OGH 13Os98/87

OGH13Os98/8724.9.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.September 1987 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Müller, Dr. Felzmann, Dr. Brustbauer und Dr. Kuch (Berichterstatter) als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Levnaic-Iwanski als Schriftführers in der Strafsache gegen Jeanne S*** wegen des Verbrechens des Betrugs nach §§ 146 ff. StGB. über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten gegen das Urteil des Kreisgerichts Ried im Innkreis als Schöffengerichts vom 4. Mai 1987, GZ. 6 Vr 719/84-80, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Tschulik, der Angeklagten und des Verteidigers Dr. Olischar zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Nichtigkeitsbeschwerden wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuerlicher Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen. Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und die Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Die am 19.Jänner 1939 geborene Jeanne S*** wurde (im zweiten Rechtsgang) des Verbrechens des teils vollendeten, teils versuchten schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2, 148, zweiter Fall, und 15 StGB. schuldig erkannt. Darnach hat sie als freiberufliche Vertreterin der Firma Ausstattungshaus-Warenvertrieb A*** Alois P*** KG Textilien übernommen, die sie auf Namen und Rechnung dieses Unternehmens weiterverkaufen sollte. Im Jahr 1983 ging sie jedoch dazu über, der Firma A*** mittels fingierter, von ihr selbst unterschriebener Rechnungen (größtenteils) nicht existenter Kunden, mithin unter Verwendung falscher Urkunden, Waren herauszulocken, um sie vereinbarungswidrig in ihrem Modegeschäft in Perwang auf eigenen Namen zu verkaufen; die Rechnungsbeträge beglich sie unter den Namen der fingierten Besteller aus eigenen Mitteln. Auch als sie hiezu nicht mehr in der Lage war, ließ sie sich von der Firma A*** für die fingierten Bestellungen weiter Provisionen in der Höhe von weit mehr als 5.000 S ausbezahlen; ein Provisionsbetrag von 15.005,40 S wurde von der Firma A*** zurückbehalten.

Nach der Überzeugung des Schöffensenats hatte die Angeklagte im Zeitpunkt der fingierten Bestellungen nicht den Vorsatz, der Firma A*** den Gegenwert der Ware nicht zukommen zu lassen. Obwohl sie wußte, daß ihr für diese Geschäfte kein Provisionsanspruch zustand, wollte sie sich aber unrechtmäßig bereichern und der Firma A*** einen zwar 5.000 S, nicht aber 100.000 S zweifelsfrei übersteigenden Schaden (die zu Unrecht bezogenen Provisionen) zufügen, wobei sie in der Absicht handelte, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tathandlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Im ersten Rechtsgang war das Gericht zum Ergebnis gelangt, Jeanne S*** habe im Jahr 1983 in Perwang durch Täuschung mit Bereicherungsvorsatz sowie gewerbsmäßig Angestellte der Firma A*** zur Ausfolgung von Bekleidungsgegenständen im Gesamtwert von 711.900,60 S verleitet und das Unternehmen um diesen Betrag geschädigt. Dieses Urteil wurde vom Obersten Gerichtshof aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Der nunmehrige Schuldspruch wird von der Angeklagten mit einer auf § 281 Abs. 1 Z. 5 StPO. gestützten Nichtigkeitsbeschwerde angefochten. Die Staatsanwaltschaft bekämpft das Urteil unter § 281 Abs. 1 Z. 4, 5 und 7 StPO. insofern, als der Schädigungsvorsatz der Angeklagten bloß im Umfang der 100.000 S nicht übersteigenden Provisionsbeträge und nicht auch in der Höhe des Warenwerts (nicht bezahlte Lieferungen) angenommen worden ist, ferner wegen Unterbleibens eines Ausspruchs gemäß § 263 StPO. hinsichtlich eines in der Hauptverhandlung ausgeschiedenen weiteren Betrugsfaktums. Schon die Verfahrensrüge der Staatsanwaltschaft (Z. 4) erweist sich als begründet.

In der Hauptverhandlung wurden von der Beschwerdeführerin folgende Anträge gestellt: Beischaffung der Buchungsunterlagen der Angeklagten zum Beweis, daß sie im Jahr 1982 und bis zum Herbst 1983 nahezu ausschließlich Waren der Firma A*** bezogen, diese bis zu einem Wert von 380.000 S verkauft und den Verkaufserlös nicht abgeliefert hat; Beiziehung eines Buchsachverständigen zum Nachweis, daß die Angeklagte Umsätze von rund 1,5 Millionen Schilling getätigt, dafür Provisionen von mehr als 100.000 S erhalten und schon bei der Fingierung der Bestellungen erkannt hat, daß sie die Lieferungen nicht werde bezahlen können, daß sie vielmehr mit dem Erlös Schulden begleichen wollte, um ihre Zahlungsunfähigkeit kurzfristig hintanzuhalten (Band II S. 249 bis 251, 272 bis 274). Diese Anträge wurden abgewiesen und damit Verfahrensgrundsätze verletzt, deren Beobachtung durch das Wesen eines die Strafverfolgung sichernden Verfahrens geboten ist. Wenngleich die Frage, ob die Angeklagte die Schädigung der Firma A*** fahrlässig (Zahlungsunfähigkeit) oder (bedingt) vorsätzlich herbeigeführt hat, nicht von einem Buchsachverständigen, sondern vom Gericht zu entscheiden ist, kann doch nicht ausgeschlossen werden, daß die Buchungsunterlagen und deren sachverständige Auswertung die bisherige Beweislage rechtlich bedeutsam verändern hätte können. Ob und inwieweit ein Unternehmer, der einem anderen durch Täuschung Waren herauslockt, es ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden hat, daß sein Geschäftspartner geschädigt werde, hängt nämlich von der wirtschaftlichen Gesamtsituation ab, zu deren Beurteilung die Fachkenntnisse eines Buchsachverständigen gewiß beitragen können.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Gericht, falls ein die Schädigung der Firma A*** um den Gegenwert der gelieferten Waren umfassender Vorsatz verneint werden sollte, das Verhalten der Jeanne S*** in der Richtung des Tatbestands der Veruntreuung zu prüfen haben.

