimmung kann aber nicht abgeleitet werden, daß zum Vergleich die Arbeitsfähigkeit eines Versicherten heranzuziehen ist, der an keinerlei körperlichen oder geistigen Gebrechen leidet. Der Begriff "gesund" ist nämlich im Zusammenhang mit dem vom Pensionswerber bisher ausgeübten oder mit den zum Vergleich heranzuziehenden Berufen zu sehen. "Gesund" im Sinn des § 255 Abs 1 (und auch des damit insoweit übereinstimmenden § 273 Abs 1) ASVG ist ein Versicherter, der zumindest noch über die Arbeitskraft verfügt, die erforderlich ist, um die jeweils in Betracht kommenden Berufe auszuüben.

Verfügt der Versicherte, wie hier der Kläger, noch über die Arbeitskraft, die ihn befähigt, den bisher ausgeübten Beruf ohne Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes weiterhin auszuüben, so kann demnach seine Arbeitsfähigkeit nicht unter die Hälfte derjenigen eines zum Vergleich heranzuziehenden "gesunden" Versicherten gesunken sein, weil auch dieser nur über eine solche Arbeitskraft verfügen muß.

Unter diesen Umständen kann hier unerörtert bleiben, ob, wie offenbar das Berufungsgericht meint, bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit auf die Verdienstmöglichkeiten Bedacht zu nehmen ist oder ob es nur auf die Leistungsfähigkeit im gesundheitlichen Sinn ankommt (vgl. hiezu Schrammel, Der pensionsversicherungsrechtliche Schutz im Falle geminderter Leistungsfähigkeit in Tomandl (Hrsgb., Die Minderung der Leistungsfähigkeit im Recht der Sozialversicherung 63/82 ff.). Die Invalidität des Klägers ist unter beiden Gesichtspunkten zu verneinen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Die Billigkeit erfordert schon deshalb nicht den Zuspruch von Kosten an den Kläger, weil ihm sein Vertreter im Rahmen der Verfahrenshilfe beigegeben wurde.

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