Nicht unerwähnt kann bleiben, daß die Rüge der Staatsanwaltschaft nach Z. 7 gleichfalls berechtigt ist. In der Hauptverhandlung am 28.Mai 1986 (II. Band ON. 61 S. 121) hat der Staatsanwalt die Anklage u.a. auf das Faktum Betrug zum Nachteil der Firma B*** H*** KG. (Schaden 106.791,60 S) ausgedehnt (405, ON. 55). Im Urteil im ersten Rechtsgang wurde - rechtsrichtig - dem Staatsanwalt die Verfolgung der Angeklagten wegen des Faktums B*** gemäß § 263 Abs. 2 StPO. vorbehalten (II. Band ON. 62 S. 137 oben). In der Hauptverhandlung im zweiten Rechtsgang am 4.Mai 1987 hat der Staatsanwalt die Anklage ausgedehnt "wie in den Hauptverhandlungen vom 9.10.1985 und 28.5.1986", d.h. abermals auf das Faktum B*** (II. Band ON. 79 S. 223). Das Schöffengericht hat in derselben Hauptverhandlung die "neuerliche Ausscheidung des Faktums ON. 55 gemäß § 57 StPO. zur Vermeidung von Verzögerungen" beschlossen (II. Band ON. 79 S. 252). Daraufhin hat der öffentliche Ankläger beantragt, ihm die selbständige Verfolgung vorzubehalten (ebendort). Dieser Antrag wurde keiner Erledigung zugeführt, ein diesbezüglicher Ausspruch fehlt im angefochtenen Urteil.

Zufolge dem klaren Wortlaut des § 263 StPO. hat das Gericht nach einer Ausdehnung der Anklage in der Hauptverhandlung drei Möglichkeiten: die sofortige Erledigung der schriftlichen und der mündlich ausgedehnten Anklage mit Urteil, die Vertagung der Hauptverhandlung zur gemeinsamen Aburteilung aller Anklagepunkte (schriftliche und mündlich ausgedehnte) sowie letztlich den Verfolgungsvorbehalt im Urteil, d.h. daß dem Ankläger "auf sein Verlangen" (das hier vorliegt: II. Band ON. 79 S. 252) "die selbständige Verfolgung wegen der hinzugekommenen Tat" im Urteil vorbehalten wird, "außer welchem Falle wegen dieser Tat eine Verfolgung nicht mehr zulässig ist". Ein Beschluß auf Ausscheidung gemäß § 57 StPO. ist keine gesetzmäßige Erledigung einer in der Hauptverhandlung ausgedehnten Anklage und vermag den Verlust des Verfolgungsrechts des Anklägers (§ 263 Abs. 2 Ende StPO.) nicht zu hindern (SSt. VII/92, XXIII/45, JBl. 1950 S. 16, EvBl. 1961 Nr. 242 u. a.).

Sonach hat das ergangene Endurteil die Anklage nicht erledigt (Z. 7). Das Kreisgericht wird im dritten Rechtsgang sich der Urteilsfällung (Schuldspruch, Freispruch oder Vorbehalt) auch im Faktum B*** unterziehen müssen (§ 288 Abs. 2 Z. 2 StPO.). Berechtigung kommt aber auch der Beschwerde der Angeklagten zu. Zutreffend wird von ihr geltend gemacht, die Urteilsfeststellung, sie habe die Firma A*** zwar nicht um den Wert der herausgelockten Waren, wohl aber um die auf die fingierten Bestellungen entfallenden Provisionen schädigen wollen, sei infolge eines inneren Widerspruchs nur unzureichend begründet. Bei der gegebenen Fallgestaltung kann allein daraus, daß der Beschwerdeführerin laut den getroffenen Vereinbarungen für verbotswidrig im eigenen Namen getätigte Geschäfte kein Provisionsanspruch zugestanden ist und sie dies auch gewußt hat, nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß sie in bezug auf die ihr ausbezahlten oder von ihr geforderten Provisionen auch mit dem Vorsatz gehandelt hat, die Firma A*** zu schädigen, falls sie willens und in der Lage gewesen ist, der Lieferfirma die von dieser in Rechnung gestellten Beträge aus den beim Verkauf in ihrem eigenen Unternehmen erzielten Erlöse zu bezahlen. In diesem Zusammenhang wird in der Beschwerde zutreffend auf die im Urteil unerörtert gebliebene Zeugenaussage des Ferdinand U*** verwiesen, wonach die Firma A*** einen Provisionsanspruch für solche Geschäfte zwar grundsätzlich bestritten, sobald aber Zahlungen tatsächlich eingegangen sind, diese Geschäfte in Ordnung befunden und honoriert hat; bei ordnungsgemäß abgewickelten Geschäften sind auch nachträglich keine Provisionen rückverrechnet worden (Band II S. 242, 244, 245). Für die Annahme, die Angeklagte habe eine Schädigung der Firma A*** willensmäßig hingenommen, obwohl dieses Unternehmen letztlich den Gegenwert der in Rechnung gestellten Ware erhalten hat und, wie vom Erstgericht angenommen wurde, nach den Vorstellungen der Angeklagten auch weiterhin erhalten sollte, hätte es daher einer plausiblen Begründung bedurft.

Die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung zu verweisen. Infolge der gänzlichen Kassierung des Urteils erübrigte es sich auch, auf die weiteren Rügen in der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft einzugehen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte